Desinformation vor der Bundestagswahl – Methoden, Wirkung und Gegenmaßnahmen
Die letzte Sitzungswoche im Bundestag ist vorbei. Die Parteien konzentrieren sich jetzt auf den Wahlkampf für die am 26. September stattfindende Bundestagswahl. Doch wie bei vielen Wahlen der vergangenen Jahre – insbesondere international – ist auch bei dieser die Angst vor Desinformation, „Fake News“ und Wahlmanipulation groß. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hält die Gefahr ausländischer Einflussnahme für „relativ groß“ und bezeichnet solche Versuche bei vergangenen Wahlen sogar als „Propagandakrieg“ [I].
Das Transkript können Sie hier als pdf herunterladen.
Das SMC hat die Experten und die Expertin am Ende des Press Briefings um kurze Abschlussstatements gebeten. Diese möchten wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung stellen.
Senior Research and Teaching Associate, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Abteilung international vergleichende Medienforschung, Universität Zürich, Schweiz
„Ich halte es für wichtig, dass sich Journalistinnen und Journalisten bewusst machen, dass sie unter Umständen auch dazu beitragen, dass Desinformationen weiterverbreitet werden. Sie müssen sich dieser Verantwortung bewusst sein und sollten sich jedes Mal fragen: Soll ich jetzt beispielsweise diesen Tweet eines Politikers aufnehmen, zitieren und darüber schreiben, darüber berichten? Es passiert häufig, dass Nutzerinnen und Nutzer erstmals überhaupt über die mediale Berichterstattung in Kontakt mit einer Desinformation kommen. Und wenn diese dann in den Medien häufig wiederholt wird, erinnern sich die Nutzerinnen und Nutzer dann oft nur an die eventuelle Falschinformation und möglicherweise nicht an die journalistische Richtigstellung zu diesem Thema. Das ist ein Phänomen, das wir in den USA während der Trump-Präsidentschaft sehr gut beobachten konnten: Dass diese Tweets durch die mediale Berichterstattung eine sehr viel größere Reichweite bekommen haben.“
„Und dann der zweite Punkt: Das Vertrauen in die journalistische Berichterstattung ist ein Schlüssel, um Desinformation richtigzustellen – das zeigen sehr viele Studien. Eine vertrauensfördernde Maßnahme kann sein, den Recherche- und Auswahlprozess zu erklären, ihn besser zu kontextualisieren, Transparenz zu schaffen. Das kann auch jene Narrative und Argumentationsstrategien offenlegen, die irreführend sind und auf Manipulation ausgelegt sind.“
Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, insbesondere Steuerung innovativer und komplexer technischer Systeme, Universität Bamberg
„Bei dem Thema ist sehr wichtig, dass wir uns nicht von diesen spontanen Schreckgespenstern ablenken lassen. Gerade im Kontext des Internets finden wir immer wieder saisonale, sich abwechselnde Angstgeschichten. Also jetzt ist es die Desinformation, vor ein paar Jahren waren es die Echokammer oder die Filterblase, von der auch sehr viel erwartet worden ist und die sich empirisch als sehr schwierig aufzeigbar erwiesen hat. Insofern würde ich da zu einer gewissen Gelassenheit raten, die Phänomene sollten als solche benannt werden, wenn man ihnen begegnet. Dann gilt es, mit klaren Definitionen zu arbeiten und darüber zu schreiben, aber es dann auch einzuordnen. Habe ich es mit einem Problem zu tun, das ich innerhalb einer Gruppe sehe? Ist vielleicht innerhalb einer Gruppe eine gewisse Radikalisierung zu erwarten oder habe ich es mit einem gesamtgesellschaftlichen, auf ein Wahlergebnis bezogenes Problem zu tun? Diese Einordnung ist sehr wichtig.“
„Und ein weiteres Element, das wir ganz generell ernster nehmen müssen, sind die Strukturen, in denen Öffentlichkeit stattfindet. Diese Rolle von Plattformen, aber auch die immer noch sehr mächtige Meinungsmacht, die von Massenmedien ausgeht. Da hilft es auch, wenn man realistischer ist und die Struktur von Informationsumgebungen den Leserinnen und Lesern öffnet, sodass nicht der Eindruck entsteht, dass das Internet demokratiegefährdend unterwegs ist. Wir sollten betonen, dass wir es mit vielen Veränderungen zu tun haben, die wir beobachten, dass diese aber nicht notwendigerweise destabilisierend sind oder die Demokratie auflösen.“
Akademischer Rat am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Mannheim
„Ich möchte nochmal zwei Punkte betonen, die schon genannt wurden. Man sollte Desinformation nicht unbedingt wiederholen, ohne dass es einen konkreten Anlass dazu gibt. So schön es natürlich ist, illustrativ und mit anekdotischen Beispielen zu arbeiten, aber in dem Moment, in dem ich vielleicht sogar neue Nutzerinnen und Nutzer, Rezipientinnen und Rezipienten mit einer Desinformation erstmalig konfrontiere oder sie, nachdem sie es vielleicht schon irgendwo gehört haben, ein zweites Mal damit konfrontiere, habe ich die Etablierung der Desinformation eventuell sogar gefördert. Es gibt Studien, die zeigen, dass dieser Hinweis, der in so einem klassischen Debunking-Artikel steckt, dass das falsch ist, eventuell in Vergessenheit gerät.“
„Und das zweite, was mir auch sehr wichtig ist: Man sollte das ganze Problem nicht überdramatisieren, nicht übertreiben, sondern wirklich gerade mit Blick auf Deutschland durchaus darauf hinweisen, dass es, wenn man darüber berichten möchte, zwar einen gewissen Anteil von Wählerinnen und Wählern und Bürgerinnen und Bürgern gibt, die ein institutionenkritisches Weltbild mitbringen und die dann vielleicht anfällig sind für Desinformation. Das ist ein Problem, da kann man sich als Gesellschaft fragen, warum ist das so. Aber das betrifft bei Weitem nicht die breite Bevölkerung und das wird mit Sicherheit nicht einer oder der entscheidende Faktor im Wahlkampf sein.“
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] ntv.de (26.06.2021): Schäuble in Sorge wegen Wahlkampf-Störung.
Dr. Edda Humprecht
Senior Research and Teaching Associate, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Abteilung international vergleichende Medienforschung, Universität Zürich, Schweiz
Prof. Dr. Andreas Jungherr
Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, insbesondere Steuerung innovativer und komplexer technischer Systeme, Universität Bamberg
Dr. Philipp Müller
Akademischer Rat am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Mannheim