Semaglutid & Co. – Diabetesspritzen zum Abnehmen?
Über die Hälfte der Erwachsenen, sowie etwa 15 Prozent der unter 18-Jährigen gelten in Deutschland als übergewichtig [I] [II]. Es ist also nicht überraschend, dass die Aussicht auf Medikamente, die beim Abnehmen unterstützen, Menschen hoffnungsvoll aufhorchen lässt. Semaglutid heißt einer der Wirkstoffe, der in Form des Diabetesmedikaments Ozempic seit Monaten über soziale Medien intensiv beworben wird. Tausende Menschen, darunter Prominente wie Twitter-Chef Elon Musk berichteten von angeblichen Abnehmerfolgen mit einer wöchentlichen subkutanen Spritze (2,4 Milligramm Wirkstoff des Glucagon-like peptide-1 Rezeptor Agonisten, GLP-1), die das Hungergefühl zeitweise unterdrücken soll. Aktuell ist Semaglutid von der Europäischen Arzneimittelagentur Ema unter dem Handelsnamen Wegovy zwar bereits zur Behandlung von Adipositas (BMI über 30 oder ab einem BMI größer 27, wenn gewichtsbedingte Gesundheitsprobleme vorliegen) zugelassen – aufgrund von Lieferengpässen ist die Markteinführung jedoch bisher nicht erfolgt. Entsprechend steht auch die Entscheidung aus, ob und wenn ja für welche Patientengruppen die Krankenkassen eine solche Adipositas-Therapie erstatten würden.
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Das SMC hat die Expertin und die Experten am Ende des Press Briefings gefragt, wo Sie die Zukunft der Abnehmspritzen sehen und ob es sich dabei wirklich um einen Gamechanger in der Adipositas-Therapie handelt.
Professorin für Verhaltensmedizin und psychologische Leiterin der Adipositasambulanz, Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen, Universitätsklinikum Leipzig
„Das ist ganz klar ein Gamechanger in der Adipositas-Therapie. Wenn wir die Therapie tatsächlich für die Adipositas abrechenbar machen können, wird es uns, denke ich, im Gesundheitswesen sehr viel weiterhelfen. Die Menschen werden gesünder und schlanker werden.“
„Gleichzeitig wird es Personen geben, die das Medikament nicht einnehmen können oder wollen oder es auch nicht bekommen können. Vielleicht können sie es sich auch nicht leisten, wenn es von den Krankenkassen nicht getragen wird. Und ich denke, diese Personen geraten unter einen erhöhten gesellschaftlichen Druck, sie werden also wahrscheinlich mehr Stigmatisierung empfinden. Auch die Selbststigmatisierung bleibt.“
„Man sollte klar darstellen, dass dieses Medikament eine wirkliche Medizin und aktuell kein Lifestyle Medikament ist. Es muss bei bestimmten Indikationen ärztlich verordnet und auch überwacht werden.“
Ärztlicher Leiter des Adipositas-Centrums und Facharzt für Diabetologie und Endokrinologe, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), und Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft
„Gamechanger ist ein Schlagwort, das hier absolut zutrifft. Wir hatten noch nie Medikamente, die auch nur in der Nähe einer Effektivität waren, wie wir es jetzt erleben. Dazu sind sie auch noch sicher, mit guten Endpunktstudien, die uns vorliegen. Insofern wird das eine zunehmende Rolle spielen, auch zu Recht. Aber wir behandeln – und das ist immer wichtig – aus medizinischer Indikation. Das heißt wir behandeln, damit Patienten gesünder werden oder gesund bleiben. Wir behandeln nicht aus kosmetischer Indikation. Und daher wird es auch immer so bleiben, dass eine ärztliche Indikationsstellung gestellt werden muss und man die Medikamente nicht anders bekommen kann.“
Kommissarischer Direktor und Leiter der Abteilung für Molekulare Pharmakologie, Institut für Diabetes und Adipositas, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
„Es ist tatsächlich ein wirklicher Gamechanger. Wir sind jetzt erstmalig in der Lage, das Körpergewicht deutlich über zehn Prozent mit einem tolerablen Sicherheitsprofil zu induzieren. Die Pipelines der pharmazeutischen Unternehmen stehen nicht still und es wird immer noch eine weitere Verbesserung geben. Man arbeitet intensiv an der an der Entwicklung neuer Ko-Agonisten und Tri-Agonisten. Und auch da wird sich in der Zukunft viel tun. Wir werden nicht nur stärkere Adipositas-Medikamente entwickeln. Wir werden auch die Entwicklung von Medikamenten sehen, die speziell personalisiert für bestimmte Begleiterkrankungen eingesetzt werden können, wie zum Beispiel Fettleber. Auch Arteriosklerose ist eine Komplikation, die man mit spezifischen Medikamenten gut behandeln kann. Also wir werden hier in der Zukunft eine Menge Neues, Spannendes erleben.“
„Professor Hilbert erhielt zur Durchführung von Studien Zuschüsse vom Bundesministerium für Bildung und Forschung; Zuschüsse vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Roland Ernst Stiftung für das Gesundheitswesen; Tantiemen für Bücher über die Behandlung von Essstörungen und Adipositas mit Hogrefe und Kohlhammer; Honorare für Workshops und Vorträge zu Essstörungen und Adipositas und deren Behandlung; Honorare als Herausgeberin des International Journal of Eating Disorders und der Zeitschrift Psychotherapeut; Honorare als Gutachterin vom Mercator Research Center Ruhr, Oxford University Press und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung; Honorare als Beraterin für WeightWatchers, Zweites Deutsches Fernsehen und Takeda.“
„Ich bin an der klinischen Arzneimittelforschung beteiligt und habe Honorare für Vorträge und Advisory Boards von Astra Zeneca, Boehringer Ingelheim, Novo Nordisk und Lilly erhalten.“
Hinweis: Prof. Dr. Jens Aberle hat diesen Interessenkonflikt am 29.09.2023 nachgereicht.
„Ich habe eine wissenschaftliche Kooperation mit Novo Nordisk, welche auch finanziell seitens Novo unterstützt wird.“
Weiterführende Recherchequellen
Wilding JPH (2021): Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2032183.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Schienkiewitz A et al. (2022): Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland -Ergebnisse der Studie GEDA 2019/2020-EHIS. Journal of Health Monitoring. DOI: 10.25646/10292.
[II] Schienkiewitz A et al. (2022): Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health Monitoring. DOI 10.17886/RKI-GBE-2018-005.2.
[III] Weghuber D et al. (2022): Once-Weekly Semaglutide in Adolescents with Obesity. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2208601.
[IV] Novo Nordisk (24.12.2022): FDA approves once-weekly Wegovy® injection for the treatment of obesity in teens aged 12 years and older. Pressemitteilung.
[V] Jastreboff AM et al. (2022): Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2206038.
[VI] Eli Lilly and Company (06.10.2022): Lilly receives U.S. FDA Fast Track designation for tirzepatide for the treatment of adults with obesity, or overweight with weight-related comorbidities. Pressemitteilung.
Prof. Dr. Anja Hilbert
Professorin für Verhaltensmedizin und psychologische Leiterin der Adipositasambulanz, Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen, Universitätsklinikum Leipzig
Prof. Dr. Jens Aberle
Ärztlicher Leiter des Adipositas-Centrums und Facharzt für Diabetologie und Endokrinologe, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), und Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft
PD Dr. Timo Müller
Kommissarischer Direktor und Leiter der Abteilung für Molekulare Pharmakologie, Institut für Diabetes und Adipositas, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt