Klimawandel – Wer hilft den Menschen, sich zu ändern? Teil 1
Mit „Fridays for Future” kam der Klimaschutz mit Macht zurück auf die politische und mediale Agenda. Was jedoch bislang kaum diskutiert wird: Wie kann der Einzelne aktiviert werden zu handeln? Was hindert Menschen daran zu handeln? Stattdessen wirkt es derzeit so, als versuche die Politik die Quadratur des Kreises. Klimaschutz, ja bitte – aber der Bürger soll weiterleben wie bisher.
Professor für Wissenschaftskommunikation und Direktor des Center for Higher Education and Science Studies, Universität Zürich, Schweiz
„Zunächst einmal: In der Klimawandel-Debatte läuft einiges falsch. Es ist eines der Themen, bei denen der wissenschaftliche Sachstand wohl am besten und zugänglichsten dokumentiert ist, in fünf Sachstandsberichten des Weltklimarates IPCC mit Executive Summaries, Kurzfassungen, Grafiken, Erklärvideos und so weiter [1]. Aber trotz der vom IPCC beschriebenen Dringlichkeit des Problems wird zu wenig dagegen getan, von einzelnen und auch von der Politik. Dazu hat vieles beigetragen:“
„Die lange Geschichte der Klimadebatte: Der Klimawandel und der gesellschaftliche Umgang damit sind Themen, die auf eine jahrzehntelange Debattengeschichte zurückblicken. Viele wesentliche Argumente sind ausgetauscht, viele Akteure befinden sich kommunikativ im Schützengraben und sind da schwer herauszuholen. Es ist immer einfacher, die Richtung kontroverser Debatten in der Frühphase zu beeinflussen als in der Spätphase – aber in der Klimadebatte hat man das verpasst.“
„Das hängt auch damit zusammen, dass gerade im angloamerikanischen Raum eine mächtige – wie Kollegen [2] aus den USA das genannt haben – ‚Maschinerie des Zweifels‘ existiert, die versucht, klimaskeptische Positionen in der Öffentlichkeit zu platzieren. Diese Positionen sind aus naturwissenschaftlicher Sicht in aller Regel nicht haltbar. Aber sie werden in Ländern wie den USA oder Australien, teils auch andernorts von einflussreichen Finanziers, entsprechenden politischen Parteien und Medien öffentlich bewirtschaftet.“
„Und Journalismus tut sich schwer, damit umzugehen. Unter anderem, weil ausgewogene Berichterstattung eine wichtige journalistische Norm ist. Aber ausgewogene Berichterstattung beim Thema Klimawandel kann dazu führen, dass man SkeptikerInnen mit wissenschaftlich unhaltbaren Positionen ebenso viel Platz einräumt wie wissenschaftlich weitgehend gesichertem Wissen. Dann wird die Ausgewogenheit zur Verzerrung, die ‚balance‘ zum ‚bias‘ (zum Beispiel [3]). Das kann man nicht wollen. Zugleich ist es schwer, das richtige Maß zu finden, denn nicht jede abweichende Stimme kann und sollte man verschweigen. Hier braucht es Fingerspitzengefühl und Expertise, die es in Medienhäusern immer weniger gibt, weil Journalismus immer weniger Ressourcen zur Verfügung hat und gerade Wissenschaftsjournalismus in einer veritablen Krise steckt [4].“
„Auch die Klimaforschung ist nicht frei von Schuld. Sie hat sich zu spät auf den kommunikativen Gegenwind eingestellt. Der IPCC etwa hat auf heftige Kritik in den 2000er Jahren unsouverän reagiert und sich erst zu spät Gedanken über seine Außen-Kommunikation gemacht. Auch einzelne KlimaforscherInnen trauen sich nicht immer in die Öffentlichkeit, gerade in Ländern wie Australien, in denen das Thema Klimawandel und die Handlungsoptionen sehr kontrovers diskutiert werden und man schnell persönlichen Anfeindungen ausgesetzt ist.“
„Zudem war das Aufkommen von Online- und sozialen Medien wichtig. Sie machen eine Pluralisierung und Fragmentierung der Kommunikation möglich: Menschen können sich dort einfacher in homogenen Meinungsmilieus bewegen. Die Forschung zeigt zwar, dass diese ‚Echokammern‘ bei politischen Themen weniger ausgeprägt sind als befürchtet, aber für den Klimawandel gibt es Studien, die solche Echokammern finden [5].“
„Nicht zuletzt gab es bis vor Kurzem zu wenig Mobilisierung und Druck aus der Öffentlichkeit auf EntscheidungsträgerInnen und Politik. ‚Fridays for Future‘ versucht das jetzt und hat schon einiges erreicht. Das ist vielversprechend und ich hoffe, dass der Bewegung nicht die Luft ausgeht.“
Auf die Frage, inwiefern man die Menschen durch andere oder bessere Kommunikation eher zum Handeln bewegen könnte:
„Wohlgemerkt: Nicht jedes Problem der Klimadebatte lässt sich kommunikativ lösen. Aber es gibt viele Punkte, an denen man kommunikativ ansetzen kann.“
„Zunächst einmal ist der Klimawandel ein ‚unaufdringliches‘ Thema: ein vermeintlich lebensweltfernes Thema, das nicht direkt beobachtbar ist, sondern wissenschaftlich konstruiert werden muss und dessen Auswirkungen jenseits der geografischen und biografischen Lebenshorizonte vieler Menschen liegen. Daher sollte Klimawandel-Kommunikation das Abstrakte konkret erfahrbar machen. Man sollte das Komplexe in einfachen Bildern, die Wirkungen des Langzeitprozesses auf die Gegenwart, die Wirkungen in der Ferne anhand von konkreten Personen deutlich machen. Das ist nicht einfach, denn Simplifizierung kann gut Informierte abstoßen und KritikerInnen die Tür öffnen, die auf Unkorrektheiten hinweisen – hierfür muss man sein Publikum gut kennen und das richtige Maß finden.“
„Das Verhalten von Menschen zu ändern, und auch noch nachhaltig, ist die Königsdisziplin der Kommunikation. Das ist sehr schwer. Trotzdem spielt Kommunikation da eine Rolle: Die sozialwissenschaftliche Forschung zeigt zum Beispiel, dass Angst machen nicht funktioniert (zum Beispiel [6]). Aber genau das passiert oft: Ein großer Teil der Klimawandel-Kommunikation konzentriert sich auf mögliche negative Folgen – extreme Wettereignisse, steigende Meeresspiegel, Verlust an Biodiversität und Ähnliches. Diese Berichterstattung bringt Aufmerksamkeit, aber sie paralysiert auch viele Menschen, die das Gefühl haben, den übermächtigen Naturgewalten nichts entgegensetzen zu können. Besser ist es, nicht (nur) auf die negativen Folgen des Klimawandels, sondern (auch) auf die positiven Folgen des Klimaschutzes hinzuweisen – also statt der Kosten die möglichen Gewinne zu fokussieren, und das so konkret wie möglich: eine gesündere, weniger gefährliche Lebenswelt für uns und unsere Kinder, weniger Hitzeperioden in unserer Stadt und so weiter.“
„Parallel dazu sollte man möglichst konkrete Handlungsoptionen aufzeigen und die empfundene Selbstwirksamkeit des Publikums steigern. Die Sozialpsychologie zeigt, dass der Glaube daran, etwas bewirken zu können, großen Einfluss darauf hat, ob man etwas tut. Das ist gerade beim Klimawandel nicht einfach: Warum soll ich etwas tun, das mich jetzt etwas kostet, für einen Nutzen, der erst in Zukunft eintritt und vielleicht nicht sicher ist? Da hilft es, wenn Kommunikation Handlungsmöglichkeiten aufzeigt, die machbar sind und sich idealerweise gut in den Alltag integrieren lassen, und für die man am besten noch Beispiele für Leute hat, denen das schon gelungen ist.“
„Medien sollten zudem andere Bilder in der Klimawandel-Berichterstattung nutzen. Studien zeigen, dass die meistgenutzten Bilder die negativen Folgen des Klimawandels oder PolitikerInnen zeigen (zum Beispiel [7]). Derartige Bilder geben dem Publikum aber nicht das Gefühl, selbst etwas gegen den Klimawandel tun zu können (zum Beispiel [8]). Bilder von Handlungsoptionen wären geeigneter – aber diese wiederum ziehen weniger Aufmerksamkeit auf sich und sind damit für viele Medien weniger interessant.“
„Es gibt zudem viele weitere Möglichkeiten, evidenzbasiert bessere Klimawandel-Kommunikation zu machen – zum Beispiel ‚Impfungen‘ des Publikums gegen Missinformation [9], neue Modelle des Wissenschaftsjournalismus (zum Beispiel [10]) oder non-persuasive Kommunikation, die alle Publika ansprechen soll (zum Beispiel [11]).“
Senior Researcher, Lehrstuhl für Technik und Gesellschaft, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), Aachen
„Viele Menschen wissen nicht, dass es einen starken Konsens wissenschaftlicher Experten zum Thema Klimawandel gibt. Wissenschaftler aus aller Welt, die zu diesem Thema arbeiten, sind sich einig darin, dass der derzeitige Klimawandel das Resultat der Handlungen von Menschen darstellt. Man weiß, dass sich die Menschheit und alles Leben auf der Erde auf ernsthafte Bedrohungen einstellen müssen, wenn es nicht gelingt, den Ausstoß von schädlichen Klimagasen wie etwa CO2 rasch drastisch zu verringern. Hierbei handelt es sich um kein Szenario, das sich vereinzelte Wissenschaftler ausgedacht haben und das eventuell eintreten könnte, sondern um forschungsbasiertes Wissen, das der Großteil der Forscher, die dieses Thema weltweit bearbeiten, in einem aufwendigen Prozess zusammengetragen hat.“
„Ein ernstes Problem in der öffentlichen Kommunikation über Klimawandel ist, dass in der medialen Berichterstattung auch diverse Akteure als Experten zu Wort kommen, die behaupten, dass die Menschheit keinen Einfluss auf die Veränderung des Klimas habe und die die Bedrohung durch den Klimawandel bestreiten. Diese werden auch in seriösen Zeitungen zitiert, wobei sie in Online-Nachrichten scheinbar sogar überrepräsentiert werden. Fehlinformationen zum Klimawandel sind darüber hinaus in sozialen Medien besonders weit verbreitet, da es hier keine Form der Qualitätskontrolle gibt. Diese reichen auf Plattformen wie YouTube bis zu komplett wissenschaftsfernen Verschwörungstheorien, die in manchen Fällen strategisch platziert und verbreitet werden.“
Professorin für Wissenschaftskommunikation, Universität Passau
„Die größten Hürden, warum der/die Einzelne so schwierig zu einer Änderung seines/ihres Verhaltens zu bewegen ist, sehe ich in folgenden Punkten:
1) Es zeigt sich immer wieder (auch für andere Themenfelder), dass unsere politischen Einstellungen, unsere Werte und das soziale Umfeld einen sehr viel größeren Einfluss auf unsere klimarelevanten Einstellungen und unser klimaschützendes Verhalten haben als das Wissen über den Klimawandel. Die öffentliche Kommunikation, die häufig stark auf die negativen Folgen und Schreckensszenarien fokussiert, richtet hier nichts aus, da sie nicht an die Lebenswelt der Menschen anknüpft und zudem eher den Eindruck erzeugt, man könne sowieso nichts bewirken. Wichtig wäre es hier, an die Werte der Menschen anzuknüpfen und beispielsweise durch ein geschicktes Storytelling oder ‚framing‘ einen Bezug und Nähe zur direkten Lebenswelt der Menschen herzustellen. Motivierend wirkt darüber hinaus die Anknüpfung an positive Emotionen oder die Vermittlung eines Gemeinschaftsgefühls im Sinne von ‚wir können das gemeinsam schaffen‘. Dies ist meines Erachtens auch einer der Gründe für den Erfolg von Greta Thunberg, da sie glaubhaft vermittelt, dass auch der/die Einzelne etwas bewirken kann.
2) Die Skeptiker sind in Deutschland zwar in der Minderheit, schaffen es jedoch mit ihrer Kommunikation das Bild zu erzeugen, dass die Wissenschaft sich nach wie vor nicht sicher sei. Dies kann den Eindruck vermitteln, dass nichts getan werden muss, da ja noch Zweifel bestehen. Deshalb sollte mehr über die kommunikativen Strategien (wie beispielsweise die Verwendung von ‚falschen‘ Experten, das bewusste ‚Säen‘ von Zweifeln) der Skeptiker aufgeklärt werden, da sich gezeigt hat, dass diese Aufklärung die Wirkung der skeptischen Argumente abschwächt. Zudem ist es wichtig, den naturwissenschaftlichen Grundkonsens zu erwähnen, da die Akzeptanz des Konsenses ein ‚gateway belief‘ für viele weitere klimarelevante Einstellungen darstellt.“
Professorin für Kommunikationswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
„Klimawandelkommunikation sollte berücksichtigen, dass die Bevölkerung nicht homogen ist – weder in ihren Einstellungen zum Klimawandel noch in ihrer Mediennutzung. Es lassen sich verschiedene Teil-Gruppen in der Bevölkerung identifizieren, von stark vom Klimawandel alarmierten Gruppen, die sich auch aktiv zum Beispiel an Protesten beteiligen, über zwar besorgte, aber wenig aktive Segmente bis zu Klimawandelzweiflern [19]. Diese verschiedenen Gruppen informieren sich auch in unterschiedlichen Medien über den Klimawandel. Personen, die sich in der Klimadebatte aktiv engagieren, informieren sich sehr häufig online. Klimakommunikation sollte darüber hinaus nicht nur auf die Vermittlung von reinen Fakten fokussieren, sondern an die Werte und Überzeugungen der Bevölkerung anknüpfen. Denn diese beeinflussen meist stärker als Fakten, wie ein wissenschaftliches Thema wie der Klimawandel, wahrgenommen werden [20].“
Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
„Ein wichtiger Faktor für die Resonanz und Überzeugungskraft der ‚Fridays for Future‘-Bewegung ist aus meiner Sicht darin zu sehen, dass über die Dringlichkeit des Problems Einigkeit innerhalb der Klimaforschung herrscht. Vor diesem Hintergrund bekommen wissenschaftliche Statements einzelner Wissenschaftler, die wir auch nach wir vor in der öffentlichen Debatte brauchen, ein besonderes Gewicht. Es ist allerdings klar, dass dieser Konsens allein nicht hinreichend ist, um einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation näher zu kommen. Denn diese Transformation kann ja nur bewerkstelligt werden durch ganz konkrete Veränderungen, die schwer kalkulierbare soziale und wirtschaftliche Auswirkungen haben und vitale wirtschaftliche Interessen privater Akteure berühren – und damit sind nicht allein Industrieunternehmen gemeint. Prinzipiell ist jeder Einzelne als Wirtschaftssubjekt mit begrenzten Ressourcen betroffen. Diese Partialinteressen werden über organisierte Lobbygruppen in die Öffentlichkeit und die Politik gespielt.“
„Was in dem öffentlichen Konzert unterschiedlicher Interessenbekundungen häufig fehlt, ist die ‚Stimme der Wissenschaft‘. Jenseits der Klimawissenschaft sind kaum Bestrebungen innerhalb der Wissenschaft erkennbar, die sich um die Ausbildung und die Kommunikation von Konsens unter Wissenschaftlern bemühen. Zum Beispiel wäre es gut zu wissen, wie groß der Konsens unter Ökonomen ist über die Auswirkungen einer weiter gefassten CO2-Bepreisung. Oder auch der Konsens unter Energieexperten unterschiedlicher Disziplinen zum Umbau der Energienetze und dergleichen. Die ‚Stimme der Wissenschaft‘ ist derzeit viel zu oft lediglich repräsentiert durch besonders einflussreiche Wissenschaftler oder auch Wissenschaftsorganisationen, die für sich in Anspruch nehmen, die ‚Stimme der Wissenschaft‘ zu sein, ohne einen entsprechenden Nachweis zu liefern. Ich würde entsprechend sehr dafür plädieren, mehr repräsentative Umfragen unter wissenschaftlichen Experten zu machen statt permanent Stimmungsbilder der Bevölkerung einzuholen. Das könnte die öffentliche Debatte bereichern.“
Senior Scientist, Lehrstuhl für Ökologische Ökonomie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
„Die umweltpsychologische Forschung hat gezeigt, dass das Wissen über den Klimawandel in den seltensten Fällen der ausschlaggebende Faktor für Handeln ist – weder für das Klimaschutzhandeln noch für das Handeln zur Anpassung an den Klimawandel, wie beispielsweise die Vorsorge gegenüber zunehmenden Hitzewellen. Auf die Wissensvermittlung zu den Folgen des Klimawandels wurde in den vergangenen Jahren in der öffentlichen Kommunikation und Berichterstattung zum Klimawandel aber der Schwerpunkt gelegt, also auf einen Faktor, der für das Handeln der Menschen nur wenig einflussreich ist.“
„Einflussreicher ist die Wissensvermittlung darüber, was man tun kann, um das Klima zu schützen oder gegenüber dessen Folgen vorzusorgen. Wir brauchen also mehr Kommunikation über das Klimahandeln, weniger über den Klimawandel. Am einflussreichsten für das menschliche Handeln sind oft Normvorstellungen, also Vorstellungen darüber, was andere tun oder was andere von uns erwarten. Der Einfluss von Normvorstellungen wird außerhalb der Psychologie meist unterschätzt. Man sollte in der Kommunikation zum Klimawandel daher viel mehr über die vielen guten Vorbilder berichten, die Klimaschutz oder Anpassung an den Klimawandel konkret vorleben, und weniger darüber, wie viele Menschen immer noch in den Urlaub fliegen, statt den Zug zu nehmen. Denn letzteres wird oft als normative Information verstanden: ‚Wenn die Mehrheit immer noch fliegt, dann ist das wohl die Norm und ich kann das daher weiterhin tun‘.“
Professor für Empirische Medienforschung und politische Kommunikation, Technische Universität Ilmenau
„Klimawandel ist ein komplexes Problem und auch die öffentliche Kommunikation über das Thema ist komplex, uneinheitlich und häufig verstörend. Das bedeutet aber nicht, dass etwas falsch läuft. In einer demokratischen Gesellschaft sollten schwierige Probleme offen diskutiert werden, und es zeugt von der Lebendigkeit der Gesellschaft und der Qualität der Debatte, wenn sie vielfältig und kontrovers ist. Dennoch lassen sich Grenzen abstecken, in denen sich seriöse und verantwortliche Kommunikation und Berichterstattung bewegen sollte. Beginnen wir mit der unteren Grenze: Jenseits dieser Grenze agieren die Klimawandelleugner. Wie sollte man mit ihnen umgehen?“
„Wenn man die Ergebnisse von Inhaltsanalysen der Berichterstattung über den Klimawandel betrachtet, dann kann man zumindest für Deutschland feststellen, dass denjenigen, die die Existenz des Klimawandels leugnen, in der Vergangenheit wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Allerdings zeichnet sich ab, dass es insbesondere der AfD gelingt, auch hier die Qualitätsstandards zu senken. Wie sollten Medienmacher darauf reagieren, wenn jemand behauptet, dass das mit dem Klimawandel ja doch eine unsichere und wissenschaftlich umstrittene Sache sei? Vielleicht einfach mal nachfragen, ob diese ‚Skeptiker‘ auch daran zweifeln, dass die Erde ein Globus ist, und ob sie sich wohlfühlen auf ihrer Scheibe.“
„Jenseits dieser Untergrenze beginnt ein spannendes Diskussionsfeld, in dem nicht über das ‚ob‘, sondern über das ‚wie‘ gestritten wird: Welche Maßnahmen gegen den Klimawandel sind die richtigen? Hier findet man eine Vielzahl von Vorschlägen mit ganz unterschiedlicher Reichweite: CO2-Steuer, Energiewende, Forschungsförderung, Veränderungen des Konsumverhaltens, Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene, Verbote von Inlandsflügen. Mit diesen Vorschlägen sind unterschiedliche Menschenbilder und ökonomische Konzepte verknüpft, deswegen sind sie umstritten und zum Teil möglicherweise sogar unvereinbar. Die kommunikationswissenschaftliche Forschung bezeichnet diese komplexen Zusammenhänge aus Problemdefinitionen, Lösungsvorschlägen und moralischen Sichtweisen als Frames. Für eine aufklärende Kommunikation über das Thema wäre es wichtig, dass die Medien die einzelnen Vorschläge diesen unterschiedlichen Frames zuordnen und dabei erklären, welche politischen und ökonomischen Interessen damit jeweils verbunden sind.“
„Dennoch, so unterschiedlich und widersprüchlich diese Vorschläge auch seien mögen, sie haben eines gemeinsam, sie trauen den Menschen zu, die Probleme anzugehen und notwendige Veränderungen umzusetzen. Und damit kommen wir zur zweiten Grenze. Jenseits dieser Grenze bewegen sich die Zyniker, die meinen, die Welt könne nur mit Geo- und Klimaengineering ‚gerettet‘ werden. Diese Leute sollte man fragen, welche Welt sie meinen, von der sie behaupten, dass sie sie retten wollen.“
„Zum Schluss noch einige Worte zur Kommunikationsstrategie: Hier sollte man zwischen zwei Zielen unterscheiden. Will man Menschen motivieren, selbst etwas gegen den Klimawandel zu machen oder geht es ‚nur‘ um die Akzeptanz von Maßnahmen und die Bereitschaft mitzumachen?“
„Wenn es ums mitmachen geht, dann geht es um Transparenz, Zuverlässigkeit, Gerechtigkeit und Fairness: Das heißt man muss glaubhaft kommunizieren, wie der Weg aussieht, dass die eingeschlagene Richtung beibehalten wird, dass alle den Weg gehen werden (müssen) und dass alle tatsächlich gehen und keiner sich tragen lässt. Wenn man möchte, dass Menschen nicht nur mitmachen, sondern selber machen, dann braucht es attraktive Ziele. Ein Entwurf von einem Leben, das besser ist als das Leben heute: Zum Beispiel mehr Zeit für Freunde und Familie, weniger Stress im Beruf, gesundes Essen, eine umweltschonende Technik. Das Ziel, den Klimawandel zu verhindern, wird auf Dauer nicht ausreichen. Man muss auch wissen wieso. Das hat auf den ersten Blick wenig mit dem Thema zu tun, aber tatsächlich ist dies die wichtigste Debatte im Kampf gegen den Klimawandel.“
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Weiterführende Recherchequellen
Dr. David Holmes, Senior Lecturer Communications & Media Studies und Gründer des Climate Change Communication Research Hub, Monash University, Melbourne, Australien empfahl auf Nachfrage:
[I] Holmes D et al. (2019): A literature review of best practice communication of climate science and impacts: Guidefor Policy Makers. Monash Climate Change Communication Research Hub, Melbourne.
Jamie Clarke, Executive Director von Climate Outreach, Oxford, Großbritannien empfahl auf Nachfrage:
[II] Clarke J: Is the public ready for net zero recommendations for building a positive public discourse? Präsentation von der Oxford Achieving Net Zero Conference.
Prof. Dr. Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation, Universität Hamburg empfahl auf Nachfrage:
[III] Brüggemann M (2019): Vier Fallen für die Klimakommunikation.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Homepage des IPCC, The Intergovernmental Panel on Climate Change.
[2] Dunlap R et al. (2011): Organized Climate Change Denial. The Oxford Handbook of Climate Change and Society. DOI: 10.1093/oxfordhb/9780199566600.003.0010.
[3] Boykoff M et al. (2004): Balance as bias: global warming and the US prestige press. Global Environmental Change, Volume 14, Issue 2. DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2003.10.001.
[4] Schäfer M et al. (2015): Wissenschaftskommunikation im Wandel.
[5] Williams H et al. (2015): Network analysis reveals open forums and echo chambers in social media discussions of climate change. Global Environmental Change, Volume 32. DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2015.03.006.
[6] O’Neill S et al. (2009): "Fear Won't Do It": Promoting Positive Engagement With Climate Change Through Visual and Iconic Representations. Science Communication, Vol 30, Issue 3. DOI: 10.1177/1075547008329201.
[7] O’Neill S et al. (2013): Image matters: Climate change imagery in US, UK and Australian newspapers. Geoforum, Volume 49. DOI: 10.1016/j.geoforum.2013.04.030.
[8] Metag J et al. (2016): Perceptions of Climate Change Imagery: Evoked Salience and Self-Efficacy in Germany, Switzerland, and Austria. Science Communication, Vol 38, Issue 2. DOI: 10.1177/1075547016635181.
[9] Van der Linden S et al. (2017): Inoculating the Public against Misinformation about Climate Change. Global Challenges, Volume 1, Issue 2. DOI: 10.1002/gch2.201600008.
[10] Dunwoody S (2014): Science journalism: prospects in the digital age. Routledge Handbook of Public Communication of Science and Technology, Second edition.
[11] Van der Linden S et al. (2015): Improving Public Engagement With Climate Change: Five "Best Practice" Insights From Psychological Science. Perspectives on Psychological Science. Vol 10, Issue 6. DOI: 10.1177/1745691615598516.
[12] Petersen A et al. (2019): Discrepancy in scientific authority and mediavisibility of climate change scientists andcontrarians. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-019-09959-4.
[13] Brüggemann, M et al. (2017): Beyond false balance. How interpretive journalism shapes media coverage of climate change. Global Environmental Change 42, S. 58-67. DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2016.11.004.
[14] Allgaier J (2019): Science and Environmental Communication on YouTube: Strategically Distorted Communications in Online Videos on Climate Change and Climate Engineering. Frontiers in Communication 4, 36. DOI: 10.3389/fcomm.2019.00036
[15] Cook J (2016): Countering climate science denial and communicating scientific consensus. Oxford Research Encyclopedia of Climate Science. DOI:10.1093/acrefore/9780190228620.013.314.
[16] Corner A et al. (2018): Principles for effective communication and public engagement on climate change. A handbook for IPPC authors. Oxford: Climate Outreach.
[17] Moser S et al. (2011): Communicating climate change: closing the science-action gap. In: Dryzek J et al.: The Oxford Handbook of Climate Change and Society. DOI: 10.1093/oxfordhb/9780199566600.003.0011
[18] Schmid-Petri H (2017): Politicization of science: how climate change skeptics use experts and scientific evidence in their online communication. Climatic Change, 145, 523-537. DOI: 10.1007/s10584-017-2112-z.
[19] Metag J et al. (2017): Global warming’s five Germanys: A typology of Germans’ views on climate change and patterns of media use and information. Public Understanding of Science, 26(4), 434–451. DOI: 10.1177/0963662515592558.
[20] Liang X et al. (2015): Value predispositions as perceptual filters: Comparing of public attitudes toward nanotechnology in the United States and Singapore. Public Understanding of Science, 24(5), 582–600. DOI: 10.1177/0963662513510858.
Prof. Dr. Mike Schäfer
Professor für Wissenschaftskommunikation und Direktor des Center for Higher Education and Science Studies, Universität Zürich, Schweiz
Dr. Joachim Allgaier
Senior Researcher, Lehrstuhl für Technik und Gesellschaft, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), Aachen
Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri
Professorin für Wissenschaftskommunikation, Universität Passau
Prof. Dr. Julia Metag
Professorin für Kommunikationswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Prof. Dr. Markus Lehmkuhl
Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Dr. Torsten Grothmann
Senior Scientist, Lehrstuhl für Ökologische Ökonomie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Prof. Dr. Jens Wolling
Professor für Empirische Medienforschung und politische Kommunikation, Technische Universität Ilmenau