Evaluation der Sterbehilfe im nahen Ausland
Bundestag entscheidet über Reform der Sterbehilfe
zwei Gesetzentwürfe zur Abstimmung: Arzneimittelverschreibung für Selbsttötung; Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung mit Ausnahme für Volljährige
Forschende geben Einblick in Evaluation der Sterbehilfe im nahen Ausland
Voraussichtlich am 06.07.2023 entscheidet der Bundestag über die Reform der Sterbehilfe in Deutschland. Zwei Gesetzentwürfe liegen zur Abstimmung vor [I] [II]. Während eine Parlamentariergruppe um Renate Künast (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) sich dafür einsetzt, dass Ärztinnen und Ärzte Volljährigen Arzneimittel zur Selbsttötung verschreiben dürfen, die ihr Leben „aus autonom gebildetem, freiem Willen“ beenden möchten, dringt eine Gruppe um Lars Castellucci (SPD) darauf, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe zu stellen. Dabei soll es aber eine Ausnahme für Volljährige geben: Um deren freie Entscheidung zum Suizid ohne Druck festzustellen, sollen zwei Untersuchungen durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und eine umfassende Beratung vorgegeben werden.
Titularprofessor, Lehr- und Forschungsrat am Departement Moraltheologie und Ethik, Universität Freiburg, Schweiz
„Die Anzahl der Suizidhilfefälle in der Schweiz nimmt seit einigen (etwa sieben) Jahren stark zu, darin vergleichbar mit den Entwicklungen in Belgien und den Niederlanden (betreffend ärztlich assistiertes Sterben allgemein), hingegen nicht vergleichbar mit Oregon, wo die Zahlen sehr viel niedriger sind und seit Jahren auch konstant bleiben. Ich gehe mit Blick auf die Entwicklungen in Belgien und den Niederlanden davon aus, dass die Anzahl der Fälle in der Schweiz weiterhin stark zunehmen wird, gegenwärtig sind wir bei circa 1300 jährlich (ohne die Sterbefälle von sterbewilligen Personen, die aus dem Ausland anreisen).“
„Die größte Hürde einer gesetzlichen Regelung, die in der Schweiz trotz intensiver Bemühungen bis heute nicht zustande gekommen ist, besteht darin, einerseits eine effiziente Kontrolle zu ermöglichen, gleichzeitig aber einen ärztlichen Paternalismus (Bevormundung) zu vermeiden. Ich nenne es gern das hölzerne Eisen: Man möchte die Ärzteschaft einbinden, gleichzeitig aber nicht, dass ein Arzt oder eine Ärztin das Recht oder die Macht hat, eine Suizidhilfe zu verweigern, also Bedingungen zu setzen. Das geschieht aber in Belgien und den Niederlanden täglich, da dort die ärztliche Person darüber entscheidet, ob ein Leiden unerträglich ist oder nicht.“
„Die Schweiz hat dieses Problem so ,gelöst‘, dass sie bislang bei einer minimalen rechtlichen Regelung (ein einziger Artikel im StGB, nämlich Art. 115, im Jahr 1943 in Kraft getreten und seither unverändert) geblieben ist, gleichzeitig aber ein Netz von Sterbehilfe-Organisationen entstanden ist, die sich um die Durchführung der Suizidhilfe kümmern (es gibt momentan sieben). Eine ärztliche Person braucht es nur, um ein Rezept auszustellen, alles andere übernehmen die Organisationen, die teilweise über eine gute Reputation in der Bevölkerung verfügen. Diese Situation ist historisch so gewachsen und kann meiner Einschätzung nach nicht ,politisch hergestellt‘ werden. Die heute mit Abstand größte Sterbehilfeorganisation, Exit Deutsche Schweiz (mit einer Mitgliederzahl von über 130.000), wurde übrigens von einem Pfarrer gegründet, Rudolf Sigg.“
„Meines Erachtens wird in der Diskussion in Deutschland viel zu wenig (nämlich überhaupt nicht) über die helfende Person und ihre Motive gesprochen. Meines Erachtens ist das ethisch gesehen aber der entscheidende Punkt, jedenfalls dann, wenn man die Suizidhilfe grundsätzlich ethisch akzeptiert. Handelt die Person aus Mitleid, Fürsorge, um Geld zu verdienen, aus anderen Gründen? Kommt die Person, so wie das niederländische Sterbehilfegesetz es erfordert, gemeinsam mit der sterbewilligen Person zu der Überzeugung, dass kein anderer Weg als ein Suizid zumutbar wäre? Wenn ja, und ich fände das ethisch angemessen, dann kann eine Suizidhilfe weder am Fließband (zehnmal im Monat durch eine Person) noch nach einer Stunde Gespräch geleistet werden. Wird sie hingegen zu einer ärztlichen Dienstleistung wie in den Niederlanden oder Kanada, wird es prekär für den Arztberuf.“
„Es finden in der Schweiz zwar viele Diskussionen statt, diese sind jedoch nicht kontrovers, sondern interessiert, kritisch und liberal. Das heißt, es gibt eine sehr große Mehrheit (90 Prozent) im Land, die die Möglichkeit der Suizidhilfe bejaht und diese nicht abschaffen will. Gleichzeitig gibt es zwei Minderheiten (je etwa fünf Prozent), wobei die eine die Suizidhilfe abschaffen möchte und die andere der Meinung ist, dass die Möglichkeiten/die tatsächliche Praxis zu kurz greifen. Hier wird beispielsweise der Alterssuizid gefordert, das heißt, dass sterbewillige Menschen, die eine Suizidhilfe möchten und ein gewisses Alter erreicht haben, ihren Wunsch nicht begründen müssen. Die in diesem Bereich grundsätzlich liberal ausgerichtete Bevölkerung steht dem Projekt einer Gesetzgebung eher misstrauisch gegenüber, da eine solche wahrscheinlich mit Einschränkungen gegenüber der heute bestehenden Praxis verbunden wäre.“
„In der Schweiz wird momentan in allen Kantonen eine Regelung für die Suizidhilfe von Menschen in Haft etabliert. Umstritten diskutiert wird daneben ein angemessener Umgang mit der Suizidhilfe bei psychisch kranken, sterbewilligen Menschen. Die Etablierung neuer Ethik-Richtlinien von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat 2018 erstmals dazu geführt, dass die Ärztevereinigung (FMH) die Aufnahme der Richtlinien in das Standesrecht zunächst abgelehnt hat. Inzwischen hat 2023 eine Einigung stattgefunden, die auf einer leicht veränderten Fassung der Richtlinien beruht. Umstritten war dabei die Frage, ob eine sterbewillige Person sich am Lebensende befinden muss oder nicht. Die FMH war der Meinung, dass dies eingehalten werden müsse, da das Kriterium ,unerträgliches Leiden‘ nicht überprüfbar sei. Die SAMW war hingegen der Meinung (und dabei ist es auch nach der Einigung der beiden Organisationen geblieben), dass das Lebensende-Kriterium in den Richtlinien nicht haltbar sei.“
„Zum letztgenannten Streit ist vielleicht zu ergänzen, dass das Schweizerische Bundesgericht – die höchste richterliche Instanz im Land – bereits 2006 in einem Urteil festgehalten hat, dass auch physisch kranke, sterbewillige Personen Suizidhilfe in Anspruch nehmen dürfen. In der Praxis betrifft dies eine große Zahl, ohne dass genaue Angaben dazu vorliegen. Aus kleineren Studien kann geschlossen werden, dass mindestens ein Drittel aller Suizidhilfe-Fälle in der Schweiz außerhalb der eigentlichen Sterbephase geschehen. Die SAMW wollte mit ihren Richtlinien diese Praxis mitregeln; hätte sich die FMH durchgesetzt, würden ein großer Teil der de facto stattfindenden Suizidhilfe-Fälle von den Richtlinien nicht erfasst und blieben ohne Richtlinien.“
„Ergänzen möchte ich schließlich eine Thematik, die mir sehr am Herzen liegt, aber weder in der Schweiz noch in Deutschland wirklich durchdringt: Die Personen, die einen Suizid begehen, und diejenigen, die eine Suizidhilfe in Anspruch nehmen, sind nicht identisch, im Gegenteil: Sie unterscheiden sich epidemiologisch klar voneinander. Personen, die einen Suizid begehen, sind größtenteils Männer, durchschnittlich 40 Jahre alt, die Suizidrate nimmt in der Schweiz seit 40 Jahren kontinuierlich, aber nur leicht, ab. Personen, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen, sind mehrheitlich (60 Prozent) Frauen, die durchschnittlich 75 Jahre alt sind; die Anzahl der Fälle nimmt seit einigen Jahren massiv zu. Das matcht nicht miteinander. Das alte und immer wieder vorgetragene Argument, wenn es keine Suizidhilfe gäbe, sprängen die Leute vor den Zug, ist nachweislich falsch. Es handelt sich in beiden Fällen schlicht um eine vollständig andere Gruppe von Menschen. Darum teile ich auch nicht die Idee des Deutschen Ethikrats, bei einer Etablierung der Suizidhilfe sei die Suizidprävention zu verstärken. Natürlich ist es aus meiner Sicht gut, die Suizidprävention zu stärken, diese wird aber keinen Einfluss nehmen auf die Entwicklung der Suizidhilfe-Inzidenz.“
Professor für Strafrecht, Erasmus-Universität Rotterdam, Niederlande
„Die Debatte im Deutschen Bundestag über eine gesetzliche Regelung des assistierten Suizids hat wenig bis nichts mit der aktuellen Rechtslage in den Niederlanden zu tun. In den Niederlanden ist der assistierte Suizid seit 1886 strafbar. Allerdings gibt es eine gesetzliche Regelung, das Gesetz über die Beendigung des Lebens auf Verlangen und die Beihilfe zum Suizid (Überprüfungsverfahren). Danach darf nur ein Arzt eine Lebensbeendigung auf Verlangen oder (unter gleichen Voraussetzungen) einen assistierten Suizid durchführen, wenn bestimmte Sorgfaltskriterien erfüllt sind. Das wichtigste Kriterium ist, dass der Arzt überzeugt sein muss, dass das Leiden des Patienten unerträglich ist und keine Aussicht auf Besserung besteht. Das Leiden muss durch den medizinischen Zustand des Patienten verursacht sein. Es gibt keine gesetzliche Regelung, die sich auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten oder eines Bürgers stützt. Vor Kurzem wurde die vierte Evaluierung der niederländischen Regelung veröffentlicht. Der Bericht enthält eine Zusammenfassung, die auf Seite 23 bis 30 ins Englische übersetzt ist [1].“
„Der Geltungsbereich der niederländischen Verordnung unterscheidet sich völlig vom Inhalt der Gesetzentwürfe, die derzeit im Deutschen Bundestag diskutiert werden. Diese Gesetzentwürfe befassen sich ausschließlich mit der Beihilfe zum Suizid und nicht mit der Lebensbeendigung auf Verlangen. Anders als in den Niederlanden ist der assistierte Suizid in Deutschland grundsätzlich nicht strafbar. Mehr noch: In den aktuellen deutschen Gesetzesentwürfen gibt es eine Regelung, die auf dem anerkannten Selbstbestimmungsrecht eines jeden Bürgers beruht. Damit wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Selbstbestimmungsrecht als Verfassungsrecht in diesem Bereich umgesetzt. Die Grundlage für den assistierten Suizid ist also eine völlig andere als die niederländische Regelung. Die niederländische Regelung ist medizinisch begründet; für die deutsche Regelung, die auf dem Selbstbestimmungsrecht beruht, ist der sachliche Grund oder das Motiv für das Ersuchen um Hilfe bei der Selbsttötung unerheblich.“
„Neben der aktuellen Rechtslage wird in den Niederlanden die Frage diskutiert, ob es nicht eine Regelung für legitimierte Sterbehilfe (nicht Euthanasie) geben sollte, die sich mehr oder weniger ausschließlich auf ein (anzuerkennendes) Selbstbestimmungsrecht jedes Bürgers stützt. Ein Konsens hierüber oder eine gesetzliche Regelung, wie sie derzeit im Deutschen Bundestag diskutiert wird, ist jedoch in einem derzeit absehbaren Zeitrahmen nicht zu erwarten.“
„Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwingt nicht dazu, die Strafbarkeit des assistierten Suizids nach niederländischem Recht weiter einzuschränken als die derzeitige Regelung im Strafgesetzbuch und im Gesetz über die Beendigung des Lebens auf Verlangen und den assistierten Suizid (Überprüfungsverfahren). In der Rechtsprechung des Gerichtshofs gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Recht auf Beihilfe zum Suizid besteht. Die Regelung unterliegt dem Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten [2].“
Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit:
Dr. Liselotte Postma
Assistant Professor für Strafrecht, Erasmus-Universität Rotterdam, Niederlande
Professur für Rechtsmedizin mit Schwerpunkten Häusliche Gewalt, Kindertodesfälle, Suizidologie, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
„Die ständig steigenden Fallzahlen beim assistierten Suizid (AS) in der Schweiz (Vervierfachung seit den Aufzeichnungen durch das Bundesamt für Statistik 2010) können ganz sicher mit dem ständig weiter ausgebauten Angebot der bekannten Suizidbeihilfevereine und der offenbar steigenden Nachfrage erklärt werden. Aber, was genau die Menschen umtreibt, sich um das selbstorganisierte Sterben zu kümmern, ist sehr vielschichtig. In jedem Fall gibt es in der Schweiz eine lange Tradition, sich im Leben für so ziemlich alles zu versichern (überversicherte Gesellschaft). Die Bevölkerung gibt sehr viel Geld für Versicherungen aus, was als vermeintliche Kontrolle über das Leben interpretiert werden könnte. Was den Tod angeht, gibt es mindestens seit Anfang der 80er-Jahre trotz der biologisch angelegten Tatsache, dass es grundsätzlich gar keine Absicherung im Leben und Sterben gibt, die ,Tradition‘, mit Eintreten der Volljährigkeit Mitglied in einem Suizidbeihilfeverein zu werden. Eine von uns ausgewertete Motivationsanalyse hatte ergeben, dass es vor allem darum geht, Kontrolle über das wann, wo und wie des Sterbens zu gewinnen, um unter keinen Umständen als Pflegefall ,dahinzuvegetieren‘ und anderen Menschen zur Last fallen zu müssen [3].“
„Eine gesetzliche Regelung sollte unbedingt beim möglichen Missbrauch (fahrlässige oder vorsätzliche Tötung) ansetzen, also ausschließlich im Strafrecht verankert werden. Was aber trotzdem vermieden werden muss, allerdings durch kein Gesetz der Welt verhindert werden kann, ist die politisch aufgegleiste, schleichend einsetzende, systematische, gewerbsmäßige Sterbehilfe, die trotz juristischer Einschränkungen allein durch das werbende Angebot ausgelöst werden und in einen Automatismus abgleiten kann. Das könnte nach sich ziehen, dass Menschen ihr Leben unter bestimmten Umständen zunehmend als ,sinnlos und belastend‘ empfinden und sich Hilfe zum aus dem Leben treten suchen, um niemandem zur Last zu fallen oder unnötige Kosten zu verursachen. Angebote werden ja reichlich gemacht, vor allem durch die genannten Suizidbeihilfevereine, derer es in Deutschland offiziell bereits auch drei gibt. Diesen Vereinen, von denen zwei ihren Hauptsitz nicht zufällig in der Schweiz (Kanton Zürich) haben, wurde 2015 vom Strafrecht mit Paragraf 217 klar signalisiert, dass sie in Deutschland nicht so leichtes Spiel haben werden wie in der Schweiz, wo mindestens einer sogar schon die Geschäftsidee des sogenannten Suizidtourismus für sich entdeckt hat und ausgiebig nutzt. Dennoch bieten diese Vereine seit der Niederlassung von Dignitas in Hannover 2005 und mit der Gründung des Vereins Suizidhilfe Deutschland e.V. 2012 trotz wechselnder rechtlicher Umstände auch in Deutschland durchgehend Hilfe beim Suizid an.“
„In der Schweiz geht es in der Diskussion weniger um eine Meinungsbildung als vielmehr um die Wahrung einer gewissen Lebensphilosophie. Meiner Einschätzung nach handelt es sich nicht unbedingt um eine Meinungsfrage, die im Zusammenhang mit assistiertem Suizid geäußert wird. Vielmehr kommt hier eine Lebensgrundhaltung zur Geltung, die der Selbstbestimmung und dem freien Willen – gleichbedeutend mit Kontrolle – verbunden ist. Hier zahlt ein Mensch gern, wenn damit eine gewisse Absicherung verbunden ist.“
„Wichtige Fragen zur Evaluation der Sterbehilfe in der Schweiz haben wir mit unserem Forschungsprojekt im Nationalen Forschungsprogramm NFP67 bereits beantwortet, jedoch sind bisher – letzte Publikation dazu Bartsch et al. 2019 im ,Deutschen Ärzteblatt‘ [4] – keine unserer empfohlenen Schritte in der Schweiz umgesetzt worden, soweit ich informiert bin. Die Lobby der Suizidbeihilfevereine ist riesengroß und wird durch die ständig steigenden Mitgliederzahlen bekräftigt (aktuell sind es etwa 700.000, entsprechend etwa zehn Prozent der über 18-Jährigen). Die Vereine sind es, die in der Schweiz eine Gesetzesinitiative nach der anderen einbringen, um ihr Geschäft möglichst überallhin (in sämtliche Institutionen wie Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser und Hospize) ausweiten zu können. Bisher haben sich nur zwei von 16 Kantonen für das Wirken dieser Vereine auch in solchen Institutionen entschieden. Der ,Kampf‘ geht aber weiter, und auch im Kanton Zürich wird nicht aufgegeben. Wenn diesen Vereinen erstmal Tür und Tor geöffnet wurden, gibt es aus unserer Forschungsperspektive tatsächlich kein Halten und vor allem keine Kontrolle mehr. Ein Monitoringsystem wurde von uns empfohlen, das im Stadium der Sterbevorbereitung ansetzt, denn ist ein Mensch erstmal tot, kommt jede Hilfe zu spät. Diese, in der Schweiz von uns angemahnte postmortale Investigation darf bei uns erst gar nicht zum Einsatz kommen. Wir sollten uns aktuell am stärksten darum kümmern, wer die Hilfe beim Sterben geben darf (eine frei und unabhängig agierende Person), wie diese aussehen soll (Zurverfügungstellung eines letalen Agens) und was sie kosten darf beziehungsweise wer für diese Kosten aufkommt. Wer ist es denn, der oder die solch eine Hilfe anbieten kann und möchte? Sind es medizinische Berufsgruppen wie behandelnde Ärzt*innen und Pflegefachpersonen, oder sind es völlig unbekannte Vereinsakteur*innen, die sich diese geschäftsmäßige Tätigkeit mit fünfstelligen Beträgen entlohnen lassen? Und wie soll stattdessen Ärzt*innen oder Pflegenden eine gewisse Aufwandsentschädigung garantiert werden? Sollte Suizidbeihilfe eine Krankenkassenleistung werden oder eine finanzielle Privatangelegenheit bleiben? Das sind ganz sicher die wichtigsten Fragen neben der Tatsache, dass auch in unserer Gesellschaft der Suizid schon immer straffrei war und bleiben wird und die Hilfe beim Ableben ebenfalls, wenn die sich selbsttötende Person die entscheidenden Schritte (Aufnahme eines letalen Agens) allein und selbständig erledigt.“
„Ich habe selbst bei der Erarbeitung der SAMW-Richtlinien mitgewirkt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Van der Heide A et al. (2023): Vierde evaluatie Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding. ZonMw.
[2] European Court of Human Rights (12.07.2022): Case of Lings v. Denmark. Judgement.
[3] Bartsch C et al. (2012): Beweggründe für eine EXIT-Mitgliedschaft: Eine Motivationsanalyse anhand von zehn Porträts. Swiss Medical Forum. DOI: 10.5167/uzh-75951.
[4] Bartsch C et al. (2019):An analysis of death records from Swiss institutes of forensic medicine.Deutsches Ärzteblatt. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0545.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
Prof. Dr. Markus Zimmermann
Titularprofessor, Lehr- und Forschungsrat am Departement Moraltheologie und Ethik, Universität Freiburg, Schweiz
Prof. Paul Mevis
Professor für Strafrecht, Erasmus-Universität Rotterdam, Niederlande
Prof. Dr. Christine Bartsch
Professur für Rechtsmedizin mit Schwerpunkten Häusliche Gewalt, Kindertodesfälle, Suizidologie, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin