Atmosphärischer Transport von Mikroplastik
Mikroplastik kann durch die Luft transportiert werden und sich in entlegenen Regionen ablagern, die weit von den ursprünglichen Emissionsquellen entfernt sein können. Das berichtet ein Paper, das in „Nature Geoscience“ (siehe Primärquelle) veröffentlicht wurde.
Leiter der Abteilung Chemie der Atmosphäre, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig
„Verschiedene Gruppen arbeiten weltweit an dem Thema, aber es gibt noch nicht viele publizierte Ergebnisse. Die Sicht von Experten für Bodenforschung ist interessant und ein Fortschritt. Die Daten sind meines Erachtens etwas Neues. Aus dieser Arbeit und anderen Untersuchungen folgt, dass sich Mikroplastik über den Luftpfad verteilt. Man muss sich also mehr um die Einschränkung der Freisetzung an den Quellen kümmern. Mikroplastik umfasst ja nicht nur den Abrieb von makroskopischem Plastikmüll in den Ozeanen, sondern in großen Mengen auch Gummiabrieb aus Reifen in Deutschland oder Fasern aus den Waschmaschinen.“
Auf die Frage, inwiefern sichergestellt werden kann, dass die Mikroplastikpartikel tatsächlich aus der regionalen in die Bergregion transportiert wurde und nicht etwa durch touristische Aktivitäten eingetragen wurden:
„Ich hoffe, dass die Autoren der Studie sichergestellt haben, dass andere Einbringungswege ausscheiden. Das scheint mir allerdings gut erfüllt zu sein, da es sich ja um eine abgelegene Bergregion handelt. Wie das Mikroplastik in die Atmosphäre kommt, ist eine interessante Frage, die untersucht werden muss. So wie Bodenpartikel und Saharastaub dispergiert werden können, kann das auch mit Mikroplastik-Teilchen geschehen, zum Beispiel mit Reifenabrieb in Städten.“
Auf die Frage, inwiefern der beobachtete Atmosphärentransport bis zu 95 Kilometer von Mikroplastik überraschend ist, wenn doch auch die Verteilung von Vulkanasche und Saharastaub über deutlich größere Entfernungen beobachtet wird:
„Die Transportdistanz hängt von der Partikelgröße und der Windgeschwindigkeit ab. Dafür gibt es in der Atmosphärenforschung die Jaenicke-Kurve [1], die diesen Zusammenhang erklärt.“
„Das Trajektorienmodell Hysplit, das in der vorliegenden Studie verwendet wurde, ist ein Standardwerkzeug, um die Herkunft von Luftmassen nachzuvollziehen. Die Deposition der Partikel kann an Niederschlag gekoppelt sein, der Niederschlag begrenzt nach der Jaenicke-Kurve ja die Lebensdauer der Partikel (Plateau für mittlere Partikelgrößen). Die Jahreszeiten werden das Niederschlagsmuster beeinflussen, so dass im Winter in der Zielregion möglicherweise mehr deponiert wird als im Sommer, das hängt im Detail aber von der Niederschlagsstatistik in der Zielregion ab.“
„Fazit: Insgesamt ein interessantes Paper, das zu weiteren Untersuchungen zur Mobilisierung, Ausbreitung und Deposition von Mikroplastik in Aerosolpartikeln führen sollte.“
Leiter der Abteilung Chemietransportmodellierung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material und Küstenforschung (HZG), Geesthacht
„Es ist nur schwer herauszufinden, woher das vorgefundene Mikroplastik stammt. Dass in der vorliegenden Studie eine ähnlich hohe Anzahl von Mikroplastikpartikeln wie in früheren Studien in Städten gefunden wurden, legt allerdings nahe, dass es sich in dieser dünn besiedelten Gegend nicht vorwiegend um lokale Quellen handelt.“
„Ich halte es nicht für überraschend, dass auch verhältnismäßig große Mikroplastikpartikel über große Distanzen transportiert werden können. Wenn die Partikel durch turbulente Luftbewegungen einmal in größere Höhen angehoben wurden, können sie – analog zu Sahara- und Vulkanstaub – auch über größere Entfernungen transportiert werden. Fasern haben durch ihre spezielle Form geringere Sinkgeschwindigkeiten als kugelförmige Teilchen der gleichen Masse.“
„Das Hysplit-Modell wird typischerweise zur Berechnung von Rückwärtstrajektorien über einen Zeitraum von mehreren Tagen eingesetzt. Die den Berechnungen zugrundeliegenden meteorologischen Daten liegen in der Regel in einer Auflösung von 10 bis 50 Kilometern Gitterweite vor. Mit solchen Rechnungen kann über die Herkunft von Luftmassen in komplexem Terrain, um das es sich dabei handelt, nur sehr eingeschränkt eine Aussage gemacht werden. Dies gilt umso mehr, wenn so wie in der aktuellen Studie nur zwei Stunden rückwärts gerechnet wird. Wie die Berechnungen durchgeführt wurden, kann dort nicht gut nachvollzogen werden. Die Aussagekraft dieser Analyse halte ich daher für sehr begrenzt. Ähnliches gilt für die auf lokalen Windrichtungen basierenden Windrosen. Daraus können in Bergregionen kaum Rückschlüsse auf die Herkunft von Luftmassen getroffen werden.“
„In wärmeren Jahreszeiten gibt es einen stärkeren Vertikaltransport in der Atmosphäre. Höher gelegene und wenig besiedelte Regionen sollten noch stärker durch die Deposition von Stoffen, die in größerer Entfernung in die Atmosphäre gelangt sind, betroffen sein. Insofern wäre bei künftigen Studien eine längere Beobachtungsdauer wünschenswert.“
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Primärquelle
Allen S et al. (2019): Atmospheric transport and deposition of microplastics in a remote mountain catchment. Nature Geoscience. DOI: 10.1038/s41561-019-0335-5.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Jaenicke R (1978): Über die Dynamik atmosphärischer Aitkenteilchen. Berichte der Bundesgesellschaft für physikalische Chemie, Volume 82, Issue 11, pp. 1198-1202. DOI: 10.1002/bbpc.19780821126.
Prof. Dr. Hartmut Herrmann
Leiter der Abteilung Chemie der Atmosphäre, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig
Dr. Volker Matthias
Leiter der Abteilung Chemietransportmodellierung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material und Küstenforschung (HZG), Geesthacht