Debatte um EU-Lieferkettengesetz
EU-Lieferkettengesetz könnte durch Enthaltung Deutschlands scheitern
Wirtschaftsverbände und FDP kritisieren Gesetz unter anderem als zu bürokratisch und streng
laut Forschenden basiert Kritik größtenteils auf falschem Verständnis der Auswirkungen und verkennt den Forschungsstand
Nachdem sich am 14. Dezember 2023 Parlament und EU-Staaten im Trilog auf ein EU-weites Lieferkettengesetz einigten, schien der weitere Gesetzgebungsprozess als Formsache. Forschende, die das SMC dazu befragte, bewerteten die Einigung mehrheitlich als wichtigen Durchbruch [I]. Mit dem Gesetz sollen Unternehmen verpflichtet werden, entlang ihrer Lieferketten grundlegende Menschenrechts- und Umweltstandards einzuhalten. Im Vergleich zum deutschen Gesetz wären Unternehmen ab einer geringeren Größe betroffen, die gesamte Lieferkette wäre abgedeckt, Regelungen würden auch für informelle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten und Unternehmen könnten bei Verstößen zivilrechtlich haften.
Professorin für Internationale Wirtschaftsethik und Nachhaltigkeit sowie Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, HSBA Hamburg School of Business Administration
Zu den Argumenten gegen das Gesetz
„Es ist nicht überraschend, dass die deutsche Wirtschaft und die FDP versuchen, sich gegen dieses Gesetz zu stellen. Aber es ist kurzsichtig, da der Schutz von Menschenrechten und nachhaltige Innovation in internationalen Wertschöpfungsketten wichtige Qualitätsstandards darstellen, die für führende Unternehmen längst zur zentralen Unternehmenspositionierung gehören. Manager/innen, die dies noch nicht erkannt haben, vertreten einen Kapitalismus, der sich im Aussterben befindet und gefährden damit die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens.“
Auf die Frage, ob sich Unternehmen wegen des Lieferkettengesetzes womöglich aus problematischen Ländern zurückziehen würden und sich die Situation der Menschen vor Ort dann nicht verbessere:
„Ich denke, dass die Unternehmen vor einem Rückzug aus einem Land zunächst erstmal den Druck auf die Zulieferer erhöhen würden, damit es nicht zu Haftungsfällen kommt. Und darin besteht ja auch die Hoffnung, dass hierdurch Wandel in den Zuliefererunternehmen ausgelöst wird. Zulieferer, die in einer bestimmten Qualität, Menge und Zuverlässigkeit liefern können, sind nicht einfach zu finden. Insofern haben die Unternehmen ein großes Interesse, die Beziehungen zu den Lieferanten zu halten, sofern dies möglich ist.“
Bedeutung der Gesetzesablehnung
„Eine Verhinderung des Europäischen Lieferkettengesetzes wäre eine politische Blamage. Dennoch ist ein potenzieller Bürokratie-Burnout keine falsche Diagnose. Insbesondere, wenn man den Gesamtumfang der aktuellen Europäischen Regulierung im Bereich Nachhaltigkeit betrachtet. Der Bürokratie-Burnout besteht nicht nur durch das EU-Lieferkettengesetz, sondern auch schon durch die Taxonomie, die NFRD (Non-Financial Reporting Directive), CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), ESRS (European Sustainability Reporting Standards), LKSG (deutsches Lieferkettenschutzgesetz) und weitere Regulierungen. Hierbei geht es häufig um sehr ähnliche Themengebiete und es betrifft dieselben Menschen und Abteilungen im Unternehmen. Es besteht somit ein hoher Bürokratieaufwand dadurch, dass die Unternehmen seit einigen Jahren eine Vielzahl neuer Compliance-Auflagen im Bereich Corporate Social Responsibility und Nachhaltigkeit erfüllen müssen, in einem Feld, das lange als freiwillig und flexibel galt. Vor diesem Hintergrund kommt es nun durch noch eine weitere Direktive in kurzer Zeit zum Burnout-Gefühl. Daher muss das Gesamtregulierungspaket Green Deal dringend besser integriert, harmonisiert und in der Anwendung vereinfacht werden.“
Professorin für Management und Nachhaltigkeit, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden
Vorteile des Gesetzes
„Die Vorteile einer EU-weiten Regelung sind folgende: Zum einen gelten in verschiedenen Ländern der europäischen Union bereits Versionen von Lieferkettengesetzen oder sind in der Diskussion: Deutschland, Frankreich, sowie Belgien, Dänemark und Österreich. Hier besteht die Chance einer Harmonisierung von Regelungen, was die Umsetzung für die Wirtschaft deutlich vereinfachen würde.“
„Ohne ein Gesetz wären insbesondere diejenigen Unternehmen, die sich für nachhaltige Lieferketten engagieren, weiterhin im Nachteil. Sie gehen Kosten ein, welche ihre Wettbewerber nicht haben und die sie nicht an ihre Kunden weitergeben können.“
„Eine Erleichterung wäre das Gesetz auch für Lieferanten. Heute müssen diese oft zahlreiche unterschiedliche Fragebögen ausfüllen und Angaben machen. Oft überschreiten die Anforderungen der Kunden ihre Kapazitäten. Einheitliche Anforderungen zumindest von Seiten ihrer europäischen Kunden würde ihre Arbeit erleichtern.“
„Letztendlich können Lieferanten die Anforderungen ihrer Kunden leichter erfüllen, wenn diese alle in dieselbe Richtung gehen. In der Forschung zu nachhaltigen Lieferketten gibt es zahlreiche Belege dafür, dass Lieferanten Anforderungen eher erfüllen, wenn die Nachfrage stärker ist [1] [2], was bei einer EU-einheitlichen Regelung der Fall wäre.“
„Die Debatte scheint den Chancen von nachhaltigen Lieferketten unzureichend Rechnung zu tragen. Die Wissenschaft konnte klar zahlreiche positive Effekte feststellen: Reputation, Resilienz und Effektivitätsgewinne. In der Pandemie waren Unternehmen mit nachhaltigen Lieferketten deutlich krisenresilienter [3]. Sie haben außerdem deutlich geringere Emissionen. In Zeiten, in denen Emissionen zunehmend bepreist werden, kann dies einen Kostenvorteil bringen [4]. Letztendlich können sie ihre Reputation besser schützen [5] [6].“
„Ein EU-Gesetz kann zum Anlass genommen werden, Kompetenzen und Know-how aufzubauen, welche in wenigen Jahren für erfolgreiches Lieferkettenmanagement unabdingbar sein werden.“
Zu den Argumenten gegen das Gesetz
„Hinzu kommt, dass globale Transparenz über Lieferketten durch die sich schnell entwickelnden Fähigkeiten künstlicher Intelligenz zunehmend ein Selbstläufer wird – ohne großes Dazutun von Seiten der Unternehmen [7] [8] [9]. Artificial Intelligence ist schon heute in der Lage, weltweit und in Echtzeit Menschenrechtsverstöße aufzuspüren, aber Unternehmen nutzen diese Instrumente kaum. Das wird zunehmend riskant und kann der Reputation von Unternehmen massiv schaden.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen
Zu den Argumenten gegen das Gesetz
„Die Kritik von BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) und FDP an dem EU-Gesetz beinhaltet drei Hauptvorwürfe: zu viel Bürokratie, kein Mehrwert für den Schutz der Menschenrechte und zu hohe Belastung der Unternehmen, insbesondere der KMU. Diese Argumente sind wissenschaftlich nicht fundiert und beruhen zum Teil auf falschen Annahmen über das geplante Gesetz.“
„Erstens, zur Bürokratie: Die Befürchtung einer überbordenden Bürokratie ist nicht belegt. Für Unternehmen, die ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bereits erfüllen, entsteht kein nennenswerter Mehraufwand. Ein einheitliches EU-Gesetz könnte langfristig sogar zusätzliche Bürokratie vermeiden, da die Alternative ein Nebeneinander unterschiedlicher nationaler Lieferkettengesetze wäre.“
„Zweitens, zum menschenrechtlichen Mehrwert: Das Argument, das Gesetz würde seinen Zweck verfehlen oder gar schaden, ist empirisch nicht haltbar. Da es bisher keine starken Lieferkettengesetze vergleichbar mit der geplanten EU-Regulierung gibt oder die Gesetze noch zu neu sind – wie in Deutschland –, lassen sich zwar über deren Wirkungen noch keine empirisch fundierten Aussagen machen. Jedoch zeigt die Forschung, dass ohne Lieferkettengesetze Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch private Unternehmens- und Marktlösungen nicht wirksam verhindert werden und es bei Missständen an effektiven Rechtswegen fehlt [10] [11]. Deshalb fordern Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, aber auch zahlreiche Unternehmen, seit langem eine stärkere gesetzliche Regulierung von Lieferketten.“
„Drittens, zur übermäßigen Belastung von KMU (Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen): Die pauschale Annahme, kleine und mittlere Unternehmen würden unverhältnismäßig belastet, ist falsch. Gerade das rechtliche Konzept der Sorgfaltspflicht ermöglicht eine flexible Anpassung an die Bedürfnisse und Kapazitäten des jeweiligen Unternehmens. Viele KMU lassen bereits heute ein hohes Maß an Sorgfalt walten. Zudem sind kleine und mittlere Unternehmen nur mittelbar von dem Gesetz betroffen. Ein bloßes ‚Abwälzen‘ der Sorgfaltspflichten von Großunternehmen auf kleinere Lieferanten kann durch entsprechende behördliche Regelungen vermieden werden.“
Bedeutung der Gesetzesablehnung
„Der vorliegende Gesetzesentwurf ist bereits ein über einen langen Zeitraum und in intensiven Debatten austarierter Kompromiss – viele Punkte werden seit Jahren diskutiert. Eine weitere Aufweichung zugunsten ausgewählter Unternehmensinteressen oder gar eine Ablehnung des Gesetzes würde voraussichtlich deutlich zu Lasten des Umwelt- und Menschenrechtsschutzes gehen und dem normativen Bekenntnis der EU zu mehr Nachhaltigkeit und Menschenrechtsschutz widersprechen.“
Professorin am Institut für internationale Wirtschaftspolitik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, und Programmleiterin am German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Bonn
Mögliche Anpassung des Gesetzes
„Eine gewisse Anpassung der Eckpunkte des EU-Lieferkettengesetzes könnte erfolgen, um ein Scheitern im EU-Rat zu verhindern, ohne gleichzeitig den Kern des Gesetzes auszuhöhlen. Zum Beispiel wäre dies möglich durch ein gewisses Entgegenkommen mit Blick auf Unternehmensgrößen oder Umsetzungsfristen. Gleichzeitig sollte das Gesetz nicht so stark aufgeweicht werden, dass die grundsätzliche Zielrichtung der Initiative insgesamt unterminiert würde.“
„Wenn das Gesetz kommt, dann sollte es kombiniert werden mit Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen, wie von der EU-Kommission angekündigt. Das ist wichtig. EU-Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen wäre auch ein hilfreiches Signal an die Kritiker:innen des Gesetzes, die argumentieren, dass zu viele kleine Unternehmen betroffen sind, die die gesetzlichen Anforderungen ohne Hilfe nicht gut stemmen können. Auch bei nachteiligen Effekten des Gesetzes in Niedrigeinkommensländern sollte EU-Unterstützung mitgedacht werden.“
Bedeutung der Gesetzesablehnung
„Menschenrechte und Umweltschutz würden leiden, wenn das EU-Lieferkettengesetz in Gänze im EU-Rat abgelehnt würde. Eine Einigung auf das EU-Lieferkettengesetz ist auch wichtig, um die Glaubwürdigkeit Deutschlands nicht stärker zu beschädigen. Diese leidet, wenn sich die deutsche Regierung immer wieder aufgrund von Unstimmigkeiten in der Ampel auf EU-Ebene auch bei solchen Gesetzesvorhaben enthalten muss, die sie selbst über Jahre mitgestaltet hat.“
Senior Researcher für Umweltrecht und Governance, Öko-Institut, Berlin
Zu den Argumenten gegen das Gesetz
„Die inhaltliche Kritik an der EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie geht in vieler Hinsicht an den Tatsachen vorbei. So trifft die pauschale Behauptung im FDP-Präsidiumsbeschluss, die Richtlinie würde ‚unverhältnismäßige bürokratische Hürden und Rechtsunsicherheit schaffen‘ nicht zu. Jedes Gesetz bringt einen gewissen Umsetzungsaufwand mit sich. Die Sorgfaltspflichtenrichtlinie ist aber schon von ihrem Grundansatz her darauf ausgerichtet, dass der geforderte Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu den konkreten Risiken und den tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen steht.“
„Gerade im Verhältnis zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist es irreführend, von einem erhöhten bürokratischen Aufwand zu sprechen. Die Richtlinie würde den Umsetzungsaufwand vieler Unternehmen zur Einhaltung ihrer Lieferkettensorgfaltspflichten stattdessen sogar dadurch erleichtern, dass sie keine zusätzlichen Berichtspflichten mehr vorsieht, sondern diese mit schon bestehenden Vorgaben verzahnt. Die Forderung im Präsidiumsbeschluss, die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen müssten ‚systematisch‘ in den Blick genommen werden, erfüllt die Richtlinie durch eine ganze Reihe von ausdrücklichen Regeln erheblich besser als das deutsche Gesetz. „
„Eine anspruchsvolle europäische Regelung würde Rechtssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auch nicht, wie im Präsidiumsbeschluss behauptet, gefährden, sondern verbessern: Aktuell besteht ein Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Regelungen in der EU. Unternehmen haben zunehmende aber kaum berechenbare Haftungsrisiken zu beklagen. Das würde sich durch die Sorgfaltspflichtenrichtlinie auch angesichts ihrer klaren Regelung zur zivilrechtlichen Haftung ändern. Diese würde ein europäisches ‚level playing field‘ schaffen und Wettbewerbsnachteile für Unternehmen mindern, die als branchenweite ‚Frontrunner‘ bereits besonders nachhaltig wirtschaften, oder in Staaten mit hohen Standards ansässig sind. Daher fordern viele Unternehmen seit langem eine einheitliche und anspruchsvolle europäische Regelung.“
„Schließlich ist zu beachten, dass die Richtlinie unmittelbar nur für große (ab 500 Mitarbeitenden) und umsatzstarke Unternehmen (ab 150 Millionen Euro weltweitem Nettoumsatz) gilt. Durch diesen doppelten Schwellenwert, den es so im LkSG nicht gibt – dieses adressiert seit diesem Jahr Unternehmen mit 1000 Mitarbeitenden – dürfte die Zahl der im Verhältnis zum deutschen Gesetz zusätzlich betroffenen Unternehmen weniger hoch ausfallen, als es auf den ersten Blick scheint.“
Bedeutung der Gesetzesablehnung
„Wer über die Verhältnismäßigkeit von rechtlichen Belastungen spricht, muss auch die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in globalen Wertschöpfungsketten berücksichtigen, die eine Lieferkettenregulierung mit solchen Regeln verhindern soll. Mit der Sorgfaltspflichtenrichtlinie bietet sich ein wohl auf absehbare Zeit einmaliges Gelegenheitsfenster, solche negativen Folgen der Globalisierung regulatorisch auf der Basis europäischer Werte einzuhegen.“
„Ein Scheitern der Richtlinie wäre auch ein Rückschritt für das Ziel der EU, die internationalen Standards zu Wirtschaft, Umwelt und Menschenrechten wesentlich mitzugestalten. Die entsprechenden Rahmenbedingungen für die globale Wirtschaft würden dann wohl stärker durch amerikanische oder asiatische Regelungen geprägt.“
Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Zu den Argumenten gegen das Gesetz
„Die Kritik der FDP und der Wirtschaftsverbände an der EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie wiederholt im Wesentlichen die Kritik, die vor drei Jahren auch beim Erlass des deutschen Lieferkettengesetzes (LkSG) geäußert wurde. Es ist äußerst bedenklich, wenn eine Regierung, deren Vertreter an den Trilogverhandlungen beteiligt waren und die einen Kompromiss mit ausgearbeitet hat, diesen Kompromiss im Rat nun faktisch zu Fall bringt. Der deutschen Wirtschaft würde enormer Schaden zugefügt: Während deutsche Unternehmen weiterhin dem LkSG unterworfen wären, müssten sich ihre Wettbewerber im EU-Ausland nicht an vergleichbare Standards halten. Das ist weder im Sinne der Unterstützung der deutschen Wirtschaft noch entspricht es dem Gedanken von fairem Wettbewerb. Es erstaunt mich sehr, dass das weder der FDP noch den Wirtschaftsverbänden aufgefallen ist.“
Bedeutung der Gesetzesablehnung
„Eine Ablehnung des Gesetzes wäre ein erheblicher Rückschlag für die Bemühungen um globalen Menschenrechts- und Umweltschutz. Aus vielen Gesprächen mit Kolleg*innen aus dem Globalen Süden weiß ich, dass die Gesetzgebungsprozesse in der EU und den Staaten des Globalen Nordens sehr genau beobachtet werden. Bei aller berechtigter Kritik an den Gesetzen würde eine Ablehnung des Gesetzes aus den Gründen, die die FDP und die Wirtschaftsverbände anführen, bei den Menschen im Globalen Süden den Eindruck verstärken, dass uns ihr Schicksal letztlich egal ist.“
Professorin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht, Justus-Liebig-Universität Gießen
Zu den Argumenten gegen das Gesetz
„Das Regelungskonzept der EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie setzt auf Unternehmensorganisationspflichten und bringt daher für die Unternehmen einigen bürokratischen Aufwand. Das ist dieser Art von Regelungskonzept wesensimmanent. Insoweit überrascht die grundsätzliche Kritik zu diesem Zeitpunkt (nach der Einigung im Trilog): Das Regelungskonzept der Richtlinie war schließlich von Beginn an von Unternehmensorganisationspflichten geprägt, und es ist aus dem deutschen Lieferkettengesetz LkSG bereits bekannt.“
Bedeutung der Gesetzesablehnung
„Sollte eine Verzögerung eintreten oder die Richtlinie wider Erwarten scheitern, bliebe es bei den Lieferkettengesetzen, die einige EU-Mitgliedstaaten bereits verabschiedet haben. In Deutschland geht es um das LkSG, in dessen Anwendungsbereich seit dem 01.01.2024 nun auch Unternehmen fallen, die in der Regel mindestens 1000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen. Menschenrechts- und Umweltschutz in den Lieferketten würden sich also wie bisher über nationales Recht vollziehen.“
„Die Annahme, dass Menschenrechte und Umwelt durch die Lieferketten-Richtlinie effektiv geschützt werden, ist aber ohnehin mit gewissen Fragezeichen versehen, gerade, was diejenigen Länder betrifft, in denen eine Verbesserung der Lebensbedingungen besonders nötig wäre (siehe für mehr Details Statement von Lena Rudkowski in der Aussendung des SMC vom Dezember 2023 [I]; Anm. d. Red.).“
Professor für Öffentliches Recht, Finanzverfassungs- und Gesundheitsrecht, Ruhr-Universität Bochum
Bedeutung der Gesetzesablehnung
„Sollte die Lieferkettenrichtlinie, auf die man sich Ende des vergangenen Jahres im EU-Trilog bereits in den Grundzügen geeinigt hatte, durch Intervenieren der Bunderegierung deutlich geschwächt werden oder gar scheitern, würde eine große Chance vertan, den Menschenrechtsschutz in der globalisierten Arbeitswelt zu verbessern. Die menschenrechtlichen Schutzpflichten gebieten es, gegen Kinder- und Zwangsarbeit, mangelhaften Arbeitsschutz und Hungerlöhne konsequent vorzugehen. Mit der Richtlinie, um die nun gestritten wird, würden die Mitglieder der Europäischen Union diese Schutzpflicht umsetzen. Damit würde auch ein klares Signal an andere Länder gesandt werden, dem Vorbild der Europäer zu folgen. Es wäre aus menschenrechtlicher Sicht verantwortungslos, wenn die Bundesregierung mit einer Neupositionierung im EU-Verhandlungsprozess diesen dringend benötigten Fortschritt aufhalten würde.“
„Interessenkonflikte liegen nicht vor.“
„Ich bin als Aufsichtsrätin für die BGZ (Gesellschaft für Zwischenlagerung) tätig. Die BGZ ist eine hundertprozentige Tochter des Bundes. Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass es hier einen Interessenkonflikt gibt, da meine Aufgabe die Überwachung der BGZ ist und ich diese Aufgabe nur als Nebentätigkeit wahrnehme.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Ich arbeite wissenschaftlich zum Thema und nehme keine anwaltlichen Mandatstätigkeiten, politischen Beratungsaufträge oder sonstigen Arbeiten für Interessenverbände wahr. Es bestehen also keine Interessenkonflikte.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Ich bin Mitglied unter anderem im Aufsichtsrat von Oxfam Deutschland e.V. und im Trägerverein des Deutschen Instituts für Menschenrechte.“
Weiterführende Recherchequellen
Manzanza Lumingu Y-J et al. (18.01.2024): Private Rechtsetzung und fragile Staatlichkeit. Verfassungsblog.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Cheng L et al. (2021): Leaving it on the table? An examination of unrealized bargaining power in multimarket buyer–supplier exchanges. Journal of Operations Management. DOI: 10.1002/joom.1121.
[2] Jiang S et al. (2023): The effect of customer and supplier concentrations on firm resilience during the COVID‐19 pandemic: Resource dependence and power balancing. Journal of Operations Management. DOI: 10.1002/joom.1236.
[3] Eggert J et al. (2023): Sustainable supply chain management – a key to resilience in the global pandemic. Supply Chain Management: An International Journal. DOI: 10.1108/SCM-10-2021-0463.
[4] Eggert J et al. (2021): Purchasing's contribution to supply chain emission reduction. Journal of Purchasing and Supply Management. DOI: 10.1016/j.pursup.2021.100685.
[5] Hartmann, J., et al. (2022): A consumer perspective on managing the consequences of chain liability. Journal of Supply Chain Management. DOI: 10.1111/jscm.12279.
[6] Hartmann J et al. (2014): Chain liability in multitier supply chains? Responsibility attributions for unsustainable supplier behavior. Journal of Operations Management. DOI: 10.1016/j.jom.2014.01.005.
[7] Boersma M et al. (2020): Can Blockchain Help Resolve Modern Slavery in Supply Chains? AIB Insights. DOI: 10.46697/001c.13542.
[8] Kougkoulos I et al. (2021): A Multi‐Method Approach to Prioritize Locations of Labor Exploitation for Ground‐Based Interventions. Production & Operations Management. DOI: 10.1111/poms.13496.
[9] Saberi S et al. (2019): Blockchain technology and its relationships to sustainable supply chain management. International Journal of Production Research. DOI: 10.1080/00207543.2018.1533261.
[10] Schilling-Vacaflor A et al. (2021): Hardening foreign corporate accountability through mandatory due diligence in the European Union? New trends and persisting challenges. Regulation & Governance. DOI: 10.1111/rego.12402.
[11] LeBaron G et al. (2021): The hidden costs of global supply chain solutions. Review of International Political Economy. DOI: 10.1080/09692290.2021.1956993.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2023): EU einigt sich auf Lieferkettengesetz. Rapid Reaction. Stand: 14.12.2023.
[II] Präsidium der FDP (15.01.2024): EU-Lieferkettenrichtlinie stoppen, Bürokratie-Burnout verhindern.
[III] Scheer O et al. (23.01.2024): Faire Produktion: EU-Lieferkettenrichtlinie scheitert wahrscheinlich am Widerstand der FDP. Handelsblatt.
Prof. Dr. Sarah Jastram
Professorin für Internationale Wirtschaftsethik und Nachhaltigkeit sowie Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, HSBA Hamburg School of Business Administration
Prof. Dr. Julia Hartmann
Professorin für Management und Nachhaltigkeit, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden
Dr. Christian Scheper
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. Clara Brandi
Professorin am Institut für internationale Wirtschaftspolitik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, und Programmleiterin am German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Bonn
Dr. Peter Gailhofer
Senior Researcher für Umweltrecht und Governance, Öko-Institut, Berlin
Prof. Dr. Markus Krajewski
Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Prof. Dr. Lena Rudkowski
Professorin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht, Justus-Liebig-Universität Gießen
Prof. Dr. Markus Kaltenborn
Professor für Öffentliches Recht, Finanzverfassungs- und Gesundheitsrecht, Ruhr-Universität Bochum