Erste Daten zum Immunschutz gegen Omikron-Variante
Gleich mehrere Analysen des Immunschutzes gegen die neue SARS-CoV-2-Variante Omikron sind in den vergangenen Stunden veröffentlicht worden. Sie alle zeigen nach verschiedenen Kombinationen von Impfungen und natürlicher Infektion eine stark, circa 40-fach reduzierte neutralisierende Wirkung von Antikörpern, das Virus zu binden und den Eintritt in die menschliche Zelle – also eine Infektion – zu verhindern. Omikron hat damit das Potenzial, der Immunantwort des Körpers zum Teil zu entgehen. Ergebnisse zur Schutzwirkung der zellulären Bestandteile des Immunsystems, wie B- und vor allem T-Zellen, vor einer schweren COVID-19-Erkrankung fehlen weiterhin.
Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund, und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
„Bisher kannten wir nur die Mutationen von Omikron und konnten vermuten, dass diese wahrscheinlich zu einer schlechteren Schutzwirkung der Impfungen gegen eine Infektion mit der Omikron-Variante führen werden. Daher ist es jetzt wichtig, erste Daten zu sehen. Die Ergebnisse zeigen ganz klar, dass auch die neutralisierenden Antikörper von Geimpften in der Lage sind, Omikron zu binden und zu neutralisieren. Die Impfungen sind also nicht nutzlos. Aber: Man braucht deutlich höhere Antikörperspiegel, um Omikron noch erfolgreich zu neutralisieren – ungefähr 40-fach mehr. Die Experimente mit den Pseudoviren haben einen geringeren Abfall gezeigt, die Daten mit dem isolierten Virus sind aber relevanter. Das ist ein großer Unterschied – der größte Unterschied, den wir je bei einer Variante beobachtet haben. Die Daten zeigen, dass selbst zweifach Geimpfte oft nicht genügend Antikörper haben, um Omikron zu neutralisieren. Erst nach einem Booster oder nach der Kombination aus Infektion plus zweifacher Impfung sind genügend Antikörper vorhanden. Das bedeutet, dass wir mit Omikron noch mehr Durchbruchsinfektionen sehen werden. Die Inzidenzen könnten daher noch mal deutlich steigen.“
„Was aktuell noch fehlt, sind Daten dazu, ob eine Omikron-Durchbruchsinfektion auch mehr schwere Verläufe verursacht. Oder anders gesagt: Ob der Impfschutz vor schwerer Erkrankung bei Omikron noch hoch ist. Da dieser Schutz nicht nur auf den Antikörpern beruht, gehe ich aktuell davon aus, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung auch bei Omikron noch vergleichsweise hoch ist. Das könnte auch erklären, warum man in Südafrika eher milde Verläufe sieht. Es stecken sich Personen mit Immunschutz an, die noch gut vor einer schweren Erkrankung geschützt sind. Wobei das Alter der Infizierten in Südafrika auch eine Rolle spielt. Aber: Ungeimpfte werden gegenüber Omikron noch weniger geschützt sein. Daher werden mit steigenden Inzidenzen auch mehr schwere Fälle und damit eine zusätzliche Belastung des Gesundheitssystems einhergehen.“
„Meiner Meinung nach wird es notwendig sein, die Impfstoffe anzupassen. Ein Booster mit einem angepassten Impfstoff würde genau die Gedächtniszellen stimulieren, die Antikörper produzieren, die auch Omikron neutralisieren können. Daher würde ein Booster mit einem angepassten Impfstoff sicherlich auch einen guten Schutz gegen Omikron vermitteln. Da diese angepassten Impfstoffe frühestens nächstes Jahr im Februar oder März kommen werden, sollte man aber jetzt nicht darauf warten, sondern sich jetzt impfen oder boostern lassen. Wenn Omikron die Delta-Variante weltweit komplett verdrängt, werden die aktuellen Impfstoffe alle durch neue Versionen ersetzt werden müssen. Das geht bei mRNA-Impfstoffen vergleichsweise schnell, bei den anderen Impfstoffen kann es aber deutlich länger dauern.“
Leiter des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
„Die ersten Ergebnisse zu der Wirksamkeit von Antikörpern gegen Omikron bestätigen leider unsere Befürchtungen bezüglich des sogenannten Immune Escapes. Demnach ist die Wirkung von monoklonalen Antikörpern für den therapeutischen oder prophylaktischen Einsatz und auch von Antikörpern nach Impfung gegen Omikron drastisch reduziert. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird damit der Immunschutz vor einer Infektion mit Omikron geringer sein, das sieht ja auch in den ersten epidemiologischen Untersuchungen so aus. Welchen Einfluss dieser Effekt auf das Risiko für schwere Verläufe hat, muss sich noch zeigen.
„Da es noch andere Komponenten des Immunsystems gibt, bin ich trotzdem optimistisch, dass durch die Immunität eine gute Schutzwirkung vor schweren Verläufen bestehen bleibt. Eine Auffrischung der Impfimmunität ist aktuell umso wichtiger, da dadurch auch die zelluläre Immunität geboostert wird, was sicher gegen Omikron wichtig ist. Bei der Anpassung der Impfstoffe sollte aus meiner Sicht auch überlegt werden, ob das Spike-Protein als Zielantigen ausreichend ist, oder ob die Immunität durch Hinzunahme weiterer Virusproteine breiter aufgestellt werden kann.“
Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin
„Diese ersten Daten zur Neutralisationswirkung von Antikörpern und Impfseren zu Omikron bestätigen leider unsere Erwartung einer starken Immunevasion dieser Variante. Es konnte gezeigt werden, dass Antikörper im Serum von Geimpften deutlich schwächer Virusisolate der Omikron-Variante neutralisieren können, verglichen mit der Delta-Variante beziehungsweise früheren Varianten. Alle Studien haben bislang noch kleine Fallzahlen untersucht, was einfach daran liegt, dass hier sehr aufwendige Experimente in sehr kurzer Zeit durchgeführt und ausgewertet wurden. Aber es zeichnet sich deutlich ab, dass sechs Monate nach der zweiten Impfung unzureichende neutralisierende Antikörper gegen die Omikron-Variante vorliegen und mit einer Boosterimpfung eine deutliche Verbesserung der Antikörperneutralisation erreicht werden kann, wobei auch nach der Boosterimpfung eine Immunflucht von Omikron deutlich wird.“
„Es ist weiterhin zu früh, um abzuleiten, wie stark der Impfschutz gegenüber Omikron eingeschränkt wird. Aber ich gehe davon aus, dass wir mit deutlich mehr Durchbruchinfektionen rechnen müssen, aber Booster werden einen positiven Effekt haben. Die bisher bekannten Daten lassen noch keine Aussage zur zellulären Immunität durch sogenannte T-Zellen zu. Hier erwarten wir keine wesentliche Einschränkung durch die Mutationen in Omikron, sodass ich erwarte, dass der Impfschutz vor schwerer COVID-19-Erkrankung weiterhin größtenteils aufrechterhalten wird. Hierzu werden aber weitere Daten benötigt. Letztendlich wird aber eine Anpassung der Impfstoffe an diese neue Immunfluchtvariante notwendig.“
Professor of Vaccinology at the Department of Microbiology, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, Vereinigte Staaten
Auf die Frage, inwiefern sich vorhandene Impfstoffe gegen neu entstehende Virusvarianten wie Omikron behaupten können:
„Die Impfstoffe, um die ich mir im Moment mehr Sorgen als um die in Europa und Nordamerika breit angewendeten Impfstoffe mache, sind einerseits Impfstoffe, die nur einmal verabreicht werden, und andererseits die inaktivierten Impfstoffe (Totimpfstoffe; Anm. d. Red.), die nicht unbedingt eine gute T-Zell-Antwort hervorrufen und nur niedrige neutralisierende Antikörpertiter induzieren können. Ich würde annehmen, dass die Wirksamkeit der Immunantwort durch die Impfung bei ihnen am stärksten abnimmt. Bei Impfstoffen, die eine gute T-Zell-Reaktion hervorrufen oder sehr hohe neutralisierende Antikörpertiter induzieren, bin ich etwas weniger besorgt.“
„Inaktivierte Impfstoffe sind in der Regel nicht gut geeignet, um eine T-Zell-Antwort auszulösen. Wenn man sich die Datensätze aus den Laboren von Alex Sigal und Sandra Ciesek ansieht, erkennt man, dass Omikron eine sehr starke Immune-Escape-Variante ist, wenn es um die In-vitro-Neutralisierung im Labor geht. Wir müssen uns also auf weitere Sicherheitsnetze unseres Immunsystems verlassen können – wie T-Zell-Antworten, nicht neutralisierende Antikörperantworten oder Gedächtnisreaktionen des B-Zell-Kompartiments. Aber je niedriger der Ausgangsstatus ist – also je weniger Antikörper und je weniger T-Zell-Antwort man hat –, desto leichter wird es für eine starke Escape-Variante wie Omikron sein, eine Krankheit auszulösen. Ich denke, das müssen wir im Auge behalten. Und wir müssen ehrlich sein: Nicht alle Impfstoffe sind gleich, wir sehen durchaus Unterschiede.“
„Mein Labor erhält Fördermittel von: US National Institutes of Health, US Department of Defense, Bill and Melinda Gates Foundation, PATHGlaxoSmithKline hat in der Vergangenheit ein Forschungsprojekt finanziert, in dem mein Labor involviert war.Die Icahn School of Medicine at Mount Sinai hat mehrere Patente zum Thema Influenza-Impfstoffe und Influenza-Therapien angemeldet, auf denen ich als Erfinder genannt werde.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Wilhelm A et al. (2021): Reduced Neutralization of SARS-CoV-2 Omicron Variant by Vaccine Sera and monoclonal antibodies. medRxiv. DOI: 10.1101/2021.12.07.21267432.
Prof. Dr. Carsten Watzl
Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund, und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
Prof. Dr. Jörg Timm
Leiter des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
Prof. Dr. Leif Erik Sander
Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Prof. Dr. Florian Krammer
Professor of Vaccinology at the Department of Microbiology, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, Vereinigte Staaten