Antibiotika verringern Impfschutz bei Kleinkindern
die Gabe von Antibiotika im Kleinkindalter steht im Zusammenhang mit geringeren Antikörperleveln nach Impfungen
die Schutzwirkung durch Impfungen könnte dadurch nicht erreicht werden
weniger Antibiotika oder die Verwendung von Probiotika könnten dem Effekt entgegenwirken
Die Einnahme von Antibiotika bei Kleinkindern steht im Zusammenhang mit einem geringeren Schutz durch Impfungen. Zu dieser Schlussfolgerung kommen US-amerikanische Forschende, die 560 Kinder in einem Zeitraum von 6 bis 24 Lebensmonaten regelmäßig untersucht und beobachtet haben. Ihre Ergebnisse veröffentlichen Sie im Fachjournal „Pediatrics“ (siehe Primärquelle).
Arbeitsgruppenleitung Infektionsepidemiologie am Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Profilzentrum Gesundheitswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
„Die Ergebnisse der Studie sind sehr interessant und zeigen erneut, wie wichtig es ist, dass Antibiotika nicht leichtfertig verabreicht werden.“
Auf die Frage, inwiefern die Auswertung der Antikörperlevel ausreicht, um auf die Schutzwirkung der Impfung schließen zu können:
„Insbesondere im letzten Jahr gab es viele Studien, die den Zusammenhang von Antikörpern mit dem Schutz vor Infektionen mit SARS-CoV-2 untersucht haben und diesen Zusammenhang zeigen konnten [1]. Man kann daher mutmaßen, dass es diesen Zusammenhang auch bei anderen Impfungen gibt. Hochwertige Studien zum Zusammenhang zwischen Antikörpertitern und dem Immunschutz gegen andere impfpräventive Infektionskrankheiten – insbesondere in der frühen Kindheit – stehen dazu allerdings noch aus.“
Auf die Frage, inwiefern sich der Zusammenhang zwischen der Antibiotikagabe, dem Darmmikrobiom und der Immunantwort erklärt:
„Der Darm ist von unzähligen unterschiedlichen Bakterien besiedelt, die unser Immunsystem auf Trapp halten und dafür sorgen, dass es in Balance bleibt. Antibiotika, die in der frühen Kindheit oft gegen eine Mittelohrentzündung verschrieben werden, greifen nicht nur die gefährlichen Bakterien im Ohr an, sondern auch die nützlichen Bakterien des Darmmikrobioms. Die Balance der Bakterien mit unserem Immunsystem wird dadurch gestört und es ist denkbar, dass Impfungen dadurch nicht mehr ihre volle Wirkung zeigen, was zu einem verminderten Immunschutz führen kann. In der Studie von Chapman et al. wurde das Darmmikrobiom nicht untersucht, sodass dieser Zusammenhang hier theoretisch bleibt.“
Auf die Frage, ob es Methoden gibt, um die Wirkung der Antibiotika auf das Immunsystem auszugleichen:
„Es ist denkbar, dass ein verminderter Immunschutz durch eine weitere Impfung ausgeglichen werden kann. Dafür muss eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Rechnung durchgeführt werden. Möglicherweise kann eine Einnahme von Probiotika, welche das Darmmikrobiom während einer Antibiotikaeinnahme schützen sollen, den in der Studie beobachteten Effekt reduzieren. Weitere Studien sind auch hier notwendig.“
Leiter der Arbeitsgruppe Pädiatrische Immunologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mainz
„Publikationen aus dem Forschungsbereich von Michael Pichichero sind schon seit vielen Jahren immer sehr gut und betreffen relevante (klinische) Themen. Seine Argumentationen in der vorgelegten Studie fügen sich sehr gut in seine Publikationen der letzten Jahre ein, auch hinsichtlich der Mikrobiom-Thematik. Verwunderlich oder isoliert steht sein Befund auf keinen Fall da, er fügt sich ins Bild der klinischen und biomedizinischen Forschung der letzten Dekade in diesem Themenfeld ein.“
„Chapman et al. haben eine kontrollierte klinische Studie durchgeführt, welche den Effekt von Antibiotika auf den Impferfolg bei Kleinkindern beschreibt. Faktisch beschränkt sich ihre Beobachtung darauf, dass Kinder im Alter bis zwei Jahren etwas niedrigere, Impfstoff-induzierte Antikörpermengen entwickelten, wenn sie Antibiotika erhalten hatten.“
„Die Studie ist fachgerecht aufgebaut, folgt den üblichen, sehr strikten Anforderungen an klinische Studien und kann ihre Schlussfolgerung auf ein statistisch aussagekräftiges, beeindruckend große Gruppe an Studienteilnehmern stützen. Durch die Verlaufskontrolle – es gab mehrere Testzeitpunkte pro Teilnehmer – und die Auswertung einer Vielzahl an unterschiedlichen Antikörpern gewinnt die Studie an Aussagekraft.“
„Die verabreichten Impfstoffe wurden in der nahen Vergangenheit in ihrer Wirkung und bezüglich der Mindestmengen an Antikörper sehr gut untersucht. Wird ein Mindestniveau an Antikörper für eine Impfung nicht erreicht, besteht berechtigterweise die Befürchtung, dass nur ein verminderter Schutz vermittelt wurde. Eine Ausnahme besteht bei einer Impfung gegen Keuchhusten, für die sich seit Jahren dieses Mindestmaß für einen Schutz nicht festlegen lässt. Was in der Studie nicht nachgewiesen wird, ist ein Ausbleiben einer Impfantwort. Alle Kinder haben also produktiv auf die Impfstoffe reagiert und verfügen über einen gewissen Schutz. Antikörper sind nur ein Teil der immunologischen Antwort auf einen Impfstoff. Das T-Zell-vermittelte Immungedächtnis wurde in der Studie zwar nicht untersucht, wird aber nach begründetem Verständnis auch induziert worden sein und somit eine Schutzwirkung vermitteln können. Ob die Kinder nochmals nachgeimpft (geboostert) werden sollten, kann aktuell nicht auf Grundlage dieser Studie gesagt werden – möglicherweise wäre eine Nachkontrolle zum dritten oder fünften Lebensjahr hilfreich, um den Bedarf nacheinem Booster zu erkennen. In einigen Ländern werden einige der betrachteten Impfstoffe ohnehin im Laufe der Kindheit aufgefrischt. Ob dann nach einer Auffrischimpfung die Kinder mit Antibiotikagabe noch von der Kontrollgruppe zu unterscheiden wären, kann nur eine Nachfolgestudie mit den gleichen Kindern zeigen.“
„Je nach Krankengeschichte eines Kindes wurden unterschiedliche Antibiotika und Antibiotikamengen verabreicht. In vielen Fällen bedurfte es aber keiner Antibiotikagabe – diese Kinder stellen in der vorliegenden Studie die Kontrollgruppe dar. Antibiotika bekämpfen Bakterien, die Erkrankungen auslösen, und wirken dabei nicht selektiv, sondern schalten auch eine große Anzahl unbeteiligter Bakterienarten aus. Man geht heute davon aus, dass Antibiotika die Darmflora massiv – insbesondere in der Artzusammensetzung – beeinträchtigen, dies umso mehr, wenn mehrfach und unterschiedliche Antibiotika verabreicht werden.“
„Die in dieser Studie betrachteten Kinder unter zwei Jahren befinden sich zudem – unabhängig von einer Antibiotikagabe und Krankengeschichte bezüglich ihrer Darmflora – noch in der Entwicklung. Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass erst im Alter zwischen drei und fünf Jahren bei Kindern die Entwicklung der Darmflora abgeschlossen ist. Ab der Geburt verläuft die Entwicklung der Darmflora individuell sehr unterschiedlich – das heißt, auch die Effekte von Antibiotika können sehr unterschiedlich ausfallen. Eine Erholung findet mutmaßlich statt, jedoch ist aktuell noch unklar, ob die Erholung jeweils vollständig verläuft und zu einer günstigen Artzusammensetzung führt.“
„Durch die Gabe von Probiotika – also Bakterien, welche für die Darmflora förderlich sind oder sein könnten – wird versucht, die Erholung der Darmflora positiv zu beeinflussen, wobei hier noch viele Fragen offen sind. Probiotikagabe war in der vorliegenden Studie kein Thema, könnte aber eine unterstützende Maßnahme für die erfolgreiche Immunantwort sein. Das ist sicherlich nicht isoliert zu betrachten, sondern sollte auch grundsätzliche Effekte der Zusammensetzung der Ernährung einbeziehen.“
„Konzeptionell gibt es aus Tiermodellen, aber auch aus klinischen Studien, viele Hinweise darauf, dass das ‚Ökosystem Darmflora‘ einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung und die Konstitution des Immunsystems hat. Ohne eine Auseinandersetzung mit einer sich entwickelnden Darmflora ist ein Kind nach Geburt nicht in der Lage, ein leistungsfähiges Immunsystem zu entwickeln. Die Darmflora ist sozusagen Herausforderung und Förderung in einem. Insofern ist die Argumentation der Studie zutreffend.“
„Vor dem Hintergrund unseres aktuellen Wissens zu Immunität, Darmflora und Vakzinierung vermittelt die vorgelegte Studie einen eleganten Nachweis für die problematischen Nebenwirkungen von Antibiotika. Nicht nur die Resistenzentwicklung bei Antibiotikagabe, sondern auch die physiologischen Effekte, müssen uns zu einem sorgfältigen, auf das Nötigste beschränkten Einsatz von Antibiotika im Kindesalter auffordern. Die zugrundeliegenden Mechanismen für diese Effekte sind aktuell Gegenstand der einschlägigen Forschung.“
Leiter der Forschungsgruppe Zelluläre Mikrobiologie, Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum
„Die Studie hat die Art und Anzahl an Antibiotikatherapien bei Kindern zwischen dem 9. und 24. Lebensmonat verglichen mit den Antikörperantworten gegen zehn Antigene aus vier Impfstoffen, die Kindern in diesem Alter gegeben werden. Die Studie von Chapman und Kollegen in „Pediatrics“ an 560 Kindern, 342 mit und 218 ohne Verschreibungen von Antibiotika, hat die Immunantwort anhand der Antikörpertiter gegen zehn Antigene der vier Impfstoffe gegen Diphtherie-Tetanus-Keuchhusten (DTaP), das inaktivierte Polio-Vakzin (IPV), gegen Haemophilus influenzae type b (Hib), und gegen das Pneumokokkenkonjugat Vakzin (PCV) untersucht. Die Anzahl der Probanden ist schon so umfangreich, dass statistisch relevante Daten zu erwarten sind. Auch sind die angewandten statistischen Analysen für diese Studie sinnvoll. Sicher wäre interessant, ob in ähnlichen Studien in anderen Regionen der Welt vergleichbare Ergebnisse erzielt werden. Alle Antikörpertests wurden unter ‚Good Laboratory Practices‘ am Rochester General Hospital durchgeführt. Meines Erachtens ist diese Studie wissenschaftlich fundiert durchgeführt.“
„Das wichtigste Ergebnis ist, dass besonders bei Kindern mit Antibiotikagaben zwischen dem 9. und 24. Lebensmonat signifikant geringere Antikörpertiter gemessen wurden. Diese liegen unter den Konzentrationen, die generell für einen Immunschutz als relevant angesehen werden. Damit hätten sie ein erhöhtes Risiko, an Infektionen zu erkranken, die durch die Erreger, gegen die geimpft wurde, ausgelöst werden.“
„Interessant ist auch, dass Amoxicillin alleine keinen Effekt hat, jedoch Amoxocillin zusammen mit Clavunat. Dabei handel es sich um einen Inhibitor von Lactamase, einem Enzym, das beta-Laktam-Antibiotika wie Amoxicillin, Ceftriaxone und Cefdinir spalten. Auch ist interessant, dass die Kombination aus Amoxicillin und Clavulanate nach fünf Tagen einen geringeren Effekt auf die Antikörperproduktion hatte als nach einer Gabe für zehn Tage. Kürzer Antibiotika zu geben scheint also besser zu sein.“
„Der Einfluss der Krankheiten, wegen derer die Antibiotika gegeben wurden, auf die Antikörperbildung nach der Impfung müsste unabhängig von der Antibiotikagabe analysiert werden – das heißt, bei Kindern mit ähnlichen Erkrankungen ohne Antibiotikagabe.“
„Die ELISA-Tests haben nur die Menge an Erreger-spezifischen Antikörpern getestet, nicht jedoch die Bindungsaffinität der gemessenen Antikörper an den Erreger und ihr Potenzial, die Erreger zu neutralisieren, das heißt, die Infektion zu verhindern. Das wäre noch interessant. Ebenso, wie hoch die Anzahl an Gedächtniszellen ist, die durch die Impfung ausgelöst wurde, sowohl innerhalb der T- als auch der B-Zellen.“
Auf die Frage, inwiefern sich der Zusammenhang zwischen der Antibiotikagabe, dem Darmmikrobiom und der Immunantwort erklärt:
„Antibiotikagaben bei kleinen Kindern können das Mikrobiom insofern verändern – sogar für längere Zeit, vor allem nach langer Antibiotikagabe –, dass die Diversität der vorhanden Bakterienarten zurückgeht. Dies führt zu einer Dysbiose (Ungleichgewicht der Darmflora, also wenn die Besiedelung des Darms mit nützlichen Bakterien krankhaft gestört ist; Anm. d. Red.) des Mikrobioms. Das wurde auch in Modellstudien in Mäusen gezeigt. Das kann zu einer höheren Empfänglichkeit für Infektion führen – da es ist zum Beispiel einfach mehr Platz für Krankheitserreger gibt –, aber auch zu höheren Entzündungswerten, die das Immunsystem negativ beeinflussen können.“
„Es müssten also kürzere Behandlungsschemata entwickelt werden, die auch schon in der kurzen Zeit wirksam sein können, ebenso wie sogenannte ‚point of care Diagnostika‘, die zeitnah die Antibiotikawirksamkeit anzeigen können, sodass die Gabe verkürzt werden kann.“
Auf die Frage, ob es Methoden gibt, um die Wirkung der Antibiotika auf das Immunsystem auszugleichen:
„Probiotika sollten getestet werden, die das Mikrobiom nach der Antibiotikagabe schneller wiederherstellen, das heißt dessen Resilienz verbessern. Die Impfungen während der Antibiotikagabe auszusetzen und nach Therapieende nachzuholen, könnte auch eine Konsequenz der Studie sein.“
„Eine Zweit- (Booster) Impfung kann natürlich die Immunantwort erhöhen. Aber die Zeitfenster für die Kleinkinderimpfungen wurden so gewählt, dass optimale Immunantworten erzeugt werden können.“
„Es bleibt noch die Frage, inwieweit kleine Kinder, die häufiger bakterielle Infektionskrankheiten haben und damit häufiger mit Antibiotika behandelt werden, vielleicht generell eine schlechtere Immunantwort aufbauen. Damit könnte bei diesen Kindern die schlechtere Antikörperantwort gegen die Impfstoffe auch ein intrinsisches immunologisches Problem darstellen.“
„Keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Chapman TJ et al. (2022): Antibiotic Use and Vaccine Antibody Levels. Pediatrics. DOI: 10.1542/peds.2021-052061.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Khoury DS et al. (2021): Neutralizing antibody levels are highly predictive of immune protection from symptomatic SARS-CoV-2 infection. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-021-01377-8.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Hagan T et al. (2019): Antibiotics-driven gut microbiome perturbation alters immunity to vaccines in humans. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2019.08.010.
Dr. Cornelia Gottschick
Arbeitsgruppenleitung Infektionsepidemiologie am Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Profilzentrum Gesundheitswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Dr. Claudius Meyer
Leiter der Arbeitsgruppe Pädiatrische Immunologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mainz
Prof. Dr. Ulrich Schaible
Leiter der Forschungsgruppe Zelluläre Mikrobiologie, Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum