Bedrohung von Baumarten global unterschätzt
globale Baumarten laut Studie möglicherweise stärker bedroht als gedacht
anhand von Untersuchung der Baumarten im Atlantischen Regenwald in Südamerika
Forschende halten Schluss auf globale Baumarten für plausibel, aber gewagt
Baumarten sind global möglicherweise stärker bedroht als bisher angenommen, denn die bislang zumeist verwendeten Kriterien unterschätzen ihre Gefährdung. Zu dieser Erkenntnis kamen Forschende in einer Studie, die am 11.01.2024 im Fachjournal „Science“ erschienen ist und Daten aus dem Atlantischen Regenwald auswertet (siehe Primärquelle).
Leiterin der Arbeitsgruppe Modellierung Globaler Landökosysteme und Leiterin der Abteilung Ökosystem-Atmosphäre Interaktionen, Institut für Meteorologie und Klimaforschung Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Campus Alpin, Garmisch-Partenkirchen
Kernaussage der Studie
„In der Studie wurde mit Hilfe einer Vielzahl von Daten der Gefährdungsstatus der knapp 5000 Baumarten bewertet, die im Atlantischen Regenwald vorkommen – einer großen Ökoregion an der Ostküste Südamerikas und ,Hotspotregion’ der Biodiversität. Dass der Atlantische Regenwald stark gefährdet ist, ist wohlbekannt, schon allein aufgrund der immensen Abholzung, die diese Region erfahren hat. In der Studie wurden jedoch wesentlich mehr Arten miteinbezogen als in früheren Forschungsarbeiten, und es wurden unterschiedliche Kriterien herangezogen, mit denen Gefährdung und Aussterberisiko abgeschätzt werden kann.“
„Eine gute Nachricht ist, dass von fünf Baumarten, die bereits als ausgestorben galten, jüngeres Herbarium-Material (Sammlung konservierter Pflanzen; Anm. d. Red.) ‚wiederentdeckt‘ wurde. Inwieweit diese Arten tatsächlich noch in nennenswerten Populationen existieren, ist jedoch unklar. Schwerer wiegt, dass sich der Erhaltungsstatus des Atlantischen Regenwaldes –gemessen am Rote Liste Index – über weite Teile mit Index-Werten um die 0,3 bis 0,4 im tatsächlich ‚roten Bereich‘ bewegt (Der Index beschreibt den Bedrohungszustand mehrerer Arten einer Liste mit Werten zwischen 0 und 1 – wobei 0 ‚alle Arten ausgestorben‘ und 1 ‚keine Art bedroht‘ bedeutet; Anm. d. Red.).“
Methodik
„Hinter der Studie steckt ein massiver Aufwand: Es wurden verschiedenste Daten zur Taxonomie, Verbreitung und Ökologie der Baumarten des Atlantischen Regenwalds zusammengetragen. Die Quellen, Vorgehensweise und unterschiedlichen Annahmen, die für manche Aspekte der Analyse notwendig waren, sind im Supplement zu der Veröffentlichung klar beschrieben. Gleiches gilt auch für die Unsicherheiten, die sich aus mancher dieser Annahmen ergeben.“
„Diese Daten dann mit unterschiedlichen mathematischen Funktionen auszuwerten und auf die Fläche zu extrapolieren, scheint mir völlig vertretbar. Man muss hier auch berücksichtigen: Das ursprüngliche Ausdehnungsgebiet des Atlantischen Regenwaldes umfasste mehr als 1,2 Millionen Quadratkilometer und ist – wie in der Studie beschrieben – eine extrem artenreiche Region der Erde. Solch eine Region hinsichtlich des Gefährdungsstatus der Arten zu bewerten ist extrem aufwändig.“
Verwendung der Rote-Liste Kriterien der IUCN
„Eine umfassende Analyse des Erhaltungsstatus einer Art ist aufwändig und unterschiedliche Kriterien führen auch teils zu unterschiedlichen Ergebnissen, zum Beispiel aufgrund unterschiedlicher Ökologie der Arten, aber auch aufgrund lokaler Verbreitungsbesonderheiten. Dort wo es möglich ist, mehrere Kriterien heranzuziehen, ergibt sich ein vollständigeres Bild. Dies ist beispielsweise von Vorteil, wenn der Erhaltungsstatus über einen Zeitraum hinweg untersucht wird und bei Heranziehung unterschiedlicher Kriterien früher eine Warnstufe erkannt wird. Die Autor*innen stellen jedoch auch klar, dass das Datenmaterial für diese Multi-Kriterien-Analyse zum Teil sehr dünn ist. Einige der Unsicherheiten, die durch wichtige Annahmen in diesen Fällen bedingt sind, wurden auch untersucht. Demnach kommen die Autor*innen zu dem Schluss, dass ihre Aussagen zum Gefährdungsstatus wohl eher konservativ sind.”
Ausweitung der Erkenntnisse auf den globalen Baumbestand
„Ich finde die Extrapolation zu anderen tropischen Waldregionen durchaus interessant, aber auch mutig. Sie basiert auf einer offenbar recht einfachen Extrapolation basierend auf Informationen zum Zusammenhang von Habitatverlust durch Entwaldung und Abnahme der Populationsgröße endemischer Arten. Die Karte in Abbildung 4 zeigt bereits ganz direkt die Grenzen einer solchen Extrapolation – einfach dadurch, dass diese innerhalb sehr großer Regionen keine Nuancierung hinsichtlich des Rote-Liste-Index erlaubt. Von daher würde ich persönlich in diese Karten nicht allzu viel hineininterpretieren, sondern eher als Anreiz betrachten, für weitere, detaillierte regionale Abschätzungen.“
Professor für Naturschutz, Centre for Econics and Ecosystem Management, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde
Kernaussage der Studie
„Leider bestätigt diese Studie nicht nur die schlimmsten Befürchtungen, die Tropenökologen seit langem hegen, sondern macht plausibel, dass die Lage vor allem von Waldarten noch schlechter ist als angenommen. Der Atlantische Küstenregenwald in Brasilien gehört zu den artenreichsten und biologisch einzigartigsten Regionen der Erde, aber er ist durch die Landnutzung in viele kleine Relikte zersplittert worden. Mir ist das Gebiet persönlich bekannt. Die Ausbreitung von Städten, Viehfarmen, Landwirtschaft und Eukalpytus-Plantagen führt zum Untergang dieser großartigen Waldregion. Hinzu kommt nun auch noch der Klimawandel.“
Methodik
„Die Methodik der Autor:innen bedeutet einen echten Fortschritt, da sie große Datenmengen benutzen und sie automatisiert verarbeiten. Es ist ein großer Vorteil, Einschätzungen nicht nur über den Rückgang des Lebensraums vorzunehmen, sondern auch Informationen über die Nachweise der Arten und damit auch die Populationsgrößen zu berücksichtigen.“
Ausweitung der Erkenntnisse auf den globalen Baumbestand
„Die Situation im Atlantischen Küstenregenwald ist schon seit Jahrzehnten sehr kritisch, aber viele andere Regenwaldgebiete sind längst auf dem gleichen Entwicklungspfad. Insofern halte ich auch die verallgemeinernden Schlussfolgerungen für die Tropen weltweit für stichhaltig.“
Nutzung der Ergebnisse für den Ökosystemschutz weltweit
„Die Ergebnisse sind geeignet, uns einmal mehr aufzurütteln. Aber Schutzbemühungen werden leider weitgehend ins Leere laufen, wenn wir nicht ernsthaft über die Gründe für die Waldvernichtung sprechen. Im Atlantischen Küstenregenwald sind wir als Europäer:innen schon in dem Moment an der Waldvernichtung beteiligt, wenn wir Gartenmöbel aus vermeintlich ‚nachhaltig zertifiziertem‘ Eukalyptus-Holz kaufen. Hier und dort ein paar weitere Schutzgebiete werden nicht ausreichen, diesen erdrutschartigen Verlust des Lebens und der funktionierenden Ökosysteme in dieser Region zu stoppen. Dafür müsste dem Wald schlicht sehr viel Fläche zurückgegeben werden. Es braucht größere Gebiete, wo Wald Wald sein darf. Das gilt nebenbei auch für unsere Wälder in Deutschland. Wir haben bei uns nur nicht so viele seltene Baumarten, wie sie in den Tropen vorkommen.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Zunächst die Erklärung, dass ich bei mir keine Interessenkonflikte sehe.“
Primärquelle
de Lima RAF et al. (2024): Comprehensive conservation assessments reveal high extinction risks across Atlantic Forest trees. Science. DOI: 10.1126/science.abq5099.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Botanic Gardens Conservation International (2021): State of the Word's Trees.
[II] International Union for Conservation and Nature (2012): IUCN Red List Categories and Criteria: Version 3.1.
Informationen zu den Kriterien des Gefährdungsstatus finden Sie auf Seite 16ff.
Prof. Dr. Almut Arneth
Leiterin der Arbeitsgruppe Modellierung Globaler Landökosysteme und Leiterin der Abteilung Ökosystem-Atmosphäre Interaktionen, Institut für Meteorologie und Klimaforschung Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Campus Alpin, Garmisch-Partenkirchen
Prof. Dr. Pierre Ibisch
Professor für Naturschutz, Centre for Econics and Ecosystem Management, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde