Bericht des Weltbiodiversitätsrates: nachhaltige Nutzung wildlebender Arten
Bericht des IPBES mit Empfehlungen zur nachhaltigen Nutzung wilder Pflanzen- und Tierarten
viele Menschen hängen von wildlebenden Arten ab, diese sind aber häufig durch Übernutzung bedroht
Experten: Bericht zeigt Handlungsbedarf für anstehende UN-Biodiversitätskonferenz auf
Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) veröffentlichte am 08.07.2022 einen Bericht mit Empfehlungen zur nachhaltigen Nutzung von wildlebenden Arten (siehe Primärquelle). 50.000 wildlebende Arten würden von Menschen genutzt und besonders Menschen in ärmeren Weltregionen seien stark von diesen abhängig, heißt es in dem Bericht. Immer häufiger sei die Nutzung wilder Pflanzen und Tiere jedoch nicht nachhaltig – wenn etwa Fischbestände überfischt und Wälder für Feuerholz abgeholzt werden oder illegaler Handel Wildtierarten bedroht. Zusätzlich zu Stressoren wie intensiver Landwirtschaft, Klimawandel und Umweltverschmutzung setzt die Übernutzung der Bestände viele Arten weiter unter Druck.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Marine Evolutionsökologie, Forschungsbereich Marine Ökologie, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Kiel
„Natürliche erneuerbare Ressourcen wie die Meeresfrüchte – Wildfische, Krebse, Muscheln oder Algen – müssen nachhaltig genutzt werden, sonst liefern sie zu wenig oder brechen ganz weg. Leider sind wir von einer nachhaltigen Nutzung immer noch weit entfernt. Ganz offensichtlich fehlt der politische Wille, sich ernsthaft mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Wenn der IPBES-Bericht daran etwas ändert, dann kann er zur zukünftigen Ernährung und Versorgung der Menschheit beitragen, sonst nicht.“
„Die ‚key messages‘ des Berichts sind leider sehr allgemein gehalten. Es gibt keinen Aufruf zu dringend benötigten Aktionen, wie die Beendigung von Übernutzung mit verbindlichem Zeitplan, nur allgemeine ‚Gutfühl-Weisheiten‘, denen jeder zustimmen kann. Es gibt aber einen Grund, warum Jahrzehnte nach ähnlichen Erklärungen die Lage fast überall nicht besser, sondern schlechter geworden ist: es wurde nicht gehandelt“
„Im weiteren Teil des Berichts werden dann die ‚key-messages‘ mit Statistiken belegt. Das ist nützlich für den Einleitungsteil von Aktionsplänen, ersetzt diese aber nicht. Anders als in Abbildung SPM.4 dargestellt nimmt die Anzahl der übernutzten Fischbestände weltweit weiter zu, mit linearem Trend seit 1950 (siehe FAOs SOFIA Bericht, [1]). Auch der Beifang von gefährdeten Arten – wie zum Beispiel von Haifischen – nimmt global nicht ab, sondern zu.“
„Auch die EU hat ihr gesetzlich festgeschriebenes Ziel der Beendigung jeglicher Überfischung im Jahr 2020 klar verfehlt: Im Jahr 2021 wurden immer noch 40 bis 50 Prozent der Bestände in Nord-Europa übernutzt – es wurde mehr herausgenommen als nachwächst. Im Mittelmeer wird dieser Anteil auf über 80 Prozent geschätzt. Entsprechend schlecht ist der allgemeine Zustand der europäischen Fischbestände: Die meisten sind durch Überfischung zu stark geschrumpft, um ihre Rolle im Ökosystem erfüllen zu können und um dauerhaft hohe Fangmengen zu unterstützen.“
„Der Bericht wird daran voraussichtlich nichts ändern. Wir brauchen nicht noch mehr Berichte, wir brauchen endlich politisches Handeln.“
Professor für Biodiversität der Tiere, Universität Hamburg, und Wissenschaftlicher Projektleiter, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Hamburg
„Kurz gefasst: Eine weiterwachsende Menschheit plündert nach wie vor den Planeten Erde, als ob wir noch einen zweiten hätten. Der Bericht des IPBES zeigt die Gefahren und Verluste unserer übermäßigen Ressourcennutzung von Tieren und Pflanzen an Land wie in den Meeren und Flüssen auf und wie eine nachhaltige Nutzung aussehen könnte – und muss, wenn wir überleben wollen.“
„In seinem letzten Bericht im Mai 2019 warnte der IPBES eindringlich davor, dass in den kommenden Jahrzehnten etwa eine Million Arten an Tieren, Pflanzen und Pilzen aussterben werden. In seinem neuen Bericht nun betont der IPBES, dass die auf nahezu acht Milliarden Menschen angewachsene Menschheit von rund 50.000 dieser Arten für die Sicherung ihrer eigenen Lebensgrundlagen abhängig ist. Der internationale Expertenrat betont, dass diese ökonomisch wichtigen Pflanzen und Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen erhalten werden müssen, und zeigt zugleich Wege auf, sie zukünftig tatsächlich nachhaltig zu nutzen.“
„Bislang hat der Mensch meist Krieg gegen die Natur geführt. Der jüngste IPBES-Bericht analysiert die Praxis der Plünderung von Tierbeständen und Wäldern weltweit und weist Wege, wie eine nachhaltige Nutzung von Wäldern, Wildtieren an Land und von Fischen und anderen aquatischen Arten gelingen kann.“
„Der neue Bericht hat einen doppelten Fokus – zum einen auf die weiterhin desaströsen Waldverluste gerade in den tropischen Regenwäldern, zum anderen auf die direkte Nutzung von Tieren durch Jagd und Wilderei sowie Fischerei. Beides gefährdet die Biodiversität, da die Nutzung überwiegend nicht nachhaltig erfolgt.“
„Als nachhaltig wird hier definiert, wenn Artenvielfalt und das Funktionieren der Ökosysteme bei gleichzeitiger Nutzung durch den Menschen aufrechterhalten werden.“
„Wir alle hängen von den Erzeugnissen der Tiere und Pflanzen ab – und zwar von etwa 50.000 wildlebenden Arten, bei schätzungsweise acht bis neun Millionen Arten weltweit.
„Dabei stellt der IPBES fest: Jeder fünfte Mensch auf der Erde ist unmittelbar von wildlebenden Arten abhängig, sei es direkt als Nahrungsgrundlage oder für seinem Lebensunterhalt. Mehr als 10.000 Arten werden direkt für die menschliche Ernährung genutzt. Rund 2,4 Milliarden Menschen – immerhin also beinahe ein Drittel der Menschheit – nutzen Wälder und Bäume direkt für das zum Kochen notwendige Feuerholz.“
„Der euphemistisch ‚Landnutzungsänderung‘ genannte Flächenverlust natürlicher Lebensräume ist der größte Treiber des Artenschwundes und Artenverlustes. Gerade in den tropischen und subtropischen Regionen der Erde – nachweislich die reichsten hinsichtlich der Biodiversität –, werden natürliche Lebensräume großflächig vernichtet, etwa durch die Entwaldung in Amazonien, in West- und Zentralafrika und in Südostasien.“
„Auf diese durch Abholzung bedingten Artenverluste und Lebensraumzerstörung weist der Bericht nicht nur hin, sondern fordert auch eindringlich den Stopp dieser Entwaldungsfronten. Allerdings geht dieser zentrale Aspekt im ebenso umfangreichen wie faktenreichen Bericht unter. Denn zugleich wird mit der Jagd und ihrer hässlichen Schwester, der Wilderei, sowie der Fischerei und dem Beifang die direkte Entnahme und Nutzung von Tieren für die menschliche Ernährung in den Fokus gerückt. So wichtig letzteres ist, lenkt es abermals von den katastrophalen Waldverlusten ab, denen sich unsere vermehrte und ungeteilte Aufmerksamkeit konzentriert widmen sollte.“
„Der Bericht zeigt, dass Tier- und Pflanzenarten auch zukünftig unter einem großen und fortgesetzten Ausbeutungsdruck stehen werden.“
„Der Bericht macht konkrete Vorschläge, wie Jagd- und Fischerei zu organisieren sind, um sie nachhaltig zu machen. Ebenso wird dies für Wälder aufgezeigt. Und er macht deutlich, welche enorme Transformation unseres Lebens und unserer Wirtschaftsweise notwendig sein werden, um Tiere und Pflanzen wirklich nachhaltig zu nutzen.“
Auf die Frage, inwiefern der aktuelle Bericht über das Global Assessment des IPBES aus 2019 hinausgeht und neue Erkenntnisse liefert:
„Der Bericht 2019 war in erster Linie eine allgemeine Studie zum drohenden Verlust der Biodiversität weltweit. Diesmal steht die direkte Nutzung von Wäldern, aber auch von Wildtieren und durch Fischerei im Vordergrund. Dabei wird deutlich, dass die Übernutzung eine der Hauptgefahren für das Überleben unzähliger, an Land und im Wasser lebender Arten ist.“
„Der Bericht adressiert die Ursachen nicht-nachhaltiger Nutzung, also der ausbeuterischen Plünderung der Ressourcen. Diesen fatalen Trend gilt es aufzuhalten und umzukehren. Je mehr Arten und ihre Lebensräume erhalten werden können, desto besser für die Sicherung unserer eigenen Ernährung weltweit.“
Auf die Frage, in welchen (politischen) Entscheidungsprozesse der Bericht eingehen könnte:
„Der Fokus, der auf Anfang bis Mitte Dezember 2022 verschobenen UN-Biodiversitätskonferenz muss es sein, ein verbindliches Ziel zum möglichst umfangreichen Flächenschutz zu formulieren – das ,30:30-Ziel‘, also bis zum Jahr 2030 wenigstens 30 Prozent der Oberfläche der Erde in einem naturnahen Zustand zu erhalten. Dieses Ziel ist auch wichtig, um die hier im IPBES-Bericht angemahnte nachhaltige Ressourcennutzung zu ermöglichen.“
„Kurz: Ohne den angestrebten Flächenschutz werden sich die 50.000 beziehungsweise 10.000 direkt durch Jagd und Fischerei genutzten Arten nicht dauerhaft erhalten lassen.“
Wissenschaftler am Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie, Universität Wien, und Zentrale Forschungslaboratorien, Naturhistorisches Museum Wien, Österreich
„Während der frühen Phase der COVID-19-Pandemie wurden immer wieder Stimmen laut, Wildtier- und Wildpflanzenmärkte zu schließen. Dass das aber nicht so einfach ist und gar nicht zielführend sein kann zeigen Zahlen im vorliegenden Bericht des IPBES. Die Autoren schätzen, dass rund ein Fünftel der Weltbevölkerung direkt von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Algen aus der Wildnis abhängen – sei es als Einnahme- oder Nahrungsquelle. Das führt viele Probleme mit sich. So ist der Raubbau an der Natur der größte Treiber des derzeitigen Artensterbens in den Weltmeeren und die zweit größte Gefahr für die Biodiversität an Land und in Süßwasser-Lebensräumen. Die Umstellung von nicht-nachhaltiger zu nachhaltiger Nutzung von natürlichen Ressourcen ist eines der zentralen Probleme der Menschheit. Dieses wird in den nächsten Jahren durch das sich ändernde Klima, steigende Bevölkerungszahlen und steigende Nachfrage noch wichtiger und schwieriger werden.“
„Hier zeigt der IPBES-Bericht neben Gründen auch verbesserte Lösungsansätze auf. Eine wichtige Verbesserung ist zum Beispiel der Einbezug der lokalen Bevölkerung und indigener Völker und ein effektiver Informationsaustausch zwischen diesen, der Wissenschaft und Entscheidungsträgern und -trägerinnen. Die lokale Bevölkerung und indigene Völker sollten in Schritte wie Informationserhebung (sozial, kulturell, wirtschaftlich und ökologisch), Überwachung von Tier- und Pflanzenpopulationen, der Erarbeitung von Richtlinien und deren Umsetzung mit einbezogen werden, so die Autoren des IPBES-Berichts. Es gibt mittlerweile immer mehr Beispiele, bei denen diese Strategie eine erhebliche Verbesserung für die Umwelt und die Bevölkerung herbeigeführt hat. Auch in der Wissenschaft – vor allem in der Biodiversitätsforschung – sehen wir seit Jahren ein steigendendes Bewusstsein für die Wichtigkeit von Citizen Science, Wissenstransfer zwischen Forschung und der Bevölkerung, und lokalen Aufbau von Kapazitäten.“
„Es bleibt zu hoffen, dass die Vorschläge im IPBES-Bericht auch wirklich dazu führen, dass lokale Bevölkerungen und indigene Völker vermehrt in Entscheidungen miteinbezogen werden. Ein wichtiger Faktor dazu ist auch der Zugang zu Bildung, effektive Aufklärungskampagnen und eine rege Kommunikation zwischen allen Stakeholdern. Neben effektiven und unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung erstellten Richtlinien braucht es allerdings auch ein zentrales Umdenken, dass wir als Menschen Teil der Natur sind und diese nicht primär zu unserem Erhalt und unserer Unterhaltung dient.“
Professor für Weltforstwirtschaft, Universität Hamburg
„Der Bericht definiert Holzernte als das Entfernen ganzer Bäume oder holziger Teile von Bäumen aus ihrem Lebensraum. Holzeinschlag erfolgt in Primärwäldern, natürlich verjüngten Wäldern, gepflanzten Wäldern und Plantagen, wobei der Bericht sich nicht mit dem Holzeinschlag in Plantagenwäldern befasst.“
„Natürlich vorkommende Baumarten – von denen schätzungsweise zwölf Prozent durch nicht-nachhaltige Holzernte bedroht sind – sind gegenwärtig die wichtigste Quelle für Holz und Holzprodukte und werden es auch in Zukunft bleiben. Weltweit liefern natürlich vorkommende Baumarten zwei Drittel des Industrierundholzes und die Hälfte des gesamten Holzes, das zur Energiegewinnung verbraucht wird. Der Holzeinschlag zur Energiegewinnung ist weltweit verbreitet, aber die Abhängigkeit von Holz zum Heizen und Kochen ist in den Entwicklungsländern am größten, da dort die Menschen vielfach keinen Zugang zu anderen Energiequellen haben. Vergleicht man die Bilanzen von Angebot und Nachfrage, so kann die Nachfrage nach Brennholz auf globaler und nationaler Ebene gedeckt werden. Lokale Brennholzknappheit und die damit verbundene Schädigung von Wäldern und Waldflächen treten aber in Gebieten auf, in denen die Menschen nur wenige Alternativen zum Kochen und Heizen haben. So werden in Afrika 90 Prozent des eingeschlagenen Holzes energetisch genutzt. Es ist zu erwarten, dass der weltweite Bedarf an holzbasierter Bioenergie zunehmen wird, während gleichzeitig die globale Waldfläche durch Holzernte und Landnutzungsänderungen abnehmen und die Mortalität von Bäumen durch die Auswirkungen des Klimawandels zunehmen wird.“
„Zerstörerische Abholzungspraktiken und illegaler Holzeinschlag bedrohen die nachhaltige Nutzung der natürlichen Wälder. Die Nachfrage nach Holz und damit auch die Intensität der Holzernte werden in Zukunft zunehmen. Zwar wird die Holzproduktion in Plantagenwäldern zunehmen, kann aber den zunehmenden Holzbedarf nicht decken. Damit bleiben Naturwälder auch weiterhin durch nicht-nachhaltige Holzernte bedroht. Gegenwärtig werden 20 Prozent der Tropenwälder durch selektiven Holzeinschlag genutzt. Der illegale Einschlag und Handel von Holz hat in den Tropenwäldern Mittel- und Südamerikas abgenommen, in Südostasien, Nordostasien und Teilen Afrikas aber zugenommen.“
„Der Bericht macht das Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Biodiversität und der Waldnutzung deutlich. Die Holznutzung ist in vielen Entwicklungs- und Industrieländern für die regionale und lokale Beschäftigung und Wirtschaft von entscheidender Bedeutung und trägt darüber hinaus zur öffentlichen Infrastruktur, zur Entwicklung und zur Bereitstellung entsprechender Güter und Dienstleistungen bei.“
„Zur Bekämpfung der nicht-nachhaltigen Holznutzung werden verschiedene Lösungsansätze aufgezeigt, wie Bewirtschaftungspläne, die auf der Basis einer Erhebung der Wälder aufgestellt werden, oder gering-invasive Nutzungseingriffe (,reduced impact logging‘). Ziel dieser Maßnahmen ist der Schutz des verbleibenden Bestandes, insbesondere der nicht-genutzten Bäume, des Bodens, sowie der Flora und Fauna. Weiterhin kann die nachhaltige Holzernte durch die Zertifizierungssysteme, technologische Innovation zur Reduzierung von Verlusten bei der Verarbeitung von Holz sowie ökonomische und politische Initiativen zur Anerkennung der Rechte indigener Bevölkerung und lokaler Gemeinschaften gestärkt werden. Für den Holzeinschlag existieren weithin akzeptierte Nachhaltigkeitsindikatoren, die unter anderem das ökologische Management, die wirtschaftliche Steuerung und sozioökonomische Aspekte beinhalten. Zwei wesentliche Schlüsselelemente – nämlich die Angleichung der Politiken und die Koordinierung der Interaktionen mit anderen Praktiken – werden aber nur in freiwilligen Vereinbarungen berücksichtigt.“
„Der Bericht legt seinen Fokus auf Tropenwälder und geht nur am Rande auf die Unterschiede zwischen der Holzernte in Naturwäldern und in Wirtschaftswäldern ein. Dabei kommt die Problematik des selektiven Holzeinschlags in tropischen Naturwäldern zu kurz. Von der enormen Baumartenvielfalt in tropischen Wäldern werden nur sehr wenige Arten genutzt – die sogenannten kommerziellen Baumarten –, was bei wiederholten Eingriffen zu einem deutlichen Rückgang dieser Baumarten führt. Auch die gängigen legalen Nutzungsregelungen, die lediglich die zu entnehmende Holzmenge und den Zeitraum zwischen zwei Interventionen festlegen, werden nicht kritisch hinterfragt. Sinnvoller wäre es, das Volumen der vom bestehenden Bestand zu entnehmenden Holzmasse festzulegen und nicht nur die Holzmasse, die aus dem Wald entfernt wird. Damit würde ein Anreiz geschaffen, die Holzernteverluste, die oft ein Mehrfaches der genutzten Holzmassen ausmachen, so gering wie möglich zu halten. Auch unterschätzen die in den Nutzungsregelungen unterstellten Interventionszeiträume die Erholungsraten von Wäldern nach Nutzungseingriffen deutlich [2] [3] und führen mittelfristig zur Walddegradierung.“
Auf die Frage, inwiefern der aktuelle Bericht über das Global Assessment des IPBES aus 2019 hinausgeht und neue Erkenntnisse liefert:
„Der Global Assessment Report des IPBES aus 2019 legt starkes Gewicht auf illegalen Holzeinschlag und gering-invasive Nutzungseingriffe (,reduced impact logging‘). Der aktuelle Bericht geht stärker auf das Spannungsfeld zwischen Biodiversitätsschutz und anderen Ansprüchen an den Wald ein – insbesondere sozioökonomische Aspekte. Die ausgewogene Darstellung der Multifunktonalität von Wäldern erlaubt eine realistischere Abschätzung der Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität von Wäldern.“
Auf die Frage nach der Rolle indigener Völker im IPBES-Bericht:
„Der Bericht stellt die Abhängigkeit der indigenen Völker vom Wald deutlich dar. Die daraus resultierenden Nutzungsansprüche werden entsprechend gewürdigt. Insbesondere wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die traditionelle Nutzung in der Regel andere Ökosystemfunktionen nicht beeinträchtigt und nicht zur Walddegradierung führt. Der Bericht unterscheidet eindeutig zwischen Subsistenznutzung durch indigenen Völker und der kommerziellen Holznutzung, die häufig nicht-nachhaltige Praktiken anwendet. Der Bericht begründet damit den Schutz der traditionellen Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften an der Waldnutzung und fokussiert auf Maßnahmen zur Vermeidung der Walddegradierung durch kommerzielle Holzernte.“
Auf die Frage, in welchen (politischen) Entscheidungsprozesse der Bericht eingehen könnte:
„Ein Bericht des WWF hat gezeigt, dass die Länder der europäischen Union im Jahr 2017 für 16 Prozent der globalen Entwaldung verantwortlich waren [4]. Dies zeigt deutlich, dass Entwaldung und Walddegradierung nicht nur ein lokales Problem sind. Der IPBES-Bericht liefert in diesem Zusammenhang weitere Argumente für die Einführung entwaldungsfreier Lieferketten.“
„Die EU-Biodiversitätsstrategie verlangt 30 Prozent der Landfläche der Mitgliedstaaten unter Schutz zu stellen und zehn Prozent unter starken Schutz zu stellen [5]. Dies wird einen Großteil der Waldfläche der EU betreffen, da Biodiversitätsschutz in anderen Landnutzungsformen – beispielsweise Siedlungsflächen, Gewerbegebieten oder landwirtschaftlich genutzten Flächen – nicht sinnvoll oder nicht umsetzbar sein wird. Damit wird die EU-Biodiversitätsstrategie vor allem die Holznutzung in Waldflächen betreffen. Gleichzeitig wird durch die Einführung der Bioökonomie im Zuge des Green Deals eine stärkere Holzverwendung gefordert. Der zunehmende Holzbedarf kann zukünftig nur durch Importe gedeckt werden, was wiederum zu Leakage-Effekten führen wird – das heißt, zu Holzimport auch aus Regionen mit nicht-nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Der IPBES-Bericht stellt die Bedrohung der (Wald-)Biodiversität in einen globalen Zusammenhang und macht damit deutlich, dass Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität von Wäldern nicht nur regionalen Interessen folgen sollten.“
„In der EU-Taxonomie zur nachhaltigen Finanzierung stellen Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität ein zentrales Element dar. Der vorliegende Bericht stellt den Biodiversitätsschutz in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Dieses Verständnis von Biodiversitätsschutz sollte auch Eingang in die EU-Taxonomie finden.“
Associate Professor, School of Engineering,Sustainable Agricultural Systems & Engineering Lab, Westlake University, China
„Der neue IPBES-Bericht über die nachhaltige Nutzung wildlebender Arten zeigt, dass über einen Zeitraum von 40 Jahren nur ein Drittel aller wildlebenden Arten nachhaltig genutzt wurde. Die deutliche Zusammenfassung der Wissenslücken bietet einen nützlichen Ausgangspunkt für eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen. Trotz heftiger Diskussionen über die Vor- und Nachteile der Trophäenjagd fehlt es beispielsweise immer noch an schlüssigen und quantitativen Beweisen für die nachhaltige Nutzung und den Nutzen der bejagten Arten. Außerdem werden die Meinungen der indigenen und lokalen Bevölkerung in dieser Diskussion und in Diskussionen über landwirtschaftliche Praktiken oft nicht gehört. Der Bericht kommt zur rechten Zeit, um in die Post-2020 Biodiversitätsziele einzugehen, die auf der bevorstehenden UN-Biodiversitätskonferenz im Dezember 2022 festgelegt werden sollen. Der IPBES-Bericht deckt eine wichtige, aber wenig beachtete Tatsache auf, nämlich die Rolle, die wildlebende Arten bei der Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung spielen, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Armut und Hunger.“
Leiter der Instituts für Ostseefischerei, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Rostock
„Der aktuelle Bericht der IPBES verdeutlicht, dass die Nutzung wilder lebender und damit nachwachsender Ressourcen einen hohen ökonomischen Wert hat und für große Teile der Weltbevölkerung unverzichtbar ist. Diese Nutzung muss jedoch nachhaltig sein, um dauerhaft fortgeführt werden zu können. Zudem ändern sich die Umweltbedingungen und damit die mögliche Nutzungsintensität, vor allem durch die Auswirkungen des Klimawandels. Betroffen sind vor allem Länder des globalen Südens, die viel stärker von der Verfügbarkeit wilder Ressourcen abhängen als die in unseren Breiten. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Rohware und technologische Fortschritte machen eine Übernutzung wahrscheinlicher.“
„Der Bericht fußt auf dem IPBES-Assessment des Zustandes der globalen Biodiversität von 2019. Er gibt nun aber Handlungsempfehlungen für die Politik und verzichtet dabei auf allzu plakative Aussagen zu einzelnen Stressoren, die im Assessment-Report von 2019 fragwürdig waren. Im Bereich Fischerei erkennt der aktuelle Bericht an, dass die Instrumente für und das Wissen um eine nachhaltige Nutzung im Grunde bereits vorliegen, aber nicht stringent genug umgesetzt werden. Für diesen Bereich sind die Empfehlungen der IPBES daher nicht neu, aber sie bieten einen sehr brauchbaren Überblick. Zudem wird ein Schwerpunkt auf indigene Fischereien gelegt, die in den Betrachtungen und Beschlüssen der Weltgemeinschaft häufig zu kurz kommen. Die große Bedeutung solider Wissenschaft und der Einbeziehung von Stakeholdern in den Prozess der Einrichtung von Bewirtschaftungsmaßnahmen wird zu Recht hervorgehoben.“
„In der Fischerei werden rund 7.500 wilde Arten vor allem für die Ernährung des Menschen genutzt – zwei Drittel des jährlichen Gesamtfangertrages von 90 Millionen Tonnen –, seltener nur mittelbar durch den Fang als Futter- oder Köderfische. Der Bericht hebt die große Rolle kleinskaliger Küstenfischereien für die Proteinversorgung der lokalen Bevölkerung und für die Beschäftigung und Teilhabe, insbesondere von Frauen, hervor. Er weist auch auf die über die Nahrungsmittelerzeugung hinausgehende soziale und kulturelle Bedeutung dieser Fischereien hin.“
„Nicht-extraktive Nutzungen der Biodiversität – zum Beispiel Whale Watching – werden als weitere ökonomisch bedeutende Nutzung benannt. In diesem Bereich besteht nach Ansicht der Autoren erhebliches Ausbaupotenzial, während es bei der extraktiven Nutzung eher um Konsolidierung, Verbesserung der Bewirtschaftung, Datenerhebung und Kontrolle und um die permanente Anpassung an sich schnell ändernde Umwelt- und Marktbedingungen geht. Die in einigen Regionen hohe Bedeutung der Freizeitfischerei – insbesondere wenn sie Fisch nicht entnimmt (,catch-and-release‘) und daher ethische Bedenken erzeugt – wird nicht diskutiert.“
„Der ausgewogene und sehr gut recherchierte Bericht, zu dem im Unterschied zum IPBES-Assessment von 2019 nun auch ausgewiesene Fischereiexperten prominent beigetragen haben, verdeutlicht, dass eine nachhaltige Nutzung wilder lebender Ressourcen erheblich zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN beitragen kann. Eine Nutzung ist in vielen Fällen sogar besser und hat global gesehen geringere Umweltauswirkungen als die vollständige Einstellung der Nutzung dieser Arten. Zum UN-Nachhaltigkeitsziel 14 – ,Life below Water' – könnte die nachhaltige Nutzung dem Bericht zufolge einen Beitrag von bis zu 71 Prozent leisten. Dies wird nach Ansicht der Autoren aber bereits vollständig berücksichtigt. Dies wird nach Ansicht der Autoren aber bereits vollständig berücksichtigt. Wie im Bericht aus 2019 wird Überfischung am Beispiel von Haien und Rochen erläutert und als größte Bedrohung für die marine Biodiversität dargestellt. Hier gibt es aus meiner Sicht methodische Schwächen, weil verschiedene Auswirkungen der Fischerei als ein Stressor zusammengefasst werden, Auswirkungen des Klimawandels dagegen in verschiedene Aspekte – Erwärmung, Versauerung, Meeresspiegelanstieg – aufgeteilt werden. Der Abgleich mit den Roten Listen der International Union for Conservation of Nature (IUCN) ist für die meisten Zielarten der kommerziellen Fischerei kaum brauchbar, weil die Arten in sich unterschiedlich entwickelnde Bestände zerfallen und sich deren Zustand schneller ändert, als die Roten Listen aktualisiert werden können. Viele der bedrohten Hai- und Rochenarten sind jedoch gar keine Zielarten der Fischerei, sondern meist unerwünschter Beifang. Durch die Entwicklung und den Einsatz selektiverer Fanggeräte könnten hier bedeutende Fortschritte zur Reduzierung der Umweltauswirkungen erzielt werden.“
„Der Bericht macht zu Recht klar, dass Bewirtschaftung und Datenerhebung in kleinskaligen Fischereien viel schwieriger ist als in industriellen. Sie benötigen daher innovative und partizipative Bewirtschaftungsansätze. Die verbreitete Wahrnehmung, dass Küstenfischereien nur aufgrund ihrer Größe harmlos seien und die Probleme der Meeresumwelt durch ein Verbot industrieller Fischerei zu beheben wäre, ist nicht zutreffend. Gut bewirtschaftete Fischbestände wachsen an, sie werden überwiegend durch industrielle Fischereien genutzt und liefern ungefähr die Hälfte des globalen marinen Fischertrags.“
„Insgesamt müssten Bewirtschaftungsinstrumente für marine wilde Arten stärker an die regionalen Bedingungen angepasst werden, um erfolgreich zu sein. Dabei müssen in diesem Bereich – anders als an Land – keine grundlegend neuen Ansätze entwickelt werden. Vielmehr muss die Anwendung konsistenter und zielgerichteter erfolgen.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Es bestehen keine Interessenskonflikte.“
„Ich bin deutscher Bundesbediensteter und Leiter einer Bundes-Ressortforschungseinrichtung, außerdem deutscher Vertreter im Advisory Committee des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) und damit nationaler Verantwortlicher für die wissenschaftliche Bewirtschaftungsempfehlung für Fischbestände des Nordost-Atlantiks, Mitglied des ICES Councils (Aufsichtsrat); Vorsitzender des Technischen Beratungsgremiums des Marine Stewardship Councils und Mitglied des Aufsichtsrates dieser Organisation; Mitglied der wissenschaftlichen Beiräte des Deutschen Meeresmuseums und des Deutschen Fischereiverbandes.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Fromentin JM et al. (2022): Summary for policymakers of the thematic assessment of the sustainable use of wild species of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. DOI: 10.5281/zenodo.6376141.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2019): Globales Assessment des Weltbiodiversitätsrates. Research in Context. Stand: 06.05.2019.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Food and Agriculture Organization of the United Nations (2022): The state of the world Fisheries and Aquaculture (SOFIA). DOI: 10.4060/cc0461en.
[2] Butarbutar T et al. (2019): Carbon recovery following selective logging in tropical rainforests in Kalimantan, Indonesia. Forest Ecosystems. DOI: 10.1186/s40663-019-0195-x.
[3] Gräfe S et al. (2020): Recovery Times and Sustainability in Logged-Over Natural Forests in the Caribbean. Forests. DOI: 10.3390/f11030256.
[4] Word Wildlife Fund (2021): Stepping up? The continuing impact of EU consumption on nature worldwide.
[5] European Commission (2020): EU Biodiversity Strategy for 2030 - bringing nature back into our lives.
Dr. Rainer Froese
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Marine Evolutionsökologie, Forschungsbereich Marine Ökologie, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Kiel
Prof. Dr. Matthias Glaubrecht
Professor für Biodiversität der Tiere, Universität Hamburg, und Wissenschaftlicher Projektleiter, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Hamburg
Dr. Stefan Prost
Wissenschaftler am Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie, Universität Wien, und Zentrale Forschungslaboratorien, Naturhistorisches Museum Wien, Österreich
Prof. Dr. Michael Köhl
Professor für Weltforstwirtschaft, Universität Hamburg
Prof. Dr. Thomas Wanger
Associate Professor, School of Engineering,Sustainable Agricultural Systems & Engineering Lab, Westlake University, China
Dr. Christopher Zimmermann
Leiter der Instituts für Ostseefischerei, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Rostock