Ethikrat zur Klimagerechtigkeit
Ethikrat stellt Empfehlungen zur gerechten Verteilung der Lasten der Klimapolitik und zur Verantwortung für den Klimaschutz vor
Lasten sollten so verteilt werden, dass für alle die Mindestvoraussetzungen für ein gutes Leben gesichert sind
Forschende kritisieren teils Begründung der Empfehlungen, begrüßen Bericht als Grundlage weiterer Debatten
Der Klimawandel schreitet voran und stellt uns vor Herausforderungen, die sich nur gemeinschaftlich lösen lassen. Das stellt die Gesellschaft nicht nur vor technische, sondern auch vor grundlegende philosophische Fragen: Was wäre eine gerechte Verteilung der Lasten einer klimafreundlichen Transformation? Welche Verantwortung für den Klimaschutz tragen Individuen, welche das Kollektiv? Wie sollten die Interessen zukünftiger Generationen in aktuelle Entscheidungen einbezogen werden? Am 13.03. hat der Deutsche Ethikrat zu diesen und weiteren Fragen der Klimagerechtigkeit seine Stellungnahme in der Bundespressekonferenz vorgestellt.
Professor für Philosophie, Universität Bayreuth
Fazit zum Ethikratbericht
„Die Empfehlungen des Ethikrates haben erhebliche Schlagseite. Wesentliche Positionen fehlen oder werden nicht fair dargestellt. Das wird schon daraus deutlich, dass drei Mitglieder des Ethikrates sich mit einem Sondervotum von den Empfehlungen der Mehrheit distanzieren. Bei einer gut begründeten Spaltung des Rates können die Empfehlungen seiner Mehrheit lediglich als Grundlage für die weitere Diskussion dienen.“
„Einige Fragen, die für viele Bürger bedeutsam sein dürften, sollte der Ethikrat behandeln, anstatt sie auszublenden: Wie ist die Rolle Deutschlands als führende Industrienation einzuordnen? Muss diese Rolle aufgegeben werden, um den Lebensstil zu ermöglichen, den der Rat empfiehlt? Welche Risiken für die Rolle Deutschlands als führende Industrienation müssen wir eingehen, um klimagerecht zu handeln?“
Pflicht zum Klimaschutz trotz Erfolgsunsicherheit
„Die Aussagen des Berichts zum Handeln trotz Erfolgsunsicherheit erachte ich als sachlich unzureichend. Für ein vernünftiges Handlungskalkül sind nicht nur die Erfolgswahrscheinlichkeit von Handlungen und mögliche Schäden oder Nutzen der Folgen zu beachten, sondern auch die Kosten des Handelns. Es ist gerade die Frage, ob bei sehr geringem rational erwartbarem Erfolg und hohen sicheren Handlungskosten die Aussicht katastrophaler Schäden schon eine Handlungspflicht rechtfertigt. Dabei erscheint es fragwürdig, von der strategischen Interdependenz internationalen politischen Handelns abzusehen. Internationales Trittbrettfahren, Nachholkonsum im Globalen Süden, aber auch die Verschärfung geopolitischer Konflikte können die Erfolgsaussichten deutscher oder europäischer Anstrengungen stark beschränken. Sehr teures, moralisch symbolträchtiges Handeln mit minimaler rationaler Erfolgsaussicht entspricht gerade dem moralischen Heldentum, das auch von Staaten nicht vernünftig gefordert werden kann.“
„Natürlich kann Handeln schon gefordert werden, wenn der Erfolg noch nicht völlig gesichert ist, wie der Ethikrat schlau formuliert. Daraus folgt aber nicht, dass Handeln auch bei beliebig geringer Erfolgswahrscheinlichkeit geboten ist, solange diese Wahrscheinlichkeit nur größer Null bleibt.“
Allgemeine Prinzipien der Klimagerechtigkeit
„Die genannten vier Prinzipien sollten eigentlich unkontrovers sein und eine für alle akzeptable Basis für konkrete Überlegungen zum Klimaschutz bilden. Das ist aber nicht für alle Prinzipien gleichermaßen der Fall.“
„Das Verursacherprinzip wird bei zu weiter Auslegung, die alle Emissionen einer Person miteinbezieht, ethisch fragwürdig. Für den Basiskonsum eines Menschen und den damit verbundenen Ausstoß an Treibhausgasen sind zum Beispiel die Eltern der Person verantwortlich und nicht die Person selbst. Ein Mensch entscheidet nicht darüber, ob sie oder er Umweltgüter konsumiert oder nicht, sondern nur, ob das über ein für das Überleben ausreichendes Ausmaß hinaus geschieht. Außerdem: Wer sind die Verursacher, die Produzenten oder die Konsumenten eines Gutes?“
Probleme mit Daten und Fakten
„Dem Bericht des Ethikrats fehlt ein Abschnitt, in dem der Umgang mit übernommenen Daten – insbesondere in den Graphiken – diskutiert und gerechtfertigt wird. Für Daten des IPCC stellt das kein nennenswertes Problem dar, da der IPCC in hohem Maß und öffentlich zugänglich methodologisch reflektiert vorgeht und die Daten der Klimawissenschaften breit bündelt. Die im Bericht verwendeten Daten zur Ungleichheit entstammen aber auch dem World Inequality Report (WIR) – einer Publikation einer einzigen, für den Klimadiskurs nicht autoritativen Universität. Der WIR wurde maßgeblich von Thomas Piketty mitgegründet, dessen Thesen und Daten zwar seriös, aber auch umstritten sind. Ein Gremium wie der deutsche Ethikrat sollte verschiedene vertretbare Methoden auswerten und die Bandbreite möglicher Einschätzungen angeben – gerade beim politisch brisanten Treibhausgas-Fußabdruck des reichsten Prozents der Bevölkerung. Damit würde er dem öffentlichen Diskurs sachlich dienen, ohne ihn bereits in eine politisch gewünschte Richtung zu kanalisieren.“
Mindestgüter für ein gutes Leben
„Es gibt keinen Konsens für einen Schwellenwert guten Lebens, der in der Klima-Ethik eingesetzt werden könnte. Größere Einigkeit besteht bei den Anforderungen an Armutsschwellen, die festlegen, wie viel an Gütern Menschen mindestens gewährt werden muss. In der Klima-Ethik allgemein wird aber oft argumentiert: Mehr muss nicht zugelassen werden. Das ist eine andere Fragestellung, bei der auch zu berücksichtigen ist, wann von einer Gesellschaft erwartet werden kann, dass eine Person nicht über eine gegebene Güterausstattung hinausstrebt. Das ist wenig untersucht und wahrscheinlich erst deutlich oberhalb geläufiger Armutsschwellen der Fall.“
Individuelle Verantwortung für Klimaschutz
„Klimaschädliche Handlungen, auf welche die Handelnden ohne große wahrgenommene Belastung verzichten können, sind glasklar moralisch falsch. Vernünftige Kontroversen kann es nur um klimaschädliche Handlungen geben, bei denen ein Verzicht von den Handelnden als ernste Belastung angesehen wird. Handelnde sind nicht ohne Weiteres verpflichtet, als leicht verzichtbar anzusehen, was anderen als leicht verzichtbar erscheinen mag. Eine für freie Gesellschaften charakteristische vernünftige Meinungsvielfalt ist anzuerkennen. Pflichten sind an Normalfällen moralischer Belastbarkeit zu orientieren und nicht an selbstproklamiertem moralischem Heldentum.“
Zumutbarkeit von Einschränkungen zum Schutz künftiger Generationen
„Es gibt in der Klima-Ethik keinen Konsens, was zumutbar ist. Ethikerinnen und Ethiker sind auch nicht allein zuständig für die Bestimmung des Zumutbaren. Letztlich muss das Zumutbare auf verschiedenen Ebenen ausgehandelt werden. Jedes Individuum muss mit sich selbst ausmachen, was es an Belastungen als zumutbar erachtet. Eine Gesellschaft muss Zumutungen politisch aushandeln und demokratisch in Gesetze und Verordnungen fassen. International muss das Zumutbare ausgehandelt und durch rechtlich verbindliche und sanktionsbewehrte Abkommen fixiert werden. Auf allen drei Ebenen muss die Meinungsbildung über das Zumutbare durch freie und gleiche Diskurse gestützt werden, in denen alle vernünftig vertretbaren Meinungen hinreichend repräsentiert sind. Mit den Kriterien eines vernünftigen Pluralismus der Meinungen hat sich der Ethikrat nicht beschäftigt – das sollte er aber.“
Einschränkungen von Emissionen von Wohlhabenden
„Es geht nicht per se um die Sanktionierung reicher Menschen, sondern um die stärkere Besteuerung oder gar um ein Verbot von vermeidbarem Luxuskonsum – wer auch immer ihn tätigt. Höhere Steuern auf klimaschädlichen, privaten Luxuskonsum sind meines Erachtens legitim. Verbote halte ich für nicht mit unserem Gesellschaftssystem konform und für kontraproduktiv.“
Assoziierter Professor für Philosophie, Universität Linköping, Schweden
Repräsentation zukünftiger Generationen in der Demokratie
„Die Vorschläge des Ethikrates, um zukünftige Generationen besser in demokratische Gesetzgebungsprozesse einzubeziehen, sind aus demokratietheoretischer Sicht relativ unproblematisch: Die Generationengerechtigkeit soll in der Verfassung verankert werden und Regierungen sollen dazu angehalten werden, die langfristigen Auswirkungen politischer Maßnahmen zu berücksichtigen. Weitergehende Vorschläge, die demokratietheoretisch problematischer sind, – etwa Sitze im Parlament für Repräsentant*innen zukünftiger Generationen zu reservieren – werden vom Ethikrat nicht diskutiert.“
Verteilungsgerechtigkeit
„Die Stellungnahme betont meiner Meinung nach zurecht, dass das zentrale gerechtigkeitstheoretische Problem des Klimawandels die angemessene Verteilung der damit verbundenen Lasten und Verantwortlichkeiten betrifft. Sie thematisiert in diesem Zusammenhang bestehende Ungleichheiten.“
Bevölkerungsgröße und Klimaschutz
„Gleichwohl hängt die Summe der Gesamtemissionen unter anderem schlicht davon ab, wie viele Menschen es gibt. Entsprechend sind bei einer geringeren Bevölkerungsgröße mehr Emissionen pro Kopf möglich. Aus ethischer Sicht drängen sich deshalb auch Fragen auf, die im gesamtgesellschaftlichen Diskurs bisher wenig erörtert wurden. Wie viele Kinder sollte ich haben? Welche Anreize sollten Staaten im Hinblick auf die Entwicklung der Bevölkerungsgröße setzen? Eine Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex hätte ich begrüßt.“
Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik, Universität Mannheim
Fazit zum Ethikratbericht
„Dass der Ethikrat das Thema Klimagerechtigkeit aufgreift, ist sinnvoll, erfolgt jedoch viel zu spät. Neben viel Verdienstvollem krankt die Stellungnahme primär an den im Folgenden genannten Schwächen.“
Verteilungsgerechtigkeit
„Der Dreiklang aus Egalitarismus, Suffizienziarismus und Prioritarismus, der beschworen wird, wird durch den Bericht verletzt: Prioritaristisch ist es, den Schlechtestgestellten Primat zu geben. Im Kapitel ‚Innergesellschaftliche Gerechtigkeit‘ taucht der Prioritarismus nun auf, um die Rechte der in Industrienationen Benachteiligten zu schützen. Das ist ein Fehler, der in unserer Gesellschaft gerade von links oft gemacht wird: Die Schlechtgestellten in unserer Gesellschaft sind, global betrachtet, wohlhabende Menschen. Sie sind nicht von absoluter, sondern nur von relativer Armut betroffen. Der Prioritarismus verpflichtet auf einen Vorrang der weltweit Schlechtestgestellten genauso wie der Marxismus die internationale Perspektive betont. Mit beiden Konzepten kann man keinen Schutz von Bürgergeld-Empfängern begründen. Alles andere ist ein Triumph der relativ Armen über die absolut Armen. Ein globales Verteilungsprinzip wäre wünschenswert.“
Bevölkerungsgröße und Klimaschutz
„Die globale Emissionsmenge hängt davon ab, wie viele Menschen wie viel emittieren. Daher bietet es sich an, auch über das erste ‚wie viele‘ zu sprechen, nicht nur über den Lebensstil. Das bedeutet auf individueller und politischer Ebene: Verzicht auf Kinder beziehungsweise Verzicht auf Anreize für die Geburt vieler Kinder. Gerade ‚wir‘ mit großem ökologischem Fußabdruck sind gehalten, die Populationsgröße zu verringern. Auch im globalen Süden gilt das, denn der wird auf Dauer die Rolle mit uns tauschen und zum Emittenten werden.“
„Allerdings gibt es hier auch Widerspruch: Die freie Wahl der Anzahl der Nachkommen ist ein Grundrecht, das beispielsweise im achten Grundsatz der UN-Konferenz von Kairo 1994 festgehalten wird. Die Kirchen und viele NGOs und Philosophen lehnen die Idee einer Bevölkerungspolitik, die ‚mit Zwang‘ betrieben wird, ab. Muss aber diese Politik mit ‚Zwang‘ durchgesetzt werden oder sind Anreize genug [5]? Wir vernachlässigen leichtfertig die Stellschrauben der Bevölkerungspolitik.“
Spenden für Klimaschutz
„Angesichts der sicher notwendigen individuellen Verhaltensumstellung werden die effizientesten Mittel nicht erwähnt: Erstens, weniger Kinder zu kriegen [6]. Zweitens, für die richtigen Projekte zu spenden, kann deutlich mehr Emissionen einsparen, als ein Jahr lang auf Fleisch zu verzichten. Zum Beispiel spart man mit 650 Euro Spenden für den Regenwaldschutz 28 Tonnen CO2 [7], mit einjährigem Fleischverzicht spart man nur 450 Kilogramm. Dies gilt natürlich nur, solange sichergestellt ist, dass die entsprechenden Schutz-Projekte auch gut funktionieren und nicht überbewertet sind. Zudem fällt es uns leichter zu spenden als unseren Lebensstil umzustellen [8].“
Verantwortung der Politik
„Hier fehlt die Betonung der unabdingbaren Notwendigkeit, den Schutz der Regenwälder, Moore und Ozeane des globalen Südens zu gewährleisten. Ohne diesen misslingt Klimaschutz, wie führende Klimaforscher es ausdrücken [9]. Oftmals wird betont, dieses Potenzial, CO2 zu sparen, stehe den Ländern des Südens und nicht uns zu. Alles andere sei Neokolonialismus. Aber den Ländern des Südens fehlt schlicht das Geld zum Schutz dieser Größen. Wenn wir nicht umgehend einschreiten, sind diese Ökosysteme kollabiert und der Zug ist abgefahren. Neokolonialismus ist ein Übel, aber das vergleichsweise kleinere.“
Professor für Umweltgeisteswissenschaften, Departement für Geowissenschaften, Universität Freiburg, Schweiz
Fazit zum Ethikratbericht
„Mit Blick auf die bestehenden internationalen Debatten in der Klimaethik nimmt der Ethikrat alle wesentlichen Aspekte auf und kombiniert diese zu einem umfassenden Ansatz der Klimagerechtigkeit. In diesem Sinne liefert die Stellungnahme, was zu erwarten ist: einen Überblick über die Debatten der Klimagerechtigkeit und einen Vorschlag für deren Interpretation. Von einer solchen Stellungnahme detaillierte Vorschläge für deren Umsetzung oder zur Risikoabschätzung zu fordern, geht meines Erachtens über den Auftrag einer solchen Stellungnahme hinaus. Diese Einschränkung hätte in der Stellungnahme deutlicher ausfallen können. Dann wäre auch das Minderheitenvotum nicht nötig gewesen.“
Mindestgüter für ein gutes Leben
„Absolute Gerechtigkeitsansprüche, die als Schwellenwerte formuliert werden, sind in der Klimaethik prominent und meiner Meinung nach in einer plausiblen Gerechtigkeitskonzeption unabdingbar. Wie ein solcher Schwellenwert allerdings genau zu formulieren ist, stellt einen der großen Streitpunkte dar. Prominent ist hier sicher die Unterscheidung von Henry Shue [10], dass sich alle ihre Subsistenz sichern können sollten, während Emissionen, die durch Luxus entstehen, ohne weiteres vermieden werden können.“
„Die Bedingungen für ein gutes Leben gehen aber über die bloße Subsistenzsicherung hinaus. Die Philosophie ist sich uneinig, wie diese genau zu formulieren und konzeptionell zu fassen sind. Im demokratischen Kontext der Stellungnahme ist die unspezifische Formulierung des Schwellenwerts eines guten Lebens aus meiner Sicht eher eine Stärke als eine Schwäche. In freiheitlichen Demokratien sollten die Bürger*innen bestimmen können, worin die absoluten Minimalbedingungen für das Führen eines guten Lebens bestehen. Deshalb ist eine rein theoretische Festlegung eines solchen Schwellenwerts gar nicht wünschenswert.“
Individuelle Verantwortung für Klimaschutz
„Ich bin gegen Moralisierungen, moralische Verbote und halte moralisch überfordernde Ansprüche für gefährlich. Auch wenn wir individuell sehr viel zugunsten des Klimaschutzes leisten können, sollten wir als Mitglieder einer freiheitlichen Gesellschaft immer die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wie wir unser Leben führen und was wir für den Klimaschutz leisten können. Es macht aber sicherlich Sinn, wenn die Politik Anreize zum verstärkten Klimaschutz setzt und Verbote eingeführt werden. Solche Maßnahmen benötigen aber demokratische Legitimation. Das heißt selbstverständlich nicht, dass wir individuell keine guten Gründe haben, mehr für den Klimaschutz zu tun als uns der Staat vorschreibt. Doch solche Entscheidungen müssen in freiheitlichen Demokratien den Einzelnen überlassen bleiben. Moralisches Heldentum ist deshalb erlaubt, sollte aber nicht staatlich verordnet werden.“
Zumutbarkeit von Einschränkungen zum Schutz künftiger Generationen
„Folgt man dem Ansatz des Ethikrates, dann sind zumutbare politische Belastungen alles, was die Voraussetzungen für ein gutes menschliches Leben nicht untergräbt. In freiheitlichen Demokratien muss das Volk bestimmen, worin diese Voraussetzungen bestehen. Deshalb müssen hierzu politische Entscheidungen abgewartet werden, um Konkreteres sagen zu können. Dabei ist klar, dass Klimamaßnahmen unzumutbar sind, die in der Verfassung verankerte Grundrechte untergraben. Es wäre auch widersprüchlich, zugunsten des Schutzes der Grundrechte zukünftiger Generationen Klimaschutz zu betreiben, aber gleichzeitig die Grundrechte heute Lebender zu verletzen.“
Einschränkungen von Emissionen von Wohlhabenden
„Wohlhabende Industriestaaten und wohlhabende Menschen verursachen typischerweise mehr Emissionen beziehungsweise haben sich ihren Reichtum durch höhere Emissionen auch in der Vergangenheit erworben. Aus Sicht der Klimagerechtigkeit, insbesondere aufgrund des Verursacher- und des Nutznießerprinzips, scheint es deshalb gerechtfertigt, diese Gruppen stärker mit Klimaschutzabgaben zu belasten oder mit der Bepreisung von Emissionen zu einer Veränderung ihres Lebensstils zu bewegen.“
„Die Rechtfertigung solch stärkerer Belastungen wohlhabenderer Menschen liegt aber nicht in ihrem Reichtum, sondern in ihrer Produktion von Treibhausgasen. Die stärkere Belastung Wohlhabender ist dabei weniger ein Problem. Denn für sie besteht wegen ihres Reichtums weniger die Gefahr, dass sie aufgrund solcher Maßnahmen unter ein kritisches Minimum an Lebensqualität fallen. Die Herausforderung ist eher gegensätzlich gelagert: Es besteht die Gefahr, dass Wohlhabende trotz stärkerer Belastung ihren Lebensstil nicht ändern, weil sie es sich eben leisten können.“
Professor für Praktische Philosophie, Technische Universität Dortmund
Verteilungsgerechtigkeit
„Die überwiegende Mehrheit gegenwärtiger Gerechtigkeitstheorien ist deutlich stärker egalitär orientiert (also auf Gleichheit gerichtet; Anm. d. Red.) als der vom Ethikrat vorgeschlagene Suffizienzansatz. Der Rat blendet diese Ansätze einfach aus. Das zeigt einen starken Status-Quo-Bias. Zudem ist die Argumentation des Rates wenig überzeugend, sondern wirkt geradezu vorgeschoben. Dahinter steckt wahrscheinlich die Absicht, Mehrheitsfähigkeit für die Vorschläge zu erreichen.“
„Gleichzeitig eignet sich die Stellungnahme sehr als Feigenblatt für Greenwashing. Das zeigt sich schon daran, dass Zahlen wie die jährlich aufgrund des Klimawandels versterbenden Menschen, nicht ausführlich diskutiert werden. Es zeigt sich auch daran, dass die gewaltigen Kosten der Klimaschutzmaßnahmen nicht annährend beziffert und Fragen nach der gerecht verteilten Finanzierung nicht gestellt werden. Es steht zu befürchten, dass relativ arme Menschen ungleich mehr bezahlen müssen. Das ist ungerecht und sozialer Sprengstoff.“
Mindestgüter für ein gutes Leben
„Über Schwellenwerte für ein Leben in Würde gibt es keinen philosophischen Konsens. Die Fähigkeitenliste von Martha Nussbaum bildet aber für viele Diskussionen einen guten Ausgangspunkt [11]. Allerdings berücksichtigt sie, richtig interpretiert, soziale und relationale Gesichtspunkte sehr viel stärker als es beim Ethikrat erscheint. Auch hier zeigt sich ein Bias in Richtung obere Mittelschicht, was für effektive Klimapolitik hochgefährlich ist, weil es einen Backlash provoziert.“
„Der Bias besteht aus zwei Teilen: Erstens wird diese Personengruppe trotz ihres sehr aufwändigen Lebensstils (Autos, Wohnungen, Reisen und so weiter) durch die Relativierung der individuellen Verantwortung wenig in die Pflicht genommen. Zweitens wird sie durch die Vagheit bezüglich der Finanzierung des Klimaschutzes geschont. Wenn das bezahlt werden soll und das gerecht geschehen soll, müssen das nicht nur sehr reiche Menschen, sondern auch mittelreiche und sehr wohlhabende Menschen finanzieren. Das ist die obere Mittelschicht, kurzum die Leute, die üblicherweise im Ethikrat selbst sitzen.“
„Ein zentrales Problem mit Schwellenwerten besteht darin, wie Amartya Sen hervorgehoben hat [12], dass Menschen knapp über die Schwelle geholfen wird, um danach alle weiteren Bemühungen einzustellen. Solch ein Vorgehen lässt sich politisch gut verkaufen, ist gerechtigkeitstheoretisch aber sehr bedenklich. Auch hier leistet der Ethikrat einer moralischen Heuchelei Vorschub.“
Individuelle Verantwortung für Klimaschutz
„Natürlich darf der Staat kein moralisches Heldentum fordern. Das wäre paternalistisch. Zugleich sind die Herausforderungen des Klimawandels so groß, dass die moralischen Pflichten, die sich daraus für einzelne Menschen ergeben, gewaltig sind. Sie sind so groß, dass nur Heldinnen und Heilige sie vollständig erfüllen können. Wir müssen also zumindest akzeptieren, dass so gut wie wir alle moralisch defizitär handeln. Solange wir das leugnen, werden wir uns nicht zu effektiver Klimapolitik durchringen können. Hier hätte der Ethikrat noch deutlicher werden können.“
„Außerdem fehlt eine Diskussion der Legitimität zivilen Ungehorsams unter Bedingungen großer Ungerechtigkeit. Hier zeigt sich, wie schwer sich der Ethikrat tut, über wohlfeiles Moralisieren hinauszugehen.“
„Ebenfalls fehlt eine Diskussion der Verbindung von individuell klimafreundlichem Handeln und staatlich koordinierter Politik. Je mehr Menschen einen nachhaltigen Lebensstil pflegen und je stärker das für alle Schichten und Bevölkerungsgruppen attraktiv wird, desto besser die Aussichten für effektive Klimapolitik.“
„Kurzum, der Bericht ist seltsam unpolitisch. Das ist bedenklich.“
Zumutbarkeit von Einschränkungen zum Schutz künftiger Generationen
„Zumutbar ist alles, was ein Leben in Würde nicht gefährdet. Auch hier ist der Ethikrat viel zu zaghaft. Wir müssen sehr viele liebgewonnen Gewohnheiten einschränken, wie Flugreisen, unnötige Autofahrten in unnötig großen Autos, große Wohnungen. Wir müssen unseren Lebensstil ändern. Das fällt im Alltag sicher nicht leicht, aber es wird leichter, wenn mehr mitmachen und es ‚cool‘ wird.“
„Dann gelingt auch politische Regulierung. Dafür müssen wir das herrschende Narrativ von freien Menschen und verbietendem Staat durchbrechen. Wahr ist vielmehr: Wir schränken uns durch Gesetze gemeinsam ein, um die gleiche Freiheit anderer Menschen zu schützen. Alles andere ist einfach ungerecht. Wenn politisch deutlich wird, dass dies wirklich alle proportional zu ihrer Lebenslage trifft, also insbesondere auch reiche und andere privilegierte Menschen, kann das auch stärker mehrheitsfähig werden. Hier liegt die wahre Aufgabe. Auch hier schätzt der Ethikrat die politischen Dynamiken falsch ein.“
Einschränkungen von Emissionen von Wohlhabenden
„Reiche Menschen haben extrem von der klimaschädlichen Wirtschaft profitiert und müssen derzeit einen Großteil der Kosten ihres extrem klimaschädlichen Konsums und Lebensstils nicht selbst tragen. Das ist ein weiteres Beispiel für die Privatisierung von Gewinnen und Kollektivierung von Kosten. Aus meiner Sicht wären daher noch viel weitergehende Schritte als eine Luxussteuer wie eine erhebliche Vermögens- und Erbschaftssteuer geboten, um daraus auch die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zu bezahlen. Im globalen Maßstab sind übrigens sehr viele von uns reich, so dass das auch für sehr viele von uns gilt. Wieder gilt, dass das keine unerlaubte Freiheitseinschränkung darstellt, weil es darum geht, die Würde und Freiheit aller Menschen gleichermaßen zu sichern.“
Assoziierter Professor für Philosophie, American University of Paris, Frankreich
Fazit zum Ethikratbericht
„Es ist wichtig, dass der Ethikrat Themen der Klimagerechtigkeit und der Klimaverantwortung behandelt, um dadurch die Dringlichkeit hervorzuheben, Maßnahmen zur Verhinderung eines übermäßigen Temperaturanstiegs zu ergreifen. Die Stellungnahme liefert einen guten Überblick über normative Fragen der Klimagerechtigkeit und -verantwortung, verfehlt es aber eine eigene normative Position hinreichend ausführlich zu begründen. Egalitaristische, suffizienzbasierte und prioritäre Ansätze können untereinander konkurrieren und müssten differenzierter dargestellt und begründet werden, um als Grundlage für ein ‚Gerechtigkeitskonzept‘ zu dienen. Die Arbeiten von Lukas Meyer, der sich seit Jahrzehnten mit Schwellenwertsgerechtigkeit und Klimagerechtigkeit beschäftigt, hätten stärkere Berücksichtigung finden können, weil sich Meyers Auffassung stark mit der des Ethikrats überschneidet [13] [14].“
„Es verwirrt, dass die Stellungnahme verschiedene Begründungen von Verantwortung nutzt. Im dritten Abschnitt wird das ‚Gerechtigkeitskonzept‘ vorgestellt, das die gerechte Verteilung der sich aus dem Klimawandel direkt oder indirekt ergebenden Verantwortlichkeiten klären soll. Im vierten Abschnitt begründet der Ethikrat nochmals die Verantwortung auf Basis weiterer Prinzipien wie den Fähigkeits-, Nutznießer- oder Verursacherprinzipien. Und er erörtert Fragen der Verantwortung unter nicht-idealen Bedingungen der Nicht-Befolgung von Klimaverantwortlichkeiten. Er geht aber nicht auf die gängigen Positionen ein, wonach die Belastungen unter solchen Bedingungen entweder steigen, sinken, oder gleichbleiben sollen [15].
„Die Stellungnahme ist methodologisch problematisch, weil sie nicht klar herausarbeitet, in welchem Verhältnis allgemeine Ansprüche sozialer oder globaler Gerechtigkeit – etwa auf die Mindestbedingungen auf ein gutes Leben – zu spezifischen Ansprüchen der Klimagerechtigkeit stehen. Diese methodologischen Fragen haben Simon Caney, Helena DeBres und ich ausführlich diskutiert [16] [17] [18] [19] [20].”
Mindestgüter für ein gutes Leben
„Auffassungen des guten Lebens sind höchst umstritten und es gibt ebenfalls keinen Konsens über die Mindestbedingungen eines solchen [21]. In der Rawlsianisch geprägten politischen Philosophie herrscht vielmehr Einigkeit, dass es in einer liberalen Ordnung notwendigerweise eine Vielzahl an vernünftigen Vorstellungen des guten Lebens gibt [22]. Gleichwohl werden basale Menschenrechte wie etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit von den meisten Philosoph*innen als Bedingungen einer minimal gerechten Ordnung beziehungsweise eines würdevollen menschlichen Lebens anerkannt [23]. Auch hier besteht aber Uneinigkeit über deren genauen Inhalt und Rechtfertigung. Während die Diskurstheoretiker Jürgen Habermas und Rainer Forst die moralische und demokratische Rechtfertigung von Menschenrechten eng verschränken, lehnt John Rawls ein Menschenrecht auf Demokratie und somit auch eine demokratische Rechtfertigung von Menschenrechten ab, obwohl empirische Befunde dafürsprechen, dass basale Menschenrechte sich nur in Demokratien verwirklichen lassen [24] [25] [26] [27].
Individuelle Verantwortung für Klimaschutz
„Der Philosoph Dale Jamieson sieht das Problem der fehlenden Verantwortungsübernahme für den Klimawandel genau darin, dass es keine klimaschädliche Handlung gibt, die von außen betrachtet eindeutig als moralisch falsch und zu unterlassen bezeichnet werden könnte [28]. Trotzdem ist es aus meiner Sicht zum Beispiel moralisch fragwürdig, ob jemand den Flieger nutzen sollte, um für den Besuch eines Freundes von Erfurt nach Berlin zu gelangen. Wenn diese Person sich aber vegan ernährt, in einer kleinen Wohnung lebt, und lediglich gebrauchte Kleider trägt, fällt eine einmalige Nutzung eines Flugzeugs nicht sonderlich ins Gewicht. Daher sollte individuelles Handeln hinsichtlich dessen Klimaschädlichkeit, wenn überhaupt verträglich mit dem Recht auf Privatheit, als Gesamtpaket über einen längeren, mehrjährigen Zeithorizont moralisch betrachtet und eine Vielzahl von Lebensbereichen wie Ernährung, Wohnraum, und Bekleidungsgewohnheiten einschließen.“
„Weil aber selbst auf längere Sicht das individuelle Handeln einer einzelnen Person für die Probleme des Klimawandels keinen Unterschied macht, ist mit Iris Marion Young gesprochen der Begriff struktureller Verantwortung vorzuziehen, der sich aus der kollektiven Verantwortung für eine Ungerechtigkeit wie klimabedingte Schadenszufügungen ergibt [29]. Für Iris Young ergibt sich strukturelle Verantwortung nicht aus einer einzelnen individuellen Handlung in der Vergangenheit, sondern aus dem Beitrag zu sozialen Prozessen, die strukturelle Ungerechtigkeiten hervorbringen. Zu solchen strukturellen Ungerechtigkeiten zählen inadäquate Rahmenbedingungen individuellen Handelns, wie etwa mangelnde Bildungschancen, unzureichende Gesundheitsversorgung oder ein übermäßiges Risiko, durch ein Naturereignis geschädigt zu werden. Strukturelle Verantwortung ist zukunftsorientiert, geteilt, und politisch: Niemand kann die strukturellen Ungerechtigkeiten allein lösen – kollektives Handeln, öffentliches Engagement und effektive Institutionen sind erforderlich. “
Zumutbarkeit von Einschränkungen zum Schutz künftiger Generationen
„Entsprechend einer diskurstheoretischen Moral- und Gerechtigkeitsauffassung besteht das normative Selbstverständnis einer demokratischen Gesellschaft darin in Folgendem: Das, was als zumutbar gelten soll, muss in prozedural gerechten Verfahren bestimmt werden, die allen Bürger*innen hinreichende Mitspracherechte einräumen [33]. Die moralisch zentrale Idee dieses Verfahrens ist, dass genau das als moralisch zumutbar gilt, was nicht vernünftigerweise beziehungsweise wechselseitig abzulehnen ist [34] [35].“
„Das Problem der intergenerationellen Gerechtigkeit besteht mitunter darin, dass die Mitglieder zukünftiger Generationen, die von solchen Zumutbarkeitsbestimmungen betroffen sind, sich nicht selbst aktiv in solche Verfahren einbringen können [36]. Daher hebt der Ethikrat zurecht hervor, dass die Interessen zukünftiger Generationen advokatorisch – zum Beispiel mittels eigens für diesen Zweck bestimmter Ombudspersonen in Parlamenten – zum Ausdruck gebracht werden müssen. So ließe sich konkret rechtfertigen, so meine Vermutung, dass es zumutbar ist, zu fordern, Fleischkonsum und private Fernreisen zu reduzieren, weil diese Forderungen nicht vernünftigerweise zurückzuweisen sind. Henry Shue unterscheidet zwischen ‚Luxuskonsum‘ und notwendigem Konsum, um moralisch zu begründen, welche klimaschädlichen Handlungen zumutbar als unzulässig gelten können [37].
Einschränkungen von Emissionen von Wohlhabenden
„Wenn Bürger*innen einer demokratischen Gesellschaft in prozedural gerechten Verfahren eine stärkere Besteuerung oder gar das Verbot klimaschädlichen Handelns reicher Menschen beschließen, so ist ein solcher Beschluss als angemessen gerechtfertigt anzuerkennen. Eine liberale Grundordnung schließt weder progressive Steuersätze noch Verbote prinzipiell aus, sofern diese Maßnahmen in demokratischen Verfahren beschlossen sind, diese Maßnahmen effektiv Freiheitsrechte (zukünftiger Generationen) gewährleisten, und diese Maßnahmen keine basalen Grundrechte verletzen [38]. Die Emission von Treibhausgasen unterscheiden sich stark je nach Einkommens- und Vermögensschicht. Außerdem ist es den höheren und höchsten Einkommensschichten viel eher möglich, geringfügige zusätzliche Steuern zu absorbieren. Deshalb ist eine progressive Besteuerung sowie gegebenenfalls auch ein Verbot bestimmter Handlungen klimapolitisch entweder im aufgeklärten Eigeninteresse aller Bürger*innen oder entspricht zumindest dem Interesse der großen Mehrheit.“
Professor für Moralphilosophie, Fakultät für Sozial-, Politik- und Kognitionswissenschaften, Universität Siena, Italien
Fazit zum Ethikratbericht
„Die Stellungnahme des Ethikrats enthält viele richtige Analysen und Forderungen. Gut an dem Konzept ist, den Akzent auf besonders Benachteiligte zu legen und auf Eile bei der Erfüllung der in Klimaabkommen eingegangenen Verpflichtungen zu drängen. Allerdings dürfen die Kosten durch Klimaschäden, Klimaschutz und Anpassung für Menschen oberhalb der vorgeschlagenen Suffizienzschwelle nicht vernachlässigt werden. Auch die Konzeption der zwischen Individuen, Vereinigungen und politischen Akteuren geteilten Verantwortung ist der Idee nach aus ethischer Sicht richtig. Diesbezüglich ist die Stellungnahme auch gegen die Kritiken im Minderheitenvotum in Schutz zu nehmen.“
„Fehlen wichtige Aspekte? Die Stellungnahme geht zu Recht davon aus, dass die Probleme des Klimawandels nur bei Beteiligung nahezu aller internationalen Akteure gelöst werden können und drängt entsprechend auf internationale Abkommen. Völlig unterbelichtet bleibt das Problem, dass viele Staaten jetzt schon die Pariser Klimastrategie nicht befolgen. Es ist abzusehen, dass insbesondere einige der größten Treibhausgas-Emittenten eine weitgehende Trittbrettfahrerrolle einzunehmen gedenken. Hier hätte möglichst eine Strategie entwickelt werden müssen, wie diese Staaten effektiv und ohne zu große Kosten für die Gutwilligen zur Einhaltung der Vorgaben bewegt werden können – eventuell auch durch Boykottmaßnahmen oder Sanktionen.“
„Insgesamt enthält die Stellungnahme viele richtige oder plausible Einzelforderungen, aber diese werden nicht wirklich systematisch aus dem grundlegenden theoretischen Konzept entwickelt, wirken daher vielfach aneinandergereiht und etwas beliebig.“
Suffizienz als Grundlage für Verteilungsgerechtigkeit
„Die Stellungnahme weist eine Reihe von Problematiken auf. Problematisch ist insbesondere die massiv vertretene suffizientaristische Konzeption. Der Ethikrat tut in der Begründung seiner suffizientaristischen Konzeption so, als seien neben suffizientaristischen auch egalitaristische und prioritaristische Komponenten in diese Konzeption eingeflossen. Das ist aber nicht der Fall, die normative Grundlage ist rein suffizientaristisch. Der Ethikrat gibt den Inhalt des Prioritarismus – der die Belange von Schlechtgestellten stärker gewichtet als die von besser Gestellten und umso stärker, je schlechter jene Personen gestellt sind – nicht einmal korrekt wieder und zitiert auch keine prioritaristische Literatur. Die konkreten politischen Forderungen aller drei genannten Positionen liegen im Bereich der Sorge für die Schlechtgestellten relativ nahe beieinander – jedoch nicht bei der Sorge um das Wohl von Menschen auch oberhalb der Suffizienzschwelle.“
„Die vom Ethikrat favorisierte Form des Suffizientarismus hat nur das Ziel, möglichst alle Menschen über die Suffizienzschwelle zu bringen. Dies impliziert, dass die Belange der Menschen oberhalb der Suffizienzschwelle ignoriert werden. Auch unter ihnen fallen jedoch Verluste und Kosten an, die durchaus kompensiert oder abgemildert werden sollten. Die in der Stellungnahme vertretene Form des Suffizientarismus hingegen erlaubt, diese Menschen so lange zur Anhebung der Wohlfahrt der Menschen unterhalb der Suffizienzschwelle heranzuziehen, bis jene selbst an der Suffizienzschwelle angelangt sind. Diese Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Bessergestellten ist ein generelles Problem des Suffizientarismus.“
„Alle Formen des Suffizientarismus haben notorische Probleme, die Suffizienzschwelle – also die Möglichkeit für ein gutes, gelingendes Leben – sinnvoll begründet zu bestimmen. Selbst unter den Suffizientaristen gibt es dazu keine großen Meinungsgruppen, geschweige denn einen Konsens. Die Idee, solche Schwellen wissenschaftlich oder objektiv zu begründen, scheint mir illusorisch. Wenn man schon suffizientaristisch vorgeht, ist es sicherlich moralisch wünschenswert, die Suffizienzschwelle einigermaßen hoch anzusetzen. Wie weit man bei einer gesellschaftlich verbindlichen Festlegung oder bei konkreten Maßnahmen unter dem moralischen Optimum bleibt, ist letztlich eine politische Festlegung. Die muss aus einer politischen Auseinandersetzung zwischen reformerischen, radikaleren auf der einen und besitzstandwahrenden, bremsenden Kräften auf der anderen Seite erfolgen. Es ist nicht die Folge einer objektiven Festlegung, für die schon die theoretischen Grundlagen fehlen. Für die in dieser politischen Auseinandersetzung anstehende Diskussion hätte der Ethikrat wenigstens Vorschläge für konkrete Werte machen sollen.“
„Eine suffizientaristische Position scheint mir aus den oben genannten Gründen theoretisch unhaltbar. Ein prioritaristischer Ansatz würde die genannten Probleme vermeiden und ist deshalb vorzuziehen. Insbesondere würde er bei der auch prioritaristisch begründbaren Position, den schlechter Gestellten gewisse Mindeststandards zu garantieren, nicht in die Verlegenheit kommen, diese sich unter anderem aus den politischen Kräfteverhältnissen ergebenden und historisch sich verändernden Standards als objektive Werte ausgeben zu müssen. Über die Berücksichtigung der Belange der sehr schlecht Gestellten hinaus sind auch die Belange der besser Gestellten zu berücksichtigen, wenn auch mit entsprechend geringerem Gewicht.“
„Der Ethikrat will die Schwellenwertkonzeption international anwenden. Um die Einhaltung dieser Schwellenwerte global wenigstens mittelfristig einigermaßen erreichbar zu machen, müssten sie relativ niedrig angesetzt werden – zu niedrig, um auf nationaler Ebene noch eine Relevanz für die Verteilungsgerechtigkeit zu haben, weil die fraglichen Schwellenwerte hierzulande in der Regel überschritten sein werden. Auch hier ist der Prioritarismus durch seine größere Flexibilität die bessere normative Grundlage.“
Mindestgüter für ein gutes Leben
„Schon unter den Suffizientaristen gibt es keine Einigkeit, wo die Schwellenwerte liegen und wie sie begründet zu bestimmen sind. Nicht einmal die meisten Suffizientaristen haben hierzu überhaupt konkrete Vorstellungen, die über die allgemeine Idee eines Schwellenwerts hinausgehen. Und die Suffizientaristen sind sicher nur eine relativ kleine Gruppe unter den normativen oder angewandten Ethikern. Es gibt bislang auch keine brauchbaren Vorschläge, wie solche Schwellenwerte objektiv bestimmt werden können; und die Idee, dass es so etwas gibt, scheint mir illusorisch. Auch der Vorschlag, dies über die ‚Bedingungen für ein gutes Leben‘ festzulegen, führt zum gleichen Problem, dass es dafür keine objektive Grenze gibt.“
„Tatsächlich können solche im Suffizientarismus genutzten Schwellenwerte mehr oder weniger anspruchsvoll festgelegt werden. Der niedrigste dabei in Frage kommende Wert auf internationaler Ebene wäre die Grenze zur extremen Armut – aktuell laut UN 2,15 US-Dollar Kaufkraftparität pro Tag und Person [39]. Eine Alternative wäre ein Einkommen, das es erlaubt, Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Wohnen zu befriedigen – Nahrung auf einem Niveau, das Mangelkrankheiten verhindert. Den Schwellenwert so niedrig anzusetzen ist sicher indiskutabel. Alles, was darüber hinausgeht, ist dem politischen Streit unterworfen. Der höchste Schwellenwert hängt von den ökonomischen Fähigkeiten ab: Wie hoch ist das höchste ökonomisch machbare Mindesteinkommen bei gleichzeitiger Einhaltung der Klimaziele und sonstiger Umwelt- und Infrastrukturbedingungen? ‚Machbar‘ gemeint in dem Sinne, dass der Versuch einer weiteren Erhöhung wegen ökonomisch disruptiver Wirkungen zu einer tatsächlichen Senkung des Mindesteinkommens oder zur Verletzung anderer Ziele führen würde.“
„Realistisch sind nur Schwellenwertfestlegungen zwischen diesen Extremen. Und letztlich ist die Festlegung über die Höhe eines verbindlichen Schwellenwerts eine Entscheidung über die Stärke des gesellschaftlichen solidarischen Engagements. Angesichts der großen theoretischen und im Endeffekt quantitativen Unklarheit des Suffizientarismus und der gleichzeitigen Notwendigkeit für präzise Angaben, ist erstaunlich, wieso der Ethikrat ausgerechnet diese Konzeption als ethisch und theoretisch befriedigende Lösung vorschlägt.“
„Wenn man überhaupt eine suffizientaristische Ethik und Politik der Schwellenwerte verfolgen will, sind demokratische Verfahren und – auf internationaler Ebene – Verhandlungen der einzige gangbare Weg. Der Ethikrat hätte gut daran, für diese Debatte im Spektrum zwischen ultraliberalen Verweigerern jeglicher Solidarität bis hin zu Vertretern des vollkommenen Fürsorgestaats einen gut begründeten Vorschlag zu unterbreiten, der eine realistische Chance hätte, mittelfristig in der demokratischen Entscheidungsfindung angenommen zu werden.“
„Politisch festgelegte suffizientaristische Schwellenwerte lassen sich dann klimafreundlich umsetzen, wenn bei ihrer Festlegung darauf geachtet wird, dass neben der Finanzierung der garantierten Schwellenwerterreichung auch die Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaziele bezahlt werden müssen – vom Staat oder Unternehmen oder Privaten. Wobei diese Zusatzkosten dann noch zu einem ökonomisch definierten Schwellenwert addiert werden müssten.“
Verantwortung für Klimaschutz
„Bei aller verbleibenden Unschärfe ist die vom Ethikrat vorgeschlagene Konzeption einer zwischen Individuen, Personengruppen und öffentlichen Institutionen geteilten Verantwortung für den Klimaschutz richtig. Staaten müssen direkt oder indirekt für die nötige Infrastruktur sorgen, normative Vorgaben machen und ihre Einhaltung erzwingen. Die Verantwortung der Individuen beginnt spätestens da, wo der Staat nicht aktiv sein kann – etwa bei verborgenen, daher vom Staat nicht kontrollierbaren Emissionen – oder bisher nicht aktiv geworden ist. Die individuelle Verantwortung umfasst insbesondere die moralpolitische Einflussnahme auf die staatliche Politik, etwa bei Wahlen. Individuen haben eine Verantwortung, bei der Durchsetzung politischer Maßnahmen zur Realisierung der Klimaziele mitzuwirken.“
„Klar falsch sind Handlungen mit einem völlig ineffizienten Ressourcenverbrauch, wobei Treibhausgasemissionen einen Verbrauch der Ressource ‚Senke für Schadstoffe‘ darstellen. Beispiele dafür sind Flugreisen für Kurzzeitaufenthalte zu Vergnügungszwecken, Nutzung von Privatjets, Kurzstreckenflüge.“
Auf die Frage, ob es klimaschädliche Handlungen gibt, die moralisch falsch, aber zugleich moralisch zulässig sind:
„Wörtlich verstanden, ist ‘moralisch falsch, aber moralisch zulässig’ ein Widerspruch in sich. ‘Moralisch falsch’ wird meist interpretiert als ‘moralisch verboten’ – wenn die betreffende Moral überhaupt so etwas wie Gebote und Verbote vorsieht. Und ‘verboten’ ist der Gegensatz zu ‘zulässig’.“
Zumutbarkeit von Einschränkungen zum Schutz künftiger Generationen
„‘Zumutbarkeit’ ist ein äußerst unscharfer Begriff, für den wir in mehr oder weniger extremen Fällen klare Anwendungsbeispiele haben, der aber im Mittelfeld, in dem scharfe Grenzen festgelegt werden müssen, keine operationalisierbaren Ziele begründen kann.“
„Klimaveränderungen verhalten sich wie ein Tanker, bei dem ein Umsteuern schon einmal hundert Jahre dauern kann. Und die Nettoschäden durch einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur sind auf Dauer enorm. Aus diesen Gründen ist es dringend geboten, auch kleine Erhöhungen der globalen Temperaturen – insbesondere über die Pariser Klimaziele hinaus – zu verhindern.“
„Die Kosten für die entsprechenden Maßnahmen müssen aber aus moralischer Sicht nicht allein von der jetzigen Generation getragen werden. Künftige Generationen profitieren vom heute eingeführten technologischen, insbesondere umweltverbessernden Wandel. Und das nach wie vor zu erwartende ökonomische Wachstum sichert ihnen auch ökonomisch bessere Startbedingungen als der aktuellen Generation. Dies bedeutet aus der Sicht aller wohlfahrtsethischen Positionen, dass die Kosten für die Einhaltung starker Klimaziele auch von künftigen Generationen mitgetragen werden können, etwa in Form der Aufnahme langfristiger Schulden für die partielle Bezahlung relativ scharfer Klimamaßnahmen oder der vermehrten Nutzung seltener natürlicher Ressourcen.“
Einschränkungen von Emissionen von Wohlhabenden
„Grundsätzlich sollte die Bepreisung klimaschädlichen Verhaltens mindestens den tatsächlichen Schaden reflektieren. Emissionen von Reichen darüber hinaus mit Abgaben oder Sanktionen zu belegen ist eine Form der Umverteilung, wie sie ja auch durch die progressive Einkommensteuer erreicht wird, die eigentlich die theoretisch sauberste Form der Umverteilung ist. Mehr Umverteilung ist aus moralischer Sicht sicher geboten, insbesondere gegen die vielen Möglichkeiten der Steuervermeidung für reiche Menschen – zum Beispiel durch die Verlegung des Steuersitzes ins Ausland oder die Senkung des nominalen Gewinns durch Schuldentilgung. Ob zusätzliche Emissionsabgaben oder Sanktionen für Reiche ein gutes, also insgesamt effizientes Mittel für eine stärkere Umverteilung sind, ist letztlich eine ökonomische Frage.“
„Ineffiziente und besonders klimaschädliche Handlungen sollten durchaus verboten oder verunmöglicht werden – unabhängig davon, von wem sie verübt werden. Die bloße hohe Bepreisung dieses Handelns hat den Effekt einer ungleichen Verteilung der insgesamt bewirkten Verhaltenseinschränkungen: Diejenigen die die hohe Bepreisung aufgrund ihres Reichtums nicht subjektiv als Nutzenreduzierung spüren, werden dadurch also zu kaum einer Verhaltenseinschränkung bewegt, weniger Reiche hingegen schon. Diese Arten von Ungleichheiten wirken mindestens moralisch obszön, was für ein über die bloß höhere Bepreisung hinausgehendes Verbot spricht.“
Assistenzprofessorin für Philosophie, Erasmus-Universität Rotterdam, Niederlande
Verteilungsgerechtigkeit
„Fragen der Haftung von Verursachern finden wenig Beachtung. Viele CO2-Emissionen fanden im Wissen um die Folgen des Klimawandels statt und wurden durch eine relativ kleine Anzahl von Öl- und Gasunternehmen ermöglicht. Bereits heute tragen diese Emissionen zu Extremwettereignissen wie Stürmen und Überflutungen bei. KlimaforscherInnen sind mittlerweile in der Lage, den Anteil des Klimawandels an Extremwettereignissen genauer zu beziffern. Dies wirft die Frage auf, ob die Lasten von Klimamaßnahmen nicht auch nach dem Prinzip historischer Verantwortung verteilt werden sollten. So könnten insbesondere Akteure zur Verantwortung gezogen werden, die in der Vergangenheit viele Emissionen mitverursacht haben oder – beispielsweise durch Desinformationskampagnen – dafür gesorgt haben, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht schneller umgesetzt wurden.“
Mindestgüter für ein gutes Leben
„Die Festlegung eines Schwellenwertes für ein gutes Leben erfordert, Bedürfnisse von bloßen Wünschen unterscheiden zu können. Die Philosophie kann dabei auf vier Weisen unterstützen: Indem sie die Bedingungen für das Vorliegen von Bedürfnissen untersucht; indem sie die Handlungsgründe die diese Bedürfnisse aufwerfen, analysiert; indem sie darlegt, wie Bedürfnisse in bestimmten Situationen identifiziert werden können; indem sie Kriterien zur Unterscheidung von Bedürfnissen von entbehrlichen Wünschen liefert.“
Individuelle Verantwortung für Klimaschutz
„Die Verantwortung des Einzelnen und die Verantwortung des Staates sollten nicht voneinander getrennt werden. Die Aufgabe des Einzelnen ist es, bei der Befriedigung von Bedürfnissen möglichst umweltfreundlich vorzugehen. Dabei sollte folgendes beachtet werden: Erstens, wie wichtig sind die Bedürfnisse? Sind sie zentral für das eigene Leben oder sind es eher entbehrliche Wünsche? Zweitens, wie können die Bedürfnisse erfüllt werden? Drittens, was ist die umweltfreundlichste Art, das Bedürfnis zu erfüllen? Die Antworten auf diese Fragen sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Die Aufgabe des Staates ist es, umweltfreundliches Handeln zu ermöglichen. Personen handeln moralisch falsch, wenn sie umweltschädlich handeln, obwohl es umweltfreundliche Alternativen gibt.“
Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit Dr. Eike Düvel, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Philosophie der Technik, Technikfolgenabschätzung und Wissenschaft“ am Karlsruher Institut für Technologie.
Professor für Philosophische Anthropologie, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Fazit zum Ethikratbericht
"Die Empfehlungen des Ethikrats stimmen in ihrer grundsätzlichen Richtung überein mit dem, was sich mit Argumenten der philosophischen Klimaethik gut begründen lässt: Dass wir -- als Individuen, Unternehmen und Politik – moralisch gesehen mehr tun sollten als die meisten von uns tatsächlich tun.“
„Allerdings sind die Empfehlungen recht allgemein gehalten und vielfältig interpretierbar. Je nachdem, wie man den zugrunde liegenden Ansatz in den Details genau ausfüllt, ergeben sich ganz unterschiedliche Verteilungswirkungen auf verschiedenen Ebenen. Und es sind die Details, die Fragen nach der gerechten Verteilung von klimawandelbezogenen Pflichten und Lasten politisch wie philosophisch so knifflig machen. Hier fällt die argumentative Begründung und theoretische Fundierung der Empfehlungen meiner Ansicht nach hinter die Ansprüche und den Differenzierungsgrad des Diskussionsstands der philosophischen Ethik zurück. Es ist aber wichtig zu betonen, dass das nicht bedeutet, dass die Empfehlungen selbst damit automatisch hinfällig werden.“
„Kurzum: Das Ergebnis geht in die richtige Richtung, bleibt in den Details aber unterbestimmt und in seiner theoretischen Begründungsrundlage philosophisch verbesserungswürdig."
Senior Lecturer für Philosophie, Murdoch University, Australien
Fazit zum Ethikratbericht
„Die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates ist eine sorgfältige und gewissenhafte Abwägung der wichtigsten ethischen Argumente und Standpunkte zur Klimagerechtigkeit. Das Ergebnis sind theoretisch sehr gut fundierte Empfehlungen, die der Komplexität des Problems weitgehend Rechnung tragen. Ich teile die Empfehlungen des Ethikrates, würde jedoch einschränkend hinzufügen, dass die sogenannte ‚nicht-ideale‘ Ebene der Theoriebildung – eine Theorie, die bestimmt, wer in der Handlungspflicht ist, wenn die eigentlich Verantwortlichen ihren Pflichten nicht nachkommen – sowohl in der Diskussion als auch in den Schlussfolgerungen nicht hinreichend zum Tragen kommt.“
Verantwortung für Klimaschutz
„Drei Akteursebenen werden unterschieden: die des staatlichen Handelns – politische Kollektive –, der zivilen Gruppenakteure – private Kollektive – und die der einzelnen Bürgerinnen – individuelle Akteure. Die Stellungnahme legt auf überzeugende Weise dar, wie sich die multiplen ethischen Verantwortlichkeiten dieser drei Akteursgruppen zueinander verhalten, ineinander übergreifen und wo deren Grenzen bestehen. Der Ethikrat sieht die hauptsächliche Verantwortung bei staatlichen Akteuren – eine Einschätzung, die ich im Prinzip teile, wenn auch mit einer Einschränkung.“
„Die Gefahr einer solchen – wenn auch gewissenhaften und philosophisch fundierten – Feststellung der jeweiligen Verantwortlichkeiten besteht in ihrem ‚idealen‘ Charakter. Es ist vollkommen plausibel für den Ethikrat, zu argumentieren, dass staatliche Akteure die Rahmenbedingungen schaffen müssen, damit individuelle und zivil-kollektive Akteure ihrerseits ihren Verantwortlichkeiten nachkommen und ihr klimarelevantes Verhalten ändern können. Das Problem ist jedoch, dass genau das nicht ausreichend geschieht. Hier benötigen wir eine ‚nicht-ideale‘ ethische Theorie der Klimaverantwortung.“
„Ein weiterer blinder Fleck in der Stellungnahme des Ethikrates ist die gegenseitige Behinderung der verschiedenen Akteursgruppen – vor allem der teils lähmende Einfluss großer Unternehmen auf die staatliche Handlungsfähigkeit zum Klimaschutz. Dies bezieht die Frage der eingeschränkten nationalen Handlungseffektivität angesichts der globalen Dimension des Klimaproblems ein. Hier handelt es sich um strukturelle Probleme, die eine Umsetzung effektiver Klimamaßnahmen im Allgemeinen behindern. Diese realen politischen Aspekte des Klimaproblems sind Teil des ethischen Problems.“
„Mit anderen Worten: Die Realität der Klimapolitik muss sich in unserer ethischen Theorie niederschlagen. Wie können wir ethisch handeln, wenn unser Handlungsspielraum – national, zivilgesellschaftlich, individuell – derart beschränkt ist und zusätzlich die Handlungsebenen der Akteure ineinander übergreifen? Die Antwort des Ethikrates besteht darin, die Handlungsebenen zu differenzieren. Ein theoretisch vollkommen legitimer und vernünftiger Ansatz, der uns allerdings lediglich zur Ebene der ‚idealen‘ Pflichtverteilung führt, das heißt der Beantwortung der Frage der Verteilung von ethischen Pflichten angesichts ‚idealer‘ Umstände. Da solche Umstände nicht bestehen, bleibt die Frage nach den ‚tatsächlichen‘ – im Gegensatz zu ‚idealen‘ – Pflichten der unterschiedlichen Akteursgruppen offen.“
Individuelle Verantwortung für Klimaschutz
„Zum Beispiel werden individuelle Verantwortlichkeiten fast ausschließlich im Zusammenhang mit Konsumentenverhalten und demokratischen Wahlen diskutiert. Aber wie steht es mit den Möglichkeiten zu legitimem Protest – mit zivilem Ungehorsam und anderen subversiven Handlungen – die individuellen, sowie zivil-kollektiven Akteuren offenstehen?“
„Momentan kommen politische und zivile Kollektivakteure ihrer klimaethischen Verantwortung nicht ausreichend nach. Diese Vernachlässigung der Verantwortung ist bereits eine Ungerechtigkeit und sie führt zu mehr Ungerechtigkeit in der Zukunft: Was bedeutet das für unsere Pflichten? Laut John Rawls, haben wir als individuelle Akteure eine Pflicht, gerechte Institutionen zu schaffen. Wenn diese nicht bestehen oder ihren Pflichten nicht nachkommen, was bedeutet das für die Zivilgesellschaft?“
„All dies sind ebenfalls Gerechtigkeitsfragen und somit Fragen, mit denen sich eine Diskussion von Klimagerechtigkeit befassen sollte.“
Zumutbarkeit von Einschränkungen zum Schutz künftiger Generationen
„Was konkret ‚zumutbar‘ ist, kann nicht ohne Kontext bestimmt werden. In Bezug auf Fragen intergenerationeller Gerechtigkeit ist es wichtig, dass wir die Interessen und legitimen Ansprüche zukünftiger Generationen in unsere heutigen politischen Entscheidungen miteinbeziehen. Als Ausgangsposition ließe sich festhalten, dass zumindest das als ‚zumutbar‘ gelten sollte, was auch im Kontext von intragenerationeller Gerechtigkeit als zumutbar gilt. Das heißt, die Opfer, die als zumutbar angesehen werden, um Gerechtigkeit unter Zeitgenossinnen zu befördern, sollten grundsätzlich auch in Bezug auf Gerechtigkeit für Angehörige zukünftiger Generationen akzeptabel sein.“
Einschränkungen von Emissionen von Wohlhabenden
„Grundsätzlich besteht kein ethisches Problem damit, bestimmte klimaschädliche Handlungen zu verbieten – es gibt eine Vielzahl von umweltschädlichen Handlungen, die bereits verboten sind. Inwieweit es praktisch möglich ist, die Emissionen reicher Menschen stärker zu besteuern, ist unklar.“
„Ich bin derzeit Mitglied der Grünen Akademie der Böll-Stiftung. Weitere mögliche Interessenkonflikte gibt es keine.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Ich befinde mich bei dieser Stellungnahme in keinerlei Interessenkonflikt.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
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Prof. Dr. Rudolf Schüßler
Professor für Philosophie, Universität Bayreuth
Prof. Dr. Vuko Andrić
Assoziierter Professor für Philosophie, Universität Linköping, Schweden
Prof. Dr. Bernward Gesang
Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik, Universität Mannheim
Prof. Dr. Ivo Wallimann-Helmer
Professor für Umweltgeisteswissenschaften, Departement für Geowissenschaften, Universität Freiburg, Schweiz
Prof. Dr. Christian Neuhäuser
Professor für Praktische Philosophie, Technische Universität Dortmund
Prof. Dr. Julian Culp
Assoziierter Professor für Philosophie, American University of Paris, Frankreich
Prof. Dr. Christoph Lumer
Professor für Moralphilosophie, Fakultät für Sozial-, Politik- und Kognitionswissenschaften, Universität Siena, Italien
Prof. Dr. Laura García-Portela
Assistenzprofessorin für Philosophie, Erasmus-Universität Rotterdam, Niederlande
Prof. Dr. Christian Seidel
Professor für Philosophische Anthropologie, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Dr. Anne Schwenkenbecher
Senior Lecturer für Philosophie, Murdoch University, Australien