Gasspeicher-Report (22.12.2022)
Dieser monatliche Report des Science Media Center Germany (SMC) fasst die Füllstände der Gasspeicher in Deutschland und Europa zusammen.
Der Advent brachte eine Kältewelle mit sich. Zum ersten Mal in dieser Heizperiode wurden größere Mengen Gas aus den Speichern entnommen, zum ersten Mal wurde sichtbar, wie viel Gas bei welchen Temperaturen noch eingespart werden könnte. Das ist ein wichtiger Hinweis, um die Versorgungslage abzuschätzen. Bis zum Ende der Heizperiode ist es nun wichtig, rechtzeitig zu erkennen, ob die Speicher, die deutsche Gasförderung, die Importe aus den Niederlanden, Norwegen, Belgien und Frankreich sowie die Einfuhren von Flüssiggas über die neuen Terminals ausreichen, um den deutschen Gasbedarf zu decken. In der Vergangenheit endete die Heizperiode zwischen März und April.
Wir stellen dafür die nach unserer Einschätzung wichtigsten Faktoren vor, die den Verlauf der Speicherfüllstände bestimmen: Verbrauchsdaten und Gasbezug. Anhand verschiedener Szenarien zeigen wir, wie diese Faktoren die Füllstände der Speicher bis Mai 2023 beeinflussen könnten. Durch einen Vergleich mit der tatsächlichen Entwicklung der Füllstände wird es damit möglich sein, auf einen Blick zu erkennen, auf welchem Pfad sich der Gasverbrauch in Deutschland tatsächlich befindet, ob eine Gasmangellage drohen könnte oder eher nicht zu erwarten ist.
Der gesetzlich geforderte Füllstand von 95 Prozent wurde deutlich überschritten. Die Szenarien zeigen, dass der vorgesehene Füllstand für den 1. Februar 2023 von 40 Prozent nur bei extrem niedrigen Netto-Importmengen unterschritten werden würde.
Sie finden weiter wie gewohnt wichtige Kennzahlen zur Füllung der Gasspeicher in Deutschland und Europa. Außerdem bietet der Report eine kurze Einordnung der Zahlen und ihrer Entwicklung – auch vor dem Hintergrund, dass die Gasspeicher in Deutschland im Zweifelsfall für die Gasversorgung in ganz Europa wichtig sind. So können Sie mit einem Blick möglichst schnell erfassen, welche Gas-Versorgungslage bis zum Ende des Winters zu erwarten ist.
Einen tagesaktuellen Blick auf die Entwicklung der Gasversorgung können Sie online werfen auf unserem Gasspeicher-Dashboard. Wie die Gasversorgung bis zum Ende des Winters verlaufen könnte, können Sie anhand unserer aktualisierten Szenarien im Gasszenarien-Dashboard erkennen.
Mit der Kältewelle im Dezember hat sich die Menge des täglich ausgespeicherten Gases in Österreich und Deutschland deutlich erhöht. Mit den wärmeren Temperaturen in dieser Woche verlangsamt sich das Leeren der Gasspeicher wieder.
Seit dem 29.09. liefert die Bundesnetzagentur (BNetzA) wöchentliche Verbrauchsdaten für Großverbraucher (vor allem Industrie und Stromerzeugung) und Kleinverbraucher (Haushalt, Gewerbe, Industrie mit geringem Gasverbrauch). Bislang lagen aktuelle Messdaten zum Verbrauch nur für die Großverbraucher vor. Seitens der Gasversorger wird der Verbrauch für die Kleinverbraucher geschätzt und über sogenannte Standard-Lastprofile bilanziert. Diese basieren auf den Erfahrungen der vergangenen Jahre. Für die Einschätzung des tatsächlichen Verbrauchs im aktuellen Winter, der mit Blick auf die Gasversorgung ungewöhnlich ist, reichen diese Schätzungen jedoch nicht. Die BNetzA hat daher begonnen, den Verbrauch für die Kleinverbraucher aus den Messdaten am Eingang der Verteilnetze sowie weiteren Daten mit einem selbst entwickelten Verfahren zu berechnen.
Zwei Entwicklungen haben nach Erscheinen des vorherigen Reports dazu geführt, dass die Einsparungen sowohl bei den Kleinverbrauchern, als auch bei den Großverbrauchern niedriger ausgefallen sind: Bei den Großverbrauchern stieg der Gasverbrauch deutlich an. Grund war eine Flaute. Sie führte zu sehr niedriger Stromerzeugung durch Windräder. Diese wurde durch Gaskraftwerke ausgeglichen. In der laufenden Woche steigt die Stromerzeugung durch Wind wieder, der Gasverbrauch fällt deutlich, wie die Energy-Charts verdeutlichen.
Auch bei den Kleinverbrauchern stieg der Verbrauch deutlich an. Grund hier war das besonders kalte Wetter: Nach Angaben der BNetzA war die vergangene Woche durchschnittlich 7,9 Grad kälter als in den Vorjahren.
Im Gesamtzeitraum seit der 25. Kalenderwoche sind die Einsparungen bei Haushalten und Gewerbe damit jetzt unter die 20 Prozent-Marke gefallen. Weil die Temperaturen deutlich gestiegen sind, dürfte sich der Trend jedoch nicht fortsetzen.
Neben dem Verbrauch ist für die Beobachtung der Gasversorgungslage im Winter wichtig, wie viel Erdgas Deutschland importieren und wie viel es selbst fördern kann, außerdem wie viel es weiterleitet.
Im Dezember wurde für den Import eine wichtige Änderung erreicht: Das erste von fünf Flüssiggas-Terminals, die die Bundesregierung bis jetzt genehmigt hat, ist bereits im Probebetrieb. Damit kann Deutschland Flüssiggas direkt importieren. Die vier weiteren Terminals sind offenbar auch im Zeitplan. Für ein sechstes, privatwirtschaftlich organisiertes Terminal ist die Genehmigung für einen Probebetrieb ebenfalls erteilt worden. Außerdem wird weiter Pipelinegas aus Norwegen und Flüssiggas über die Terminals der Beneluxländer sowie Frankreich importiert.
Die Netto-Einspeisung ergibt sich aus dem Gesamt-Import Deutschlands und der Produktion beziehungsweise Förderung in Deutschland minus dem Export. Deutschland leitet Gas an andere Länder weiter.
In den vergangenen, kalten Wochen ist die Netto-Einspeisung stark gefallen. Während die Importe nach Deutschland vergleichsweise konstant blieben, erhöhten sich die Exporte kurzfristig deutlich. Beispielhaft zeigen die Übergangspunkte in Wallbach und Oberkappel den Fluss von Gas in Richtung von Österreich und der Schweiz. Mit den steigenden Temperaturen sind die Exporte aber wieder deutlich gesunken. Die Netto-Einspeisungen in das deutsche Gasnetz erreichen aktuell neue Höchstwerte für diesen Winter und liegen weiterhin deutlich oberhalb der in den Gasspeicher-Szenarien angenommenen Werte.
In der folgenden Grafik können Sie beobachten, wie viel Gas Deutschland selbst erhalten hat.
Die Grafik zeigt die Fortschreibung des aktuellen Trends der Speicherstände. Dafür wird der Verlauf der letzten sieben verfügbaren Tage genutzt. Die Speicher in Deutschland konnten gefüllt werden, seit Mitte November wird Gas wieder ausgespeichert. Der aktuelle Trend ist noch von den besonders kalten Tagen beeinflusst und wird sich voraussichtlich abschwächen.
Die langfristige Entwicklung der Speicherstände hängt von Parametern ab, die aktuell noch nicht für den gesamten Winter vorhersehbar sind. Insbesondere das Wetter, die Sparsamkeit der Verbraucher und die Importmengen sind unsicher. An dieser Stelle veröffentlichen wir eine Auswahl an Szenarien, um diese Unsicherheit abzubilden. Außerdem vergleichen wir den aktuellen Verlauf mit Szenarien, die wir in früheren Reporten veröffentlicht haben.
Wir versuchen mit unseren Annahmen, eine Abdeckung über einen breiten Teil der möglichen Entwicklungen zu erzielen. Zu berücksichtigen ist aber: Die Realität kann deutlich besser oder schlechter ausfallen, als in unseren Szenarien beschrieben – falls sich die hier getroffenen Annahmen als falsch herausstellen.
Der Verlauf der Speicherfüllstände hängt von zwei Faktoren ab: dem Gasverbrauch und der Gasbeschaffung. Wir haben dabei insgesamt vier Parameter als jene mit dem größten Einfluss identifiziert:
Beim Temperaturverlauf, der maßgeblich den Gasverbrauch beeinflusst, betrachten wir zwei Szenarien: Einen durchschnittlichen und einen kalten Winter. Der Mehrverbrauch in einem kalten Winter im Vergleich zu einem durchschnittlichen beträgt hier 50 TWh. Ein sehr kalter Winter kann aber auch noch zu einem stärkerem Mehrverbrauch führen. Die unterdurchschnittlich kalten Tage im Dezember liegen für die aktuellen Szenarien schon in der Vergangenheit. Der hier angenommene Mehrverbrauch würde sich also auf weitere besonders kalte Zeitperioden beziehen.
Die folgenden drei Grafiken zeigen den möglichen Verlauf der Speicherfüllstände – beziehungsweise die Menge des fehlenden Gases – von November 2022 bis Mai 2023. Als Startwert für die Berechnungen der aktuellen Szenarien wird der für Neujahr angenommene Speicherstand verwendet. Da sich wetterbedingt der aktuelle Trend nicht fortsetzen wird, gehen wir von einer langsameren Ausspeicherung und damit einem Speicherstand von etwa 205 TWh zu Neujahr aus. Unter günstigen Umständen kann dieser Wert sogar noch leicht übertroffen werden. Negative Werte in der Grafik bedeuten, dass Gas fehlt. In dem Szenario kann es weder importiert noch ausgespeichert werden und ist auch nicht durch die angenommenen Einsparungen abgedeckt. Zwangsabschaltungen wären die Folge.
Die Speicher in Deutschland dienen zum Teil auch zur Versorgung anderer Länder. Andererseits sind beispielsweise Teile der österreichischen Speicher auch für die Versorgung von Deutschland (insbesodere Bayern) vorgesehen. Dies wird bei den betrachteten Szenarien implizit durch die verschiedenen Werte für die Netto-Einspeisung berücksichtigt. Der Speicherstand ist dabei nur der Startwert für die Berechnungen, denn das gespeicherte Gas kann nicht als Gasmenge angenommen werden, die vollständig im deutschen Gasnetz verbleibt. Würde mehr Gas aus deutschen Speichern in andere Länder exportiert und weniger importiert, würde dies letzlich die Netto-Einspeisung reduzieren.
Für die Szenarien legen wir jeweils eine prozentuale Verbrauchsveränderung gegenüber dem Mittel der Jahre 2018 - 2021 zu Grunde:
Aktuell liegen die Netto-Einspeisungen in das deutsche Gasnetz weiterhin deutlich über den hier angesetzten 2,2 TWh pro Tag, die in den optimistischen Szenarien angenommen werden. Bleibt dies auch in Zukunft so, kann der tatsächliche Verlauf der Speicherstände noch oberhalb aller hier gezeigten Szenarien liegen.
Das Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven und das für Anfang Januar 2023 angekündigte Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel haben eine Kapazität von bis zu 10 TWh pro Monat. Da noch nicht klar ist, ob die volle Kapazität tatsächlich ab Anfang 2023 zur Verfügung steht, haben wir für die Szenarien einen Wert von 8,5 TWh angenommen. Das privat finanzierte Terminal in Lubmin ist noch nicht berücksichtigt, da unklar ist, ab wann es in den Regelbetrieb gehen darf. Mit den nächsten Szenarien Ende Januar werden die Terminals nicht mehr einzeln betrachtet, sondern in die Netto-Einspeisung nach Deutschland integriert. In diesem Rahmen werden auch die Szenarien an die aktuelle Import-Situation angepasst.
Zusätzlich zu den Szenarien mit Start am 01. Januar, zeigen wir in jeder Grafik ebenfalls das entsprechende best-case und worst-case Szenario mit Start zum 01. Oktober, also die selben Szenarien wie im Oktober-Report. Hintergrund: Die Szenarien basieren auf angenommenen Durchschnittswerten für den gesamten Betrachtungszeitraum, beispielsweise von durchnittlich 2,2 TWh Netto-Einspeisung. Inzwischen wird deutlich, dass die im Oktober angenommenen Netto-Einspeisungen für die Vergangenheit zu niedrig angesetzt waren. Bleiben sie auch im Januar hoch, muss die Auswahl der betrachteten Szenarien überarbeitet werden.
In unserem Gasszenarien-Dashboard können Sie auch eigene Szenarien berechnen.
Trotz der zurückliegenden, kalten Wochen war das Wetter insgesamt eher warm. Das und die Einsparungen der Verbraucher haben dazu geführt, dass alle Szenarien sich nach oben verschoben haben. Inzwischen ist nicht mehr das Hauptthema, ob in diesem Winter eine Gasmangellage entsteht. Vielmehr stellt sich die Frage, mit welchem Füllstand wir aus dem Winter kommen und wie leicht es dementsprechend sein wird, die Speicher im kommenden Sommer wieder zu füllen.
Das Ergebnis: Im Szenario mit einer Netto-Einspeisung von 2,2 TWh/d und einem durchschnittlichen Winter bleiben die Füllstände der Speicher sogar ohne Einsparungen oberhalb der Speicherstände des Winters 2017/18. Wird der Winter aber kälter und sinkt gleichzeitig die Netto-Einspeisung, kann doch eine Gasmangellage entstehen.
Das Ergebnis: Einsparungen von 10 Prozent führen in allen betrachteten Szenarien zu positiven Speicherständen. Im optimistischten Szenario wird sogar gegen Ende des Winters ein Speicherstand von fast 50 Prozent erreicht. Wird der Winter jedoch kalt und der Import sinkt stark ab, sind die Speicher am Ende des Winters praktisch leer.
Das Ergebnis: Bei 20 Prozent Einsparungen droht keine Gasmangellage. Mehr noch: Nicht einmal das ungünstigste Szenario fällt deutlich unter den Verlauf des Winters 2017/18. Gegen Ende des Winters können in den Szenarien bei optimalem Verlauf Speicherstände von deutlich über 60 Prozent erreicht werden.
Zum Vergleich mit der Entwicklung 2022 hier die Speicherstände von Deutschland in den vergangenen zehn Jahren.
Wie in Deutschland haben alle Länder der EU, die Ukraine und das Vereinigte Königreich damit begonnen, Gas aus ihren Speichern ins Netz einzuspeisen. Im großen und ganzen entspricht der jeweilige Trend dem in Deutschland. Die Ausnahme ist Polen, hier wurde offenbar besonderes wenig Gas ausgespeichert.
Von der Reduktion des Gasflusses durch Gazprom ist im Prinzip auch die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder betroffen. Allerdings konnten Flüssiggas-Transporte die reduzierten Lieferungen aus Russland offenbar kompensieren. Die folgende Grafik zeigt, wie viel Gas aktuell (mit dem üblichen Meldeverzug von zwei Tagen) in den Ländern Europas gespeichert ist und wie weit die Speicher damit gefüllt werden. Die Speicher in der Ukraine dürften aufgrund des Krieges ein Sonderfall sein.
Die Kapazität und die Füllstände können Sie sich anzeigen lassen, indem sie über den entsprechenden Balken hovern.
Die Speicherstände der Gasspeicher entstammen dem Aggregated Gas Storage Inventory. Die Daten werden zwei Tage verzögert publiziert. Der aktuelle Wert ist also der Speicherstand für Vorgestern, bezogen auf das Erscheinungsdatum. Nicht alle Speicher melden an allen Tagen Daten. Nicht gemeldete Daten werden von Gas Infrastructure Europe (GIE) geschätzt und bei späteren Updates auf die gemeldeten Daten korrigiert. Dies kann insbesondere dazu führen, dass sich der aktuelle Trend der letzten Tage auch umdrehen kann. Insbesondere bei Trendwenden ist es deshalb ratsam ein paar Tage abzuwarten, ob diese noch korrigiert werden. Auch eine Plausibilisierung mit anderen Informationsquellen ist empfehlenswert.
Insbesondere nach Wochenenden kann es auch zu fehlenden Werten führen, was insbesondere an den spontan sinkenden Speicherkapazitäten ersichtlich ist. Vereinzelt existieren Füllstände, die etwas höher liegen als die angegebene Kapazität, wie zum Beispiel aktuell in Portugal.
Die Verbrauchsdaten werden von der Bundesnetzagentur bereitgestellt. Die Werte können sich zum Teil auch mit mehreren Wochen Verzögerung noch deutlich ändern.
Wenn Sie Fragen zu diesen Daten haben oder weitere Auswertungen erhalten wollen, das SMC Lab kann Auswertungen erzeugen.
Sönke Gäthke, Redakteur für Energie und Mobilität
Bernhard Armingeon, Software Entwickler
Lars Koppers, Datenwissenschaftler
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