Antibiotika – Einsatz, Resistenzen und Alternativen
Als schleichende und unsichtbare Pandemie beschreiben Forschende die gesundheitliche Bedrohung, die durch das vermehrte Auftreten und die Verbreitung antibiotikaresistenter Keime entsteht. Weltweit sterben pro Jahr rund 1,3 Millionen Menschen an Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien, mehr als an Malaria oder HIV [I].
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Das SMC hat am Ende des Press Briefings gefragt, was die wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung von Antibiotika-Resistenzen sind. Die Antworten stellen wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung.
Leiter des Fachgebiets Nosokomiale Infektionen, Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin
„Die ersten vier Regionen mit den höchsten Todesfallraten pro Populationen sind Subsahara/Afrika. Also eine Region, wo die wenigsten Antibiotika im Moment noch eingesetzt werden, leidet jetzt schon am höchsten. Wir haben eine identische Situation wie beim Klima, dass dort, wo am wenigsten die Quelle für die Klimaveränderung ist, die größte Last zu tragen ist. Das war die Debatte letzte Woche in Kairo bei der COP27, und das haben wir bei Antibiotikaresistenzen im Grunde genauso. Und deswegen ist ein globaler Blick absolut notwendig, wenn wir über Antibiotikaresistenz reden.“
„Wir werden auf keinen Fall das Problem Antibiotikaresistenz los. Das ist etwas, was uns dauerhaft begleiten wird. Wir haben eine Hochleistungsmedizin, wo wir Medikamente, Antibiotika immer wieder einsetzen müssen und dann wird es immer wieder zu Resistenzen kommen. Sprich, es ist absolut notwendig eine Daueranstrengung zu haben, um das auf einem guten Niveau zu halten. Dazu sind wir in Deutschland im Moment relativ gut in der Lage, aber das sind wirklich vereinte Anstrengungen auf klinischer, hygienischer, epidemiologischer und mikrobiologischer Seite. Das Problem kann ganz schnell kommen. Sei es, dass vom Ausland plötzlich eine bestimmte Resistenz kommt, die sich dann aber bei uns ausbreitet. Deswegen brauchen wir zusätzlich zu all diesen Maßnahmen auch neue Medikamente, um das in den Griff zu bekommen, die aber auch wieder irgendwann resistent werden. Also wir müssen damit leben und wir müssen aber ständig dagegen vorgehen. Das ist nicht eine Pandemie, die irgendwann enden wird: Es gibt immer wieder einen neuen Erreger, eine neue Resistenz, die sich ausbreitet. Das wird uns begleiten.“
Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena
„Wir brauchen eine Bündelstrategie: Ohne neue Substanzen wird es nicht gehen. Auf der anderen Seite sollten die verbliebenen Substanzen klug eingesetzt werden und deswegen brauchen wir mehr Experten. Wir sehen die Erfolge des Antibiotic-Stewardship-Programms, das nun auch gefördert werden soll und durch das Ärzte in rationaler Antibiotikatherapie geschult werden, sodass man nicht zu lange therapiert, so schmal wie möglich therapiert und überlegt, wenn das Antibiotikum nicht wirkt, warum es nicht wirkt. Eine Infektion am Bein kann man auch mit einer Thrombose verwechseln. Ich würde mir für Deutschland eine gewisse Diagnostik in den Arztpraxen wünschen. Gerade die niedergelassenen Kollegen – 85 Prozent der Antibiotika werden im niedergelassenen Bereich eingesetzt – müssen sofort entscheiden. Wir brauchen hier Point-of-care-Geräte, mit welchen man innerhalb von ein paar Minuten weiß, ob das eine Virusinfektion ist.“
Leiter der Forschungsgruppe „Der Stoffwechsel von Krankheitserregern als Angriffspunkt“ am Biozentrum, Universität Basel, und stellvertretender Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts „Neue Ansätze zur Bekämpfung Antibiotika-resistenter Bakterien“ (NFS AntiResist), Schweiz
„Wir brauchen ein noch besser vernetztes Ökosystem mit diesen verschiedenen Expertisen. Gerade bei der klinischen Forschung und der biologischen Grundlagenforschung kann noch sehr viel mehr Zusammenarbeit passieren und das ist essenziell wichtig. Von der Fachkultur her sind die Biologen immer fokussiert auf einen einzelnen Stamm, mit dem sie fantastische Sachen machen können. Aber sie haben diese klinische Vielfalt nicht. Für den Kliniker ist vielleicht nicht immer zu erkennen, was gerade in der Biologie läuft und welche Methoden interessant sein könnten, um Fortschritte zu machen. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit und das versuchen wir momentan in der Schweiz. Das macht wahnsinnig viel Spaß, weil man viele Sachen nicht weiß und das ist extrem anregend. Außerdem müssen wir diese ganzen Finanzierungsfragen klären, aber an denen wird, glaube ich, sehr stark gearbeitet. Das Geld ist wichtig, aber besonders wichtig sind jetzt innovative Ideen in der Forschung. Wir brauchen viele verrückte Ansätze und hoffen, dass dann ein paar von ihnen funktionieren.“
Weiterführende Recherchequellen
Robert Koch-Institut: ARS - Antibiotika-Resistenz-Surveillance.
Robert Koch-Institut: Antibiotikaresistenz.
World Health Organisation (25.05.2020): Global antimicrobial resistance surveillance system (GLASS) report: early implementation 2020.
European Centre for Disease Prevention and Control: European Antimicrobial Resistance Surveillance Network (EARS-Net).
Federal Office of Public Health and Federal Food Safety and Veterinary Office (2022): Swiss Antibiotic Resistance Report 2022. Usage of Antibiotics and Occurrence of Antibiotic Resistance in Switzerland.
Murray CJL et al. (2022): Global burden of bacterial antimicrobial resistance in 2019: a systematic analysis. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(21)02724-0.
WHO Regional Office for Europe/European Centre for Disease Prevention and Control (2022): Antimicrobial resistance surveillance in Europe 2022 – 2020.
data. DOI: 10.2900/112339.
Harvard Medical School (2016): The Evolution of Bacteria on a “Mega-Plate” Petri Dish (Kishony Lab). YouTube.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Robert Koch-Institut (2022): Antibiotikaresistenzen, eine schleichende Pandemie: Einweihung des WHO-Kooperationszentrums für Antibiotikaresistenz am RKI. Pressemitteilung des Instituts.
[II] Robert Koch-Institut (2022): Neue Daten aus Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS) und Antibiotika-Verbrauchs-Surveillance (AVS) des Robert Koch-Instituts.
Dr. Tim Eckmanns
Leiter des Fachgebiets Nosokomiale Infektionen, Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin
Prof. Dr. Mathias W. Pletz
Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena
Prof. Dr. Dirk Bumann
Leiter der Forschungsgruppe „Der Stoffwechsel von Krankheitserregern als Angriffspunkt“ am Biozentrum, Universität Basel, und stellvertretender Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts „Neue Ansätze zur Bekämpfung Antibiotika-resistenter Bakterien“ (NFS AntiResist), Schweiz