Akzeptanz von Stromtrassen verbessern
Bürgerinnen und Bürger in den USA akzeptieren eine neue Stromtrasse offenbar eher, wenn sie den Eindruck haben, dass der durch die Trasse fließende Strom vor allem von Windrädern oder Solaranlagen erzeugt wurde. Zu diesem Schluss kommt eine amerikanische Forschergruppe in einer Studie im Journal Plos One (siehe Primärquelle).
Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS, Potsdam
„Die amerikanische Studie beleuchtet einen der vier zentralen Faktoren für die Akzeptanz von Infrastruktur im Energiebereich: den Glauben an die Sinnhaftigkeit der geplanten Überlandleitung im Sinne eines als positiv angesehenen Ausbaus der erneuerbaren Energie. Dies ist aber nur eine der vier zentralen Faktoren, die nach empirischen Studien die Akzeptanz von Infrastruktur im Energiebereich beeinflussen. Die drei anderen Bedingungen sind:“
„Selbstwirksamkeit: Hat man den Eindruck, dass die eigenen Handlungsmöglichkeiten durch die anstehende Infrastrukturmaßnahme eingeschränkt werden, ist bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern Skepsis angesagt. Zu den Errungenschaften der pluralen Gesellschaftsformation gehört die Schaffung und der Erhalt von Freiheitsräumen, in denen man souverän agieren darf. Hat man aber den Eindruck, dass eine Baumaßnahme diesen Handlungsspielraum einengt oder beschädigt, reagieren die meisten Menschen mit Ablehnung. Das trifft weniger auf Überlandleitungen zu als etwa auf die Digitalisierung der Energieversorgung im eigenen Haushalt.“
„Positive Nutzen-Risiko-Bilanz: Akzeptanz ist umso eher zu erwarten, je mehr die geplanten Konsequenzen der Entscheidung einem selbst oder den Gruppen und Individuen zugutekommen, die man besonders schätzt. Zur Erfahrung eines Nutzens für einen selbst beziehungsweise andere, die man wertschätzt, gehört auch die Wahrnehmung eines geringen oder zumindest akzeptablen Risikos. Dabei sind die Risikoabschätzungen vieler Experten und die Risikowahrnehmungen der Laien oft wenig kongruent, wie man es etwa bei Einschätzungen der Gesundheitsauswirkungen von Windkraftanlagen oder Überlandleitungen sehen kann.“
„Identität: Je mehr man sich mit einer Maßnahme auch emotional identifizieren kann, desto größer ist die Akzeptanzbereitschaft. Auf die Energiewende übertragen heißt das, dass die Maßnahmen zur Infrastruktur, etwa neue Überlandleitungen oder Windkraftanlagen, als Elemente des eigenen Lebensumfeldes auch emotional anerkannt werden müssen. Dies geschieht um so eher, je mehr diese Anlagen von lokalen Genossenschaften, möglichst mit Eigentumsrechten der Anwohner betrieben werden.“
„Nimmt man die vier Bedingungen für die Akzeptanz von politischen Entscheidungen zum Maßstab, dann finden wir große Defizite in Deutschland bei der Umsetzung der Energiewende. Dazu kommt noch das Problem der wahrgenommenen Fairness. Die 2018 durchgeführten Umfragen des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam [1] haben deutlich gezeigt, dass mit zunehmender Konzentrierung von Windkraftanlagen an einem Ort der Eindruck einer ungerechten Behandlung verstärkt wird, was sich wiederum negativ auf die Akzeptanz auswirkt. Auch Personen, die der Energiewende sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, lehnen Infrastrukturmaßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien ab, wenn sie den Eindruck haben, dass die damit verbundenen Lasten im Land ungleich verteilt sind. Gerade hier ist die Politik gefragt, für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen.“
Professorin für Psychologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Professorin für Sozialpsychologie, MSH Medical School Hamburg
„Die Studie ist methodisch solide. Als Schwäche sehe ich jedoch, dass die Bevölkerung allgemein befragt wurde, zu hypothetischen Annahmen. Stärker wäre die Aussage, wenn tatsächlich Anwohner/innen geplanter Trassen befragt worden wären. Eine entsprechende Studie liegt für Deutschland sogar vor – und kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis: Auch die Anwohner/innen innerhalb eines Planungskorridors für eine 380 kV-Trasse waren positiver zur Trasse eingestellt, wenn dadurch ein Beitrag zum Klimaschutz gewährleistet wurde. Das heißt, dass Wind- und/oder Solarenergie durch sie unterstützt würde. Allerdings reicht es für eine problemlose Umsetzung nicht aus, allein die Relevanz für den Klimaschutz beziehungsweise die erneuerbaren Energien zu betonen. Vielmehr kommt dem Planungsprozess und der Bürgerbeteiligung eine zentrale Rolle zu. Die aktuelle USA-Studie erfasst diesen Faktor zwar auch, als Vertrauen in die Institutionen und Betreiber. In der Praxis wird die Bedeutung dieses Faktors aber deutlich stärker. In Deutschland fanden wir für den Netzausbau in der realen Planungssituation für die Westküstentrasse vergleichbare Ergebnisse – und finden dies auch bezüglich des Baus von Windparks oder Solaranlagen bestätigt (laufendes Projekt, mein Team und Kollegen, gefördert vom Bundesamt für Naturschutz): Beitrag zum Kilmaschutz, Vertrauen in die Akteure und Beteiligung sind wesentliche Akzeptanzfaktoren.“
„Aus den Ergebnissen der Studie, die ich zusammen mit meinem Team zur Akzeptanz des Baus der Westküstentrasse durchführen konnte (zwar 2013, aber die Befunde haben sich in der Praxis bestätigt, die Trasse ist heute bereits teilweise erfolgreich installiert [2, S. 1-4] ):
In den drei Befragungsregionen (in Schleswig-Holstein, jeweils reale Trassenplanungen) ist die durchschnittliche Einstellung gegenüber dem Netzausbau insgesamt sowie in der Umgebung neutral bis eher positiv. Allerdings wird die gesamte Trasse positiver als der Abschnitt in der direkten Umgebung bewertet – doch auch hier lag keiner der Mittelwerte im deutlich negativen Bereich. Von einer generellen Ablehnung des Netzausbaus kann nicht gesprochen werden, vielmehr wird mehr Transparenz über die Notwendigkeit und Entscheidungsgrundlage der vorliegenden Planung gefordert – aus Sicht des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit. In Schleswig-Holstein wirkte sich eine vorbereitende Netzentwicklungsinitiative positiv aus – diese wurden von allen demokratischen Parteien im Land getragen, Naturschutz und Behörden einbezogen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wurde zum dem, was sein wesentlicher Kern ist: eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zur Sicherung unserer Zukunft. Auch aktuelle Studie zeigen: Die Energiewende wird bundesweit sowie lokal unterstützt – aber deren Umsetzung kritisch bewertet. Das heißt, eine klare, geschlossene, gerechte Orientierung und Umsetzung seitens der verantwortlichen Politik wirkt sich positiv auf die Akzeptanz aus.“
Perspektive aus den Bereichen Verbraucher-Neurowissenschaften und Marketing:
Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sowie Vorsitzender des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV)
„Die Studie von Carley und Kollegen belegt einmal mehr, dass die Bevölkerung infrastrukturelle Maßnahmen eher unterstützt, wenn sie die damit zu erreichenden politischen Ziele befürwortet. Dies zeigt, wie wichtig es auch in Deutschland sein wird, den Bürgern die mit der Energiewende verbundenen Ziele zu vermitteln.“
„Die gefundenen Ergebnisse sind plausibel und decken sich mit anderen Studien, die zeigen, dass unterschiedliche Darstellungen einer ansonsten identischen Maßnahme einen wesentlichen Einfluss auf die Beurteilung dieser Maßnahme haben können. In der Literatur wird dieser Effekt auch als Framing-Effekt bezeichnet.“
„Ich würde aber davor warnen, die Studienergebnisse unmittelbar für politische Zwecke zu nutzen. Denn zwischen dem, was Menschen sagen und dem, was sie später tun, besteht oft eine erhebliche Lücke. In Deutschland sehen wir diese Einstellungs-Verhaltenslücke an vielen Stellen. Man denke zum Beispiel an die Diskussion um mehr Tierwohl, die derzeit von Julia Klöckner geführt wird oder an die Entwicklungen der Fluggastzahlen, bei denen der klimapolitisch erhoffte Effekt aus der Fridays-for-Future-Bewegung immer noch auf sich warten lässt. Die Ergebnisse der Studie könnten daher komplett anders ausfallen, wenn die Bagger erst einmal im Garten der Befragten stünden.“
„Methodisch handelt es sich um eine gut fundierte und aussagekräftige Studie, auch wenn einige Kontrollvariablen fehlen. Wichtig wäre zum Beispiel zu wissen, ob die Befragten tatsächlich Immobilien besitzen oder nicht. Denn ob die jeweiligen Maßnahmen unmittelbar vermögenswirksam sind oder nicht, dürfte einen erheblichen Einfluss auf das Antwortverhalten haben.“
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Primärquelle
Carley S et al. (2019): Are all electrons the same? Evaluating support for local transmission lines through an experiment. PLoS ONE 14(7): e0219066. DOI: 10.1371/journal.pone.0219066.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Setton D et al. (2018): Soziales Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende 2018.
[2] Hübner G et al. (2013): Akzeptanz des Stromnetzausbaus in Schleswig-Holstein: Abschlussbericht zum Forschungsprojekt.
Prof. Dr. Ortwin Renn
Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS, Potsdam
Prof. Dr. Gundula Hübner
Professorin für Psychologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Professorin für Sozialpsychologie, MSH Medical School Hamburg
Prof. Dr. Peter Kenning
Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sowie Vorsitzender des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV)