Start des Organspenderegisters in Deutschland
am 18. März startet das Organspende-Register in Deutschland mit Zustimmungslösung
die meisten EU-Länder haben bereits Register – Trend ist der Wechsel zur Widerspruchslösung
Forschende begrüßen die Einführung, bezweifeln aber, ob das Register die Spenderzahlen erhöht
Mit einem Anteil von etwa elf Spenderinnen und Spendern pro einer Million Einwohner stieg die Zahl der Organspenden von 2022 auf 2023 zwar nach der Pandemie um circa zehn Prozent an, trotzdem gilt Deutschland im europäischen Vergleich nach wie vor als eines der Schlusslichter, was die Spenderzahlen angeht [I]. Auch wenn 2022 bereits 40 Prozent der Menschen in Deutschland einen Organspendeausweis besaßen [II], soll das Online-Organspende-Register die Zahl nun erhöhen. Mit ihm sollen Bürgerinnen und Bürger ihre Spendebereitschaft freiwillig online angeben und Krankenhäuser dank dieser Daten potenzielle Spenderinnen und Spender leichter identifizieren können.
Direktor, Swisstransplant, und Facharzt für Herzchirurgie, Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), Bern, Schweiz
Das Organspende-Register in der Schweiz
„Das Register bringt Sicherheit, Klarheit und vor allem Entlastung für die Angehörigen, die im Ernstfall den Willen der verstorbenen Person meistens nicht kennen. Ebenfalls entlastet es die involvierten Fachpersonen in den Krankenhäusern. Swisstransplant war es wichtig, ein Ja-/Nein-Register zu haben. Dies passte für die Schweiz, unabhängig von der gesetzlichen Regelung. Auch ein differenzierter Entscheid (Zustimmung nur für einzelne Organe oder Gewebe) war möglich und wurde vor allem von jüngeren Menschen genutzt. Von der Einführung im Oktober 2018 bis zur Betriebseinstellung im Januar 2022 gab es 130.000 Registereinträge. Dies entspricht weniger als zwei Prozent der Bevölkerung über 16 Jahre. Überdurchschnittlich viele Menschen haben sich registriert, die ihre Organe spenden möchten. Weniger als zehn Prozent der Registrierten entschieden sich gegen eine Spende. Mediale Berichte über die künftige Einführung der Widerspruchslösung haben zusätzliche Einträge generiert. Im Schnitt gab es pro Tag zwei bis drei Anfragen von Entnahmespitälern an Swisstransplant. Insgesamt gab es von Oktober 2018 bis Januar 2022 jedoch nur 23 Treffer bei der Registerabfrage. Das Register hat somit nicht zum Anstieg der Spenderzahlen in der Schweiz geführt, sondern bot eine zeitgemäße, elektronische Möglichkeit, den Entscheid zu hinterlegen und diesen rund um die Uhr zu modifizieren, beziehungsweise – sollte die Frage nach einer Organspende gestellt werden – abzufragen.“
Was bei der Einführung zu beachten ist
„Der Registereintrag muss einfach sein, beziehungsweise ohne technische, bürokratische, sprachliche oder andere signifikante Hürden vorgenommen werden können. Dies gilt beispielsweise für ältere Menschen, die vielleicht gar keine E-Mail-Adresse haben. Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit in Einklang zu bringen, ist eine große Herausforderung. Entsprechend müssen genügend Ressourcen für den administrativen Support und Anfragen aus der Bevölkerung – zum Beispiel eine Helpline – und auch Medienanfragen zur Verfügung stehen. Ein Ja-/Nein-Register und organspezifische Optionen bewähren sich. Der Eintrag muss durch die Erstellerin oder den Ersteller jederzeit modifizierbar und/oder löschbar sein – 24/7. Zudem kommen dem Datenschutz und der Datensicherheit eine hohe Bedeutung zu. Darauf gehe ich später noch im Detail ein.“
„Was die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit angeht, muss die Bevölkerung das Register kennen, damit sich möglichst viele Personen registrieren. Die Weitergabe der entsprechenden Informationen kann über mediale Begleitung, Info-Kampagnen, Registrierungspunkte in Apotheken, Krankenhäusern, Hausarztpraxen und weitere Wege erfolgen. In einem freiwilligen Register wird die Zahl der Registrierungen immer tief bleiben, wie dies im Ausland oft zu beobachten ist.“
„Im Ernstfall werden Angehörige über den Registereintrag informiert. Dabei geht es auch darum, ob dieser Eintrag auch wirklich dem letzten bekannten Willen des Verstorbenen entspricht. In der Schweiz erfolgt keine automatische Organspende, auch nicht bei einem vorliegenden ‚Ja‘. Das ist ein häufiges Vorurteil. Die Angehörigen werden in jedem Fall miteinbezogen und informiert. Sind keine Angehörigen da oder erreichbar, findet keine Organspende statt, außer es findet sich ein hinterlegter Wille. Wie die Information des Entscheids den Angehörigen vermittelt wird, ist zu bedenken. Swisstransplant war es zum Beispiel wichtig, dass die Angehörigen beim Gespräch über die Organspende etwas in der Hand haben: Ein Datenblatt mit dem Entscheid und optional einer persönlichen Nachricht der verstorbenen Person.“
„In der Schweiz war die Nachfrage, sich in das Register einzutragen, in den ersten Wochen besonders hoch. Die Bereitschaft, sich in ein freiwilliges Register einzutragen, blieb jedoch gering.“
Veränderungen der Spender- und Organspendezahlen in der Schweiz
„Die Einflüsse des Organspende-Registers waren in der Schweiz schwierig auszumachen. Um einen direkten Einfluss zu messen, war die Betriebszeit zu kurz und es waren mit unter zwei Prozent der Bevölkerung zu wenige Menschen registriert. Die Medienberichterstattung rund um das Register half aber sicherlich, dass sich mehr Menschen mit dem Thema auseinandersetzten. Das Register hat sicher nicht dazu beigetragen, dass die Spenderzahlen in der Schweiz angestiegen sind.“
Hürden und deren Überwindung
„Zu den Hürden der erfolgreichen Einführung des Organspende-Registers gehört eine fehlende Kommunikation und damit einhergehend fehlendes Wissen, dass es das Register gibt. Außerdem erschwert ein kompliziertes Verfahren das Erstellen eines Eintrags und führt zu einer hohen Abbruchquote. Älteren Generationen ohne Internet müssen alternative Wege bereitgestellt werden.“
„Ein in diesem Zusammenhang bestehendes Vorurteil ist, dass Ärztinnen und Ärzte Patientinnen und Patienten ,sterben lassen‘ und nicht mehr alles tun, um sie zu retten, wenn ein ‚Ja‘ im Register hinterlegt ist. Die Konsultation des Registers erfolgte in der Schweiz daher erst nach beschlossenem Therapieabbruch. Bei dem Organspende-Register muss daher eine Balance gefunden werden zwischen einer einfachen Registrierung und Abfrage und einer guten Datensicherheit.“
Auf die Frage, ab welchem Punkt das Register seinen Zweck erfüllt:
„Das ist eine schwierige Frage. Aus individueller Sicht erfüllt jeder einzelne Eintrag seinen Zweck. Die Person hat ihren Willen so dokumentiert, dass er im Ernstfall bekannt ist, beziehungsweise von überall her abgefragt werden kann – im Gegensatz zur Organspende-Karte, die oft nicht gefunden wird. Das entlastet somit Angehörige und Fachpersonen in der sehr belastenden Situation, nach dem Verlust eines Menschen stellvertretend im mutmaßlichen Sinn über eine Organspende zu entscheiden.“
Erfolg des Registers
„Wenn der Zweck ist, mehr Organspenden zu haben, hilft ein freiwilliges Register – wie es in der Schweiz der Fall war – wohl nicht weiter. Der Kommunikationsaufwand für einen genügend großen Anteil Registrierter wäre viel zu hoch. Dies war aber auch nie das Ziel des Swisstransplant-Registers. Ziel war es viel mehr, den Menschen ein zeitgemäßes Mittel als Alternative zur Organspende-Karte, die zu oft nicht gefunden wird, anzubieten, ihren Entscheid zur Organspende zu dokumentieren und damit Sicherheit, Klarheit und vor allem Entlastung für ihre Angehörigen zu schaffen. Um einen Unterschied bei den Organspendezahlen zu machen, müsste das Register wohl zwingend sein, so wie in den Niederlanden. Im Widerspruchsregister in Österreich waren zum Beispiel Ende 2022 nur gerade 60.000 Personen registriert. Das Register besteht seit 1995!“
Datenschutz
„Die deutschen Datenschutzgesetze sind maßgebend. Wir empfehlen, eine Datenschutzspezialistin oder einen Datenschutzspezialisten beizuziehen und Vertrauen in die Institution zu schaffen, die das Register führt und für den Datenschutz verantwortlich ist. Wichtig für den Datenschutz ist eine sichere Identifikation und Authentifikation der Organspenderinnen und Organspender bei Eintrag und Abruf des Registers. Idealerweise kann das Register auch im Ausland konsultiert werden. Wenn beispielsweise jemand in Frankreich verstirbt, sollte ein französisches Spital über die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) auf den Willen zugreifen können.“
„Datenschutz kommt auch eine wichtige Rolle für die Akzeptanz zu. Zu wichtigen Aspekten gehören die Authentifizierung bei der Registrierung und die Identifizierung bei den Abfragen. Die Abfrage muss sicher, aber auch rasch und einfach erfolgen können. In der Schweiz konnte das Abfragen der Registereinträge nur nach beschlossener Therapiezieländerung durch Fachpersonen erfolgen. Ärztinnen und Ärzte sollen den Registereintrag erst nach beschlossenem Therapieabbruch konsultieren. Zudem erhielten die Angehörigen des verstorbenen Spenders oder der verstorbenen Spenderin 48 Stunden nach der Anfrage an das Register die Mitteilung, dass der entsprechende Registereintrag angefragt wurde und eine Datei, in welcher der Wille der verstorbenen Person festgehalten wurde, an das behandelnde Spital passwortgeschützt übermittelt wurde. Damit konnte ein wichtiges Anliegen der Bevölkerung im Register aufgenommen werden – obwohl dem nicht so ist, gibt es nach wie vor Menschen, die glauben, dass ein ‚Ja‘ zur Organspende die medizinische Behandlung beeinflussen könnte.“
Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
„Im Transplantationszentrum der Medizinischen Hochschule (MHH) werden jährlich circa 350 Transplantationen durchgeführt. Rund 1000 Patientinnen und Patienten an der MHH, darunter auch Kinder und Jugendliche, warten auf ein Spenderorgan (Niere, Leber, Pankreas, Herz, Leber) – viele von ihnen leider vergeblich.“
„Das Register könnte einen neuen Schub für die Organspende in Deutschland bedeuten. Umfragen haben immer wieder gezeigt, dass die Spendebereitschaft in der Bevölkerung groß ist. Wir im Transplantationszentrum begrüßen alle Maßnahmen, die eine Dokumentation der Entscheidung zur Organspende zu Lebenszeiten unterstützen, und hoffen, dass möglichst viele Menschen ihre Entscheidung eintragen werden.“
Transplantationsbeauftragter, Anästhesist und Oberarzt, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Hürden für das Register
„Bisher mussten beim Aufbau des Registers und für den sicheren Zugriff auf das Erklärenden- und Abrufportal große technische Probleme gelöst werden. Es wird noch Monate dauern, bis alle Entnahmekliniken im Falle einer potenziellen Organspende ohne Probleme unverzüglich Informationen aus dem Register entnehmen können. Wenn am 1. Juli 2024 der Abruf für die Kliniken verpflichtend wird, muss bis dahin eine Rückfallebene geschaffen worden sein, um Ausfälle zu kompensieren. Das Erklärendenportal kann zunächst nur mit einem Personalausweis mit eID-Funktion geöffnet werden, im September soll dafür dann die ePA-App samt Gesundheits-ID auch funktionieren. Hier gilt es zu hoffen, dass alle Teile der Bevölkerung in der Lage sein werden, sich mit den technischen Herausforderungen auseinanderzusetzen.“
Erwartungen bezüglich Spenderzahlen
„Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Erklärendenportal in den ersten Jahren des Registers hochfrequent genutzt werden wird, wenn nicht gleichzeitig Aufklärung generell, Beratung im Einzelfall zur Organspende und Hilfestellung beim Eintrag in das Register geleistet werden. Eine Zunahme der Organspendehäufigkeit wird durch das Bereitstellen des Registers allein nicht spürbar werden. Dennoch wird es wahrscheinlich in diesem Jahr zu einer Zunahme der Organspenden kommen, weil mit dem Registerstart und der derzeit diskutierten Einrichtung einer Form von Widerspruchslösung das Thema Organspende präsenter wird und sich Menschen häufiger mit ihrem Umfeld über ihre Einstellung dazu austauschen werden. (Positive) Kommunikation und Wissen über Organspende kann viel bewirken. Basisarbeit auf Augenhöhe, wie zum Beispiel in Schulen, Vereinen, Sportstätten oder medizinischen Einrichtungen fördert dies besonders.“
Auf die Frage, ab welchem Punkt das Register seinen Zweck erfüllen kann:
„Es gibt keinen derartigen Punkt, weil der Begriff ,sinnvoll‘ nicht objektiviert werden kann. Mit jedem Eintrag, der Klarheit zur Haltung gegenüber Organspende schafft, hat das Register seinen Zweck erfüllt. Andere Länder wie zum Beispiel Großbritannien zeigen uns, dass es sehr lange dauern kann, bis sich ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung in ein solches Register eingetragen hat.“
Senior policy maker / researcher, Nederlandse Transplantatie Stichting, Leiden, Niederlande
Das Organspende-Register in den Niederlanden
„Im Jahr 1998 haben wir in den Niederlanden aufgrund der Umsetzung des Organspendegesetzes ein nationales Spenderregister (Opt-in-Einwilligungssystem) eingeführt. Die Eintragung in das Spenderregister war freiwillig und bestand aus den folgenden Optionen: ‚Ja, ich möchte Spender sein‘; ‚Nein, ich möchte nicht Spender sein‘; ‚Ich überlasse meine Entscheidung meinen Angehörigen oder einer bestimmten Person‘. Etwa 6,5 Millionen Menschen wurden registriert, aber in sieben Millionen Fällen waren die Präferenzen der Spender nicht bekannt. Im Jahr 2020 wurde ein neues Spendergesetz (Opt-out-Einwilligungssystem oder aktive Spenderregistrierung) eingeführt. Die sieben Millionen Menschen ohne Registrierung wurden von der Regierung aufgefordert, ihre Entscheidung zu registrieren. Wer auf die beiden Schreiben nicht reagierte, erhielt ein drittes Schreiben, in dem die Registrierung ‚Kein Widerspruch zur Spende‘ bestätigt wurde. Die Umsetzung hatte zur Folge, dass nun die gesamte Bevölkerung (ab 18 Jahren) registriert ist.“
Auswirkungen auf die Anzahl der Organspender
„Es ist noch zu früh, um eine allgemeine Auswirkung der Einführung des Opt-Out-Zustimmungssystems auf die Zahl der Organspender in den Niederlanden zu erkennen, obwohl wir einen leichten Anstieg der Zahl der Organspender beobachten. In der Praxis gibt es jedoch eine große Veränderung, da die Spendergespräche mit den Spenderfamilien jetzt immer auf der Grundlage der Registrierung des Angehörigen geführt werden. Dies ist ein großer Unterschied zum Opt-in-System, bei dem die Spendepräferenzen von sieben Millionen Menschen unbekannt waren. Es ist nicht einfach, eine Organ- oder Gewebespende zu beantragen, wenn die Familie des Spenders nicht weiß, was der potenzielle Spender wünscht. Eine Entscheidung unter emotionalen Umständen zu treffen, macht es noch schwieriger. Es ist zu hoffen, dass es sich auch in Deutschland positiv auswirkt, wenn die Wünsche der Spender in einem nationalen Spenderregister registriert werden.“
Hürden für das Register
„Die größte Hürde für das niederländische Gesundheitsministerium bestand darin, sieben Millionen Menschen zu erreichen, da darunter auch Menschen in Pflegeheimen, Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen, Gefängnisinsassen, Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund und so weiter fallen. Es ist eine Herausforderung, so viele Menschen und insbesondere spezielle Zielgruppen zu erreichen.“
Erwartungen bezüglich Spenderzahlen
„Im Idealfall erfüllt ein Register seinen Zweck, wenn die gesamte Bevölkerung ihre Spenderpräferenzen registriert (wie in den Niederlanden ab 18 Jahren). Wenn die Registrierung im Spenderregister auf freiwilliger Basis erfolgt, was dazu führt, dass sich mehr Menschen nicht registrieren lassen, ist es ein wichtiger Schritt für die Menschen, ihre Angehörigen über ihre Spenderwünsche zu informieren. In der Praxis stellen wir fest, dass die Anfrage nach einer Organspende einfacher ist, wenn die Familie den Willen des potenziellen Spenders zur Organ- und/oder Gewebespende kennt. Es ist schwierig, die Frage zu beantworten, wie viele Registrierungen in Deutschland erforderlich sind, damit das Register einen Unterschied macht.“
Professorin der Abteilung Soziologie, Vrije Universiteit Amsterdam, Niederlande
Hürden für das Register
„Große Hürden, die das Funktionieren eines solchen Registers erschweren könnten, sind beispielsweise (zu) wenig Information und Verständnis zur Funktion eines digitalen Registers. Weitere Hürden sind mangelndes Vertrauen in die Datensicherheit, aber auch mehr allgemein in die Integrität und das Funktionieren des Gesundheitssystems sowie Desinformationen zu Faktoren, die eine Organspende ermöglichen oder verhindern – wie beispielsweise der Gesundheitszustand, Religion und Lebenswandel des potenziellen Spenders.“
Erwartungen bezüglich Spenderzahlen
„Das hängt stark von den Informationskampagnen ab, den ‚Nudges‘ und den Umständen unter welchen Personen ihre Entscheidung registrieren können.“
Auf die Frage, ab welchem Punkt das Register seinen Zweck erfüllen kann:
„Das Register erfüllt meines Erachtens vor allem seinen Zweck, wenn seine Einführung und der Weg dorthin mittels Informationskampagnen das Gespräch über Organspende, Krankheit, Solidarität, die verschiedenen Entscheidungen, die möglich sind, stimuliert, Desinformationen richtigstellt und dem Thema Tod das Tabu nimmt. Solche Gespräche – in Familie, Schule, Kirche, Vereinen und so weiter – können der Schlüssel zum Erfolg sein.“
Geschäftsführender Oberarzt und Transplantationsbeauftragter, Klinik für Allgemeine, Viszeral-, Thorax-, Transplantations- und Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Hürden für das Register
„Die Etablierung eines Organspenderegisters ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Dieses ermöglicht, die Entscheidung über die Bereitschaft zur Organspende abzurufen. In der Praxis ist die fehlende Kenntnis über die Entscheidung zur Bereitschaft zur Organspende eine Belastung für die Angehörigen. Grundsätzlich besteht eine große Zustimmung für die Organspende in der Bevölkerung, dennoch bleibt die Entscheidung oftmals nicht dokumentiert oder kommuniziert. Zum Zeitpunkt der Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ist der Zeitpunkt für eine Entscheidung verstrichen, sodass diese zu Lebzeiten getroffen und auch dokumentiert oder kommuniziert werden sollte.“
„Es besteht ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung, dass der irreversible Hirnfunktionsausfall und dessen Irreversibilität absolut sicher diagnostiziert wird. Dies ist durch die strengen Vorgaben in den Richtlinien gewährleistet. Die Diagnostik wird auch erst eingeleitet, wenn alles medizinisch Mögliche für das weitere Überleben ausgereizt wurde und ein Überleben nicht mehr möglich ist. Dies bedeutet auch, dass erst nach Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls und fehlender Zustimmung zur Organspende die Therapie eingestellt wird.“
„Das Organspende-Register eröffnet allen Bürgerinnen und Bürgern, ihre Entscheidung zur Organspende zu dokumentieren. So wird gewährleistet, dass ihr Wunsch im Falle einer möglichen Organspende – sei es dafür oder dagegen – verlässlich berücksichtigt wird. Gleichzeitig bedeutet dies eine Entlastung für die Angehörigen, denn sie müssen sonst für die Verstorbenen unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens entscheiden, was gerade in der Situation der Trauer häufig nicht einfach ist.“
„Eine Selbstreflexion der Bürger sollte auch berücksichtigen, dass die Wahrscheinlichkeit, selbst ein Spenderorgan zu benötigen, deutlich höher ist, als selbst Organspender zu werden. Organtransplantationen sind in der Bevölkerung akzeptiert als fester Bestandteil der modernen medizinischen Behandlung. Diese setzen jedoch die Verfügbarkeit von Spenderorganen voraus, welches durch Lebendspende oder postmortale Organspende möglich ist. Der rationale Umgang mit der Transplantationsmedizin sollte die Organspende miteinschließen.“
„Bislang wurde darauf verzichtet, eine Widerspruchslösung in Deutschland einzuführen. Diese würde für spendebereite Personen keine Hürde darstellen und nicht spendebereiten Personen eine klare Option geben, dies zu dokumentieren. In vielen Ländern wird eine Widerspruchslösung praktiziert und in der gängigen Praxis bei den Angehörigen nachgefragt, ob ein Widerspruch zur Organspende bekannt ist. Insofern wäre die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland ein logischer Schritt.“
Erwartungen bezüglich Spenderzahlen
„Die Freistellung der Transplantationsbeauftragten und die Stärkung ihrer Rechte hat diese Tätigkeit stark aufgewertet. Die Steigerung in der Meldung potenzieller Organspender von 2232 im Jahr 2017 auf 3142 in 2023 dokumentiert die Tätigkeit der Transplantationsbeauftragten. Die Zahl der Organspender stieg von 797 in 2017 auf 965 in 2023 und die Zahl der Spenderorgane von 2594 in 2017 auf 2877 in 2023.“
„Die Situation des Spenderorganmangels ist damit aber nicht behoben. Die Transplantationsbeauftragten können sich noch so gut kümmern, wenn am Ende die fehlende Kenntnis über die Bereitschaft zur Organspende beim potenziellen Spender zu einer Ablehnung durch die Angehörigen führt oder medizinische Kontraindikationen eine Organübertragung nicht zulassen. Bei der Unkenntnis über die Bereitschaft zur Organspende kann das Organspenderegister wichtige Informationen leisten. Zudem wäre erneut über die Widerspruchslösung zu diskutieren.“
Erfolg des Registers
„Zunächst muss die Bevölkerung über die Verfügbarkeit des Organspenderegisters und das fortdauernde Dilemma für die Angehörigen – die Unkenntnis der Entscheidung – informiert werden. Inwieweit das Register angenommen wird, bleibt abzuwarten.“
„Es gibt jetzt bereits viele Arten, seinen Willen zu dokumentieren, insbesondere Organ- und Gewebespendeausweis als auch Patientenverfügung. Zuletzt gab es eine Kampagne zu Organspendetattoos, welche ein starkes Zeichen für Organspende darstellen, aber nicht die Rechtsgültigkeit eines Spenderausweises besitzen. Insofern ist ein Organspenderegister sinnvoll, weil damit das Auffinden der dokumentierten Entscheidung deutlich vereinfacht wird.“
„Sollte das Organspenderegister nur einen geringen Zuspruch erfahren, wäre die Einführung der Widerspruchslösung zu diskutieren. Letztlich geht es um die Informationsweitergabe einer wichtigen Entscheidung am Lebensende, die zu Lebzeiten getroffen werden sollte und nicht zu Lasten der Angehörigen weitergereicht wird. Informationsmaterialien zur Organspende sind problemlos verfügbar. Zahlreiche Angebote laufen seit vielen Jahren zu dem Thema, werden aber oftmals nur von wenigen Teilnehmern besucht. Die Durchdringung der Bevölkerung mit einer ergebnisoffenen Information und einer nicht emotionalen, sondern rationalen Diskussion erfolgt seit vielen Jahren und es besteht ein Angebot zur Information über die Hausärzte. Auf jeden Fall sollte das Thema Organspende bei der Erstellung einer Patientenverfügung berücksichtigt werden.“
Datenschutz
„Der Datenschutz hat einen hohen Stellenwert und bringt viele Hürden zu dessen Umsetzung mit sich. Im Fall des Organspenderegisters muss eine sichere Identifikationsmöglichkeit geschaffen werden. Dies führt aber auch wiederum zu Hürden, die eine höheren Aufwand bedingen als ein Organspendeausweis aus Papier oder Kunststoff.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Interessenkonflikte meinerseits liegen nicht vor. Ich bin Transplantationsbeauftragter der Medizinischen Hochschule Hannover und Vorsitzender des Netzwerks der Transplantationsbeauftragten Region NORD e.V., fühle mich dem Auftrag des Transplantationsgesetzes und den damit verbundenen Regelungen verbunden und stehe dem Thema der Organspende insgesamt und in jedem Einzelfall einer Organspendeberatung wertneutral und unvoreingenommen gegenüber.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Deutsche Stiftung Organtransplantation: Organspende und Transplantation in Deutschland Januar bis Dezember 2021 / 2022 / 2023 vorläufig.
[II] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Wissen, Einstellung und Verhalten zur Organ- und Gewebespende.
[III] Bundesgesetzblatt (2020): Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende.
[IV] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Organspende-Register.
[V] Bundesministerium des Innern und für Heimat: Die eID-Karte für Bürgerinnen und Bürger der EU und des EWR.
[VI] Bundesministerium für Gesundheit: Organ- und Gewebespenderegister startet schrittweise.
[VII] Scholz N (2020): Organ donation and transplantation. European Parliamentary Research Service.
[VIII] Dansk Center for Organdonation: Danskernes stillingtagen.
[IX] Jansen NE et al. (2022): Changing to an Opt Out System for Organ Donation – Reflections From England and Netherlands. Transplant International. DOI: 10.3389/ti.2022.10466.
[X] Bundesamt für Gesundheit (BAG) (07.12.2023): Das Volk sagt Ja zur Widerspruchslösung.
PD Dr. Franz Immer
Direktor, Swisstransplant, und Facharzt für Herzchirurgie, Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), Bern, Schweiz
Prof. Dr. Moritz Schmelzle
Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Dr. Frank Logemann
Transplantationsbeauftragter, Anästhesist und Oberarzt, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
PhD Nichon Jansen
Senior policy maker / researcher, Nederlandse Transplantatie Stichting, Leiden, Niederlande
Prof. Dr. Eva-Maria Merz
Professorin der Abteilung Soziologie, Vrije Universiteit Amsterdam, Niederlande
Prof. Dr. Felix Braun
Geschäftsführender Oberarzt und Transplantationsbeauftragter, Klinik für Allgemeine, Viszeral-, Thorax-, Transplantations- und Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein