Immungedächtnis gegen SARS-CoV-2-Varianten immer robuster
Personen, die gegen SARS-CoV-2 geimpft wurden oder eine Infektion mit früheren Omikron-Subvarianten durchgemacht haben, weisen ein verstärktes Immungedächtnis gegenüber neueren Omikron-Varianten auf. Zu diesem Ergebnis kommen südkoreanische Forschende im Fachblatt „Science Immunology“ (siehe Primärquelle). Demnach sind schwere Krankheitsverläufe mit den bekannten und auch mit künftigen Omikron-Varianten bei gesunden Geimpften und Genesenen unwahrscheinlich. Die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 ist seit dem Jahr 2022 dominierend, derzeit verbreitet sich vor allem die Sublinie JN.1 [I].
Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
Schutz vor schwerer Erkrankung
„Die Studie zeigt: T-Zell-Antworten sind auch gegenüber neuen SARS-CoV-2 Varianten relativ robust. So haben selbst mit dem ursprünglichen Impfstoff Geimpfte bereits T-Zellen, die gegenüber Omikron-Varianten reagieren können. Das war aber auch bereits bekannt. T-Zellen sind gerade für den Schutz vor der schweren Erkrankung wichtig. Daher können neue Varianten zwar oft wieder eine Infektion verursachen, aber halt nicht so häufig eine schwere Erkrankung. Personen mit BA.2-Durchbruchsinfektion entwickeln CD8-T-Zell-Antworten, die speziell auf Epitope abzielen, die nur im BA.2-Spike zu finden sind. Das sind also neue Immunantworten, die nicht das Wuhan-Virus, sondern nur BA.2 erkennen. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Antigenerbsünde bei CD8-T-Zell-Antworten hier wohl keine Rolle spielt. Das ist neu und ist wohl auch der Grund, warum die Studie in ,Science Immunology‘ erscheint. Diese ,neuen‘ CD8-T-Zell-Antworten können auch aktuelle Varianten erkennen, da hier die Sequenzen im Spike auch enthalten sind.“
Antigenerbsünde
„Bei der Infektion mit einem Erreger (oder bei einer Impfung) werden die Immunzellen stimuliert, die spezifisch für diesen Erreger sind. Aus diesen bilden sich dann später Gedächtniszellen. Bei einer späteren Infektion mit einem leicht veränderten Erreger (oder bei einer Impfung) können zum einen die Gedächtniszellen aus der früheren Infektion reagieren, die auch auf den neuen Erreger passen, oder neue Immunzellen, die nur den neuen, nicht aber den alten Erreger erkennen. Hierbei ist es aber oft so, dass die Gedächtniszellen einen Vorteil gegenüber den ‚naiven‘ Immunzellen haben, da es mehr davon gibt und sie schneller reaktiviert werden können (das ist ja die Definition von Gedächtnis). Dadurch dominieren diese die Immunreaktion und ,neue‘, naive Immunzellen haben einen Nachteil. Daher ist es oft so, dass man nur schlecht Immunreaktionen gegen die neuen Epitope des veränderten Erregers erzeugen kann. Aber: Diese Tatsache wird oft als Nachteil beschrieben (und ,Sünde‘ klingt ja auch negativ), was aber gar nicht so ist. Denn bei der Infektion mit dem veränderten Erreger werden ja nur die Immunzellen stimuliert, die den alten und den neuen Erreger erkennen. Immunzellen, die nur den alten Erreger erkennen, werden nicht stimuliert und Immunzellen, die nur den neunen Erreger erkennen oft halt auch nicht. Das Resultat ist aber, dass unsere Immunität dadurch immer breiter wird, und das ist ja gut so.“
Künftiger Immunschutz
„Die Studie zeigt, dass auch in Bezug auf T-Zell-Antworten jede zusätzliche Infektion mit Varianten die Breite der Immunantwort gegenüber SARS-CoV-2 erhöht, sodass auch zukünftige Varianten immer besser abgedeckt sind. Bei den Antikörpern geschieht dies dadurch, dass besonders die B-Zellen durch Infektionen mit Varianten stimuliert werden, die Antikörper produzieren, die sowohl das Ursprungsvirus als auch die neue Variante erkennen. Hier gilt die Antigenerbsünde also. Aber auch hier bekommen wir Antikörperantworten, die immer besser darin sind, zukünftige Varianten abzudecken. Bei den T-Zellen bekommen wir aber zusätzlich ,neue‘ Immunantworten. Das ist der Unterschied zwischen Antikörper und (CD8-)T-Zell-Antworten. Das Resultat ist aber das gleiche: Unsere Immunität gegenüber dem Virus wird immer breiter. Damit verbessert sich auch unser Schutz gegenüber zukünftigen Varianten. Gleiches wird wahrscheinlich auch bei der Impfung mit Varianten-angepassten Impfstoffen geschehen, wobei diese hier nicht untersucht wurden.“
Wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ)
Schutz vor schwerer Erkrankung
„Die gute Nachricht ist, dass diese Studie bestätigt, was wir eigentlich aus epidemiologischer Sicht schon wissen, nämlich, dass die CD4- und CD8-T-Lymphozyten, die uns vor schweren Krankheitsverläufen schützen, alle bekannten Varianten von SARS-CoV-2 erkennen: das Original, B2, B4, B5 und weitere. Selbst wenn wir ,nur‘ mit dem Biontech-Impfstoff geimpft sind, der das Original repräsentiert, oder mit der Originalvariante infiziert waren. Das wird im ersten Satz der Diskussion schön zusammengefasst. Allerdings wieder mit der wirren Randbemerkung, dass das anders sei als bei (neutralisierenden) Antikörpern. Ich kann nur wiederholen: Neutralisierende Antikörper sind nur für die ,sterile‘ Immunität wichtig, den Schutz vor Infektion. Der Schutz vor schweren Verläufen (systemische Immunität) wird (auch) durch nicht-neutralisierende Antikörper gewährleistet, ebenso wie durch die spezifischen T-Lymphozyten, und übrigens auch die NK-Lymphozyten (natürliche Killerzellen; Anm. d. Red.).“
„Die Autoren zeigen, dass bei Personen, die geimpft waren und dann eine Durchbruchinfektion mit Omikron hatten, T-Lymphozyten verstärkt auftraten, die Peptide von Omikron (und B4/B5) erkannten, die in dem Original so nicht vorkommen. Schwachpunkt der Analyse ist, dass Ungeimpfte gar nicht untersucht wurden, wir aber wissen, dass viele Ungeimpfte schon Gedächtnis-T-Lymphozyten haben, die SARS-CoV-2-Spikes erkennen. Wahrscheinlich aus Infektionen mit anderen Coronaviren, das ist alles sehr unklar.“
Antigenerbsünde
„Um dann das Buzzwort ,Antigenerbsünde‘ einzubauen, stellen die Autoren auf die Zellen ab, die die ,neuen‘ Peptide erkennen. ,Antigenic sin‘ oder ,immune imprinting‘ (Prägung) heißt aber eigentlich, dass die Immunantwort gegen sehr ähnliche Antigene durch die Immunität gegen das ursprüngliche Antigen abgeschwächt wird, weil diese Immunität das sehr ähnliche Antigen bereits abfängt. Sie wird nicht unbedingt verhindert. Hier wird also ein eigentlich schwaches Paper verbal ,aufgemotzt‘, leider etwas typisch für diese Art von wissenschaftlichen Zeitschriften. Und sicherlich aus journalistischer Sicht etwas enttäuschend. Aber zumindest eine gute Nachricht: Wir sind umfassend geschützt, auch gegen alle Varianten.“
Medizinische Direktorin der Klinischen Kooperationseinheit Translationale Immunologie, Department für Innere Medizin, Universitätsklinikum Tübingen, und W3-Professorin für Peptid-basierte Immuntherapie, Eberhard-Karls-Universität-Tübingen
Schutz vor schwerer Erkrankung
„Die Studie fokussiert sich auf die Untersuchungen der zytotoxischen CD8-T-Zell-Antworten in geimpften Personen mit und ohne Durchbruchinfektion mit frühen Omikron-Varianten und zeigt, dass die hier neu indizierte T-Zell-Antwort eine Kreuzreaktivität zu später auftretenden Omikron-Varianten zeigt, was impliziert, dass diese T-Zell-Antworten einen gewissen Schutz bieten. Im Gesamtkonzept ist es wichtig zu erwähnen, dass die Immunität gegen Virusinfektionen einschließlich SARS-CoV-2 sowohl von Antikörpern als erste Abwehrlinie als auch von T-Zellen vermittelt wird. Insbesondere für SARS-CoV-2 wurde von zahlreihen Autoren gezeigt, dass die T-Zellen und hier nicht nur die CD8-T-Zellen, sondern insbesondere die CD4-T-Zellen von zentraler Bedeutung für die Überwindung der akuten Infektion als auch für die Langzeitimmunität und den Schutz vor Reinfektion beziehungsweise den Schutz vor erneuter schwer symptomatischer Erkrankung sind. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass sich die T-Zell-Antworten gegen SARS-CoV-2 nicht nur gegen das hier untersuchte Spike-Protein (das einem hohen Selektionsdruck unterliegt) richten, sondern gegen verschiedenste Virusproteine. Somit ist davon auszugehen, dass, basierend auf der breiten Durchseuchung der Bevölkerung ergänzt durch die Impfungen, eine breite T-Zell-Immunität vorherrscht, die vor schweren Krankheitsverläufen schützt.“
Künftiger Immunschutz
„Wie zuvor bereits beschrieben, liefert die Studie Erkenntnisse zu dem Teilaspekt, dass eine Omikron-Durchbruchinfektion die CD8-T-Zell-Antwort erweitert und einen weiteren Schutz für spätere Varianten bietet. Die Gesamtimmunität wird zusätzlich durch Antikörper und CD4-T-Zellen, sowie durch die T-Zell-Antworten gegen weitere Virusproteine vermittelt. Während gezeigt wurde, dass die Vakzin-induzierte T-Zell-Antwort nach Infektion und Impfung über die Zeit stabil bleibt, zeigt die Antikörperantwort einen rascheren Abfall. Hier spielen Auffrischimpfungen insbesondere für Risikogruppen eine entscheidende Rolle.“
Leiter der Abteilung Virale Immunologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig
„Die Studie ist interessant, aber untersucht lediglich die T-Zell-Immunantworten auf eine Durchbruchinfektion. Somit sind keine Daten nach einer Impfung mit dem bivalenten BA.1- oder BA.5-Impfstoff in der Studie vorhanden. Deswegen ist es nicht klar, ob die T-Zell-Antworten, die in der Studie nachgewiesen wurden, auch nach einer Impfung mit einem neuartigen Spike-Antigen im selben Ausmaß induziert werden können (oder schlechter oder vielleicht sogar besser). Nichtdestotrotz zeigt die Studie, dass die Immunität angepasst werden kann und dass auch die T-Zellen die neuen Epitope aus den neuartigen SARS-CoV-2-Varianten erkennen können (für B-Zellen war das längst bekannt). Somit rücken die Sorgen zur Antigenerbsünde noch mehr in den Hintergrund.“
Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie und Leiter des Ambulanzzentrums Virushepatologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Schutz vor schwerer Erkrankung
„In der aktuellen Studie hat man sich detailliert die Spike-spezifische T-Zellantwort nach Impfung und Omikron-BA.2-Durchbruch-Infektionen angeschaut, mit dem Ziel, zu verstehen, inwieweit einzelne T-Zellantworten gegen verschiedenen Virusvarianten (Wildtyp, BA.2, und die im letzten Jahr in Deutschland kursierende BA.4/5-Variante) kreuzreagieren. Im Zentrum stand die Frage, ob unser Immunsystem auch neue Varianten-spezifische Antworten bilden kann. Die Ergebnisse der Studie waren zu erwarten und sind insgesamt auch schon durch viele ähnliche Studien ähnlich gezeigt worden. Es war schon früh in der Pandemie klar, dass die T-Zellimmunantwort bei Immungesunden nach Impfung (nur gegen das Spike-Protein gerichtet) und nach Infektion (gegen das Spike und eines der anderen 25 Proteine gerichtet) breit angelegt ist und in den meisten Fällen gut gegen schwere Verläufe einer Reinfektion schützt. Ebenfalls gelten drei Antigenkontakte (durch Impfung oder Infektion) bei Immungesunden unter 60 Jahren im Allgemeinen als ausreichend, um eine gute Grundimmunisierung zu erreichen.“
Künftiger Immunschutz
„Grundsätzlich hat die Bevölkerung, besonders Immungesunde und jüngere Menschen, nach drei Jahren Pandemie durch Impfung und Infektionen eine breite Grundimmunität. Das Virus ist jetzt endemisch und wir werden mit SARS-CoV-2 langfristig leben müssen. Gerade für ältere Menschen und Patienten mit schweren Grunderkrankungen oder geschwächtem Immunsystem kann eine COVID-19-Infektion aber weiterhin gefährlich sein. Weiterhin wissen wir nach Mehrfachinfektionen noch zu wenig über das Risiko weiterer Folgeerscheinungen wie Long COVID. Auch ist nicht sicher klar, wie lange diese gute Grundimmunisierung auf Bevölkerungsbasis und für den Einzelnen anhält. Wahrscheinlich werden auch zukünftig weitere, jährliche Boosterimpfungen mit angepassten Impfstoffen sinnvoll sein, vor allem für bestimmte Bevölkerungsgruppen (ältere Mitmenschen, Immunsupprimierte, Patienten mit schweren Grunderkrankungen, Pflegepersonal).“
Antigenerbsünde
„Die Antigenerbsünde ist ein wichtiges immunologisches Konzept. Für die Antikörperantwort gibt es Studien, die darauf hinweisen, dass es gar nicht so einfach sein wird, eine auf neue Varianten angepasste Antikörperantwort mit neuen Impfstoffen zu induzieren. Im Bereich der T-Zellimmunität scheint das ursprüngliche ,Imprinting‘ mit einer bestimmten Variante nicht zu einem ,späteren Erstatten‘ der Antwort auf diese Variante zu führen. Dafür ist die gebildete T-Zellantwort zu breit angelegt und auch später werden neue Varianten-spezifische Antworten gebildet.“
Fazit
„Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind immunologisch auf Detailebene gerade zunächst für Spezialisten interessant und bestätigen die Ergebnisse einer ganzen Reihe von vergleichbaren Studien: Erstens, dass sowohl die COVID-19-Impfung als aber auch eine (Durchbruch-)Infektion eine breite T-Zellgedächtnisantwort ausbilden, die auch bei weiteren Varianten in der Breite wirksam bleibt und vor schweren Verläufen (nicht aber vor der Infektion an sich) schützen kann. Und zweitens, dass bei einem Kontakt mit Varianten-Impfstoffen oder neuen Virusvarianten das Immunsystem weiter neue an die jeweilige neue Variante angepasste Immunantworten bilden kann.“
„Vortragshonorare: Hexal, Biotest, Moderna, Merck, Amgen, BioNTech, DGUV, Pfizer. Beratung: Moderna, BioNTech, Novavax.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Kim SH et al. (2024): Omicron BA.2 breakthrough infection elicits CD8+ T cell responses recognizing the spike of later Omicron subvariants. Science Immunology. DOI: 10.1126/sciimmunol.adg8691.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Robert-Koch-Institut (10.01.2024): SARS-CoV-2-Varianten in Deutschland. Surveillance-Dashboard.
Prof. Dr. Carsten Watzl
Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
Prof. Dr. Andreas Radbruch
Wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ)
Prof. Dr. Juliane Walz
Medizinische Direktorin der Klinischen Kooperationseinheit Translationale Immunologie, Department für Innere Medizin, Universitätsklinikum Tübingen, und W3-Professorin für Peptid-basierte Immuntherapie, Eberhard-Karls-Universität-Tübingen
Prof. Dr. Luka Cicin-Sain
Leiter der Abteilung Virale Immunologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig
Prof. Dr. Julian Schulze zur Wiesch
Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie und Leiter des Ambulanzzentrums Virushepatologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)