Blauer Wasserstoff: Emissionsberechnung der EU
EU legt fest, unter welchen Bedingungen Wasserstoff als „kohlenstoffarm“ gilt
besonders kontrovers ist die Berechnung der Vorkettenemissionen, also der Methanemissionen, die bei Förderung und Transport von Erdgas entstehen
Forschende sehen teils Schlupflöcher durch Standardwerte, befürworten, dass Klarheit für Investitionen geschaffen wird und betonen, dass blauer Wasserstoff nur als Übergangslösung genutzt werden sollte
Die EU-Kommission hat festgelegt, wie die Emissionen der Herstellung von sogenanntem „kohlenstoffarmen“ oder „CO2-armen“ Wasserstoff berechnet werden sollen [I] [II] [III]. Besonders relevant ist das für blauen Wasserstoff – also Wasserstoff, der mithilfe der sogenannten Dampfreformierung aus Erdgas hergestellt wird. Das dabei entstehende CO2 wird abgeschieden und unterirdisch gespeichert (CCS) oder in langlebigen Produkten genutzt (CCU).
Leiter des Geschäftsfelds Erneuerbare Energien, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe
„Es ist sinnvoll, dass die Berechnungsmethode eng an die Bestimmungen für grünen Wasserstoff anschließt und zugleich bei den Vorkettenemissionen von Erdgas und den Bestimmungen für die Kohlenstoffspeicherung und -nutzung genauere Vorgaben macht. Wichtig ist, dass für Methanemissionen in der Erdgasvorkette direkt auf die EU-Methanverordnung Bezug genommen wird, welche eine Bemessung der individuellen Vorkettenemissionen von Lieferanten und Erdgasquellen erforderlich macht. Denn eine pauschale Regelung würde der bekannten Bandbreite an Vorkettenemissionen nicht gerecht.“
„Es gibt jedoch diesbezüglich ein Schlupfloch, dass vergleichsweise niedrige pauschale Werte verwendet werden können, solange für bestimmte Lieferketten keine spezifischen Daten vorliegen. Hier gilt es aufzupassen, dass diese Regelung nicht missbraucht wird, um hohe Vorkettenemissionen zu verschleiern.“
„Wird verflüssigtes Erdgas (LNG) zur Wasserstoffproduktion genutzt, sind zwar gemäß der nun veröffentlichten Berechnungsmethode Emissionen aus Umwandlungsverlusten einzurechnen. Es gibt allerdings unzureichende Vorgaben, wie dies zu geschehen hat, so dass die Wirksamkeit dieser Regelung fragwürdig ist. Dies kann dazu führen, dass Wasserstoff aus LNG trotz unter Umständen substanzieller Emissionen beim Transport als kohlenstoffarm eingestuft wird.“
Herausforderungen bei der Berechnung der Emissionen
„Die Berechnung der direkten Emissionen bei der eigentlichen Herstellung von blauem Wasserstoff ist unproblematisch und über den EU-Emissionshandel bereits geregelt. Die Schwierigkeiten liegen in der Berechnung der Vorkettenemissionen und teils auch bei der nachgelagerten Kette des abgeschiedenen Kohlenstoffes.“
„Generell sind die Emissionen in Erdgasvorketten für Produzent:innen von kohlenstoffarmem Wasserstoff nur mittelbar über Zertifikate kontrollierbar und nach heutigem Stand in vielen Fällen nicht bekannt. Dabei zeigen satellitengestützte Messungen, dass es je nach Erdgasquelle sehr große Unterschiede bezüglich der Vorkettenemissionen gibt. Daher wäre ein Ansatz, der pauschale Standardwerte zum Beispiel in Form eines Durchschnittswerts angibt, unzureichend.“
„Die EU-Methanverordnung sieht vor, hier in den kommenden Jahren eine deutliche Verbesserung herbeizuführen, indem es verpflichtend wird, die Methanemissionen in der Vorkette zu überwachen, und ein entsprechendes Zertifizierungssystem aufgebaut wird. Die nun veröffentlichte Berechnungsmethode knüpft daran sinnvollerweise an.“
„Weiterhin muss sichergestellt werden, dass bei der Herstellung von blauem Wasserstoff abgeschiedener Kohlenstoff entweder dauerhaft unterirdisch gespeichert oder langfristig in Produkten gebunden wird. Auch hierfür ist die EU dabei, ein System zur Nachverfolgung aufzubauen, auf dem die Berechnungsmethodik fußt. Auch hieran knüpft die nun veröffentlichte Berechnungsmethode sinnvollerweise an.“
Studienlage zu Vorkettenemissionen
„Die Vorkettenemissionen von blauem Wasserstoff können je nach Erdgasquelle und Transport sehr unterschiedlich sein, insbesondere abhängig davon wie gut diese überwacht und wie schnell eventuelle Leckagen gestoppt werden.“
„Dabei gibt es immer noch gewisse Unsicherheiten über den Umfang der Methanemissionen, welche aber in den vergangenen Jahren durch satellitengestützte Messungen für Erdgasquellen und teils auch die Transportnetze substanziell reduziert worden sind.“
„Essenziell ist, dass der delegierte Rechtsakt an die EU-Methanverordnung anknüpft und vorsieht, die darüber zu erhebenden Vorkettenemissionen einzuberechnen, sobald sie vorliegen. Es ist nachvollziehbar, dass für den Übergangzeitraum auf sogenannte Standardwerte zugegriffen werden kann. Es besteht jedoch die Gefahr eines Missbrauchs dieser Regelung, den es zu vermeiden gilt.“
„Durch den Energieaufwand für den Transport des Erdgases und gegebenenfalls die zwischenzeitliche Verflüssigung zu LNG entstehen darüber hinaus auch CO2-Emissionen. Diese sind nicht zu vernachlässigen und kaum überwachbar. Es bedarf daher klarer Vorgaben zu ihrer Berechnung. Hier erscheinen die Vorgaben in der nun veröffentlichten Methodik nicht hinreichend klar. Das birgt das Risiko, diese in der Berechnung zu unterschätzen. Vor dem Hintergrund, dass der LNG-Import in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist und über eine weitere Ausweitung diskutiert wird, ist dies ein zentrales Versäumnis.“
Argumente für und gegen Nutzung von blauem Wasserstoff
„Für eine Nutzung von blauem Wasserstoff spricht, dass dieser zunächst voraussichtlich geringere Kosten als grüner Wasserstoff aufweist. Er kann daher in einer Übergangsphase helfen, die Versorgungssicherheit für emissionsarmen Wasserstoff zu erhöhen und eine bessere Auslastung der im Aufbau befindlichen Wasserstoffnetze zu erreichen. Allerdings ist auch für die Produktion von blauem Wasserstoff mit zeitlichem Vorlauf zu rechnen.“
„Gegen eine Nutzung von blauem Wasserstoff spricht die damit verbundene Verlängerung der Nutzung von Erdgas als fossilem Brennstoff, die Notwendigkeit der dauerhaften Speicherung des abgeschiedenen Kohlenstoffs und eine mögliche Verlangsamung des Hochlaufs von grünem Wasserstoff. Außerdem lassen sich die Vorkettenemissionen von blauem Wasserstoff niemals vollständig vermeiden.“
„Mit Blick auf die angestrebte Klimaneutralität kann blauer Wasserstoff daher insgesamt höchstens eine Übergangstechnologie darstellen. Dies gilt es bei dessen Regulierung und einer eventuellen Förderung entsprechend zu berücksichtigen. Ob eine Nutzung von blauem Wasserstoff übergangsweise erfolgen soll, ist dann eine politische Abwägungsentscheidung. In jedem Fall muss aber sichergestellt werden, dass die damit verbundenen Emissionen hinreichend kontrolliert und begrenzt werden, um die Klimaziele nicht zu gefährden.“
Emissionsminderung von 70 Prozent im Vergleich zu Alternativen
„Der gewählte Grenzwert einer Minderung der Emissionen gegenüber fossilen Brennstoffen um 70 Prozent ist konsistent mit dem entsprechenden Grenzwert für grünen Wasserstoff, was sinnvoll erscheint. Entscheidend sind dabei aber die Details, die für die Berechnungen zu Grunde gelegt werden. Diesbezüglich sind die oben genannten Einschränkungen bezüglich der Vorkettenemissionen zu bemängeln.“
Die folgenden vier Absätze hat Jakob Wachsmuth ergänzt:
„Um den Grenzwert einer Emissionseinsparung von 70 Prozent zu erreichen, muss die CO2-Abscheiderate bei der blauen Wasserstoffproduktion je nach Vorkettenemissionen über 75 Prozent, in der Regel sogar eher bei 90 Prozent liegen. Für Neuanlagen ist dies voraussichtlich gut erreichbar. Bestehende Anlagen erreichen meist geringere Abscheideraten und eine Nachrüstung für eine kohlenstoffarme Wasserstoffproduktion ist nur mit viel Aufwand möglich. Bei der konventionellen Dampfreformierung zur Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas gibt es zwei Abgasströme: einen prozessbedingten mit hoher CO2-Konzentration und einen energiebedingten mit niedriger CO2-Konzentration. Beim ersteren ist die CO2-Abscheidung relativ unaufwendig, bei letzterem nicht. Eine Abscheidung nur bei ersterem wäre nicht sinnvoll im Sinne des Klimaschutz, ist aber auch nicht ausreichend für den Grenzwert. Eine Abscheidung nur der hochkonzentrierten CO2-Emissionen wird durch die Regelung also sinnvollerweise vermieden.“
„Erdgas aus Norwegen weist in der Regel vergleichsweise geringe Vorkettenemissionen auf. Für Anlagen mit entsprechend hoher Abscheiderate sollte der Grenzwert hierfür also ohne weiteres einhaltbar sein. Voraussetzung ist, dass die niedrigen Vorkettenemissionen entsprechend projektspezifisch zertifiziert sind. Norwegen gilt als ein möglicher Hauptlieferant für Erdgas zur Herstellung von blauem Wasserstoff.“
„Auch beim Rückgriff auf die Standardwerte der neuen EU-Regelung sollte der Grenzwert für den pipelinebasierten Import von Erdgas eingehalten werden können. Dies birgt das Risiko eines missbräuchlichen Rückgriffs auf die Standardwerte, wenn die Vorkettenemissionen eigentlich höher sind, sie aber als nicht bekannt angegeben werden.“
„Schwierig könnte die Einhaltung des Grenzwerts für die Produktion von blauem Wasserstoff aus LNG zum Beispiel aus Katar oder den USA werden, wenn realistische Werte für die zeitweise Verflüssigung und den Transport aufgeschlagen werden. In der EU-Regelung fehlen jedoch Vorgaben dazu, wie diese Aufschläge zu bestimmen sind. Das lässt befürchten, dass hier zu geringe Emissionen angesetzt werden. So könnte es passieren, dass der Grenzwert offiziell eingehalten wird, obwohl die eigentlich höheren Vorkettenemissionen real zu einer Überschreitung führen.“
„Mit Blick auf das langfristige Ziel von Klimaneutralität wäre es zusätzlich sinnvoll, wenn mittelfristig eine gegebenenfalls kontinuierliche Verschärfung der Grenzwerte für kohlenstoffarmen und grünen Wasserstoff im Zeitverlauf etabliert würde. Damit könnte auch sichergestellt werden, dass kohlenstoffarmer Wasserstoff nur eine Übergangslösung ist.“
Relevanz der Einstufung von Wasserstoff als „kohlenstoffarm“
„Kohlenstoffarme Gase sind unter dem europäischen Emissionshandel als emissionsfrei eingestuft und deren Nutzung daher dort attraktiv. Außerdem ist für eine finanzielle Förderung der Herstellung oder Nutzung von Wasserstoff in der Regel eine Zertifizierung als kohlenstoffarmer oder erneuerbarer Wasserstoff notwendig, zum Beispiel für eine Nutzung im Rahmen der Klimaschutzverträge für die Industrie.“
Stellvertretende Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Relevanz der Einstufung von Wasserstoff als „kohlenstoffarm“
„Der delegierte Rechtsakt wird die Kriterien für die freiwillige Zertifizierung von ‚kohlenstoffarmen‘ Energieträgern definieren. Dies wird in Zukunft für die Kennzeichnung von Produkten wichtig sein, die diese Energieträger nutzen, beispielsweise für ‚grünen Stahl‘. Der delegierte Rechtsakt wird Sicherheit über die Emissionsgrenzwerte von kohlenstoffarmen Energieträgern bringen, was wiederum wichtig für Investitionsentscheidungen in die Erzeugung von Energieträgern ist, die als ‚kohlenstoffarm‘ zertifiziert werden möchten. Bisher gibt es nur wenig Angebot und Erzeugungskapazitäten von kohlenstoffarmen Energieträgern und diese Rechtssicherheit kann hoffentlich zur Beschleunigung der Investitionstätigkeit beitragen.“
Herausforderungen bei der Berechnung der Emissionen
„Der von der Kommission vorgelegte delegierte Rechtsakt berücksichtigt ausdrücklich die gesamten Emissionen entlang der Lieferkette eines Energieträgers und neben den CO2-Emissionen auch die Methanemissionen und die Stickoxid-Emissionen. Dies ist begrüßenswert, gerade auch im Hinblick auf die möglichen Emissionen in der Lieferkette von blauem Wasserstoff.“
Die folgenden zwei Absätze wurden von Franziska Holz überarbeitet und ergänzt:
„Der delegierte Rechtsakt gibt allerdings – dort wo diese nicht gemessen werden – Standardwerte für die Berechnung der Treibhausgasemissionen von Erdgas an. Im Vergleich zu den allermeisten bekannten Lieferkettenemissionen sind diese niedrig. Nur norwegisches Erdgas hat niedrigere Emissionen in der Lieferkette als die nun vorgeschlagenen Standardwerte. Die berechneten Emissionswerte sollen mit einem, bereits aus der RED II-Richtlinie kommenden (und durch den delegierten Rechtsakt nicht veränderten) Vergleichswert für die fossilen Alternativen – zum Beispiel für die direkte Nutzung von Erdgas – verglichen werden. Dieser ist so hoch angesetzt, dass damit auch gasbasierter blauer Wasserstoff als ‚kohlenstoffarm‘ eingestuft wird, wenn dessen Methanemissionen in der Lieferkette und/oder die Restemissionen nach CCS überdurchschnittlich hoch sind.“
„Allerdings werden nicht alle Formen von gasbasiertem Wasserstoff den Vergleichswert für Lieferkettenemissionen unterschreiten. Umgerechnet auf Wasserstoff beträgt der Vergleichswert von 94 Gramm CO2-Äquivalent pro Megajoule etwa 3,38 Tonnen CO2 pro Tonne Wasserstoff. Sehr hilfreich ist eine Übersicht der IEA, die die CO2-Intensität von Wasserstoff mit verschiedenen Erzeugungsrouten – inklusive Erdgas aus unterschiedlich treibhausgasintensiven Quellen – vergleicht [7]. Dort sieht man, dass manche Formen von ‚blauem‘ Wasserstoff den Vergleichswert sogar überschreiten würden, zum Beispiel wenn die CCS-Capture-Rate niedrig ist.“
„Methanemissionen und -leckagen werden ausdrücklich im delegierten Rechtsakt berücksichtigt. Dies ist richtig, denn sie stellen einen wesentlichen Teil der Treibhausgasemissionen in der Erdgaslieferkette dar. Die Schätzungen zu Methanleckagen variieren je nach Herkunftsland, Transportweg und Schätzungsmethode, aber in den meisten Quellen werden sie auf etwa ein Drittel der Gesamtemissionen geschätzt. Darüber hinaus wird im delegierten Rechtsakt für die Nutzung von CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS) vorgesehen, dass die konkreten Abscheideraten herangezogen werden. Dies ist wichtig, da CCS in keinem Fall einhundert Prozent der anfallenden CO2-Emissionen vermeiden beziehungsweise abscheiden und speichern kann.“
Argumente für und gegen Nutzung von blauem Wasserstoff
„Die verbleibenden Restemissionen bei der Erzeugung von blauem Wasserstoff mit CCS sind ein wichtiges Argument gegen die Nutzung dieser Technologie. Noch viel schwerer wiegt für mich die Unsicherheit bei der Entwicklung und Skalierung der CCS-Technologie, also sowohl der CO2-Abscheidung als auch der dauerhaften CO2-Speicherung. Diese spricht gegen die weitverbreitete Einführung von blauem Wasserstoff. Darüber hinaus kann blauer Wasserstoff zur Festigung der langfristigen Nutzung beziehungsweise Abhängigkeit von fossilem Erdgas beitragen und durch die Langlebigkeit der Erzeugungsanlagen zu einer Pfadabhängigkeit führen, in der womöglich auch nach 2050 noch fossiles Erdgas genutzt würde. Hingegen könnte blauer Wasserstoff womöglich die Nachfragelücke füllen, die durch die nur langsam hochlaufende einheimische Elektrolyse und grüne Wasserstoffimporte nicht gedeckt werden kann. Bei derzeitigen Kostenschätzungen wäre blauer Wasserstoff auch günstiger als grüner Wasserstoff. Allerdings ist unklar, ob sich die relativen Kosten nicht ändern würden, wenn die Methanleckagen in der Erdgaslieferkette auch mit einem Preis (analog zum CO2-Preis) versehen würden.“
Leiter der Forschungsgruppe „Energy Systems Transformation“, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
„Die festgelegte Berechnungsmethode bezieht grundsätzlich die meisten relevanten Emissionen für CO2-armen Wasserstoff ein. Allerdings entspricht sie entgegen der Pressemitteilung der EU keinem vollständigen Lebenszyklus-Ansatz, da Emissionen die beim Bau (und späterem Rückbau) der Produktionsanlagen entstehen, bewusst nicht betrachtet werden.“
Herausforderungen bei der Berechnung der Emissionen
„Die größten Einflussfaktoren auf die Emissionen von blauem Wasserstoff sind die Methan-Leckage-Rate und die Abscheiderate im Carbon-Capture-Prozess. Mit neuen Anlagen sind 90 Prozent oder sogar noch höhere Abscheideraten erreichbar [1].“
„In Bezug auf die Methan-Leckage zeigen sich in der Realität große Unterschiede, je nach Herkunftsland des Erdgases und den genutzten Infrastrukturen. In der wissenschaftlichen Literatur sind die anzusetzenden Methan-Leckage-Raten Gegenstand einer intensiven Diskussion. Die Spannbreite reicht hier von ambitionierten Leckage-Raten von 0,2 Prozent [2], über Angaben des IPCC von 0,9 bis 1,7 Prozent [3], bis zu 4,3 Prozent [4].“
„Eine umfangreiche Analyse hat für Gasfelder und den damit verbundenen Pipelines in den USA Leckage-Raten von bis zu 3,5 Prozent ermittelt [4]. Im Gegensatz dazu werden für die norwegische Gasversorgung nur 0,3 Prozent Methan-Leckage angegeben [5].“
„Je nach Anwendung müssen die Emissionen des blauen Wasserstoffs mit den Emissionen der fossilen Alternativen, zum Beispiel der von Erdgas bei der Verbrennung in Gaskraftwerken oder von grauem Wasserstoff verglichen werden. Grauer Wasserstoff wird ebenfalls aus Erdgas hergestellt, bei der Umwandlung werden die CO2-Emissionen jedoch freigesetzt und nicht mit CCS abgeschieden. Im Vergleich zur Nutzung von grauem Wasserstoff oder Erdgas wird für die Herstellung von blauem Wasserstoff mehr Erdgas benötigt. Denn sowohl bei der Umwandlung im Dampfreformierer als auch bei der CO2-Abscheidung wird zusätzliche Energie benötigt. Deshalb bestimmen die Leckage-Raten des Erdgases entscheidend, ob blauer Wasserstoff deutliche Emissionsreduktion gegenüber grauem Wasserstoff oder Erdgas aufweist oder nur zu geringen Emissionseinsparungen führt. Die Bandbreite der Emissionen von blauem Wasserstoff bewegt sich zwischen 20 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Wasserstoff [1] und 310 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Wasserstoff [4].“
„Die Schwierigkeit liegt hier insbesondere in der Bestimmung der tatsächlich auftretenden Methan-Leckage. Hierfür sind umfangreiche Analysen zum Beispiel mittels Satellitendaten notwendig, um exakte Daten in die Berechnung für CO2-armen Wasserstoff einfließen zu lassen. Dies führt zwangsweise zu großen Unsicherheiten in der Berechnung der Emissionen von blauem Wasserstoff.“
Argumente für und gegen Nutzung von blauem Wasserstoff
„Blauer Wasserstoff kann eine sinnvolle Brückentechnologie darstellen, um Wasserstoff-Infrastrukturen aufzubauen, solange noch nicht ausreichend kostengünstiger grüner Wasserstoff vorhanden ist. Mit signifikanten Emissionsminderungen ist der blaue Wasserstoff jedoch nur bei niedrigen Methan-Leckagen und hohen Abscheideraten verbunden. Für Abnehmer von Wasserstoff in der Industrie kann die Verfügbarkeit von blauem Wasserstoff Investitionssicherheit schaffen, um Prozesse auf die Verwendung von Wasserstoff umzustellen. Allerdings besteht die große Gefahr, dass Lock-In-Effekte entstehen und der Umstieg auf grünen Wasserstoff dadurch verzögert wird. Aufgrund der verbleibenden Emissionen von blauem Wasserstoff ist dieser mit den Netto-Null-Emissionszielen der EU bis 2050 und Deutschlands bis 2045 unvereinbar, sodass er in den 2040ern durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss.“
Emissionsminderung von 70 Prozent im Vergleich zu Alternativen
„Die Einstufung mit 70 Prozent Emissionsreduktion ist angelehnt an die Renewable Energy Directive (RED) der EU für die Verwendung von erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor, die den gleichen Wert aufweist. Der Wert von 70 Prozent ist damit zumindest konsistent, wenngleich auch willkürlich gewählt. Er zeigt aber direkt auf, dass kohlenstoffarmer Wasserstoff vermutlich bereits ab dem Jahr 2040 keine Rolle mehr spielen kann, wenn das jüngst von der EU-Kommission vorgeschlagen Emissionsreduktionsziel von 90 Prozent im Jahr 2040 eingehalten werden soll [6].“
Relevanz der Einstufung von Wasserstoff als „kohlenstoffarm“
„Eine Einstufung eines Energieträgers als kohlenstoffarm eröffnet die Möglichkeit, umfangreiche Fördergelder der EU zu beantragen. Viele Förderprogramme zum Beispiel zur Umsetzung des Green Deals fördern nur den Ausbau von erneuerbaren oder kohlenstoffarmen Energieträgern.“
Leiter der Forschungsgruppe „Hydrogen, electrification and industry transformation“, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
„Es ist insgesamt gut, dass geklärt wird, wann blauer Wasserstoff als ‚CO2-arm‘ gilt und wann nicht – denn grundsätzlich kann blauer Wasserstoff eine ergänzende Rolle beim Klimaschutz und Wasserstoffhochlauf spielen, wenn dieser auch emissionsarm hergestellt wird. Dabei bedarf es allerdings einer guten Definition und Implementierung, da mit blauem Wasserstoff hohe Emissionen verbunden sein können: Das sind einerseits sogenannte Vorkettenemissionen, das heißt Methan- und CO2-Emissionen bei der Förderung und dem Transport von Erdgas, und andererseits CO2-Emissionen bei der Produktion von blauem Wasserstoff aus Erdgas aufgrund unvollständiger Abscheidung von CO2.“
„Die Regulierung muss hier eine gute Balance finden: einerseits sollte sie pragmatisch sein, um schnell Investitionen zu ermöglichen – andererseits muss sie blauen Wasserstoff auf einen Pfad setzen, der einen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz leistet. In dem delegiertem Rechtsakt gibt es einige positive Elemente, aber auch Verbesserungsbedarf.“
Herausforderungen bei der Berechnung der Emissionen
„Grundsätzlich positiv ist ein Lebenszyklusansatz, der die Vorkettenemissionen der Erdgasbereitstellung miteinschließt. Allerdings werden Vorkettenemissionen bei nicht vorliegenden Daten auf Basis von pauschalen Standartwerten berechnet. Blauer Wasserstoff könnte somit als ‚CO2-arm‘ gelten, obwohl die tatsächlichen Emissionen höher sind als in den Standartwerten festgehalten. Zudem gibt es somit leider keine Anreize, Erdgas aus emissionsarmen Lieferländern zu beziehen oder Vorkettenemissionen (zum Beispiel Methanschlupf) zu reduzieren.“
„Im Rechtsakt wird erwähnt, dass eine Differenzierung in Bezug auf Lieferländer geprüft werden soll. Das ist dringend notwendig, um einen sinnvollen Klimaschutzbeitrag sicherzustellen. Gleichzeitig gibt es auch innerhalb von Lieferländern große Unterschiede bei Vorkettenemissionen, sodass sogar ein individuelles Assessment einzelner Lieferketten sinnvoll wäre.“
Emissionsminderung von 70 Prozent im Vergleich zu Alternativen
„Grundsätzlich positiv ist auch die Festlegung eines Grenzwertes: Eine Reduktion von 70 Prozent der Emissionen im Vergleich zu einem fossilen Referenzwert. Dabei orientiert sich dieser Referenzwert an fossilem (grauem) Wasserstoff. Das klingt zwar zunächst logisch, allerdings konkurriert CO2-armer Wasserstoff zumeist mit Erdgas, das weniger emissionsintensiv ist als grauer Wasserstoff. Grauer Wasserstoff wird ebenfalls aus Erdgas hergestellt, die dabei entstehenden CO2-Emissionen werden aber nicht abgeschieden. Er ist emissionsintensiver als Erdgas, weil die Umwandlung von Erdgas in Wasserstoff mit Verlusten einhergeht.“
„Somit entspricht der Grenzwert in vielen Fällen nur einer Emissionsreduktion von etwa 60 Prozent. Dem CO2-armen Wasserstoff werden daher etwa 40 Prozent Restemissionen im Vergleich zu Erdgas zugestanden. Das ist offensichtlich weit von Klimaneutralität entfernt, aber vielleicht im Sinne eines Pragmatismus kurzfristig akzeptabel.“
„Was in der Regulierung allerdings fehlt, ist ein starkes Signal, dass dieser Grenzwert schrittweise abgesenkt werden wird. Die Gefahr ist, dass dadurch Innovationen in wirklich sauberen blauen Wasserstoff ausbleiben. So gibt es moderne Verfahren, die über 90 Prozent CO2-Abscheidung ermöglichen sollen. Diese bedürfen allerdings noch der Realisierung im industriellen Maßstab und eines Lernprozesses hin zu niedrigeren Kosten.“
„Der aktuelle Grenzwert kann hingegen auch mit konventioneller Technologie erreicht werden, sodass wenig Anreize bestehen, diese notwendigen Innovationsschritte zu gehen. Während blauer Wasserstoff eine ergänzende Rolle beim Hochlauf von Wasserstoff spielen kann, droht insbesondere eine zu weiche Regulierung zu einer Benachteiligung von grünem Wasserstoff (Renewable Fuels of Non-Biological Origin; RFNBO) zu führen. Letzterer ist aus verschiedenen Gründen die langfristig robustere und wettbewerbsfähigere Klimaschutzoption – bedarf aber Durchhaltevermögen und weiterer gezielter Fördermaßnahmen, um aktuelle Umsetzungsbarrieren zu überwinden. Die größte Gefahr der neuen Regulierung liegt in ihrer potenziellen Signalwirkung einer teilweisen Abkehr von grünem Wasserstoff. Fördermaßnahmen und Wasserstoffkommunikation sowohl auf EU- als auch nationaler Ebene sollten weiterhin auf grünen Wasserstoff (RFNBO) fokussiert bleiben.“
„Ich bin für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Fragen des Wasserstoffmarkthochlaufs beratend tätig.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte bei diesem Thema.“
„Ich habe keinerlei Interessenkonflikte.“
„Keine Interessenkonflikte.“
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Pettersen J et al. (2022): Blue hydrogen must be done properly. Energy Science & Engineering. DOI: 10.1002/ese3.1232.
[2] Romano MC et al. (2022): Comment on “How green is blue hydrogen?” Energy Science & Engineering. DOI: 10.1002/ese3.1126.
[3] Longden T et al. (2022): ‘Clean’ hydrogen? – Comparing the emissions and costs of fossil fuel versus renewable electricity based hydrogen. Applied Energy. DOI: 10.1016/j.apenergy.2021.118145.
[4] Howarth RW et al. (2021): How green is blue hydrogen? Energy Science & Engineering. DOI: 10.1002/ese3.956.
[5] Leyris J et al. (2018): Greenhouse Gas Emissions Along the Norwegian Gas Value Chain. SPE International Conference and Exhibition on Health, Safety, Security, Environment, and Social Responsibility. DOI: 10.2118/190587-MS.
[6] Europäische Kommission (2.7.2025): Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EU) 2021/1119 establishing the framework for achieving climate neutrality.
[7] Internationale Energieagentur: Comparison of the emissions intensity of different hydrogen production routes, 2021. Webseite mit grafischer Darstellung der Daten. Stand: 29.06.2023.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Europäische Kommission (08.07.2025): Klarheit für den Wasserstoffsektor durch neue EU-Methodik für CO2-armen Wasserstoff und Kraftstoffe. Pressemitteilung.
[II] Europäische Kommission (08.07.2025): Commission delegated regulation (EU) specifying a methodology for assessing greenhouse gas emissions savings from low- carbon fuels. Delegierter Rechtsakt.
[III] Europäische Kommission (08.07.2025): Commission delegated regulation (EU) specifying a methodology for assessing greenhouse gas emissions savings from low- carbon fuels -annex. Anhang zum delegierten Rechtsakt.
[IV] Rat der Europäischen Union (21.05.2024): „Fit für 55“: Rat verabschiedet Gas- und Wasserstoffpaket. Pressemitteilung.
[V] Science Media Center (2025): CCS: Bundesregierung plant Neuerung des CO2-Speichergesetzes. Stand: 10.06.2025.
Dr. Jakob Wachsmuth
Leiter des Geschäftsfelds Erneuerbare Energien, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich bin für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Fragen des Wasserstoffmarkthochlaufs beratend tätig.“
Prof. Dr. Franziska Holz
Stellvertretende Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte bei diesem Thema.“
Dr. Thomas Schöb
Leiter der Forschungsgruppe „Energy Systems Transformation“, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keinerlei Interessenkonflikte.“
Dr. Falko Ueckerdt
Leiter der Forschungsgruppe „Hydrogen, electrification and industry transformation“, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Keine Interessenkonflikte.“