Emulgatoren begünstigen Wachstum von Darmtumoren bei Mäusen
Emulgatoren und Stabilisatoren werden vielfach in der Lebensmittelherstellung eingesetzt – zum Beispiel in Soßen, Desserts, Backfetten oder Kaugummi. Sie gelten bisher in verwendeten Dosierungen als unbedenklich. Anfang 2015 publizierten amerikanische und israelische Forscher erstmals eine Studie in „Nature“ (DOI: 10.1038/nature14232), wonach Mäuse nach dem Verzehr bestimmter Emulgatoren eine Veränderung der mikrobiellen Darmflora und eine niedrig-gradige Entzündung in der Darmwand zeigten.
Mitarbeiterin der Abteilung Molekulare Toxikologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
„Die Autoren konnten bereits in ihrer vorherigen Studie [1] zeigen, dass die Emulgatoren Carboxymethylcellulose (CMC; gekennzeichnet als E466) und Polysorbat 80 (P80; gekennzeichnet als E433) bei Mäusen eine niedrig-gradige Entzündung des Darms hervorrufen. Vermittelt wird dieser Effekt durch eine veränderte Zusammensetzung der Mikrobiota. Es ist bekannt, dass CMC und P80 zu den unverdaulichen Nahrungsbestandteilen gehören. Sie gelangen in tiefere Darmabschnitte und dienen dort als Nahrung für die Bakteriengemeinschaft. Deshalb ist es zunächst einmal nicht verwunderlich, dass sich die Zusammensetzung der Mikrobiota verändert, wenn Mäuse dauerhaft CMC oder P80 aufnehmen. Die gezeigte Verminderung der Bakterienvielfalt hat allerdings negative Effekte auf den Darm und damit auch auf den Gesamtorganismus, die sich in der beschriebenen niedrig-gradigen Entzündung äußern. Die aktuelle Studie führt die vorherige logisch fort, da bekannt ist, dass eine niedrig-gradige Entzündung des Darmepithels das Darmkrebsrisiko erhöht. Dies konnte – wie zu erwarten – gezeigt werden.“
„Der Einfluss einer chronischen Entzündung auf das Tumorwachstum ist klar belegt und zeigt sich auch in dieser Studie erneut. Ebenfalls ist ein Zusammenhang zwischen Veränderungen der Mikrobiota und entzündlichen Prozessen im Darm bekannt. Diese Kaskade wird laut den Autoren durch chronische Aufnahme von Emulgatoren verstärkt, die das Gleichgewicht der Mikrobiota so stört, dass es zu einer chronischen Entzündung kommt. Diese führt dann folgerichtig zu vermehrten Tumoren.“
„Die Autoren verwenden zwei gängige Darmkrebsmodelle. Die Zahl der untersuchten Mäuse ist mit einer Gruppengröße von 5 bis 8 beziehungsweise 10 relativ klein für ein Krebsmodell.“
„Wie bereits erläutert, scheint mir der entscheidende Punkt zu sein, dass es durch eine chronische Aufnahme von Emulgatoren zu einer Veränderung der Mikrobiota im Darm kommt. Für Studien der Mikrobiota sind Nagetiere allerdings keine besonders guten Modellorganismen, da es relevante Unterschiede in der Zusammensetzung und Lokalisation im Vergleich zu menschlichen Mikrobiota gibt. Es wäre also zunächst wichtig zu untersuchen, ob sich die in der Maus gefundenen Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen. Wäre das der Fall, so wäre dies eine wichtige Erkenntnis. Sie könnte unter Umständen dazu führen, dass Personen, die bereits an einer chronischen Entzündung leiden, ihren Konsum an CMC und P80 reduzieren sollten.“
Zur Frage, ob die Studie Anlass dazu gibt, die Grenzwerte für die beiden Stoffe zu überdenken (bisher: P80 10 mg/kg Körpergewicht, CMC kein Grenzwert):
„Es sollten zunächst auf einer breiteren Basis die Effekte der genannten Emulgatoren untersucht werden. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wurden bisher klassische Toxizitätsstudien durchgeführt, deren Ergebnisse unbedenklich waren [2]. Diese sollten möglicherweise durch chronische Versuchsansätze, wie in der vorliegenden Studie, ergänzt werden. Gleichzeitig sollte geklärt werden, welche Mengen an P80 und CMC in Deutschland tatsächlich verzehrt werden.“
Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie, Universität Konstanz, Konstanz
„Die beiden Arbeiten in ‚Nature‘ [1] und in ‚Cancer Research‘ wurden sehr sorgfältig aufgebaut, durchgeführt und ausgewertet. Entsprechend sind die Resultate nur zum Teil neu, aber hoch interessant und ernst zu nehmen, beziehungsweise potenziell interessant. Neu in diesem Zusammenhang erscheint der Befund, dass bereits geringe Mengen an Emulgatoren zu einer Veränderung der Darmflora und einer signifikanten Erhöhung von entzündungsfördernden Bakterien und somit zu chronischen Entzündungen führt. Neu ist auch der Befund, dass geringe Entzündungen nicht nur zu einer Kolitis, sondern auch zu Krebs im Dickdarm der Mäuse führen.“
„Obwohl beide Studien sehr sorgfältig ausgeführt wurden, besteht zu einigen Punkten völlige Unklarheit, welche die Aussagekraft der Studien – und somit die Übertragbarkeit auf den Menschen – stark schmälert. Es wurde beobachtet, dass bei allen mit Emulgatoren behandelten Mäusen die Menge an Gallensäure signifikant reduziert war, was man aufgrund der Datenlage nicht erklären kann. Gallensäure ist ein natürlicher Emulgator – in der Maus wie beim Menschen. Sie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Dicke des Schleims im Dickdarm, siehe zum Beispiel Pyo et al. [2]. Erhöhte Mengen an Gallensäure erhöhen die Schleimschicht und vermindern so das Risiko einer Infektion mit entzündungsfördernden Bakterien. Wie diese Verringerung der Gallensäure-Konzentration im Zusammenhang mit den Emulgatoren in der Nahrung zustande gekommen ist, kann aufgrund der Studie nicht erklärt werden.“
„Ein weiterer natürlicher Emulgator ist Alkohol. Leider verwendeten die Autoren keine Alkohol-Kontrollgruppe, anhand derer man die Effekte geringer Mengen Alkohol in Lebensmitteln auf den Gallenfluss, die Dickdarmschleimschicht und die mikrobielle Flora hätte untersuchen können. In Anbetracht der Tatsache, dass seit Jahrhunderten Alkohol zur Präservation von Lebensmitteln verwendet wird und die tägliche Aufnahme geringer Mengen Alkohol bereits regelmäßiger Bestandteil wie zum Beispiel der mediterranen Ernährung ist, wäre dieses Kontrollexperiment unabdingbar gewesen.“
„Da die gesamte Krebsstudie auf der Tatsache basiert, dass die Emulgatoren bei Mäusen zu einer verminderten Gallensäure-Ausscheidung im Dickdarm und somit zu einer verminderten Dickdarmschleimdicke führt, müsste zuerst verstanden werden, wie diese Verminderung der Gallensäure-Ausscheidung durch kleinste Mengen Emulgatoren zustande kommt und ob diese Mechanismen auch beim Menschen vorliegen. Erst dann kann über eine Relevanz der Befunde für den Menschen diskutiert werden.“
Zur Frage, inwiefern die Ergebnisse der Studie für Darmerkrankungen beim Menschen relevant sein könnten, vor allem im Hinblick auf bei Menschen typisches Essverhalten:
„Selbst die Autoren äußern sich hierzu sehr vorsichtig und nennen die übermäßige Aufnahme von kalorienreicher Nahrung als das größte Problem. Hierbei erscheint auch wichtig, wie lange die Nahrung im Magen-Darm-Trakt verbleibt beziehungsweise dort prozessiert wird. Fasernreiche Nahrung erniedrigt die Inzidenz (Anzahl an Neuerkrankungen; Anm. d. Red.) an Colitis, Dickdarmkrebs und mit dem metabolischen Syndrom assoziierten, klassischen biochemischen Markern wie zum Beispiel Blutcholesterol. Da die Faserbestandteile der Mäusenahrung nicht mit dem Fasernanteil in der westlichen Ernährung verglichen wurde, ist es schwierig, Aussagen zur Relevanz der Mäusestudien für den Menschen zu treffen.“
„Aufgrund der genannten Unklarheiten dieser Studie ist es viel zu früh, eine Empfehlung zu Grenzwerten auszusprechen. Diese könnten erst dann erarbeitet werden, wenn wissenschaftlich gut belegt werden kann, dass das verwendete Mäusesystem nicht einen Spezialfall darstellt. Es bleibt offen, ob ähnliche Effekte im Menschen zu erwarten sind.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Viennois, E. et al. (2016): Dietary emulsifier-induced low-grade inflammation promotes colon carcinogenesis, Cancer Research; published OnlineFirst November 7, 2016. DOI: 10.1158/0008-5472.CAN-16-1359
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Chassaing, B. et al. (2015): Dietary emulsifiers impact the mouse gut microbiota promoting colitis and metabolic syndrome. Nature;519(7541), DOI: 10.1038/nature14232
[2] EFSA ANS Panel (2015): Scientific Opinion on the re-evaluation of polyoxyethylene sorbitan monolaurate (E 432), polyoxyethylene sorbitan monooleate (E 433), polyoxyethylene sorbitan monopalmitate (E 434), polyoxyethylene sorbitan monostearate (E 435) and polyoxyethylene sorbitan tristearate (E 436) as food additives. EFSA Journal;13(7):4152, DOI: 10.2903/j.efsa.2015.415
[3] Pyo, J.S. et al. (2015): Bile acid induces MUC2 expression and inhibits tumor invasion in gastric carcinomas. J Cancer Res Clin Oncol.;141(7):1181-8. DOI: 10.1007/s00432-014-1890-1
Dr. Anna Kipp
Mitarbeiterin der Abteilung Molekulare Toxikologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
Prof. Dr. Daniel Dietrich
Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie, Universität Konstanz, Konstanz