Einfluss von Naturschutzgebieten auf Ernährungssicherheit
Würden 30 Prozent der globalen Landfläche strikt unter Naturschutz gestellt, würde das die Ernährungssicherheit in weiten Teilen der Welt gefährden. Besonders in einkommensschwachen Regionen wie Südasien und Subsahara-Afrika würden wesentlich mehr Menschen durch Mangel- und Unterernährung sterben. Einkommensstarke Regionen dagegen wären weniger betroffen. Zu diesem Schluss kommen Forschende in einer Studie, die am 03.02.2022 in „Nature Sustainability“ erschienen ist.
Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
„Die Studie verwendet ein räumlich explizites Simulationsmodell, welches relevante Parameter der globalen Nahrungsproduktion mit Ernährungs- und Gesundheitsdaten kombiniert. Die Methodik entspricht dem Stand der Forschung. Die Ergebnisse erscheinen mir von der Größenordnung her plausibel.“
„Die genauen Zahlen sollten nicht überinterpretiert werden, weil solche Simulationen auf vielen Annahmen aufbauen, die mit Unsicherheit behaftet sind. Die Autoren der Studie versuchen aber gar keine genauen Prognosen abzugeben, sondern sie zeigen vielmehr auf, welche Arten von Effekten für menschliche Gesundheit zu erwarten wären, wenn man Schutzzonen für Biodiversität global in erheblichem Umfang ausdehnen würde.“
„Der aus meiner Sicht wichtigste Beitrag der Studie ist das Aufzeigen von potenziellen Zielkonflikten zwischen globaler Ernährungssicherung und dem Schutz der Biodiversität, weil die Ausdehnung von Landflächen für die Nahrungsproduktion der größte Killer der natürlichen Artenvielfalt ist. Übrigens ist die Umwandlung von Naturland in Ackerflächen ja gleichzeitig auch ein erheblicher Treiber des Klimawandels. Ein zentraler Ansatzpunkt, um diese Zielkonflikte zu reduzieren, ist die Entwicklung neuer nachhaltiger Agrartechnologien, die eine ausreichende Nahrungsproduktion für die wachsende Weltbevölkerung auf weniger Ackerflächen ermöglichen. Diese Option wurde in der aktuellen Studie nicht modelliert.“
Junior-Professorin für Nachhaltige Entwicklung - Landnutzungs-Synergien und Konflikte, Department für Ökologie und Management natürlicher Ressourcen, Zentrum für Entwicklungsforschung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
„Das ist eine interessante Studie, die zeigt, dass es wichtige Wechselwirkungen zwischen Biodiversitätsschutz und anderen Formen der Landnutzung gibt. Die verfügbare Fläche ist begrenzt und deshalb sollten diese Wechselwirkungen auch in politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Insbesondere die Ausweitung von Schutzgebieten im globalen Süden hätte hier sicherlich einschneidende Änderungen für die lokale Bevölkerung zur Folge, die es zu berücksichtigen und abzufedern gilt. Allerdings ist es ja nicht so, als würde Land nur für Biodiversitätsschutz oder Nahrungsmittelproduktion genutzt, sondern zum Beispiel auch für die Produktion von Materialien und Energie. Zudem werden viele der landwirtschaftlichen Produkte, die große Flächen im globalen Süden benötigen, in andere Länder exportiert. Wenn wir von anderen Ländern erwarten, dass Gebiete geschützt werden, um Biodiversität auf globaler Ebene zu schützen, dann muss dies auch durch entsprechende globale finanzielle Mechanismen ermöglicht werden.“
„Die Studie legt außerdem dar, was zunehmende Flächennutzung für Schutzgebiete für die menschliche Gesundheit im Kontext der Ernährung bedeuten würde. Was aber außer Acht gelassen wird, ist, dass Schutzgebiete auch positive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben, zum Beispiel durch die Regulation von Klima und Krankheiten. Es wäre sicherlich interessant diese Auswirkungen gegenzurechnen.“
„Des Weiteren gehen die Autoren davon aus, dass die Schutzgebiete nicht mehr durch den Menschen genutzt werden. Das ist aber nur selten der Fall. Auch relativ strikt geschützte Gebiete werden in vielen Ländern weiterhin durch die lokale Bevölkerung genutzt, wenn auch in geringerem Umfang. In den letzten Jahren sind Schutzgebiete, die durch die lokale Bevölkerung mit-gemanagt werden, immer wichtiger geworden. Der Ansatz, dass Schutzgebiete ohne Einbeziehung der lokalen Bevölkerung eingerichtet werden, hat sicherlich ausgedient und ist gerade in solchen Gebieten, in denen die lokale Bevölkerung die lokalen Ressourcen vergleichsweise intensiv nutzt, wichtiger denn je.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter on environmental sustainability and public healthOxford Martin Programme on the Future of Food, Oxford Martin School, Social Science Division, Universität Oxford, Großbritannien, Vereinigtes Königreich
„Die neue Studie von Roslyn Henry und Kollegen zeigt, dass naive Naturschutzstrategien negative Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit und die menschliche Gesundheit haben können.”
“Wenn wir unsere derzeitigen Ernährungsgewohnheiten beibehalten, wird erwartet, dass die Ausweisung von landwirtschaftlichen Flächen als Schutzgebiete die Nahrungsmittelproduktion verringern, die Preise steigern und den Konsum so verändern würde, dass sich die Ernährungsunsicherheit und die ernährungsbedingte Sterblichkeit erhöht. Die Studie ist gut durchgeführt, die Ergebnisse sind gut erklärt, und die allgemeine Wirkungskette ist logisch.”
“Die Studie ist insofern wichtig, als sie deutlich macht, dass die bloße Stilllegung von landwirtschaftlichen Flächen mehr Probleme als Nutzen bringen könnte. Daraus folgt jedoch nicht, dass keine Schutzmaßnahmen durchgeführt werden sollten. Stattdessen muss jede umsichtige Schutzstrategie von einem umfassenden Paket ernährungspolitischer Maßnahmen begleitet werden – insbesondere solchen, die auf Ernährungsgewohnheiten abzielen.”
“Meine Kollegen und ich haben ermittelt, dass eine Umstellung der Ernährung auf mehr pflanzenbasierte Ernährungsgewohnheiten, die ausgewogen sind – von einer fleischarmen bis hin zu einer rein pflanzlichen Ernährung –, den Bedarf an Acker- und Weideland verringern, die Qualität der Ernährung verbessern, die Zahl der ernährungsbedingten Todesfälle senken würde.“
„Die landwirtschaftliche Nutzfläche, die frei werden könnte, ohne die Ernährungssicherheit und die Gesundheit zu gefährden, entspricht nach unseren Studien und denen von Kollegen etwa der Größe des afrikanischen Kontinents. Wie diese Einsparungen bei der Landnutzung gerecht verteilt werden können, ist eine wichtige Frage für politische Entscheidungsträger, den Naturschutz und die Zivilgesellschaft.“
„Gleichzeitig würde eine Umstellung auf mehr pflanzliche Ernährung mit einem Rückgang der Sterblichkeit um 20 Prozent einhergehen. Es käme zu rund zehn Millionen weniger ernährungsbedingten Todesfällen bei den derzeitigen Bevölkerungszahlen und noch mehr, wenn die Bevölkerungszahlen und die ernährungsbedinge Sterblichkeit wie erwartet ansteigen.“
„Weitere Aspekte, die dazu beitragen könnten, Schutzgebiete einzurichten, ohne die Ernährungssicherheit zu beeinträchtigen, sind die Verbesserung der landwirtschaftlichen Erträge, die Verringerung von Lebensmittelverlusten und -abfällen sowie ein gut funktionierendes Handelssystem für Lebensmittel.”
„Naturschutz ohne andere Veränderungen durchzusetzen, wäre möglicherweise nicht zielführend. Naturschutz in Verbindung mit einer veränderten Ernährungsweise würde wahrscheinlich negative Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit und die Gesundheit verhindern.“
„Keine Interessenkonflikte“
„Interessenkonflikte gibt es von meiner Seite aus keine.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Henry RC et al. (2022): Global and regional health and food security under strict conservation scenarios. Nature Sustainability. DOI: 10.1038/s41893-021-00844-x.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2019): Globales Assessment des Weltbiodiversitätsrates. Fact Sheet. Stand: 06.05.2019.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Convention on Biological Diversity (2021): First draft of the Post-2020 Global Biodiversity Framework.
[II] Tauli-Corpuz V et al. (2020): Cornered by PAs: Adopting rights-based approaches to enable cost-effective conservation and climate action. World Development. DOI: 10.1016/j.worlddev.2020.104923.
Prof. Dr. Matin Qaim
Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Jun-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger
Junior-Professorin für Nachhaltige Entwicklung - Landnutzungs-Synergien und Konflikte, Department für Ökologie und Management natürlicher Ressourcen, Zentrum für Entwicklungsforschung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Dr. Marco Springmann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter on environmental sustainability and public healthOxford Martin Programme on the Future of Food, Oxford Martin School, Social Science Division, Universität Oxford, Großbritannien, Vereinigtes Königreich