Welche Langzeitstrategie ist im Umgang mit SARS-CoV-2 die zielführende?
Seit die Corona-Pandemie ihren Ursprung in Wuhan nahm, diskutieren Regierungen und Forschende weltweit Strategien, die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zu begrenzen (Mitigation), das Virus stark einzudämmen (Containment) oder sogar komplett auszurotten (Suppression). Ziel der derzeitigen Strategie in Deutschland ist die Mitigation, das heißt die gesundheitlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu minimieren, Infektionen, Spätfolgen der Erkrankung und Todesfälle möglichst zu verhindern. Zugleich soll das gesamtgesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland geschützt werden [I].
Das Transkript können Sie hier als pdf herunterladen.
Das SMC hat die Expertin und die Experten am Ende des Press Briefings um kurze Zusammenfassungen gebeten, die wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung stellen möchten.
Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation, Universität Erfurt, und Initiatorin des Projekts COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO)
Auf die Frage, welche Strategie für die Bevölkerung sinnvoll wäre:
„Es gibt eigentlich, wenn man die COSMO-Daten betrachtet, schon so eine Art Auftrag an die Politik, etwas anderes zu entwickeln. Und die Bevölkerung sagt auch sehr eindeutig: Wir sind stark belastet und das würde uns entlasten. Es zeigt aber auch, dass ganz viel davon noch nicht verstanden ist. Erst einmal kennen die Initiative No-Covid nur ein Drittel und wenn wir uns auch andere Dinge angucken, die man so potenziell wissen könnte, gibt es ganz viel Dinge, die die Menschen nicht wissen. Wir in unserer Blase, die wir uns täglich damit beschäftigen, wir vergessen vielleicht auch manchmal, dass die Pandemie-Müdigkeit eben auch bedeutet, dass die Leute nicht mehr jedes Fitzel neue Information aufnehmen und neu verarbeiten und ernst nehmen. Bis es in Politik umgesetzt wird, geht es noch fünfmal hin und her, dann kommt nur die Hälfte dabei raus. Von daher ist jetzt bei der Zielsetzung wichtig, dass das mit einer sehr klaren, großen Kommunikationskampagne gepusht wird, damit auch wesentliche Wissensinhalte mit dazukommen. Mit der Größe des Ziels ist – glaube ich – so ein bisschen die Frage: Ist es so, dass es auch individuell motivierend wirkt? Also, ist das nur das Ziel der Policy wie: ‚keine Verkehrstote‘ – da ist es ja auch das Ziel der Verkehrspolitik, aber ich setze mich nicht jeden Morgen ins Auto mit dem Ziel, ich möchte das heute nicht machen. Natürlich ist es implizit, aber nicht explizit. Und das ist die Frage: Wie wirkt es auf die Bevölkerung, auf jeden Einzelnen? Ich glaube, dafür braucht es dann auf jeden Fall eine gute, begleitende Kampagne, die idealerweise auch nicht nur von der Regierung kommt, das möchte ich jetzt hier nochmal betonen. Wir sehen, dass das Vertrauen in die Regierung abnimmt, wir waren im April bei 60 Prozent, jetzt sind wir bei 40 Prozent und es bröckelt. Und die, die der Regierung nicht vertrauen, bei denen hilft mehr, bessere Regierungskommunikation nicht. Das heißt, es müssten für diese Strategie – ein Stufenplan, ein NO-COVID oder wie es am Ende heißt – sehr viele gesellschaftliche Akteure mit aufgenommen werden, mit ins Boot geholt werden, vielleicht sogar schon bei der Entwicklung dieser Strategie. Auch die jungen Leute übrigens, die ja besonders belastet und wenig verhaltensbereit sind oder verhältnismäßig weniger verhaltensbereit sind im Moment, dass die mit einbezogen werden, sowohl in die Entwicklung der Strategie als auch in die Kampagne dafür, um die wesentlichen Inhalte zu kommunizieren und zu verankern.“
Leiter der Forschungsgruppe für komplexe Systeme, Humboldt-Universität zu Berlin
Auf die Frage, ob es richtig ist, die Fallzahlen jetzt massiv zu senken:
„Absolut, das ist ganz klar so. Wenn wir schneller reagieren und früher, dann sind wir dynamisch immer vor dem Virus. Die Situation ist dann ganz anders aus der Sicht des dynamischen Modellierens.“
Direktor der Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln
„Es geht darum, mit einem neuen Ziel, einem neuen Narrativ die exzellenten Ressourcen unserer demokratischen Gesellschaft gegen das Virus zu mobilisieren und nicht das gesamte Land in Ergebenheit auf den nächsten Lockdown starren zu lassen, und damit das gesamte bürgerliche Leben, die gesamten wirtschaftliche Freiheiten, den gesamten Kunstbetrieb, die gesamte Gastronomie, die gesamte Hotellerie und viele andere Bereiche zum Erliegen zu bringen, der Wirtschaft zu schaden. Und diese Mobilisierung sollte von uns ausgehen. Wir können nur Rat geben, aber wir möchten konstruktive Vorschläge machen, um uns so schnell wie möglich dieses Leben wieder zu ermöglichen. Und dazu möchte ich noch was konkret zu Cornelia Betsch anfügen, weil sie Recht hat. Was funktioniert hat in den Ländern, wo es funktioniert hat, war die tägliche Kommunikation über den Erfolg der Maßnahmen. Das heißt also, was auch ein wichtiger Teil unserer Strategie ist, dass man, wenn man dann Erfolg hatte, wie jetzt in zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo die Zahlen runtergehen, das jeden Tag erzählt werden muss: Ihr seid super, ihr habt jetzt nochmal zehn weniger, morgen machen wir nochmal zehn und am Ende der Woche sind wir fertig und auf der Null, auf der Zehner-Inzidenz. Das gehört dazu. Was wir zurzeit haben ist täglich Katastrophen-Kommunikation. Und das macht die Menschen müde.“
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Robert Koch-Institut: COVID-19: Die Pandemie in Deutschland in den nächsten Monaten.
[II] Baumann et al. (2021): Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2. Stand: 18.01.2021.
Prof. Dr. Cornelia Betsch
Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation, Universität Erfurt, und Initiatorin des Projekts COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO)
Prof. Dr. Dirk Brockmann
Leiter der Forschungsgruppe für komplexe Systeme, Humboldt-Universität zu Berlin
Prof. Dr. Michael Hallek
Direktor der Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln