Cannabiskonsum und Fruchtbarkeit von Frauen
die in Cannabis enthaltene Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) wirkt sich laut Studie negativ auf Eizellen von Frauen bei In-Vitro-Fertilisation aus
Auswirkungen von THC auf die Fruchtbarkeit von Frauen ist im Gegensatz zu der von Männern bisher wenig untersucht
laut Forschenden sollten die Hinweise dieser Studie ernstgenommen werden, allerdings sei die Aussagekraft begrenzt und dahinterliegende Mechanismen müssen noch erforscht werden
Ein Forschungsteam aus Kanada analysierte im Rahmen einer Fall-Kontroll- sowie einer In-Vitro-Studie die Auswirkungen der in der Cannabispflanze enthaltenen psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) auf die Fruchtbarkeit – genauer gesagt die Eizellen – bei Frauen. Ihr Ergebnis: Der Konsum von Cannabis steht mit einer schnelleren Eizellreifung sowie Veränderungen der Gene im Zusammenhang. Die Studie ist im Fachjournal „Nature Communications“ erschienen (siehe Primärquelle).
Dass der Konsum von Cannabis, genau wie Nikotin und Alkohol, vor oder während der Schwangerschaft vermieden werden sollte, ist bekannt. Doch während die Auswirkungen von Cannabis beziehungsweise THC auf die Fruchtbarkeit von Männern bereits gut untersucht sind, gibt es bezüglich der Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit von Frauen noch große Forschungslücken. Bei Männern führt ein hoher Cannabiskonsum zu einer geringeren Fruchtbarkeit, die sich unter anderem durch eine geringere Spermienqualität aber auch Probleme beim Orgasmus auszeichnet [I]. Bei Frauen deuten vergangene Studien darauf hin, dass der Konsum von Cannabis den Hormonhaushalt verändern könnte, zu den Auswirkungen auf die Eizellen ist noch wenig bekannt.
Arbeitsgruppenleiter am BioMedizinischen Centrum München (BMC), Lehrstuhl Zellbiologie (Anatomie III), Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Relevanz und Einordnung der Ergebnisse
„Es handelt sich um eine interessante und wichtige Studie am Menschen, beziehungsweise an menschlichen Zellen – und den damit verbundenen Einschränkungen. Die Ergebnisse der Studien an isolierten menschlichen Oozyten (Eizellen; Anm. d. Red.) zeigen negative Einflüsse von Tetrahydrocannabinol (THC) auf die Eizellen. THC und Metabolite wurden in der Follikelflüssigkeit von In-vitro-Fertilisation (IVF)-Patientinnen ebenfalls nachgewiesen. Damit, so auch die Schlussfolgerung der Autoren, ist von einem prinzipiell möglichen Risiko für die Fruchtbarkeit von Frauen bei Cannabiskonsum auszugehen.“
„Was die Ergebnisse betrifft, sind vor allem die negativen Auswirkungen auf den Spindelapparat/Ploidie hervorzuheben. Das sind aus meiner Sicht die besten Daten. Störungen des Spindelapparats/Ploidie nehmen allerdings auch mit dem Alter der Frau zu. Das ist in der Arbeit bisher nicht berücksichtigt worden – die Fallzahl ist zu gering für eine aussagekräftige Statistik. Daher wäre es zukünftig wichtig zu wissen, ob und wie THC auf Oozyten junger Frauen versus älterer Frauen wirkt.“
„Unklar bleibt der Wirkmechanismus von THC. Sind nur die klassischen Rezeptoren beteiligt, oder spielen andere Mechanismen, zum Beispiel Ionenkanäle, eine Rolle? Inwieweit sind die Wirkungen abhängig von der Konzentration von THC, und den entsprechenden Metaboliten?“
Praktische Relevanz
„Untersuchungen an einer Zellart – wie hier an Oozyten in einem klinischen Setting der IVF – geben nur bedingt Aufschluss über eine systemische Wirkung und somit die ‚Bedeutung im Alltag‘.“
„Es stellt sich die wichtige Frage, wie THC/Cannabis auf das gesamte Ovar, vor allem auf die Follikel und Oozyten während der Reifung wirkt. Das ist erstaunlicherweise kaum untersucht worden. Die Ergebnisse anderer Arbeiten haben jedoch einen Einfluss von Cannabinoiden auf isolierte Granulosazellen – den Ammenzellen der Oozyten im Follikel – nahegelegt. Die Follikelreifung ist jedoch ein komplexer und langer Prozess. Die meisten Follikel samt Oozyten durchlaufen diesen Prozess nur teilweise und gehen normalerweise zugrunde (Follikelatresie), bevor sie das Stadium der Ovulation erreichen. Ob THC auf die Follikelreifung, Atresie und Ovulation im Ovar, im Körper der Frau einen Einfluss hat, welche Konzentrationen dafür nötig sind, bleiben neben vielen weiteren, offene Fragen.“
Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm
„Die Schlussfolgerung der Arbeit, Tetrahydrocannabinol (THC)/Cannabiskonsum könnte die Fertilität der Frau negativ beeinflussen, ist zunächst ernst zu nehmen, aber weitere Arbeiten müssen nun folgen.“
Methodik und Aussagekraft der Studie
„Die Laboranalysen zu Eizellreifung, Genexpression und Chromosomenverteilung sind sehr detailliert, müssen aber ihre Relevanz letztlich in größeren in vivo-Studien beweisen. Für Eizellreifung und Chromosomenverteilung sind sicherlich auch nicht berücksichtigte Einflussgrößen wie der Konsum anderer Drogen relevant. Das sollte bei folgenden Studien in die Analysen einbezogen werden. Die untersuchte Kohorte ist wahrscheinlich nicht repräsentativ für die allgemeine Bevölkerung, da alle Patientinnen sich einer Fertilitätsbehandlung bei Kinderwunsch oder zur Spende ihrer Eizellen an Wunscheltern unterzogen. Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch und In-Vitro-Fertilisation (IVF) sind durchschnittlich älter und haben häufiger genetische Belastungen, weshalb oft keine erfolgreiche Schwangerschaft zu verzeichnen ist. Möglicherweise verursacht THC bei jungen, genetisch unauffälligen Frauen weniger Effekte im Hinblick auf die Reproduktion.“
Einordnung der Ergebnisse
„Marihuana (umgangssprachlicher Begriff für die getrockneten Blüten der weiblichen Cannabispflanze; Anm. d. Red.) ist eine weit verbreitete illegale Freizeitdroge, die vor allem bei Frauen im gebärfähigen Alter beliebt ist. Es wurde schon länger angenommen, dass der Konsum von Marihuana sich negativ auf die weibliche Fruchtbarkeit auswirken kann. Die genauen Mechanismen seiner Reproduktionstoxizität waren jedoch bislang nicht geklärt. Studien deuten darauf hin, dass exogene Cannabinoide das Endocannabinoidsystem beeinträchtigen und die Hypothalamus-Hypophysen-Eierstock-Achse stören. Infolgedessen könnte die Ausschüttung von Sexualhormonen aus den Ovarien, der Menstruationszyklus und die weibliche Fruchtbarkeit beeinträchtigt werden [1].“
„Eine Datenanalyse des US-amerikanischen National Health and Nutrition Examination Survey zeigte bei ehemaligen Cannabiskonsumentinnen nach Bereinigung um alle Kovariablen ein signifikant erhöhtes Risiko für Unfruchtbarkeit auf [2] (Odds Ratio: 2,04, 95 Prozent-Konfidenzintervall: 1,21–3,43, p = 0,012), während aktuelle Cannabiskonsumentinnen im Vergleich zu Nichtkonsumentinnen keinen signifikanten Unterschied im Risiko für Unfruchtbarkeit aufwiesen [3].“
„Eine Chromosomenverteilungsstörung bei Beeinträchtigung des Spindelapparates im Rahmen der Zellteilung durch THC-Konsum könnte zu einer höheren Anzahl von Embryonen mit auffälligem Karyotyp (Erscheinungsbild des Chromosomensatzes, zum Beispiel Veränderung der Chromosomenzahl oder Chromosomenbrüche; Anm. d. Red.) führen. Viele solcher Schwangerschaften enden als Frühaborte, nur wenige Konstellationen wie zum Beispiel Trisomie 21, 13 oder 18 erreichen den lebensfähigen Status. Hier wären große Kohortenstudien von Cannabiskonsumentinnen mit Kinderwunsch von Relevanz.“
Auf die Fragen, wie hoch der THC-Konsum sein muss, um die analysierten Konzentrationen in der Follikelflüssigkeit zu erreichen und ab welchem Ausmaß schädliche Auswirkungen auf die weibliche Fruchtbarkeit zu erwarten sind:
„In welcher Größenordnung beziehungsweise Konsumart der Gebrauch von Cannabis sich bewegen muss, um die in der Follikelflüssigkeit gemessenen Werte zu erreichen, ist nicht klar. Eine Einschränkung der vorliegenden Studie ist der Mangel an Daten zu den Konsumgewohnheiten von Cannabis, zum Beispiel Häufigkeit, Zeitpunkt, Dosierung und Art des Konsums.“
Implikationen der Studie
„Auf der Basis eines speziellen Kollektivs wurden in dieser Studie mögliche Einflüsse von THC und seiner Metaboliten auf die Eizellreifung und Chromosomenverteilung untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sollten dazu veranlassen, Frauen mit Kinderwunsch auf potenzielle Risiken des Cannabiskonsums hinzuweisen.“
Professorin für Reproduktionsbiologie am Institut für Zellbiologie und Zentrum für Reproduktionsgesundheit, und Leiterin der Forschungsgruppe für Ovarentwicklung am Institut für Zellbiologie, University of Edinburgh, Vereinigtes Königreich
„Frühere Studien haben gezeigt, dass Cannabiskomponenten wie Tetrahydrocannabinol (THC) in der Flüssigkeit vorhanden sind, die die Eizellen im Eierstock umgibt – die Follikelflüssigkeit. Wissenschaftler vermuten seit langem, dass diese Komponenten die Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnten. Während es allgemein anerkannt ist, dass THC die männliche Fruchtbarkeit – durch Veränderungen der DNA-Methylierung, der Spermienform und der Beweglichkeit – beeinträchtigen kann, zeigt diese Studie, dass THC auch die Eizellen erreicht und deren Teilung und Entwicklung beeinträchtigen kann, wodurch sich die Chancen auf die Bildung gesunder Embryonen möglicherweise verringern. Diese Ergebnisse geben Anlass zu großer Sorge, lassen jedoch keine Rückschlüsse darauf zu, inwieweit der Konsum von Cannabis unbedenklich ist. Weitere Untersuchungen mit größeren Patientinnengruppen und Eizellen, die nicht durch andere Faktoren beeinflusst sind, sind erforderlich, um die Ergebnisse zu bestätigen, um festzustellen, ob die Risiken von der Dosis oder der Häufigkeit abhängen, und um die Auswirkungen auf die Schwangerschaft und die Lebendgeburten zu bewerten.“
„Ein Interessenkonflikt besteht nicht.“
„Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Studie bestehen meinerseits nicht.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit dieser Studie anzugeben.“
Primärquelle
Duval C et al. (2025): Cannabis impacts female fertility as evidenced by an in vitro investigation and a case-control study. Nature Communications. COI: 10.1038/s41467-025-63011-2.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Najafi L et al. (2025): The marijuana, cannabinoids, and female reproductive system. Journal of Applied Toxicology. DOI: 10.1002/jat.4630.
[2] Chen C et al. (2025): Association of cannabis use with female infertility based on NHANES. Journal of obstetrics and gynaecology. DOI: 10.1080/01443615.2025.2502663.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Payne KS et al. (2020): Cannabis and Male Fertility: A Systematic Review. The Journal of Urology. DOI: 10.1097/JU.0000000000000248.
[II] Fuchs Weizman N et al. (2022): Cannabis significantly alters DNA methylation of the human ovarian follicle in a concentration-dependent manner. Molecular Human Reproduction. DOI: 10.1093/molehr/gaac022.
Prof. Dr. Artur Mayerhofer
Arbeitsgruppenleiter am BioMedizinischen Centrum München (BMC), Lehrstuhl Zellbiologie (Anatomie III), Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ein Interessenkonflikt besteht nicht.“
Dr. Wolfgang Paulus
Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Studie bestehen meinerseits nicht.“
Prof. Dr. Evelyn Telfer
Professorin für Reproduktionsbiologie am Institut für Zellbiologie und Zentrum für Reproduktionsgesundheit, und Leiterin der Forschungsgruppe für Ovarentwicklung am Institut für Zellbiologie, University of Edinburgh, Vereinigtes Königreich
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit dieser Studie anzugeben.“