Chinas Covid-Chaos
Chinas Null-Covid-Strategie sorgt für größte Proteste seit Jahrzehnten
schwache Immunität gegen SARS-CoV-2 erlaubt jedoch kaum Lockerungen
maßvoller Umgang mit Infektionen notwendig
In vielen chinesischen Städten demonstrieren derzeit Tausende Menschen gegen die weiterhin strikte „Null-Covid-Strategie“ der Regierung. Seit drei Jahren bestimmen Lockdowns, Massentests und Quarantänepflichten den Alltag der meisten Chinesinnen und Chinesen. Der Unmut gegen den Regierungskurs hat mittlerweile zu den größten Protesten gegen die kommunistische Führung seit Jahrzehnten geführt. Als Folge lockerten die Behörden Anfang der Woche einzelne Beschränkungen, gleichzeitig bekräftigte die Regierung aber auch, an ihrer grundsätzlichen Strategie festhalten zu wollen.
Leiter der Arbeitsgruppe Virusevolution, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankhaushygiene, Universitätsklinikum Magdeburg
„Mit den derzeitigen Protesten in China gegen die momentane Pandemiepolitik scheint es so, als würde China bald reagieren und Maßnahmen ändern müssen. Mit etwa einer von sechs Personen weltweit, die in China leben, käme ein sehr großer Anteil an Menschen hinzu, die sich infizieren und somit das Virus übertragen können. Es gilt weiterhin für die Evolution von Viren: je mehr Infektionen, desto mehr Virusmutationen, die das Virus verändern können. Ich denke, dass China seine Politik anpassen wird. Fraglich ist nur, wie stark dies geschehen wird und wie viele Infektionen man dann letztlich zulässt. Es scheint leider nur eine gewisse Grundimmunität in der Bevölkerung zu geben, da es keine großen Impfkampagnen gab und dazu ein großes Misstrauen gegenüber der Regierung, besonders in der älteren Bevölkerung, vorherrscht, wie wir es beispielsweise aus Hongkong kennen. Leider ist genau diese ältere Bevölkerung auch der Teil, der am stärksten gefährdet ist. Somit steht China zunächst vor der schwierigen Entscheidung, wie man eine neue Übergangspolitik in der Pandemie angehen soll und muss.“
„Da es bislang nur relativ wenige Infektionen in China gegeben hat, ist die Bevölkerung erst einmal größtenteils naiv gegenüber SARS-CoV-2. Dies geht einher mit den gleichen Problemen wie wir sie auch aus den vergangenen fast drei Jahren kennen, wenn kaum Maßnahmen bestehen: hohe Krankheitslasten und mögliche Überlastungen des Gesundheitssystems. Das ist bei einer solch großen Bevölkerung wie in China auch mit Omikron nicht sehr viel anders. Da man davon ausgehen kann, dass Chinas Bevölkerung nahezu naiv in der Immunität gegen SARS-CoV-2 ist, besteht zumindest kurz- bis mittelfristig kein zusätzlicher Selektionsdruck für sogenannte Immunflucht-Varianten, die einer bestehenden Immunität in der Bevölkerung zu einem gewissen Teil entgehen. Doch es wird hierbei darauf ankommen, wie viele Infektionen man zulässt und ob man gegebenenfalls mit Impfkampagnen gegensteuert. Würde man alle Maßnahmen fallenlassen, würde dies dazu führen, dass rund 1,4 Milliarden Menschen am globalen Infektionsgeschehen teilnehmen und dadurch generell die Evolution des Virus mit beeinflussen.“
„Da bisher kaum Infektionen stattgefunden haben, ist aktuell nicht damit zu rechnen, dass in China viele persistierende Infektionen in immungeschwächten Menschen stattfinden. Diese stehen in Verbindung mit der Entwicklung von den sogenannten Variants of Concern (VOCs), die mit evolutionären Sprüngen, wie wir sie aus den letzten zwei Jahren kennen, einhergehen. Wie sich das langfristig entwickeln wird, bleibt aber zunächst offen, da auch weniger wahrscheinliche Ereignisse bei einer großen Zahl an Infektionen dann doch ein gewisses Risiko mit sich bringen können.“
„Es bleibt somit abzuwarten, wie China seine Pandemiepolitik ändert und ob präventive Maßnahmen wie Impfkampagnen den großen Druck auf das Gesundheitssystem abschwächen können. Ansonsten kann man China mit Europa im Frühjahr 2021 vergleichen, bevor ein Großteil der Bevölkerung geimpft war.“
Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Cai J et al. (2022): Modeling transmission of SARS-CoV-2 Omicron in China. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-022-01855-7.
Dr. Björn Meyer
Leiter der Arbeitsgruppe Virusevolution, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankhaushygiene, Universitätsklinikum Magdeburg