Wie leicht ist 2019-nCoV übertragbar auf enge Kontaktpersonen?
Eine der entscheidenden, unbeantworteten Fragen der sich in China weiterhin exponentiell ausbreitenden Epidemie von 2019-nCoV ist derzeit, wie leicht sich Menschen nach engem Kontakt mit Infizierten anstecken können. Und inwieweit ein erhöhtes Risiko besteht, dass in Einzelfällen selbst symptomlose Infizierte den Erreger an umstehende Personen bei engem Kontakt anstecken können. Zu diesen Fragen herrscht derzeit erhebliche Verunsicherung. Vor allem auch deshalb, weil chinesische Forschende bisher keine klinischen Verläufe von im Krankenhaus infizierten Krankenschwestern oder Ärzte veröffentlich haben, obwohl bereits vor fast drei Wochen über mindestens 15 Personen berichtet wurde, die sich bereits im Dezember bei ersten an 2019-nCoV erkrankten Patienten angesteckt haben sollen. Aktuell richtet sich der Blick derzeit auf Deutschland, wo erste Infektionsketten bei einem lokalen Ausbruch in Bayern untersucht werden können – aktuell bestätigt sind sieben Fälle (Stand 01.02.2020, 10 Uhr).
Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie
„Wir wissen schon seit den ersten Ansteckungen durch die chinesische Indexpatientin in Bayern, dass eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung erfolgen kann, obwohl der Überträger noch asymptomatisch ist. Ein Virusnachweis kann auch schon bei Patienten positiv ausfallen, die keine Symptome haben.“
„Leider haben wir bisher noch keine Details zu der genauen Übertragungskinetik, das heißt der Viruslast, die für eine Ansteckung nötig ist. Es kann sein, dass es eine ganze Reihe von Menschen gibt, die symptomlos bleiben, die aber trotzdem potenzielle Überträger des Virus sein könnten. Das ist eine wichtige Frage, die es anhand der bisher untersuchten Fälle nun mit Hilfe der Fälle in Deutschland dringend zu klären gibt.“
„Noch kann ein Durchbrechen der Infektionskette in Deutschland funktionieren, um eine größere Ausbreitung zu verhindern. Man kann die weitere Entwicklung aktuell allerdings noch nicht absehen.“
Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing und Mitglied „Ständiger Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger“ (STAKOB) beim Robert Koch-Institut
„Soweit wir derzeit wissen, hatten Patienten, die sich bei der chinesischen Indexpatientin in Bayern angesteckt haben, zum Teil eher flüchtige Kontakte mit Infizierten, zum Beispiel einen Handschlag oder einen kürzeren gemeinsamen Aufenthalt in einem Büro. Das scheint mir das Neue, dass dieses 2019-nCoV offenbar anders als SARS und MERS, offensichtlich hoch kontagiös, also ansteckend ist, soweit wir das bisher erkennen können anhand der ersten sieben bestätigten Fälle in Bayern. Zugleich ist die Infektion mit einer variablen Viruslast verbunden, die Anzahl der Viruspartikel in nasopharyngealen Abstrichen und im Sputum Infizierter schwankt bei den bisher Untersuchten und erreicht in einer quantitativen RT-PCR Werte von bis zu 108 Kopien pro Milliliter. Es gibt zudem erste Infektionsketten, bei denen eine Infektion von einem auf einen weiteren Mitarbeiter einer Autozulieferer-Firma und inzwischen auch auf ein kleines Kind eines Firmenangestellten weitergegeben wurde – im Einzelfall sogar von zuvor symptomlos Infizierten. Das ist derzeit der Stand der Dinge, der sich aber aufgrund neuer Erkenntnisse rasch ändern kann.“
„In Kooperation mit dem Labor von Christian Drosten an der Charité und dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr von Roman Wölfel versuchen wir derzeit die Zellkultur des 2019-nCoV zu etablieren und das Erbgut der Erreger zu sequenzieren, um deren Evolution besser zu verstehen. Eine wichtige Frage dabei ist, ob das Virus bereits mutiert ist, das wir in Deutschland sehen.“
„Derzeit kennen wir leider noch nicht den idealen Ort, an dem wir Verdachtsfälle auf Anzeichen einer Infektion screenen sollten. Wir machen bei Infizierten Nasen- sowie Rachenabstriche und testen auch das Bronchialsekret. Zusätzlich werden auch Blutproben gezogen sowie Stuhl und Urin untersucht. Wir wissen aber noch nicht, wie viele Personen nach engem Kontakt mit einem Infizierten positiv getestet werden. Bei Tests von Kontaktpersonen ist natürlich nun die entscheidende Frage, wie viele Menschen sich nach Kontakt mit den sicher Infizierten der Autozulieferer-Firma angesteckt haben. Was wir wissen: Von den bisher 128 getesteten Personen erwies sich lediglich eine Person als ‚viruspositiv‘, mit Stand vom 31.01.2020, weitere Testungen folgen. Aktuell haben wir noch nicht alle Fakten zusammen, aber es scheint so zu sein, dass die sekundäre Ansteckungsrate im bayerischen Cluster doch eher klein ist. Aber wir müssen natürlich die gesamte Dauer der mutmaßlichen Inkubationszeit abwarten und vorsichtig sein mit Interpretationen der Daten.“
„Bisher sieht es so aus, als ob die Letalität des 2019-nCoV eher deutlich geringer ausfällt als bei SARS. Für die Erkrankten wird nun ab der zweiten Krankheitswoche abzuwarten sein, ob es eventuell sekundär zu einer überschießenden Immunität gegen den Erreger kommt. In diesem Zusammenhang können dann auch Infiltrate in der Lunge auftreten (sogenanntes ARDS), daher bleiben alle Patienten weiter unter stationärer Beobachtung. Nachdem es glücklicherweise bisher bei den in München behandelten Patienten noch keine schweren Verläufe gegeben hat, liegen derzeit auch noch keine weiteren Erkenntnisse durch Bildgebung, Lungenbiopsien oder Bronchial-Lavagen vor.“
„Woran es bei den Publikationen aus China bisher mangelt, sind verlässliche klinische Berichte über den Verlauf der Infektion bei angesteckten Kontaktpersonen, also den sekundär über Indexfälle Infizierten. Es gibt bisher allein klinische Befunde von Patienten, die bereits eine Lungenentzündung entwickelt hatten. Ein detaillierter klinischer Bericht über die angeblich infizierten Krankenschwestern in Wuhan steht bisher aus.“
„Der lokale Ausbruch hier in Bayern ist natürlich aus wissenschaftlicher Sicht eine Riesenchance, in interdisziplinären Teams aus den ersten Fällen maximal zu lernen und die bisher ausstehenden Fragen zu klären. Das ist das Entscheidende im Moment.“
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Prof. Dr. Bernd Salzberger
Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie
Prof. Dr. Clemens Wendtner
Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing und Mitglied „Ständiger Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger“ (STAKOB) beim Robert Koch-Institut