Energie & Mobilität

24. November 2021

Kurze Dunkelflauten – lange Stromflauten? Preppen für die Dunkelflaute II

Die Energiewende ist eine Revolution der Stromversorgung. Künftig werden Wind und Sonne den Takt der Stromerzeugung vorgeben. Das bedeutet: Mal wird der Stromertrag über dem Verbrauch liegen, mal darunter; die Kunst wird darin bestehen, Verbrauch und Erzeugung auszupendeln.

Das Meisterwerk der Energiewende wird jedoch sein, die sogenannte Dunkelflaute zu beherrschen: Stunden oder gar Tage, in denen kaum noch Wind weht. Denn dann sackt auch der Stromertrag dramatisch ab. Um solche Dunkelflauten zu finden, haben wir mit dem SMC Lab ein digitales Tool entwickelt, den Dunkelflauten-Guide. Die Datenbasis – die Stromerzeugungsdaten seit 2015 – und die möglichen Filter haben wir im ersten Teil dieser Serie beschrieben [1].

Mit dem Dunkelflauten-Guide lassen sich anhand der Stromerzeugungsdaten interaktiv kritische Phasen in der Periode zwischen 2015 und 2020 aufspüren, in denen über Stunden oder Tage kaum noch Wind wehte. In diesem Fact Sheet präsentieren wir erste Ergebnisse einer solchen Dunkelflautensuche, es kann hier als pdf heruntergeladen werden. In einem dritten zeigen wir dann, wie die Weiterentwicklung des Guides zum „Energiewende-Explorer“ umgesetzt werden kann, um zum Beispiel mit der Frage „Wie viel Back-up brauchen wir für den Kohleausstieg?“ den vorgezogenen Ausstieg einem prüfenden Blick zu unterwerfen. Den Dunkelflauten-Guide können Sie auch selbst hier interaktiv ausprobieren, ebenso die Grundzüge für einen Energiewende-Stresstest in einem interaktiven Fact Sheet [2].

Dieses Fact Sheet ist Teil 2 der Reihe "Preppen für die Dunkelflaute":

Teil 1: Auf der Suche nach Stromdellen und Stromtälern

Teil 2: Kurze Dunkelflauten – lange Stromflauten?

Teil 3: Stresstest für den vorgezogenen Kohleausstieg

Model-Driven Fact Sheet: Wie gelingt die Energiewende (externer Link)

Model-Driven Fact Sheet: Dunkelflauten Guide (externer Link)

Übersicht

  • Stromflauten von 2015 bis 2020
  • Die kurze, tiefe Stromdelle
  • Das lange Stromtal
  • Die Dunkelflaute?
  • Fazit
  • Literaturstellen, die zitiert wurden
  • Weitere Recherchequellen

Stromflauten von 2015 bis 2020

  • Dunkelflauten gab es in der Vergangenheit natürlich nicht: Noch gibt es genug Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke. Aber man kann in den Stromerzeugungsdaten die Stunden und Tage finden, in denen der Anteil der Erneuerbaren am Strombedarf besonders tief gesunken ist. In einer reinen Erneuerbaren-Welt wären das die kritischen Zeiten. Man kann Dunkelflauten in den Daten auf zwei Weisen suchen:
    • nach tiefen Einspeise-Dellen. Um diese auszugleichen, wäre ein großer Park an Back-up-Kraftwerken oder Speichern notwendig.
    • nach langen Einspeise-Tälern. Sind diese zu lang, könnten sie durch Stromspeicher eventuell nicht mehr abgedeckt werden. Dafür wären nach dem derzeitigen Stand der Technik wohl konventionelle Kraftwerke notwendig – was mit dem Ziel einer klimaneutralen Stromversorgung kollidieren kann.

Die kurze, tiefe Stromdelle

  • Um solche Phänomene zu finden, haben wir ein Tool entwickelt: den Dunkelflauten-Guide. Der filtert in den Werten für den „Realisierten Stromverbrauch“ nach Einspeise-Dellen von Strom aus Wind und Sonne [1].
  • Dabei lässt sich zum Beispiel nach dem Anteil von Windkraft- und PV-Anlagen am Verbrauch suchen.
  • Das Ergebnis wird in einer Grafik wie unten dargestellt. Die farbigen Flächen sind alle Phasen, die der Guide mit dieser Einstellung findet: Auf der y-Achse sind die Jahre aufgetragen, auf der x-Achse die Tage im Jahr. Je länger eine Phase dauert, desto dunkler ist sie eingefärbt. Man kann die einzelnen Perioden vergrößern.
  • Als ersten Versuch haben wir als maximalen Anteil von Windkraft- und PV-Anlagen am Strombedarf fünf Prozent eingestellt, als minimale Dauer der Stromdelle zwei Stunden.
  • Das Ergebnis zeigt die Grafik :

Abbildung 1 : Anteil Wind & PV am Strombedarf des Tages <5 Prozent für mindestens zwei Stunden.

  • Dieses Ereignis trat in den sechs Jahren 364-mal auf.
  • Das entspricht 4,42 Prozent der Stunden zwischen 2015 und 2020.
  • Die meisten Phasen dauerten jedoch nur weniger Stunden.
  • Drei Extreme fallen allerdings auf:
    • am 19.01.2015 dauerte der Leistungsabfall 43 Stunden.
    • Am 23.01.2017 42 Stunden.
    • Am 22.01.2015 32 Stunden.
    • Am 08.01.2017 20 Stunden.
  • Danach fällt die Dauer unter 20 Stunden.

Zwischenfazit

  • Tiefe Einbrüche in der Stromeinspeisung durch Wind- und PV-Anlagen kamen immer wieder vor.
  • Die meisten Phasen dauerten nur wenige Stunden.
  • Die Ereignisse sind auch aufgrund des fortschreitenden Ausbaus der Erneuerbaren über die Jahre sehr unterschiedlich verteilt.
  • Die Ereignisse scheinen zwischen 2015 und 2020 abzunehmen, das hat schon vor dem Coronajahr 2020 mit niedrigem Stromverbrauch begonnen.
  • Januar 2015 und Januar 2017 heben sich etwas heraus.
  • Weitere optische Schwerpunkte sind im Oktober 2015, August 2016 und August 2017 zu erkennen.
  • Dunkelflauten – also langanhaltende Flauten im Winter – sind das jedoch noch nicht, eher Stromdellen oder Stromflauten.

Das lange Stromtal

  • In den nächsten Schritten kommt es drauf an, diese beiden Werte, also den Stromanteil der Erneuerbaren und Dauer so abzugleichen, dass tatsächlich auch langanhaltende Stromtäler sichtbar werden. Wenn zum Beispiel bei diesem Anteil der Erneuerbaren am Strombedarf eine Dauer länger als 42 Stunden eingestellt würde – das ist die Maximallänge, die der Guide für diesen Anteil gefunden hat – bliebe die Grafik weiß. Schrittweise sollten die Zeitdauer und der maximale Anteil angepasst werden, um möglicherweise vorhandene Strom-Täler zu finden, die am ehesten der Definition einer Dunkelflaute entsprechen. Als oberstes Beispiel für einen Zwischenschritt das Ergebnis für die Einstellung: Maximaler Anteil am Strombedarf 40 Prozent, minimale Dauer mehr als acht Tage (200 Stunden).
  • Das Ergebnis dieser Berechnung sieht wie folgt aus:

Abbildung 2: Anteil Wind & PV am Strombedarf des Tages <40 Prozent für mindestens 200 Stunden.

  • Dieses Ereignis trat in den sechs Jahren 28-mal auf.
  • Insgesamt hielten alle Flauten 16,15 Prozent der Zeit in den sechs Jahren.
  • In der Darstellung zeigt sich eine klare Verteilung:
    • Die meisten Ereignisse traten im Winter auf, gefolgt vom Spätherbst.
    • Im späten Frühjahr beziehungsweise Herbst traten nur wenige Ereignisse auf.
    • Nach 2018 gab es zwischen Frühjahr und November keine dieser langen Stromtäler mehr.
  • Von den vier Extremen der ersten Suche ist nur noch eines unter den ersten drei:
    • Im Januar 2017 begann das Stromtal am 14.01., 08:00 Uhr und dauerte 862 Stunden.
    • Am 12.10.2015, 14:00, Dauer 631 Stunden.
    • Am 01.08.2016, 14:00 Uhr, Dauer 438 Stunden.

Zwischenfazit

  • Die langen Stromtäler wurden seltener.
  • Die tiefe Stromdelle von 2017 taucht unter den Top 4 auch als Stromtal auf.
  • Den genauen Verlauf der Stromerzeugung durch Windkraft- und PV-Anlagen zeigt der Dunkelflauten-Guide auch an. Damit kann man sich einen Überblick über den Verlauf der Einspeisungen verschaffen. Außerdem kann der Blick helfen, die Filtereinstellung für den Anteil abzuschätzen. Beispielsweise beim Blick auf den Verlauf des längsten Stromtals vom Winter 2017:

Abbildung 3: Verlauf des Anteil Wind & PV am Strombedarf des Tages <40 Prozent für mindestens 200 Stunden.

  • Die „Stromtalsohle“ scheint nur bis zum 26. Januar zu dauern, danach steigt und fällt der Anteil wellenförmig.
  • Die Spitzen im ersten Teil des Stromtals reichen bis etwa 20 Prozent Anteil.

Die Dunkelflaute?

  • Nach der Beobachtung in dieser Kurve können dann die Filter auf folgende Werte gestellt werden: Maximaler Anteil am Strombedarf 20 Prozent, minimale Dauer mehr als acht Tage (200 Stunden).
  • Das Ergebnis:

Abbildung 4: Anteil Wind & PV am Strombedarf des Tages <20 Prozent für mindestens 200 Stunden.

  • Dieses Ereignis trat zwischen 2015 und 2020 drei Mal auf:
    • Vom 15.01.2017, 13:00 Uhr bis zum 26.01.2017, 11:00 Uhr (262 Stunden oder knapp 11 Tage).
    • Vom 16.01.2015, 12:00 Uhr bis zum 26.01.2015, 21:00 Uhr, (249 Stunden oder gut 10 Tage).
    • Vom 12.10.2015, 17:00 Uhr bis zum 22.10.2015, 10:00 Uhr (233 Stunden oder gut neuneinhalb Tage).
  • Insgesamt dauerten diese drei Flauten 1,41 Prozent des Gesamtzeitraums von 2015 bis 2020.
  • Die Stromerzeugung blieb dabei nicht die ganze Zeit auf einem Niveau, das zeigt ein Blick auf den Verlauf der Erzeugung:

Abbildung 5: Verlauf des Anteils Wind & PV am Strombedarf des Tages <40 Prozent für mindestens 200 Stunden.

  • Diese Stromflaute hat zwei markante Ereignisse:
  • Zwischen dem 19. Januar und dem 23. Januar 2017 sind deutliche Ausschläge nach oben zu erkennen: Das ist Solarstrom, der tagsüber erzeugt wird.
  • Am Nachtmittag des 22. Januar bricht der Anteil der Erneuerbaren durch eine sinkende PV-Erzeugung nochmal stark ein, innerhalb von fünf Stunden von 18 auf 1,88 Prozent.
  • „Dunkel“ wird diese Flaute am 24. Januar, da ist auch der Solarhügel nur noch flach.
  • Diese Phase dauert aber auch nicht länger als drei Tage.

Fazit

  • Tiefe Dellen oder lange Täler in der Stromerzeugung durch Erneuerbare lassen sich in den Strommarktdaten gut erkennen.
  • Die tiefsten Sohlen der Stromtäler kann man als Beispiele für Dunkelflauten nehmen.
  • Dem Bild eines nebelverhangenen, 14 Tage währenden, windstillen Januarfrost, der durch den Begriff „kalte Dunkelflaute“ beschworen wird, entsprechen diese Phasen nur ungefähr. Das kann aber durchaus daran liegen, dass die Daten bisher nur sechs Jahre umfassen.
  • Ein besserer Begriff für diese Phasen wäre vielleicht Stromflaute.
  • Schon diese zwischen 2015 und 2020 entdeckten Stromflauten dürften aber harte Nüsse für die Energiewende in Deutschland werden:
    • Sie traten im Winter auf.
    • Im Winter ist der Strombedarf höher als im Sommer. In Zukunft wird der Strombedarf im Winter durch Elektrische Heizungen noch mehr steigen.
    • Die Erzeugung von Wind und PV fiel auf unter hundert Megawatt.
    • Ihre Auslastung – Anteil des erzeugten Stroms an der installierten Leistung – sank auf deutlich unter fünf Prozent.
    • Selbst wenn der Ausbau deutlich beschleunigt wird, dürfte in dieser Phase über längere Zeit ein Loch in der Stromerzeugung klaffen.
  • Für solche Phasen muss eine Back-up-Versorgung eingeplant werden. So, wie die Stromflauten hier aussehen, kann es sein, dass diese Back-up-Versorgung sehr hoch ausfallen muss, aber nur wenige Stunden pro Jahr laufen wird. Weil es einige Zeit dauern kann, bis diese Versorgung einsatzbereit ist, sollte die politische Diskussion darüber rasch beginnen.

Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Science Media Center (2021): Auf der Suche nach der Dunkelflaute – Preppen für die Dunkelflaute I. Fact Sheet. Stand 24.11.2021.

Weitere Recherchequellen