Plazenta-Organoid als Modell für Plazenta-Entwicklung
Mini-Plazentas könnten bei der Erforschung von Schwangerschaft und Entwicklung des frühen Embryos helfen. Britische Forscher haben aus menschlichem Plazentagewebe kleine, vereinfachte Nachbildungen des Mutterkuchens gezüchtet, sogenannte Organoide. Sie haben dazu bestimmte Zellen, die Trophoblasten, aus menschlichen Plazentas entnommen und zu einer 3D-Struktur herangezüchtet. Darin differenzierten sich die Zellen in entsprechenden Nährmedien über einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen in verschiedene Zelltypen, die denen in der menschlichen Plazenta im ersten Trimester der Schwangerschaft ähneln sollen. Beim Menschen sind Trophoblasten dafür zuständig, den sich rasch entwickelnden Embryo mit Nährstoffen zu versorgen. Das 3D-Modell könnte Wissenschaftlern helfen, die Entwicklung der menschlichen Plazenta zu verstehen, damit verbundene Erkrankungen zu erforschen und die frühen Wechselwirkung zwischen Embryo und mütterlichem Plazentagewebe zu untersuchen. Die Ergebnisse wurden soeben im Fachjournal „Nature“ publiziert (siehe Primärquelle).
Leiter der Abteilung Reproduktionsbiologie an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Medizinische Universität Wien, Österreich
„Die Studie zeigt, dass sich Vorläuferzellen beziehungsweise Stammzellen des Trophoblasten aus der frühen Plazenta selbst organisieren können, um eine Art Mini-Organ zu formen, das über längere Zeiträume wächst, genetisch stabil bleibt und die differenzierten Zelltypen der Plazenta ausbildet. Gegenüber unsere Studie, die im August in Stem Cell Reports publiziert wurde [1], ist praktisch nichts neu. Es wurden ähnliche Methodiken und Marker verwendet, um zu beweisen, dass die Organoide ausschließlich aus Trophoblasten bestehen und sich selbst-erneuernde und wachsende Stamm- beziehungsweise Vorläuferzellen enthalten.“
„Zur Herstellung der Organoide wurden aus Plazenten der Frühschwangerschaft villöse Trophoblasten mittels enzymatischem Verdau isoliert, gereinigt, in Matrigel (spezielle Zellkultur für 3D-Strukturen; Anm. d. Red.) eingebettet und mittels speziellem Stammzellmedium zur Organoid-Formierung angeregt.“
„So wie in anderen Organoidsystemen stellt ein Trophoblast-Organoid ein simplifiziertes Organ dar, also eine Art Mini-Plazenta die aus nur wenigen Zelltypen besteht, – aus Stamm-/Vorläuferzelllen und differenzierten Trophoblast-Zellen –, das die Morphologie des Organs im Körper partiell repräsentiert. Die im Organoid enthaltenen Zellen haben ähnliche Eigenschaften und Funktionen wie entsprechende Zellen in der in vivo Plazenta.“
„Die Funktion von Trophoblast-Stamm- und Vorläuferzellen, deren Entstehung sowie die Art und Weise, wie sie sich in die differenzierten, nicht-teilenden Trophoblastsubtypen entwickeln, ist nahezu unbekannt. Die Organoide werden tiefe Einblicke in diese Prozesse liefern.“
„Die Plazenta-Organoide erlauben es darüber hinaus, eine Reihen von wissenschaftlichen Themen zu beleuchten. Erstens: Mechanismen, die zur Ausbildung der verschiedenen Trophoblastsubtypen führen, zweitens die Entwicklung von Organoid-Modellen aus Schwangerschaftserkrankungen, um zu verstehen, inwiefern eine gestörte Plazentaentwicklung eine Rolle bei der Pathogenese spielt (Entstehung und Entwicklung der Krankheit, Anm. d. Red.), sowie drittens den Einfluss von Medikamenten auf die Plazentafunktion.“
„Ich denke nicht, dass die Organoide als solche einen unmittelbaren Einfluss auf die künftige Entwicklung synthetischer Embryonen haben.“
Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Kontrolle der menschlichen Kardiogenese, IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie GmbH, Wien, Österreich
„Die Studie ist nicht wirklich neu, aber trotzdem sehr wichtig, weil sie ein enorm wichtiges, aber leider vernachlässigtes wissenschaftliches Feld in den Mittelpunkt rückt – die humane Reproduktionsmedizin. Was den Neuheitsgrad dieser Studie in Nature angeht: Es handelt sich eher um eine Fortsetzung und Bestätigung von zwei Studien, die früher im diesem Jahr publiziert wurden. Zuerst hat eine japanische Gruppe Anfang des Jahres die lang ersehnten humanen Trophoblast-Stammzellen in zweidimensionaler Zellkultur – also flach und homogen – generiert [2]. Kurz darauf haben zwei Gruppen aus Wien um Martin Knöfler und Paulina Latos zusammen ähnliche Zellkulturbedingungen benutzt, um zum ersten Mal Trophoblast-Organoide in dreidimensionaler Zellkultur – also gewebeartig und heterogen – zu zeigen [1]. Die aktuell vorliegende Studie bestätigt diese beiden vorherigen Publikationen und charakterisiert die Organoide noch etwas ausführlicher. Alle drei Studien zusammen bedeuten einen großen Schritt für die Zukunft der Erforschung der humanen Reproduktionsmedizin.“
„Die Methodik der Studie ähnelt sehr stark den vorigen oben erwähnten Publikationen, aber vor allem auch der Methodik im ganzen Wissenschaftsfeld der organspezifischen Organoide [3]. Dieses Feld ist in den letzten acht bis neun Jahren enorm gewachsen und ist eigentlich ein Teil der großen humanen Stammzellrevolution in der Biomedizin. Anstatt Wissen über die humane Organentwicklung, Ursachen von Krankheiten oder toxische Nebenwirkungen von Pharmaka ausschließlich von Tieren abzuleiten, ermöglichen es Stammzellen und Organoide, menschliche gewebeartige Strukturen in Zellkultur unter kontrollierten Laborbedingungen zu untersuchen.“
„Organoide, die Strukturen in der Plazenta nachahmen, sind jetzt Teil einer wachsenden Familie an Organoid-Modellen, die verschiedene Gewebe des Menschen immer besser repräsentieren.“
„Die menschliche Plazenta besteht aus zwei Teilen – zum einen aus embryonalem Mesoderm-Keimblatt (im frühen Embryo können drei verschiedene Zellschichten unterschieden werden; die drei Keimblätter Entoderm, Mesoderm und Ektoderm. Aus ihnen entwickeln sich im Verlauf die verschiedenen Gewebe, Strukturen und Organe, Anm. d. Red.) und zum anderen aus extraembryonalem Trophoblastengewebe. Die Organoide zeigen eine sehr schöne Morphologie und teilweise die Funktionen des Trophoblastenanteils. Auch wenn das Mesodermgewebe und die Blutgefäße fehlen, sind diese drei Studien der erste große Schritt.“
„Die Details und die Möglichkeiten, die Organoide für Forschung und Klinik zukünftig bieten, sind sehr gut beschrieben [4]. Was die Beteiligung der Organoide an der Entwicklung synthetischer Embryos angeht, ist so eine Verbindung nur Science Fiction – es gibt viele anderen Fragen und Möglichkeiten, die viel realistischer und wichtiger sind.“
Professor für Zellbiologie und Inhaber des Lehrstuhls Zellbiologie, Histologie und Embryologie, Gottfried Schatz Forschungszentrum für zelluläre Signaltransduktion, Stoffwechsel und Altern, Medizinische Universität Graz, Österreich
„Diese Studie zeigt sehr eindrücklich, dass isolierte Trophoblastzellen aus einer frühen Plazenta in der Zellkultur Strukturen entwickeln, die der normalen Plazenta sehr nahekommen. Damit ist dies die zweite Studie innerhalb eines Jahres, die dieses neue Plazenta-Modell präsentiert. Das erste wurde im August 2018 von Haider et al. publiziert [1]. Den Autor*innen der aktuellen Studie ist es gelungen, in der Zellkultur aus ursprünglich gleichartigen Zellen die verschiedenen Zelltypen des Trophoblasten zu generieren. Damit hat dieses neue Kulturmodell ein großes Potenzial für die weitere Erforschung der Funktion der frühen Plazenta.“
„Die Methodik der Studie ist extrem aufwändig und zeigt auf verschiedenen Ebenen, welcher Aufwand notwendig ist, um solch komplexe Modellsysteme zu entwickeln und eindeutig zu charakterisieren. In dieser Studie wurden Zellen aus der Plazenta isoliert, ohne spezifisch Stammzellen zu extrahieren. Die Stammzellen des Trophoblasten in der Plazenta sind bisher nicht eindeutig beschrieben, sodass die Isolation vieler Zellen durchgeführt wird, um auch die Stammzellen mit zu extrahieren.“
„Auch wenn diese Organoide sehr komplexe Systeme sind, so sind sie doch noch weit von der Morphologie einer Plazenta entfernt. In den Organoiden ist die äußere Grenzschicht der Plazenta abgebildet, die in direkten Kontakt zum mütterlichen Blut kommt. Die Strukturen innerhalb der Plazenta mit Bindegewebe und Blutgefäßen fehlen in den Organoiden. Damit können sie für Untersuchungen des frühen Trophoblasten herangezogen werden, können aber nicht als Modell der kompletten frühen Plazenta angesehen werden.“
„Durch die Möglichkeit der Langzeitkultur der Organoide haben diese einen großen Vorteil gegenüber anderen Modellen der frühen Plazenta, die meist nur wenige Tage in Kultur gehalten werden können. Damit werden Plazenta-Organoide ihren festen Platz in der Plazentaforschung bekommen und auch in Bezug auf klinische Fragestellungen zum Einsatz kommen. Da Trophoblastzellen spezifisch für die Plazenta sind und nicht im Embryo vorkommen, kann ein solches Modellsystem nicht für entsprechende Versuche an Embryonen eingesetzt werden. Dies ist ein reines Plazentamodell, um die Funktion und Entwicklung der Plazenta weitergehend zu erforschen. Damit ergeben sich möglicherweise Hinweise auf die Entstehung von Schwangerschaftskomplikationen, von denen wir bisher nur erahnen, wie sie in der Frühschwangerschaft entstehen.“
Emeritierte Beraterin in der Electron Microscopy Unit des Imaging Center Essen, Universitätsklinikum Essen
„Die Studie basiert auf vielen früheren, wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit der Etablierung von Langzeit-3D-Trophoblast-Zellkulturen beschäftigt haben, um Plazentaentwicklung und Schwangerschaftserkrankungen im Zellkulturmodell zu untersuchen. Diese hatten alle den Nachteil, dass die Zellkulturen nur kurzfristig für Experimente eingesetzt werden konnten, weil den isolierten Trophoblast-Zellen aus der Plazenta des ersten Trimesters das selbst-regenerierende Potential fehlte – oder, wenn Zelllinien des Trophoblast-Tumors verwendet wurden, viele wichtige Charakteristika des gesunden Trophoblasten nicht mehr vorhanden waren.“
„Diese aktuelle Studie zeigt nun, dass es möglich ist, isolierte Trophoblast-Zellen aus der Plazenta des ersten Trimesters, unter Verwendung eines speziellen Nährmediums für Trophoblast-Organe zu Organ-ähnlichen, wachsenden Plazentastrukturen mit einer plazentaspezifischen Gensignatur zu generieren, die bis zu einem Jahr in Kultur stabil bleibt.“
„Diese organoiden Kulturen können sich sowohl zum sogenannten villösen Trophoblasten, der für den Transport der Nährstoffe zum Fötus und Hormonsynthese zuständig ist, als auch unter Verwendung eines variierten Mediums in sogenannte extravillösen Trophoblasten ausdifferenzieren. Die extravillösen Trophoblasten stellen eine spezielle Subpopulation der Trophoblast-Zellen dar, die dafür verantwortlich ist, in die mütterliche Gebärmutterschleimhaut zu invadieren und die mütterliche Blutzufuhr in die Plazenta zu etablieren.“
„Neu ist, dass es gelungen ist, die Teilungsaktivität der Vorläuferzellen der Trophoblast durch spezielle Nährmedien zu erhalten und eine Differenzierung in verschiedene Zellpopulationen zu ermöglichen, die nachweislich sehr lange in der Kultur stabil bleiben. Damit ist das Modell geeignet im Reagenzglas Experimente durchzuführen, die nahe an der wirklichen Situation in der menschlichen Schwangerschaft sind. Allerdings ist diese Studie nicht ganz so neu, da die Gruppe von Herrn Knöfler eine ähnliche Studie schon publiziert hat [1], die allerdings nicht so ausführlich die Organoide charakterisiert und eine Variation der Methode zur Etablierung der Organoid-Kultur angewandt hat.“
„Die Methodik der Isolation sowie der Subkultivierung von Trophoblast-Zellen aus Plazentas der frühen Schwangerschaft sind bekannt. Neu ist die Austestung ‚intelligenter‘ Nährmedien, die vor allem Signalmoleküle zum Wachstum der Trophoblast-Zellen beinhalten oder mit entsprechenden Hemmstoffen die Differenzierung inhibieren oder ermöglichen. Die isolierten ‚Stammzellen‘ sind eigentlich plazentaspezifische Trophoblast-Vorläuferzellen, die eine hohe Teilungsaktivität und noch die Möglichkeit besitzen, sich in verschiedene Subpopulationen der Trophoblast-Zellen zu differenzieren.“
„Was die morphologische als auch Gensignatur der Trophoblast-Zellen und ihre Ausdifferenzierung in verschiedene Subpopulationen anbetrifft, sind sie sehr wohl mit der humanen Plazenta vergleichbar, was in der Studie auch präzise aufgeführt wurde.“
„Die Etablierung langlebiger Organoid-Kulturen ist ein wichtiger Schritt, um in Co-Kulturen mit humanem Schwangerschaftsbindegewebe, der Dezidua, die Interaktion zwischen der fötalen Plazenta und der mütterlichen Dezidua basiswissenschaftlich zu untersuchen. Das kann wichtige Informationen über die Signale und Signalwege aufzeigen, die zwischen den beiden genetisch verschiedenen Individuen – Embryo/Fötus und Mutter – notwendig sind, um eine gesunde Schwangerschaft zu etablieren. Weiterhin können aus diesen Erkenntnissen die verschiedenen Schwangerschaftserkrankungen – wie zum Beispiel die Präeklampsie (zu hoher Blutdruck während und nach der Schwangerschaft, umgangssprachlich Schwangerschaftsvergiftung; Anm. d. Red.) – besser verstanden werden. Eine Option, die zu einer besseren Behandlungsstrategie führen kann.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Turco MY et al. (2018): Trophoblast organoids as a model for maternal–fetal interactions during human placentation. Nature. DOI: 10.1038/s41586-018-0753-3.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Haider S et al. (2018): Self-Renewing Trophoblast Organoids Recapitulate the Developmental Program of the Early Human Placenta. Stem Cell Reports; 11 (2): 537-551. DOI: 10.1016/j.stemcr.2018.07.004.
[2] Okae H et al. (2018): Derivation of human trophoblast stem cells. Cell Stem Cell; 22: 50–63.e6. DOI: 10.1016/j.stem.2017.11.004.
[3] Editorial [ohne Autor] (2018): Method of the Year 2017: Organoids. Nature Methods; 15, 1. DOI: 10.1038/nmeth.4575.
[4] Knöfler M et al. (2018): Trophoblast organoids for modelling of placental disorders. Health Europa.
Prof. Dr. Martin Knöfler
Leiter der Abteilung Reproduktionsbiologie an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Medizinische Universität Wien, Österreich
PhD. Sasha Mendjan
Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Kontrolle der menschlichen Kardiogenese, IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie GmbH, Wien, Österreich
Prof. Dr. Berthold Huppertz
Professor für Zellbiologie und Inhaber des Lehrstuhls Zellbiologie, Histologie und Embryologie, Gottfried Schatz Forschungszentrum für zelluläre Signaltransduktion, Stoffwechsel und Altern, Medizinische Universität Graz, Österreich
Prof. Dr. Elke Winterhager
Emeritierte Beraterin in der Electron Microscopy Unit des Imaging Center Essen, Universitätsklinikum Essen