Ausblick auf das Corona-Jahr 2023
Ausblick auf das Corona Jahr 2023
19 Forschende unterschiedlicher Disziplinen nehmen Stellung
wichtige Zukunftsthemen: Long Covid, Langzeitimmunität, neue Impfstoffe, mentale Gesundheit, Frühwarnsysteme
Die Corona-Pandemie nähert sich ihrem Ende. Hierzulande ist seit einigen Wochen von einer endemischen Phase die Rede, die je nach Lesart entweder bereits erreicht ist oder bald beginnen dürfte. Eine Endemie bedeutet allerdings keine Entwarnung. Es bedeutet, dass SARS-CoV-2 nicht mehr unkontrolliert in der Gesellschaft wütet. Die Menschen infizieren sich aber weiter. Damit ist auch klar, dass eine Pandemie nicht von einem Tag auf den anderen in allen Winkeln der Erde einfach so endet – so wie sie auch nicht überall an einem bestimmten Tag begann. Während wir in Europa und Nordamerika die gefährlichsten Infektionswellen mutmaßlich hinter uns haben, ist China mit dem Ende des strengen Lockdowns jetzt erst in eine neue Welle gestartet. Und die neue Virusvariante XBB.1.5, die sich vor allem in den USA verbreitet, zeigt einmal mehr: SARS-CoV-2 bleibt aufgrund seiner Mutationsfreude ein andauerndes, globales Problem.
Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Universitätsklinikum Erlangen, und Mitglied der Ständigen Impfkommission
„Auch wenn in Deutschland die epidemiologische und klinische Lage in den letzten Monaten eine positive Wendung genommen hat, so stellt COVID-19 weltweit betrachtet immer noch ein bedeutendes gesundheitliches Problem dar, da außerhalb Europas und Nordamerikas die Impfquoten viel zu niedrig sind und der exakte Status der natürlich erworbenen Immunität unklar ist.“
„Die hybride Immunität (Impfung plus durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion) ist derzeit die beste Basis für einen anhaltenden Schutz vor schweren COVID-19-Erkrankungen.“
„Mittel- und langfristig benötigen wir COVID-19-Impfstoffe, die auf konstanten beziehungsweise wenig veränderlichen Strukturkomponenten von SARS-CoV-2 beruhen.“
„Trotz der großen Erfolge mit den mRNA-Impfstoffen benötigen wir weitere immunologische Grundlagenforschung und klinische Forschung zu deren Wirkungen. Dies betrifft zum Beispiel die Pharmakokinetik und die Persistenz der Impfstoff-mRNA, die Wirkungen von freiem Spikeprotein oder auch die möglichen Interaktionen zwischen Anti-Spike-Antikörpern und dem ACE2-Angiotensin-I/II-System.“
„Es ist höchste Zeit, endlich zu den etablierten Grundregeln jeglicher Infektionsdiagnostik zurückzukehren und zum Beispiel die sinnfreie Untersuchung von klinisch symptomlosen Personen mittels Antigentests zu beenden.“
„FFP2-Masken sollten – wie schon immer von Krankenhaushygienikern gefordert – nur dort eingesetzt werden, wo es wirklich angeraten ist, nämlich beim Umgang mit Patienten, bei denen eine gravierende respiratorische Infektion vermutet wird oder nachgewiesen wurde. In allen anderen Fällen und besonders in der Öffentlichkeit ist im Falle von starken Infektionswellen mit respiratorischen Erregern das korrekte Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes sinnvoll und vollkommen ausreichend.“
„Eine überbordende und sensationsgetriebene Berichterstattung, bei der immer neue Experten und Nicht-Experten zu Statements gedrängt werden, gilt es zu vermeiden, da dies mehr zur Verwirrung und Verunsicherung beiträgt als zu einer rationalen und angemessenen Aufklärung der Bevölkerung.“
Translational Immunology Lead, Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI)
„Das Auftreten von SARS-CoV-2-Varianten und das Risiko, dass andere Coronaviren und Atemwegsviren vom Tier auf den Menschen überspringen, stellen eine anhaltende Bedrohung für die globale Gesundheit dar. Im Zusammenhang mit COVID-19 haben sich die derzeit verfügbaren Impfstoffe als hoch wirksam erwiesen, um die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle zu verringern. Allerdings können sie die Übertragung des Virus in der Bevölkerung nicht ganz verhindern. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass wir besser verstehen, wie die Übertragung solcher Viren durch Impfstoffe verhindert werden kann. Die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen, die eine Immunität induzieren, um die Übertragung des Virus zu blockieren, wird dazu beitragen, gefährdete Bevölkerungsgruppen zu schützen und die Übertragung in der Gemeinschaft sowie das Auftreten neuer Varianten erheblich zu reduzieren.“
„Die Welt braucht zuverlässige Daten darüber, wie übertragungshemmende Impfstoffe Infektionen mit Coronaviren der oberen und unteren Atemwege verhindern können. Dies ist keine leichte Aufgabe, da die Immunreaktionen komplex sind und Biomarker für die Schleimhautimmunität – das heißt die Art der Immunität, die zur Blockierung der Virusübertragung über die Atemwege erforderlich ist – noch nicht identifiziert wurden. Außerdem müssen die Methoden zur Untersuchung der Schleimhautimmunität weiter harmonisiert werden. Die Festlegung dieser Biomarker und die Standardisierung ihrer Bewertung sind für die Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19, die die Übertragung blockieren, unerlässlich.“
„Dieses Vorhaben erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschern aus der ganzen Welt und aus verschiedenen Bereichen, um die Entwicklung sicherer und wirksamer Impfstoffe voranzutreiben, die die Übertragung von SARS-CoV-2 blockieren oder deutlich reduzieren können.“
Stellvertretende Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
„Die Ergebnisse der fünften Befragung unserer COPSY-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) zeigen, dass Kinder und Jugendliche wieder psychisch stabiler sind, seitdem es keine pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen mehr gibt und sie ihren Alltag mit Schule und Hobbys wiederhaben. Ihre Lebenszufriedenheit ist jedoch nicht wieder auf dem Niveau wie vor Corona – immer noch leidet jedes vierte Kind unter psychischen Auffälligkeiten.“
„In unserer Längsschnittstudie, haben wir schon seit Beginn der Pandemie mehr als 1100 Kinder und 1600 Eltern aus ganz Deutschland immer wieder befragt. Wir können beobachten, dass der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten langsam abnimmt, er lag zuletzt bei 23 Prozent gegenüber dem Spitzenwert von rund 31 Prozent zum Jahreswechsel 2020/2021 und bei 18 Prozent vor der Pandemie. Jedes zweite Kind hat aber immer noch mindestens einmal pro Woche Kopf- oder Bauchschmerzen.“
„Während die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit abgenommen haben, rücken neue Krisen wie der Krieg in der Ukraine, Inflation sowie Energie- und Klimakrise in den Vordergrund. So äußerten 32 bis 44 Prozent der Befragten Ängste und Zukunftssorgen im Zusammenhang mit anderen aktuellen Krisen, aber nur zehn Prozent mit Blick auf Corona.“
„Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, den belasteten Kindern und Jugendlichen zu helfen, damit sie psychisch wieder gesund werden und im späteren Erwachsenenleben keine Langzeitschäden entwickeln. Unser besonderes Augenmerk benötigen benachteiligte Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen, die überdurchschnittlich stark betroffen sind. Wir brauchen jetzt niedrigschwellige, nachhaltige und langfristige Konzepte und Strukturen, um Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen aufzufangen und ihnen Hilfen anzubieten. Das kann Resilienztraining im Unterricht sein, pädagogische und psychologische Weiterbildungen für Lehrkräfte sowie einen gut ausgestatteten sozialarbeiterischen und schulpsychologischen Dienst, damit kleinere Probleme etwa durch Beratungen frühzeitig angegangen werden, bevor daraus größere werden. In jeder Schule sollte die Förderung der seelischen Gesundheit im Fokus stehen und Raum für soziales Lernen geschaffen werden. Bei größeren psychischen Problemen dürfen nicht mehr Wochen oder gar Monate vergehen, bis Kinder und Jugendliche einen Therapieplatz bekommen. Die Kinder brauchen Ressourcen und Strategien, damit sie für künftige Krisen gewappnet sind. Diese Aufgabe können wir nicht den einzelnen Kindern und ihren Familien überlassen, dies ist eine gesellschaftliche Aufgabe.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie, Experimentelle Psychopathologie und Psychotherapie, Philipps-Universität Marburg
„Große bevölkerungsrepräsentative Studien aus Deutschland und anderen Ländern weltweit zeigten einen kleinen jedoch bedeutsamen Anstieg von psychischer Belastung, Angst, Depression und Einsamkeit zu Beginn der COVID-19-Pandemie im Vergleich zu den Jahren vor der COVID-19-Pandemie [18] [19] [20]. Mit zunehmenden Lockerungen der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie sowie fallenden Todes- und Fallzahlen zeigte sich ein Rückgang der psychischen Belastung, die im Zuge der zweiten und dritten COVID-19-Welle wieder leicht anstieg [21] [22]. Dies deutet darauf hin, dass eine hohe Anzahl an COVID-19-Todesfällen sowie stärkere Maßnahmen (wie in den COVID-19-Wellen zu beobachten war) mit psychischer Gesundheit in Verbindung steht. So konnte eine großangelegte internationale Studie zeigen, dass ein höheres Ausmaß an Todesfällen und COVID-19-Fallzahlen als auch die Schwere der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie mit einer leichten Verschlechterung der psychischen Gesundheit im Zusammenhang stand [23] [24].“
„Bisher konnte eine komplette Erholung auf Vor-Corona-Niveau nicht beobachtet werden. Im Gegenteil, in Deutschland berichteten 2021 sogar mehr Menschen einsam zu sein als noch im Jahr 2020 [25]. Erste noch nicht publizierte Daten aus Deutschland deuten zudem auf einen leichten Anstieg von Angst- und Depressionssymptomen zwischen 2021 und 2022 hin [26].“
„Inwiefern es zu einer Verbesserung der mentalen Gesundheit im Jahr 2023 kommt, ist schwer abzuschätzen. Auch weil in der Zwischenzeit im Zusammenhang mit der aktuellen Klima- und Energiekrise möglicherweise andere Sorgen und Ängste in den Vordergrund rücken und damit weiter die mentale Gesundheit belasten könnten. Dies sollte genau beobachtet werden, um negativen Folgen für die psychische Gesundheit frühzeitig mit entsprechenden Maßnahmen entgegenzusteuern.“
„Wenngleich die bisherigen Daten darauf hindeuten, dass ein Großteil der Menschen eine deutliche Widerstandsfähigkeit und Anpassung an die COVID-19-Pandemie gezeigt haben, scheinen bestimmte Personengruppen unverhältnismäßig stark beeinträchtigt worden zu sein. Frauen sowie Jugendliche und jüngere Erwachsene zeigten einen stärkeren Anstieg psychischer Probleme während der COVID-19-Pandemie [18]. Auch zeigten Menschen mit chronischen körperlichen Erkrankungen sowie Personen, die sich bereits vor der Pandemie zum Beispiel niedergeschlagen fühlten oder besonders ängstlich waren, einen nachteiligen Verlauf der mentalen Gesundheit während der Pandemie [19] [20] [27].“
„Menschen, die generell optimistisch in die Zukunft schauen, der aktuellen Situation auch etwas Positives abgewinnen können, mehr soziale Kontakte hatten und mehr soziale Unterstützung wahrgenommen haben, zeigten eine deutlich geringere psychische Belastung im Verlauf der COVID-19-Pandemie [19] [28] [29].“
„Folgende Forschungsfragen sind mit nahendem Ende der Pandemie wichtig: Wie verändert sich die psychische Gesundheit nach der COVID-19-Pandemie, wird ein Vor-Krisen-Niveau erreicht? Welche Personen zeigen weiterhin eine hohe psychische Belastung oder gar eine weitere Verschlechterung trotz weiterer Reduktion der Fallzahlen und der einhergehenden Maßnahmen? Wie können Behandlung- und Präventionsangebote auch mithilfe neuer Technologien verbessert und allen Menschen zugänglich gemacht werden, um langfristig mögliche negative Folgen der Pandemie und zukünftiger Krisen für die psychische Gesundheit zu reduzieren? Hat die psychische (Vor-)Belastung durch die COVID-19 Pandemie einen Einfluss darauf, wie wir mit zukünftigen Krisen und belastenden Situationen umgehen (zum Beispiel im Rahmen der Energie- und Klimakrise)?“
„In der Berichterstattung zu COVID-19 sollten Ängste, Sorgen und Nöte und daraus resultierende psychische Belastungen von jungen Menschen während der Pandemie und zukünftiger Krisen stärker berücksichtigt werden. Zudem ist eine stärkere Fokussierung auf die unzureichende Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen wichtig: zum Beispiel lange Wartezeiten auf ambulante Psychotherapie, nicht dem Bedarf entsprechende Anzahl ambulanter Psychotherapie-Kassensitze, stärkere Förderung von Präventionsangeboten.“
Forschungsgruppe Angewandte Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie im eigenständigen Bereich für Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
„Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen verschlechtert sich seit Jahren. Vor der Pandemie war in Deutschland jedes sechste Kind von einer Beeinträchtigung der Lebensqualität durch gesundheitliche Faktoren betroffen. Die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen führten dazu, dass sich dies verdoppelte und sich 2020 mehr als jedes dritte Kind belastet fühlte [30]. In England hatte 2017 eins von neun Kindern eine psychische Störung, 2021 schon jedes sechste: Das bedeutet, dass in einer Schulklasse von 24 Schüler:innen vier Kinder eine psychische Störung haben.“
„Die Belastung der psychischen Gesundheit besserte sich zwar im weiteren Verlauf mit den Lockerungen der Maßnahmen wieder etwas, dennoch sind weiterhin viele Kinder von psychischen Problemen, wie etwa Ängsten, psychosomatischen Beschwerden, wie Kopf- und Bauchschmerzen oder Schlafproblemen betroffen. Die Zahlen vieler Studien übersteigen das präpandemische Niveau bei Weitem. Wiederholte Lockdowns und weitere kontaktreduzierende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verstärkten die negativen Effekte und erhöhten das Risiko von Depressionen und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen – das wurde weltweit bestätigt. Eltern merken häufig nicht, wie betroffen ihre Kinder von psychischen Problemen sind und schätzen deren Gesundheit oft besser ein, als Kinder es selbst tun [31]. Die Pandemie hat somit den Druck auf Kinder erhöht und gleichzeitig können bei Weitem nicht ausreichend Behandlungsplätze angeboten werden, was den Leidensdruck verstärkt [32].“
„In wenigen Fällen konnten jedoch auch positive Effekte durch Schulschließungen beobachtet werden: Das Schlafverhalten von Vorschulkindern besserte sich während der Lockdowns signifikant, es wurde bis zu einer Stunde pro Nacht mehr geschlafen [33]. Auch bedeuteten die Schulschließungen für Jugendliche, die schon vorher eine geringe Verbundenheit zur Schule aufwiesen, einen Rückgang an Depressionen und Angststörungen, deren Häufigkeit jedoch mit deren Öffnungen auch wieder anstiegen [34]. Es bedarf weiterer Studien, die Belastungen des alltäglichen Lebens zum Anstieg des psychologischen Unterstützungsbedarfs für Kinder und Jugendliche führen [35].“
„Der Konsum von Tabakprodukten erhöhte sich stark. Die problematische, suchtähnliche Nutzung des Internets unter Jugendlichen verdoppelte sich [36] [37]. Es bedarf weiterer Präventionsangebote, wie etwa von vorteilhaften Freizeitaktivitäten.“
„Gleichzeitig sollte auch das pädagogische Personal besser geschult und unterstützt werden, um frühzeitig psychische Störungen zu erkennen und präventiv agieren zu können. Im EU-geförderten Erasmus+ Projekt ProWell (www.prowell-project.com) wird eine kostenlose Onlineschulung angeboten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch das pädagogische Personal aufgrund der Corona-bedingt veränderten und gestiegenen Arbeitsbelastung zu den stärker betroffenen Gruppen der Pandemie gehört [38]. Auch hier besteht ein Bedarf nach Unterstützung und Entlastung.“
„Insgesamt ist die negative Entwicklung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sehr beunruhigend. Eine schnelle Stabilisierung und Reduktion auf das (hohe) präpandemische Niveau ist nicht zu erwarten. Zwar bewegen sich die meisten psychischen Beeinträchtigungen nicht in einem Bereich, der eine psychotherapeutische Intervention erfordert, dennoch bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung.“
„Es ist jetzt notwendig, den Fokus der Forschung auf die Krisenstabilität des Gesundheitssystems, die Notfallinterventionsmaßnahmen und eine gesellschaftliche Sensibilisierung für Beeinträchtigungen der Lebensqualität durch mentale Belastungen zu lenken.“
„Inwieweit die Pandemie nur ein Vergrößerungsglas für bestehende Probleme bietet und durch die Reduzierung auf eine engere Gruppe an Bezugspersonen auch psychische Probleme stärker auffielen, lässt sich noch nicht abschließend beantworten. Die Effekte der kommunikativen Vermittlung von Gefährdungspotenzialen der Pandemie auf die psychische Gesundheit ist ebenfalls zu untersuchen. Langfristig bedeutet die Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen eine gesamtgesellschaftliche Belastung, der keine entsprechende Förderung und Vermittlung der Interessen der jungen Generation gegenübersteht. Die Kapazitäten des psychologischen und medizinischen Systems für Kinder und Jugendliche sind erschöpft.“
Forschungsgruppe Angewandte Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie im eigenständigen Bereich für Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
„Die Pandemie zeigte sehr unterschiedliche Effekte auf individueller Ebene. Die getroffenen Maßnahmen beeinflussten Kinder und Jugendliche aus bereits vulnerablen Positionen besonders. Prekäre soziale Verhältnisse der Familie, bestehende psychische und/oder körperliche Grunderkrankungen der Eltern oder der Kinder erhöhten das Risiko einer Verschlechterung der mentalen Gesundheit. In vielen Ländern sehen wir Verarmung und damit Versorgungsprobleme mit den elementarsten Ausstattungen des alltäglichen Lebens.“
„Die einzelnen Effekte müssen jedoch differenziert beurteilt werden. Vulnerable Gruppen leiden während der Pandemie mehr unter Einschränkungen und werden seltener durch Hilfsangebote erreicht. Dazu gehören nicht nur die ,klassischen‘ Kriterien wie prekäre finanzielle und berufliche Situation der Eltern, Migrationshintergrund, vorbestehende psychische Belastung oder beengte Wohnverhältnisse [39]. Es zeigen sich auch Differenzen zwischen Geschlechtern, weibliche und non-binäre Jugendliche zeigen eine höhere Prävalenz an Angststörungen und Depressionen [40].“
„Bei Kindern bis zum Alter von zehn Jahren erhöhte sich das Risiko für Hyperaktivität und Verhaltensstörungen durch die stark gestiegene Nutzung von digitalen und elektronischen Unterhaltungsangeboten [41]. Dieser Effekt von mangelnden Betreuungsangeboten, Homeoffice und weniger außerhäuslichen Beschäftigungsmöglichkeiten wirkt sich dementsprechend auch auf Schulleistungen aus.“
„Das Alter hatte nach manchen Studien auch einen ausschlaggebenden Effekt auf die Belastungssituation. Ursächlich dafür können anstehende und verschobene Abschlussprüfungen, aber auch ein besseres Verständnis für die bestehende Krisensituation sein. Gerade 2023 wird eine Kohorte junger Menschen, die unter pandemischen Bedingungen ihren Abschluss gemacht und ihre Berufsausbildungen angefangen oder abgeschlossen haben, besonders von den Effekten, Unsicherheiten und Veränderungen betroffen sein. Wie sich diese Bildungsqualität auf junge Erwachsene und deren langfristige Entwicklung auswirkt, muss beobachtet werden.“
„Die Familie gewann während der Kontaktbeschränkungen als Einflussfaktor an Bedeutung. Bestehende psychische Belastungen, wie eigene Kindheitstraumata sowie große innerfamiliäre Sorgen aufgrund der Risiken durch COVID-19, erhöhten die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen. Eine Etablierung von Routinen und eine gute innerfamiliäre Bindung konnten als Ressource dienen. Gleichzeitig hat die Pandemie aber auch die Bedeutung weiterer sozialer Beziehungen während der Kindheit betont. Familien können entlasten, gleichzeitig sind aber auch Gleichaltrige und Außerfamiliäre eine wichtige Ressource. Digitale Kommunikationsmöglichkeiten bieten somit vielen Jugendlichen einen Ersatz, gerade in marginalisierten Gruppen wie der LGBTQI+-Community [42]. Insofern ist eine gesellschaftliche Diskussion über den Stellenwert einer erweiterten Bezugsgruppe angebracht, die auch in Krisenzeiten in Anspruch genommen werden kann. Schule und Betreuungseinrichtungen bieten eine Möglichkeit, die Auswirkungen psychischer Belastungen und sozioökonomischer Einschränkungen der Familien auf Kinder professionell abzufedern. Dazu benötigt es jedoch eine weitere Sensibilisierung des pädagogischen Personals für Themen der psychischen Gesundheit. Das Erasmus+ Projekt ProWell hat dazu eine Online-Schulung entwickelt.“
Oberarzt der Klinik für Neurologie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), und Leiter der Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen
„Aufgrund der mittlerweile hohen Immunkompetenz in der Bevölkerung und der veränderten SARS-CoV-2-Stränge erwarte ich in der Klinik nur noch wenige PatientInnen mit schweren Verläufen. Allerdings bleiben PatientInnen in hohem Lebensalter und vor allem mit neurodegenerativen Erkrankungen weiterhin eine vulnerable Personengruppe, die wir besonders schützen müssen. Das gilt für Corona, aber auch für andere Infektionserkrankungen, wie die Influenza.“
„Wesentlich drängender und gefährlicher als das Virus selbst sehe ich die Auswirkungen und Nachwirkungen der Pandemie auf unser Gesundheitssystem: der eklatante Pflegemangel, die mangelhafte Digitalisierung, der realitätsfremde Umgang mit Datenschutz – all das war vor der Pandemie vorhanden und wurde durch Corona verstärkt. Hier müssen 2023 und darüber hinaus strukturelle Lösungen gefunden werden, die uns in der Zukunft deutlich kompetitiver aufstellen. Pragmatische politische Entscheidungen sind hier genauso gefragt wie individuelle Lösungsansätze in einzelnen Kliniken.“
„Im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen werden wir wohl erst in einigen Jahren sehen, welche Auswirkungen die Pandemie auf das Auftreten neurodegenerativer Erkrankungen gehabt hat. Bislang gibt es hier beispielsweise für den Morbus Parkinson oder die ALS (Amyotrophe Lateralsklerose, schwere Erkrankung des motorischen Nervensystems; Anm. d. Red.) keine überzeugenden Hinweise auf eine erhöhte Inzidenz. Corona hat jedoch die Frage nach Viruserkrankungen als Auslöser neurodegenerativer Erkrankungen befeuert.“
Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), und niedergelassener Neurologe sowie Mitautor der S1-Leitlinie Long/Post Covid
„Aus neurologischer Sicht sind die Langzeitfolgen nach einer Coronainfektion das Hauptthema. Nachdem klar geworden ist, dass auch nach der Omikron-Variante trotz der günstigeren akuten Verläufe Post Covid in derselben Häufigkeit auftritt, ist auch klar, dass wir es hier zahlenmäßig mit einem riesigen Problem zu tun haben.“
„Durchaus beunruhigend sind Studien, die zeigen, dass metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen bis zu einem Jahr nach durchgemachter Coronainfektion gehäuft auftreten. Hier muss geklärt werden, wer für wie lange präventiv behandelt werden sollte, um entsprechende Komplikationen zu verhindern. Bis wann ist eine wiederholte Labordiagnostik erforderlich, um solche Langzeitfolgen nicht zu übersehen?“
„Bezüglich der neurokognitiven Beeinträchtigungen sind weitere bildgebende und laborchemische Untersuchungen erforderlich. Morphologische Veränderungen am Gehirn, autoimmune und metabolische Befunde und psychosomatische Befundkonstellationen müssen konsequent weiter erforscht werden. Wir benötigen Biomarker, die eine saubere Zuordnung von einzelnen Post Covid-Beschwerden zu entsprechenden Veränderungen erlauben. Und natürlich müssen Therapieoptionen wissenschaftlich (das heißt prospektiv randomisiert, doppelblind) erarbeitet und überprüft werden.“
„Aktuelle Studien zeigen, dass die Impfung nicht nur die Schwere einer Akutinfektion reduziert, sondern auch vor Post Covid zu schützen scheint. Was wir noch nicht wissen, ist, ob die medikamentöse Behandlung der akuten Coronainfektion auch vor Langzeitfolgen schützen kann. Hier sind weitere prospektive Verlaufsstudien notwendig.“
Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Freiburg
„Die Immunantwort spielt eine entscheidende Rolle im natürlichen Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion und in dem durch Vakzinierung erstellten Schutz. Im Verlauf der Pandemie konnten wesentliche neue Einblicke in die Induktion und Aufrechterhaltung der Immunantwort, aber auch seltener möglicher immunvermittelter Nebenwirkungen gewonnen werden. Eine wichtige Rolle kommt hier neben Antikörpern auch der T-Zell-vermittelten Immunantwort zu. Arbeiten unserer eigenen Forschungsgruppe haben unter anderem zeigen können, dass:
Weitere umfangreiche Studien mittels kürzlich neu etablierter Methoden in entsprechenden Patientenkohorten sind notwendig, um diese wichtigen Fragen 2023 zu klären!“
Wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ)
Zur Präzision in Prävention und Behandlung von schweren COVID-19 Krankheitsverläufen
„Die schwerwiegenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie dienten dem Schutz älterer Menschen vor schweren COVID-19-Krankheitsverläufen und Tod, und dem Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung. Inzwischen haben wir durch Infektionen und Impfungen eine solide Grundimmunität in der Bevölkerung. Doch immer noch sterben täglich Menschen an oder mit COVID-19, bei uns und vor allem in Ländern mit einer geringeren Grundimmunität.“
„Aus immunologisch/biomedizinischer Sicht ist es erstaunlich, dass nicht schon neue Behandlungskonzepte entwickelt und eingesetzt werden, die zum einen die molekulare Basis der ,Vulnerabilität‘ bestimmter älterer Menschen berücksichtigen, zum Beispiel erworbene Immundefizienzen durch Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone [6] [7], und zum anderen die molekulare Basis der Immunevasion des Virus, nämlich die Induktion des immunsuppressiven Zytokins (Hormons) Transforming Growth Factor beta (TGFß) in unseren Zellen [8] [9]. Wir wissen inzwischen sehr genau, wie das funktioniert [10] [11]. TGFß ist darüber hinaus bekannt als Auslöser von Fibrosen und Thrombosen [12]. Diese Befunde sind hochrangig veröffentlicht, haben aber bisher nicht den Weg in die Praxis gefunden.“
„Eine Serumdiagnostik auf blockierende Interferon- und Interferonrezeptor-Autoantikörper würde es ermöglichen, Risikopatienten früh zu erkennen und intensiv zu behandeln, zum Beispiel sofort mit therapeutischen Antikörpern gegen SARS-CoV-2. Oder mit Medikamenten gegen TGFß. Aussagekräftig wäre auch eine Serumdiagnostik von TGFß [9]. Es gibt Medikamente, die TGFß befristet blockieren. Da die Impfreaktion nicht durch die Autoantikörper beeinträchtigt wird, sollte Personen mit Autoantikörpern auch dringend geraten werden, sich unbedingt impfen lassen.“
„Zusammengefasst: Hoffentlich wird 2023 das Jahr einer präziseren medizinischen Definition von ,Vulnerabilität‘, mit maßgeschneiderten präventiven und therapeutischen Behandlungskonzepten zur Verhinderung schwerer und tödlicher Krankheitsverläufe, weniger pauschale ,Altersdiskriminierungen‘.“
Zur Langzeitimmunität durch Infektion und Impfung
„Ich erwarte, dass die Immunität gegen schwere Krankheitsverläufe durch Infektions- und/oder Impf-induzierte Serumantikörper (humorale Immunität) anhält und nicht aufgefrischt werden muss, so wie es bei SARS-CoV(-1) auch war und ist. Dort sind die Serumtiter seit bisher 17 Jahren stabil [13]. Es geht dabei nicht um ,neutralisierende, Antikörper, sondern um Antikörper, die die Viren erkennen, agglutinieren, und für die (Fc-Rezeptor-vermittelte) Eliminierung markieren. Das heißt, es werden keine flächendeckenden ,Booster‘-Impfungen gegen SARS-CoV-2 oder neue Varianten nötig sein.“
„Es wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass es nicht sinnvoll ist, immer wieder zu impfen, denn das (adaptive) Immunsystem gewöhnt sich an den Impfstoff und ab einem bestimmten Antikörperspiegel kommt es gar nicht mehr zu einer erneuten Immunreaktion, es werden somit auch keine neuen, eventuell ,neutralisierenden‘ Antikörper gemacht, es gibt keinen Schutz vor Infektion, der Schutz vor schwerer Krankheit bleibt einfach weiter bestehen. Allerdings steigt das Risiko von unerwünschten Nebenreaktionen gegen Impfstoffkomponenten, ein Risiko, über das man bisher wenig weiß.“
„Der Schutz vor Infektion wird so schlecht bleiben, wie er ist und sich auch durch Boostern nicht wesentlich verbessern lassen. Ob neue (nasale) Impfstoffe oder die Kombination aus Impfen und Infektion zu einer verbesserten ,Schleimhautimmunität‘ (Schutz vor Ansteckung) führen, wird sich zeigen [14]. Es besteht dringender Forschungsbedarf zur Frage, wie die Transportmechanismen sekretorischer Antikörper auf die Schleimhäute reguliert werden.“
„Zusammengefasst: SARS-CoV-2 wird das Spektrum der jährlichen Erkältungskrankheiten ,bereichern‘. Wiederholungsimpfungen werden nicht nötig sein, die Grundimmunität durch Impfung und Infektion ist komplett, außer bei Personen, deren Immunsystem auf die Impfung gar nicht ansprechen kann, weil es zum Beispiel therapeutisch unterdrückt werden muss.“
Zu Long Covid und Post Covid; vorübergehende Kollateralschäden der Immunreaktion oder Therapie-refraktäre Autoimmunkrankheiten
„Hier hoffe ich, dass das nächste Jahr eine Klärung bringt, ob wir es hier mit einem neuen medizinischen Problem zu tun haben, nämlich neuen chronischen Antikörper-vermittelten Autoimmunerkrankungen, die besonders schwer zu behandeln sind. Oder ob es sich ,nur‘ um vorübergehende Begleiterscheinungen (Kollateralschäden) einer laufenden Immunreaktion handelt, wie sie häufig auftreten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Immunreaktion gegen Impfstoff oder Virus ja mehrere Monate andauert, und nicht nach Abschluss der klinischen Symptome, also nach zwei Wochen, beendet ist [15] [16] [17].“
Direktor der Klinik für Immunologie, Universitätsspital Zürich, Schweiz
„COVID-19 wird uns sicherlich weiterhin stark beschäftigen, auch wenn die pandemische Phase zu Ende zu gehen scheint. Von großem Interesse wird die weitere Impfstoffentwicklung sein. Zum einen ist es sehr spannend, das Potenzial neuer Impfstoffplattformen, die in klinische Studien kommen, zu sehen. Hier sind sicherlich die mukosalen Impfstoffe zu nennen. Anderseits wird auch die Weiterentwicklungen (inklusive Kombinationen und Impfschemata) von bestehenden COVID-19-Impfstoffen sehr spannend sein. In ihrer aktuellen Form sind die mRNA-Impfstoffe sehr effektiv, um ein spezifisches Immungedächtnis zu formen, das einen längerfristigen Schutz vor schweren COVID-19-Erkrankungen bewirkt. Der Schutz vor Reinfektionen ist jedoch leider nicht sehr langanhaltend. Die immunologischen Korrelate dieser Prozesse besser zu verstehen und gezielter modulieren zu können, wird von großem Interesse und großer Relevanz sein.“
„Ein weiterer Aspekt, der von großer Bedeutung sein wird, ist ein besseres Verständnis der Langzeitfolgen von COVID-19 im Rahmen von Long Covid. Hier gibt es weiterhin viele offene Fragen zur Pathogenese der Erkrankung, zur Diagnose und zu möglichen therapeutischen Ansätzen. Immunologische Prozesse scheinen jedoch von zentraler Bedeutung für das Krankheitsgeschehen zu sein. Verstärkte Forschung zu Long Covid wird zuletzt auch Patienten und Patientinnen mit anderen systemischen post-infektiösen Erkrankungen zugutekommen.“
Leiterin des Instituts für Transplantationsimmunologie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH), und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie sowie derzeit Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung
„In diesem Winter kann man angesichts der weiterhin zirkulierenden Omikron-Subvarianten gut beobachten, wie tragfähig die Impfung in Bezug auf ihre wichtigste Aufgabe ist, nämlich die Verhinderung einer schweren Erkrankung nach Infektion. Die Omikron-Varianten können es zwar trotz Impfung schaffen, durch die lokale Abwehrfront im Nasen-Rachen-Raum zu schlüpfen und Menschen zu infizieren, was man als lokal begrenzten Escape-Mechanismus bezeichnen kann. Aber danach greift die sogenannte systemische Immunantwort, die eine Ausbreitung des Virus im Körper verhindert – und das spürt man dann gegebenenfalls auch an den entsprechenden Symptomen wie geschwollene Lymphknoten, Schmerzen im Hals-Nasen-Ohrenbereich, Kopf- und Gliederschmerzen bis hin zu Fieber. Damit sind auch Forschungsfragen verbunden: Zum Beispiel ob Infektionen nach einer Impfung die Bildung neuer, noch besser an Omikron angepasste Antiköper auslösen können und ob diese dann besser vor einer Reinfektion schützen. Dies konnte inzwischen in verschiedenen Studien, auch an einer kleinen eigenen Impfkohorte in unserem Labor gezeigt werden. Dieselbe Frage stellt sich natürlich für die Impfung mit den an Omikron angepassten Impfstoffen und auch dafür gibt es inzwischen Belege aus Studien – auch, wenn das Ausmaß dieser Verbesserung individuell sehr unterschiedlich ausfällt. Das hat etwas mit dem sogenannten klonalen Repertoire auf Antikörper- und T-Zell-Ebene zu tun, also dem Herzstück des sogenannten adaptiven Immunsystems.“
„Eine weitere Frage stellt sich dann natürlich in Bezug auf den Schutz vor weiteren Infektionen und schweren Verläufen für den/die Einzelne/n und für die Gesellschaft. Diese Winterphase zeigt durchaus, dass durch die vielen Omikron-Infektionen der letzten Monate und der Basis der hohen Impfquote die individuelle und damit auch die kollektive Immunität gegen Omikron zunimmt. Gleichzeitig berichtet das Robert-Koch-Institut, dass auch andere respiratorische Viren wie die echte Grippe, RSV oder andere Coronaviren weiterhin zirkulieren – und die Immunität gegen diese Erreger erst wieder aufgefrischt werden muss, nach zwei Wintersaisons mit niedrigen Infektionsraten aufgrund der Masken und Abstandsregelungen. In dieser Zeit ist das Immunsystem aber nicht etwa eingeschlafen oder gar eingerostet, sondern es ist wiederum vor allem lokal im Nasen-Rachen-Raum weniger aktiv und muss auch für diese Erreger wieder aufgefrischt werden. Auch, wenn es sich momentan lästig anfühlt, dass man sich relativ leicht mit respiratorischen Viren anstecken kann, ist das kein Grund zur Sorge um die generelle Immunkompetenz der Menschen.“
„Eine weitere Frage stellt sich aber bezüglich des möglichen Einflusses einer gegebenenfalls wiederholen SARS-CoV-2-Infektion auf eben diese Immunkompetenz für die Zukunft. Aus verschiedenen Studien zu Long Covid zeichnet sich nämlich ab, dass SARS-CoV-2-Infektionen, vor allem ohne vorherige Impfung, deutliche Spuren auch nach leichten Verläufen im Immunsystem hinterlassen. Daher sollten man in den nächsten Monaten auch im Blick behalten, wie schnell und gut sich die immunologische Fitness (Immunkompetenz) wieder einpendelt. Auch Long/Post Covid-Erkrankungen sollten daher intensiv untersucht werden, was an verschiedenen Stellen und auf verschiedenen Ebenen auch geschieht.“
„Neben diesen immunologischen Folgen ist es natürlich ganz wichtig, sich mit den psychischen und sozialen Folgen interdisziplinär zu beschäftigen – gerade auch bei Kindern und Jugendlichen. Aber da möchte ich gern auf die Expertise der ärztlichen Kollegen/Innen und der Soziologen/Innen verweisen.“
„In der Berichterstattung wäre es sicher hilfreich, im Blick zu behalten, was wir in den drei Jahren gelernt haben – zum einen ganz pragmatisch zum Beispiel niedrigschwellige Infektionsprävention durch AHA + L(üften) + Testen und zum anderen zu reflektieren, an welchen Stellen noch deutlich Luft nach oben ist in der Kommunikation in die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen – wie man an der Cosmo-Studie sehr gut ablesen kann. Da sollten wir uns auch in der Wissenschaft mehr Gedanken machen, wie wir besser und breiter kommunizieren und damit wieder mehr Vertrauen in die Wissenschaft schaffen können.“
Leiterin der Immundefekt-Ambulanz, Institut für Medizinische Immunologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Leiterin des Fatigue-Centrums
„Während im dritten Jahr der Pandemie Infektionszahlen zurückgehen und mit Impfstoffen und Medikamenten COVID-19 seinen Schrecken verloren hat, darf nicht unterschätzt werden, dass wir mit Long Covid vor einer weiteren großen Herausforderung stehen. Etwa zehn Prozent leiden nach COVID-19 unter anhaltenden Symptomen. Die WHO schätzte im September 2022, dass allein in Europa 17 Millionen Menschen von Long Covid betroffen sind. Bei etwa der Hälfte persistieren Fatigue, neurokognitive Defizite oder Kreislaufstörungen, aber auch viele weitere Beschwerden nach drei Monaten und führen zu relevanten Beeinträchtigungen im Alltag. Bei diesem meist als Post Covid Syndrom (PCS) eingeordneten Zustand besteht häufig auch eine Belastungsintoleranz, die zu einer Verschlechterung der Symptome bereits nach leichten Aktivitäten führt und Alltag und Beruf zu einer Herausforderung macht. Die am stärksten Betroffenen leiden häufig an Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS), einer komplexen und stark behindernden Erkrankung, an der auch schon vor der Pandemie geschätzt 250.000 Menschen erkrankt waren, oft infolge einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus oder einem Influenzaerreger. Bislang gibt es weder für PCS noch für ME/CFS eine ursächliche Therapie. Eine Impfimmunität kann das Risiko für PCS etwa halbieren.“
„Solange kurative Therapieansätze fehlen, ist das Ziel die Verbesserung der symptomorientierten Behandlung. Chronisch Erkrankte sollten zur Diagnosesicherung und Erstellung eines Therapiekonzepts an spezielle Ambulanzen oder Praxen überwiesen werden können, die jedoch bislang unterfinanziert und oft nur einseitig ausgerichtet sind und lange Wartezeiten haben. Eine auf PCS spezialisierte Rehabilitation wäre sinnvoll, um die symptomorientierte Behandlung optimal umzusetzen und bei Belastungsintoleranz die besonderen Anforderungen des Alltagsmanagements mittels Pacing (Einhaltung der von der Erkrankung vorgegebenen individuellen Belastungsgrenzen; Anm. d. Red.) zu erlernen. Eine hohe Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen sollte möglichst viele der meist jüngeren Patienten im Berufsleben halten.“
„Die meisten stimmen inzwischen zu, dass es sich bei Long Covid um eine immunologische Erkrankung handelt, bei der Entzündungen und Autoimmunität mit Gerinnungsaktivierung, viraler Persistenz und der Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus eine Rolle spielen. Auf dieser Grundlage sollte eine rasche Prüfung von bereits verfügbaren Medikamenten, die an diesem Mechanismen ansetzen, in klinischen Studien erfolgen, um kurative Therapieansätze zu entwickeln. Hier ist ein vermehrtes Engagement der Politik und der pharmazeutischen Industrie dringend notwendig.“
Oberarzt Infektiologie und Pandemiebeauftragter, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM)
„Nach fast drei Jahren Pandemie ist COVID-19 endemisch geworden: Impfungen und Infektionen haben die Immunkompetenz in der Breite der Bevölkerung so spürbar gesteigert, dass schwere Verläufe sehr selten geworden sind. Vor allem die Impfungen haben die Mortalität auch in Deutschland von etwa 4,5 im Jahr 2020 auf deutlich unter 0,5 Prozent Ende 2022 sinken lassen. Während durch die gestiegene Immunkompetenz Morbidität und Mortalität deutlich zurückgegangen sind, ist SARS-CoV-2 im Januar 2023 nur noch der viert oder fünft häufigste Atemwegserkrankungserreger. All das sind gute Nachrichten, denn sie bedeuten, dass die Pandemie am Ende ist. Dennoch wird SARS-CoV-2 beziehungsweise COVID-19 eine saisonale Atemwegsinfektion bleiben, die vor allem ältere und chronisch kranke Menschen auch in Zukunft gefährden wird. Vor allem diese vulnerablen Gruppen werden aus meiner Sicht auch in Zukunft eine vermutlich jährliche Auffrischungsimpfung benötigen, um schwere Verläufe zu verhindern. Wir haben in der Pandemie gemeinsam viel erreicht – es ist beeindruckend zu sehen, was die Gesellschaft, Forschung und Medizin gemeinsam erreichen konnten.“
Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie und Leiter des Ambulanzzentrums Virushepatologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
„Aktuelle Studien belegen klar den Zusatznutzen der Booster-Impfung mit den im letzten Herbst zugelassenen und an die neueren Varianten angepassten COVID-19-Impfstoffen für Risikopopulationen. Hier ist es weiterhin wichtig, gerade bei älteren Mitmenschen oder Patient:innen mit Risikofaktoren Impflücken zu schließen und gegen aufkommende Impfmüdigkeit oder mögliche Vorbehalte für die Booster-Impfungen zu werben.“
„Bei Infektionen – auch Durchbruchinfektionen – von älteren Patient:innen mit besonderen Risikofaktoren wird weiterhin insgesamt zu selten frühzeitig eine antivirale Therapie begonnen.“
„Langfristig müssen wir bei einem zunehmenden endemischen Geschehen allgemeine Impfempfehlungen für die nächste Wintersaison und die nächsten Jahre entwickeln. Da vermehrt Infektionen und Reinfektionen und somit Antigen-Kontakte gar nicht erfasst werden, wird es gar nicht so leicht sein, eine solche Empfehlung zu formulieren.“
„Bei der Frage, wie wir künftig weiter impfen sollten, sind einige Fragen medizinisch und wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Zum Beispiel: Ist eine drei- oder viermalige Impfung beziehungsweise eine überstandene COVID-19-Infektion (zusätzlich zur oder ohne Impfung) schon ausreichend für eine langjährige Grundimmunisierung, gerade bei jungen Menschen? Oder ist es notwendig, zum Beispiel weiterhin Impfkampagnen durchzuführen, damit eine ausreichende Grundimmunisierung der Bevölkerung gewährleistet werden kann und weitere größere Infektionswellen in der Zukunft vermieden werden können? Werden in Zukunft nur ältere Menschen, Menschen mit besonderen Risikofaktoren sowie besondere Berufsgruppen, wie zum Beispiel Pfleger:innen und Ärzt:innen eine jährliche Impfempfehlung bekommen?“
„Werden wir immunologische Tests entwickeln können, die die bestehende Immunität oder eine Notwendigkeit für eine weitere Booster-Impfung auch bei den neuen zirkulierenden Varianten besser einschätzen können? Vieles hängt dabei auch davon ab, welche neuen Virusvarianten sich mittel- und langfristig entwickeln und durchsetzen. Vielleicht wird es sogar notwendig sein, weitere Variationen der COVID-19-Impfstoffe zu entwickeln und zuzulassen, die spezifisch gegen weitere Varianten gerichtet sind. Wichtig werden zudem die Ergebnisse von klinischen Studien zu mRNA-basierten Kombinationsimpfstoffen gegen Grippe und COVID-19 sein.“
Fachärztin für Innere Medizin, Infektiologie, Reisemedizin und Leiterin des Infektionsschutzzentrums, der Infektionsambulanz sowie der Post-Covid-Ambulanz, Uniklinik Köln
„Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass COVID-19 uns auf lange Sicht begleiten wird und dass es sehr unterschiedliche Szenarien gibt, wie sich Krankheit und Virus weiterentwickeln könnten. Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass es sehr wahrscheinlich zu einem erneuten Überspringen eines Virus (Coronavirus) aus dem Tierreich auf den Menschen kommen wird. Der Klimawandel, die rasche Verstädterung und die Abholzung der Wälder erhöhen das Risiko, dass Tausende von Viren von einer Säugetierart auf eine andere übergehen – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass eines oder mehrere davon auf den Menschen übergehen und eine neue Epidemie verursachen.“
„Da es höchstwahrscheinlich unmöglich ist, SARS-Cov-2 vollständig zu eliminieren, wird das Virus wahrscheinlich auf unbestimmte Zeit weiter zirkulieren und zu regelmäßigen Ausbrüchen und Endemien führen. Folgende Themen sind dabei wichtig: Wir müssen die humorale und zelluläre Immunantwort verstehen, ebenso die genaue Entwicklung neutralisierender Antikörper. Wir brauchen eine passive Immuntherapie (PreP-Therapie). Wir müssen uns überlegen, welche Impfstrategien künftig wichtig sind, wie häufig man in bestimmten Gruppen die Impfung wiederholen muss. Welche antiviralen Mittel wann eingesetzt werden sollten. Darüber hinaus müssen wir die Entwicklung von SARS-CoV-2 stetig beobachten, uns auf kommende Pandemien vorbereiten und uns auch überlegen, wie man besser informieren oder wie die Bevölkerung geschult werden kann. Zudem sollten wir uns fragen, welche Rolle die Wissenskommunikation und der Wissenstransfer für zukünftige Ausbrüche oder gar Pandemien spielt.“
„Wir müssen auch endlich wissen, wie viele Menschen wegen COVID-19 im Krankenhaus, wie viele ambulant arbeitsunfähig sind wegen Corona, wie hoch die genaue Impfquote ist, wer wie viele Impfungen bekommen hat. Wer ist nicht ausreichend oder vielleicht gar nicht geimpft? Welche antiviralen Substanzen stehen zur Verfügung? Welche Vorbehalte oder Implementierungsschwierigkeiten gibt es? Wie impfen wir weiter? Das ist eine wichtige Frage, die bislang noch nicht geklärt ist. Dazu ist es wichtig, die Immunantwort langfristig in verschiedenen Gruppen (Ältere, Menschen mit Immundefizienz, Kinder etc.) zu beobachten, aber ebenso die Virusevolution, um daraus Ableitungen und hoffentlich Vorhersagen machen zu können, welche Impfung, wann sinnvoll ist. Am besten wäre es natürlich, Pan-Corona-Vakzine zu entwickeln.“
„Wir müssen unterscheiden zwischen den direkten biologischen Folgen der Infektion mit SARS-CoV-2 (im Sinne eines postviralen Syndroms) und den psychosozialen Faktoren zum Beispiel als Folge der Maßnahmen gegen die Pandemie. Daher muss es so schnell wie möglich wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für Versorgungsstrukturen, Diagnostik und Behandlungsstrategien geben. Im Mittelpunkt der Forschung steht dabei ein patientenorientierter Behandlungsansatz, der translationale Konzepte vorantreibt.“
„Auch der Wissenschaftsjournalismus spielt eine Rolle: Journalisten müssen verantwortungsbewusst mit den Medien umgehen. Es sollte nicht um reißerische Titel gehen. Die wichtigste Aufgabe ist es, zu informieren, zu kritisieren, Fakten zu prüfen und gegebenenfalls einflussreiche Personen zu zügeln und die Debatte konstruktiv zu gestalten. Das wäre mein Wunsch.“
Direktor der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik und Leiter der COVID-19-Station, Universitätsmedizin Mainz
„In Zukunft wird es auch weiterhin vor allem darauf ankommen, die Zahlen der SARS-CoV-2-positiven Patienten auf den Intensivstationen zu verfolgen. Diese sind derzeit niedrig und lassen bisher auch den Schluss zu, dass sich keine besorgniserregenden Virusvarianten entwickeln. Saisonales Impfen wie bei Influenza erscheint weiterhin sinnvoll, es spricht mehr für fortgesetztes Boostern als dagegen. Darüber hinaus sollten Risikogruppen, also Alte, Kranke und Immunsupprimierte, alle sechs Monate nach Ereignis (Infektion oder Impfung) geimpft werden. Ein breites Testregime braucht es nicht mehr. Tests ergeben eigentlich nur noch bei Symptomen und in vulnerablen Bereichen Sinn, also zum Beispiel auf Transplantationsstationen im Krankenhaus.“
„Bei der Diagnose und Behandlung von Langzeitfolgen müssen wir verstärkt individuell und symptomorientiert vorgehen. Das Spektrum von Long beziehungsweise Post Covid reicht von schweren Organschädigungen bis hin zu psychosomatischen Störungen. Bei der Akutbehandlung von COVID-19-Patienten wird es sicher weiter Fortschritte geben, aber diese Behandlung wird sich nicht wesentlich verändern. Wir können heute schon die Virusvermehrung effektiv hemmen und passiv immunisieren, daneben haben wir das übliche Rüstzeug der (Intensiv-)Medizin. Worauf, auch in der journalistischen Berichterstattung, nun Wert gelegt werden sollte, ist der Preis, den wir bei der Konzentration auf Corona zahlen: blockierte Systeme, die dem Nicht-Corona-Patienten vorenthalten werden (Kollateralschaden, Opportunitätslast). Es muss klar sein, dass für Corona nicht gilt: Je mehr, desto besser.“
Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
„Durch den Impffortschritt, die bessere Immunitätslage und das Auftauchen der Omikron-Varianten hat sich die Situation grundlegend verändert. Das SARS-CoV-2-Virus reiht sich mittlerweile in die große Gruppe der Viren ein, die akute Atemwegsinfektionen verursachen. Die Omikron-Subvarianten, die sich momentan verbreiten (wie XBB.1.5) sind sehr ansteckend, führen aber nicht zu schwereren Krankheitsverläufen. Daher ist bei weiterer Entwicklung davon auszugehen, dass im Laufe des Jahres 2023 die Test-, Masken- und Isolationspflicht bundesweit abgeschafft werden.“
„Sowohl für die antivirale Frühtherapie der Infektion als auch für die spätere Phase mit Lungenbeteiligung stehen uns heute mehrere, in Interventionsstudien gut untersuchte Medikamente, zur Verfügung. Da jede Infektion unter anderem mit einem Risiko für Long Covid einhergeht, ist es aber grundsätzlich sinnvoll Infektionen zu vermeiden.“
„Zentrale Forschungsfragen betreffen sicherlich die Weiterentwicklung der Impfstoffe sowie die Frage, ob sich durch eine spezifische medikamentöse Intervention eine Infektion mit dem Coronavirus grundsätzlich verhindern lässt.“
Leitender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum Köln-Merheim, und derzeit Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung
„Aus meiner Sicht rücken in diesem Jahr zwei Punkte in den Fokus: Das ist zum einen die Diagnostik und Therapie bei Long Covid, vor allem ME/CFS, in die sehr viel investiert werden sollte. Hier haben wir weiterhin die größten Defizite. Ich wünsche mir für 2023 die Etablierung eines Schweregrad-Scores für Long Covid, so wie er für viele internistische Erkrankungen üblich ist: Herzinsuffizienz, COPD, etc., in vier Schweregraden. Das würde enorm helfen, die große und heterogene Gruppe der Long Covid-Fälle viel besser zu fassen und zu klassifizieren. Damit würden sich in meinen Augen auch viele scheinbare Widersprüche auflösen. Der zweite extrem wichtige Punkt ist die Vorbereitung für zukünftige Ereignisse und vor allem auch der Umgang mit den zukünftigen Wintersaisons und den vielen respiratorischen Infektionen, die auf ein Gesundheitssystem treffen, das nie mehr so viel Kapazitäten haben wird wie noch vor fünf bis zehn Jahren.“
„Ich halte Frühwarnsysteme für aktuelle und zukünftige Viren und deren Varianten insbesondere über Corona hinaus für essenziell. Das war ja einer der Hintergründe für die Etablierung des Pandemic Hub der WHO in Berlin. Inzidenzen zu messen, wird in den Hintergrund treten, dafür benötigen wir dringend mehr Informationen wie viele PatientInnen mit welcher Infektion hospitalisiert werden. Zudem den Ausbau der Surveillance des RKI. In beides sollte viel investiert werden, und zwar ausschließlich mit automatisierter Datenausleitung.“
„Die Immunitätslage der Bevölkerung ist robust. Wir werden schwerpunktmäßig aber wieder schwere Infektionen bei Immunsupprimierten sehen. Mit dieser robusten Lage kann man jetzt Daten zum Waning (Schwinden der Immunität; Anm. d. Red.) generieren und man wird dann sehen, ob und wie sich die Immunität abschwächt in den kommenden Jahren.“
„In meinen Augen sollten wir in Zukunft bei klinisch relevanten Infektionen und darüber hinaus Screening nur noch unter sehr speziellen Bedingungen, zum Beispiel im Rahmen der Surveillance durchführen.“
„Bei der akuten COVID-19-Infektion gibt es in meinen Augen so viele Behandlungsmöglichkeiten wie bei kaum einer anderen Viruserkrankung der Atemwege – durch eine einmalige, weltweite Forschungsleistung in den vergangenen drei Jahren. Das war sensationell. Unser riesiges Defizit sind Diagnostik und Therapie von Long Covid und ME/CFS. Letzteres betrifft übrigens auch andere Viruserkrankungen und sollte daher ein Hauptaugenmerk zukünftiger Forschungsförderungen sein.“
„Für die künftige Berichterstattung wäre es gut, den Themenschwerpunkt in Zukunft zu verlagern. Corona wird bleiben und Infektionswellen verursachen wie andere respiratorische Viren auch. Es ist jetzt wichtig die Gesamtkrankheitslast und die schwierige Situation in der Notfallversorgung im Winterhalbjahr in den Fokus zu nehmen. Unsere Kapazitäten werden aufgrund der demografischen Entwicklung weiter schwinden. Themen wie Prävention, Advanced Care Planing und vieles mehr müssen wir jetzt in den Fokus nehmen. Das Gesundheitssystem wird nicht mehr die Last der vergangenen zehn Jahre stemmen können. Das ist aus klinischer Sicht ausgeschlossen.“
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Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
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Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.
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Prof. Dr. Christian Bogdan
Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Universitätsklinikum Erlangen, und Mitglied der Ständigen Impfkommission
Dr. Christine Dahlke
Translational Immunology Lead, Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI)
Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer
Stellvertretende Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Dr. Christoph Benke
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie, Experimentelle Psychopathologie und Psychotherapie, Philipps-Universität Marburg
Prof. Dr. Hendrik Berth
Forschungsgruppe Angewandte Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie im eigenständigen Bereich für Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
Clara Jacobi
Forschungsgruppe Angewandte Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie im eigenständigen Bereich für Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
Prof. Dr. Paul Lingor
Oberarzt der Klinik für Neurologie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), und Leiter der Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen
Prof. Dr. Peter Berlit
Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), und niedergelassener Neurologe sowie Mitautor der S1-Leitlinie Long/Post Covid
Prof. Dr. Robert Thimme
Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Freiburg
Prof. Dr. Andreas Radbruch
Wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ)
Prof. Dr. Onur Boyman
Direktor der Klinik für Immunologie, Universitätsspital Zürich, Schweiz
Prof. Dr. Christine Falk
Leiterin des Instituts für Transplantationsimmunologie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH), und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie sowie derzeit Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung
Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen
Leiterin der Immundefekt-Ambulanz, Institut für Medizinische Immunologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Leiterin des Fatigue-Centrums
PD Dr. Christoph Spinner
Oberarzt Infektiologie und Pandemiebeauftragter, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM)
Prof. Dr. Julian Schulze zur Wiesch
Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie und Leiter des Ambulanzzentrums Virushepatologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Prof. Dr. Clara Lehmann
Fachärztin für Innere Medizin, Infektiologie, Reisemedizin und Leiterin des Infektionsschutzzentrums, der Infektionsambulanz sowie der Post-Covid-Ambulanz, Uniklinik Köln
Prof. Dr. Peter Galle
Direktor der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik und Leiter der COVID-19-Station, Universitätsmedizin Mainz
Prof. Dr. Stefan Kluge
Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Prof. Dr. Christian Karagiannidis
Leitender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum Köln-Merheim, und derzeit Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung