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29.05.2024

Studie: Smartphone-Nutzung hebt die Stimmung

     

  • Kinder und Jugendliche berichten laut Studie eine bessere Stimmung, wenn sie ihr Smartphone benutzen; je länger, desto besser die Stimmung
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  • der positive Effekt auf die Stimmung könnte ein Hinweis darauf sein, dass Smartphones zur Stimmungsregulierung verwendet werden
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  • unabhängige Forschende weisen auf die begrenzte Aussagekraft der Studie hin und gehen näher auf die Debatte der Smartphone-Nutzung ein
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Die negativen Auswirkungen der Smartphone-Nutzung auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sind ein viel diskutiertes Thema in der Wissenschaft und der Gesellschaft. Trotz intensiver Debatten und Studien ist es jedoch bisher schwierig, fundierte und eindeutige Aussagen zu treffen. Nun deutet eine Studie im Fachblatt „Plos One“ darauf hin, dass die Nutzung von Smartphones mit einer besseren Stimmung bei 12- bis 17-Jährigen einhergehen könnte – je länger die Nutzung, desto besser die Stimmung, so die Studie (siehe Primärquelle).

Im Rahmen der Untersuchung rekrutierten Forschenden der University of Wisconsin-Madison unter anderem über die Facebook-Plattform Probandinnen und Probanden zwischen 12 und 17 Jahren, von denen insgesamt 253 in die Analyse aufgenommen wurden. Die Kinder und Jugendlichen wurden regelmäßig über ihr Smartphone befragt, ob und wie lange sie gerade ihr Smartphone benutzen und wie ihre Stimmung ist, beziehungsweise vor der Nutzung war. Diese Art der Datenerhebung wird Ecological Momentary Assessment (EMA) genannt. Dabei machen Personen spontan Angaben über ihren aktuellen Zustand, indem sie beispielsweise angerufen werden oder eine Nachricht auf ein mobiles Endgerät erhalten. Dadurch werden retrospektive Aussagen vermieden, bei denen Erinnerungsverzerrungen auftreten können. Auf der anderen Seite kann die Methode zu Ermüdungseffekten oder Reaktivität führen [I].

In der aktuellen Studie wurde lediglich erfasst, ob die Probandinnen und Probanden das Handy gerade benutzen, allerdings nicht, was sie daran machen. Die Befragung erfolgte 30-mal in einem Zeitraum von sechs Tagen, bei der die Jugendlichen innerhalb einer Stunde einen kurzen Fragebogen ausfüllen mussten. Die Forschenden analysierten daraufhin, wie stark die berichtete Stimmung der 12- bis 17-Jährigen mit der Nutzung allgemein und der Nutzungsdauer der Smartphones zusammenhängt. Demnach berichteten die Probandinnen und Probanden eine bessere Stimmung, wenn sie ihr Smartphone nutzten. Die Stimmung besserte sich zudem, je länger sie ihr Smartphone nutzten.

Die gute Stimmung während der Nutzung kann als positive Konsequenz interpretiert werden, könnte aber auch ein Warnzeichen sein: Die Forschenden schlussfolgern, dass ihre Ergebnisse Hinweise darauf geben, dass Smartphones zur Stimmungsregulierung verwendet werden könnten, was eine Komponente von Suchtverhalten ist [II]. Sie könnten demnach als Bewältigungsstrategie für unangenehme Situationen verwendet werden.

Das SMC hat deshalb Forschende dazu befragt, inwieweit diese Studie zuverlässige und unabhängige Aussagen über den Zusammenhang von Smartphone-Nutzung und Stimmung bei Kindern und Jugendlichen machen kann, welche positiven Auswirkungen die Handys für diese Bevölkerungsgruppe haben könnten und was die Kehrseite von Smartphones als Stimmungsaufheller sein könnte.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie, Universität Ulm
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  • Prof. Dr. Kathrin Karsay, Assistenzprofessorin für Unterhaltungsforschung, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, Österreich
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  • Prof. Dr. Adrian Meier, Juniorprofessor für Kommunikationswissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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  • Anne-Linda Camerini, Ph.D., Lecturer and Researcher at the Faculty of Biomedical Sciences, Università della Svizzera italiana, Schweiz
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Statements

Prof. Dr. Christian Montag

Professor für Molekulare Psychologie, Universität Ulm

Methodik der Studie

„Die Stichprobengröße erlaubt einigermaßen robuste Aussagen bezüglich der Stimmungsmodifikation durch die Smartphone-Nutzung, die allerdings auch in anderen Studien – auch aus einem anderen Kulturkreis – untersucht werden müssen. Weiterhin ist positiv zu erwähnen, dass eine EMA-Methodik eingesetzt wurde, die nah am Alltag der Studienteilnehmenden war. Eingeschränkt wird die Studie aber durch die untersuchte Altersklasse: Es handelt sich ,nur‘ um Nutzende zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr. Diese Altersklasse ist allerdings besonders vulnerabel für eine Übernutzung des Smartphones und deswegen besonders interessant.“

Mögliche Mechanismen

„Eine Erklärung für die bessere Stimmung könnte sein, dass das Smartphone von manchen Studienteilnehmenden als Bewältigungsstil eingesetzt wurde, um den eigenen negativen Affekt im Alltag zu vergessen. Dies stellt aber nur eine Interpretation dar, da weder Nutzungsmotive noch detailliertes emotionales Befinden näher untersucht worden sind. Zudem ist unklar, was die Proband:innen auf dem Smartphone gemacht haben.“

Vorteile der Smartphone-Nutzung bei Kindern und Jugendlichen

„Tatsächlich werden die Vorteile meines Erachtens relativ wenig untersucht – ehrlicherweise sehe ich selbst keine wesentlichen Vorteile durch die Smartphone-Nutzung bei Kindern. Ich rate von eigenen Geräten in der Kindheit ab. Jenseits dessen gilt für Jugendliche sicherlich festzuhalten, dass das Smartphone mit seinen ganzen Kanälen einen Bestandteil der jugendlichen Popkultur darstellt.“

„Weiterhin: Die Smartphone-Debatte gilt es genauer zu führen. Die Inhalte auf dem Smartphone sind zentral: Gerade bezüglich sozialer Medien haben wir kürzlich ein Konsensus-Papier herausgebracht [1].“

Negative Aspekte der Smartphone-Nutzung

„Aus der Forschung zur Verhaltenssucht – besonders mit dem Fokus auf Gaming – ist bekannt, dass Motive wie Eskapismus (aus dem Alltag fliehen) Nutzungsmotive darstellen, die besonders suchtfördernd sein können. Dass die Smartphone-Nutzung zunächst die Stimmung verbessern kann, ist nicht besonders überraschend. Schwierig wird es aber, wenn die Nutzung des Smartphones als dauerhafter Bewältigungsstil eingesetzt wird. Dies kann aber anhand der Studie nicht überprüft werden.“

Prof. Dr. Kathrin Karsay

Assistenzprofessorin für Unterhaltungsforschung, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, Österreich

Methodik der Studie

„Die Methodik entspricht dem aktuellen Stand der Forschung und dem allgemeinen Trend in diesem Bereich, zunehmend detailliertere Messungen anzustreben, wie sie in dieser Mobile Experience-Sampling-Studie angewendet wurde. Die Methode bietet zahlreiche Vorteile gegenüber traditionellen Befragungsstudien. Besonders hervorzuheben ist, dass die befragten Personen während der Nutzung (in-situ) befragt werden, was die Messung sehr nah an das alltägliche Geschehen bringt. Dadurch können Erinnerungsverzerrungen vermieden beziehungsweise vermindert werden, und durch die wiederholten, mehrfachen Befragungen – 30 Messungen über den Zeitraum von sechs Tagen – können Aussagen auf individueller Ebene getroffen werden.“

„Diese Studie bietet Hinweise darauf, dass Jugendliche während der Nutzung des Smartphones eine bessere Stimmung angeben als während der Nichtnutzung beziehungsweise vor der Smartphonenutzung. Allerdings ist insbesondere die Frage nach der Stimmung vor der Handynutzung kritisch zu beurteilen, weil die Teilnehmer*innen hierbei ihre vergangene Stimmung reflektieren müssen und nicht ihre aktuelle Stimmung wiedergeben. Daher ist ein sogenannter Kontrasteffekt – das heißt, eine Antwortverzerrung – zu erwarten. Nichtsdestotrotz bleibt das Ergebnis auch dann bestehen, wenn man diesen Teil der Studie ignoriert und nur jene miteinander vergleicht, die das Handy gerade genutzt haben und jene, die es nicht genutzt haben.“

„Die Ergebnisse sind aufgrund der willkürlichen Stichprobenziehung nicht repräsentativ für Jugendliche im Allgemeinen.“

„Die Rekrutierung über Facebook-Werbung ist nicht unüblich und per se nicht als problematisch zu sehen. Zur Finanzierung mittels des Facebook Youth Research Fund, kann ich keine Aussagen treffen. Die Autor*innen geben aber an, dass Studiendesign, Datenerhebung und -analyse, sowie alle weiteren Schritte nicht vom Fördergeber beeinflusst waren.“

Mögliche Mechanismen

„Wie bereits von den Autor*innen genannt, bietet die Mood-Management-Theorie eine geeignete theoretische Grundlage, um diese Befunde zu erklären. Die Theorie besagt, dass Menschen Medieninhalte auswählen, die ihren aktuellen emotionalen Bedürfnissen entsprechen. Das bedeutet, dass Medieninhalte dahingehend ausgewählt werden, um positive Stimmungen zu verstärken oder negative Stimmungen abzuschwächen und somit ein optimales emotionales Gleichgewicht zu erreichen.“

„Wir wissen zudem, dass Jugendliche unterhaltsame und hedonistische Medieninhalte bevorzugen, weshalb diese Theorie naheliegend ist. Allerdings liefert die Studie keinen Hinweis darauf, welche Apps oder Inhalte die Teilnehmer*innen auf ihrem Handy genutzt haben, und somit bleiben Erklärungsversuche recht vage. Dazu kommt, dass die Mood-Managament-Theorie aus den 1980er Jahren stammt und sich das Medienangebot seither drastisch verändert hat. In Zeiten permanenter Konnektivität via Smartphones entstehen neue Herausforderungen. Der schnelle und wiederholte Griff zum Handy bei Langweile, schlechter Stimmung oder anderen unangenehmen Gefühlen, kann dazu führen, dass andere Aufgaben vernachlässigt werden – Stichwort: Prokrastination. Schuldgefühle (,Jetzt habe ich wieder so viel Zeit am Handy verschwendet‘) können diese positive Stimmung gegebenenfalls wieder mindern oder aufheben.“

Vorteile der Smartphone-Nutzung bei Kindern und Jugendlichen

„In der Vergangenheit haben wir uns vermehrt der negativen Aspekte der Smartphone-Nutzung gewidmet und erst nach und nach werden Studie zu positiven Aspekten veröffentlicht.“

„Zwei Beispiele: Co-use, also das gemeinsame Nutzen des Smartphones, wie zum Beispiel gemeinsam Videos am Handy ansehen oder gemeinsam etwas am Handy recherchieren, wurde mit einer höheren wahrgenommen Freundschaftsqualität in Verbindung gebracht [2].“

„Auch der Zugang zu Gleichgesinnten und Peers ist hervorzuheben. In einer Mobile-Experience-Sampling-Studie unter Jugendlichen, konnten wir zeigen, dass das Senden von Nachrichten (Bilder, Texte, Sprachnachrichten beispielsweise via WhatsApp oder Snapchat) positiv mit dem aktuellen Wohlbefinden in Zusammenhang stand [3].“

„Insbesondere für marginalisierte Gruppen bieten digitale Medien die bedeutsame Möglichkeit, sich – gegebenenfalls anonym – auszutauschen und Probleme zu besprechen.“

Auf die Frage, inwiefern eine bessere Stimmung bei der Nutzung von Smartphones ein Grund zur Sorge liefert:
„Grund zur Sorge sehe ich unmittelbar nicht. Die Ergebnisse sind erwartbar und die Unterschiede in der Stimmung sind zwar signifikant, aber nicht sehr groß. Auch die Studienautor*innen bieten eine reife und ausgewogene Reflexion ihrer Ergebnisse.“

Hinweise auf suchtfördernden Mechanismus der Smartphones

„Die Studie liefert meines Erachtens Hinweise dafür, dass das Smartphon während der unmittelbaren Nutzung als etwas Positives wahrgenommen wird. Das Smartphone mit seinen dazugehörigen Apps ist schließlich auch so gestaltet, dass die Nutzer*innen möglichst viel Zeit damit verbringen. Optimierte Benutzeroberflächen, Gamification, algorithmisch kuratierte Inhalte, endloses Scrollen, soziale Anerkennung via Likes und Kommentare – all diese Instrumente dienen dazu, Nutzer*innen im wahrsten Sinne des Wortes bei Laune – und dadurch am Gerät – zu halten.“

„Jedoch benötigen wir dringend weitere Forschung, um zu erfahren, um welche Nutzung es sich dabei handelt, zum Beispiel Musik- oder Videostreaming, Messaging Apps, oder Social Media. Wichtig ist zudem, nicht nur die unmittelbaren Effekte, sondern auch die mittel- und langfristigen Effekte zu untersuchen, zum Beispiel wenn kurzfristige Belohnungen zu langfristigen Problemen führen, wie beispielsweise späteres Zubettgehen und Aufschieben von Aufgaben.“

Prof. Dr. Adrian Meier

Juniorprofessor für Kommunikationswissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Methodik der Studie

„Die Studie ist inhaltlich interessant und liefert spannende Impulse für weitere Forschung. Ich halte sie aber methodisch für nicht sehr überzeugend.“

„Die Personenstichprobe ist willkürlich gezogen und zusammengesetzt, eine Verallgemeinerung auf andere Jugendliche ist unzulässig. Zudem ist in diesem Forschungsfeld weitgehend unklar, ob sich Befunde aus den USA oder dem UK auf Deutschland übertragen lassen. Einiges spricht dagegen.“

„Kritisch beurteile ich insbesondere die Messung der Stimmung: Jugendliche wurden in der gleichen Situation nach ihrer jetzigen und ihrer vorherigen Stimmung gefragt. Es liegt nahe, dass die Angaben zur vorherigen Stimmung durch die jetzige Stimmung verzerrt sind, beispielsweise weil die jetzige Stimmung einen ,Anker‘ zur Einschätzung der vorherigen Stimmung setzt oder weil Kontrasteffekte entstehen. Eine wirkliche Veränderung der Stimmung kann die Studie nicht nachweisen.“

„Auch die Messung der Smartphone-Nutzung könnte besser sein. Selbstauskünfte sind in dieser Forschung zwar üblich, aber tatsächliche Nutzungsdaten – so genannte digitale Spurdaten – wären hier deutlich informativer, da sie nicht so anfällig für Verzerrungen sind wie Selbstauskünfte. Wir wissen etwa, dass Stimmungen einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Zeit haben. Die Einschätzung der Dauer der eigenen Smartphone-Nutzung dürfte also durch die derzeitige Stimmung beeinflusst sein, zumal beides zum gleichen Zeitpunkt gemessen wurde.“

Mögliche Mechanismen

„Dass Smartphone-Nutzung und Mediennutzung im Allgemeinen kurzzeitig die Stimmung aufhellen kann, ist durch viele Studien gut dokumentiert. In der Medienpsychologie sprechen wir hier von so genanntem Mood Management, also der erlernten Stimmungsregulierung durch Mediennutzung. Wenn mir langweilig ist, greife ich beispielsweise zum Smartphone und scrolle ein bisschen durch Social Media, schaue ein YouTube-Video oder spiele ein Mobile Game und fühle mich dann vielleicht gut unterhalten, abgelenkt von Sorgen oder kann kurzzeitig vor bestimmten Belastungen entfliehen. Das kann durchaus kurzfristig positive Folgen für die Stimmung haben und als schnelle Erholung in einem stressigen Alltag dienen.“

„Allerdings zeigen sich solche stimmungsaufhellenden Folgen nicht in allen Studien und für alle Personen. Zudem ist unklar, ob sich daraus auch eine längerfristige Verbesserung der Stimmung – also des allgemeinen affektiven Wohlbefindens – ergeben kann. Und schließlich kann eine auf Mediennutzung ausgerichtete Bewältigungsstrategie im Umgang mit eigenen Emotionen, etwa Langeweile oder Stress, auch dysfunktional werden. Dann nämlich, wenn ich lösbare Probleme und Herausforderungen nicht mehr angehe, sondern vorwiegend vermeide. Emotionen sind immer auch Signale an einen selbst, die wichtige Hinweise auf Veränderungsbedarf in einer Situation oder im Alltag im Allgemeinen geben können.“

Vorteile der Smartphone-Nutzung bei Kindern und Jugendlichen

„Einige relevante Studien können kurzfristige Verbesserungen der Stimmung durch die Nutzung von Smartphones und Social Media bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nachweisen, auch in europäischen Ländern wie den Niederlanden, Deutschland oder der Schweiz [4] [5] [6].“

Hinweise auf suchtfördernden Mechanismus der Smartphones

„Die Studie weist meines Erachtens keine wesentliche Stimmungsverbesserung nach.“

„Grundsätzlich sehe ich in den kurzfristigen Stimmungsverbesserungen an sich aber keinen Grund zur Sorge – in vielen Alltagssituationen bleibt uns erst einmal nur, unsere Stimmungen zu regulieren, beispielsweise Stress zu bewältigen oder Langeweile zu reduzieren. Nicht alle Probleme und Belastungen lassen sich unmittelbar adressieren. Es kann sinnvoll sein, stattdessen erstmal mit den eigenen Emotionen umzugehen und die Stimmung zu verbessern. Stimmungsregulierende Mediennutzung ist daher auch nicht in jedem Fall problematisch – man denke etwa an das Schauen einer Serie oder eines Films, um sich am Feierabend nach einem anstrengenden Tag zu entspannen. Das tun jeden Tag Millionen Menschen in Deutschland und die wenigsten würden das per se als ,Mediensucht‘ bezeichnen. Die Mediengewohnheiten der Generationen unterscheiden sich derzeit sehr stark – junge Menschen greifen zur Stimmungsregulation eben eher zu TikTok und Instagram als zur ARD-Mediathek. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise ein problematisches Suchtverhalten.“

Anne-Linda Camerini, Ph.D.

Lecturer and Researcher at the Faculty of Biomedical Sciences, Università della Svizzera italiana, Schweiz

Methodik der Studie

„Seit mehr als einem Jahrzehnt ist das Smartphone nicht nur ein Forschungsobjekt, sondern auch ein Forschungsinstrument. Dabei wird zwischen zwei Erhebungsmethoden unterschieden: ,Ecological Momentary Assessments (EMAs)‘ und ,Digital Tracing‘. Bei EMAs erhalten Studienteilnehmer über den Tag verteilt wiederholt Kurznachrichten oder App-Notifications, die einen kurzen Fragebogen beinhalten. Dank dieser Methode können Forschende erfassen, was Menschen gerade machen, mit wem sie sich wo gerade befinden und wie sie sich dabei fühlen. EMAs haben den Vorteil, dass sie die aktuelle Situation erfassen, die sich typischerweise über den Tag hinweg bei jedem Einzelnen ändert beziehungsweise ,fluktuiert‘: Gerade fühle ich mich großartig, da mir mein Chef ein Kompliment gemacht hat, aber nur eine Stunde später bin ich von ihm genervt. Solche zum Teil kurzfristigen und vollkommen normalen Stimmungsschwankungen sind mit herkömmlichen Fragebögen nicht zu erfassen: Wir erinnern uns nicht korrekt, oder können sie retrospektiv nicht den einzelnen Situationen zuordnen. Aus diesem Grund wird der EMAs-Methode eine höhere Validität zugesprochen. Beim Digital Tracing geht die Forschung noch einen Schritt weiter und verzichtet ganz auf Fragebögen. Hierbei werden automatisch erfasste Daten wie zum Beispiel die Nutzungsdauer oder GPS- und Bluetooth-Daten verwendet, um Aufschluss über unser Verhalten, unseren Aufenthaltsort und unser soziales Umfeld zu erhalten. Das Screenome-Projekt der Universtät Stanford ist ein Pionier auf diesem Gebiet. Bei dem Projekt wird mit Hilfe von Screenshots im Fünf-Sekunden-Takt genau erfasst, welche Apps und Inhalte Smartphonenutzer wie lang und wie häufig über den Tag hinweg nutzen [7]. Gekoppelt mit EMAs können Motivation und Auswirkungen der Smartphonenutzung bei jedem Einzelnen zeitgenau erfasst werden.“

Mögliche Mechanismen

„In der in PLOS One veröffentlichten EMAs-Studie haben Minich und Moreno einen positiven Zusammenhang zwischen der allgemeinen Smartphonenutzung und einer besseren Stimmung bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren beobachtet. Sie begründen den Zusammenhang damit, dass Jugendliche das Smartphone nutzen, um sich besser zu fühlen, da in der Studie erfasst wurde, wie sich Jugendliche kurz vor und während der Smartphonenutzung fühlten. Es handelt sich somit um eine Studie der Motivation der Smartphonenutzung, die sich auf die Mood Management Theorie stützt. Laut dieser Theorie sind Menschen bestrebt, sich gut zu fühlen und setzen entsprechende Mittel ein, diesen positiven Endzustand zu erreichen, zum Beispiel durch einen netten Chat mit der Freundin oder den Konsum von lustigen Tiktok-Videos. Doch genau hier greift die Studie zu kurz, da keine Daten dazu vorliegen, welche Apps, Funktionen oder Inhalte von den Studienteilnehmern genutzt wurden. Seit längerem fordern Forschende, die Smartphone-Black-Box zu öffnen und wegzukommen von der allgemeinen Smartphonenutzung hin zu einer differenzierteren Betrachtung von Inhalten und Kontexten. Des Weiteren beschränkt sich die Studie von Minich und Moreno auf die Motivation der Smartphonenutzung und untersucht nicht die Effekte und somit die möglichen bidirektionalen Zusammenhänge.“

Vorteile der Smartphone-Nutzung bei Kindern und Jugendlichen

„Die Forschung zu den positiven Aspekten der Smartphonenutzung bei Jugendlichen steckt noch in den Kinderschuhen. Aber Dank vermehrter EMAs-Studien und einem Paradigmenwechsel hin zur Untersuchung von Within-Person-Effekten – also Effekten innerhalb der Person – wissen wir, dass es solche positiven Effekte gibt. Diese treffen jedoch nicht auf alle zu. So hat das Projekt AWeSome der Universität von Amsterdam herausgefunden, dass sich 46 Prozent nach der passiven Nutzung von sozialen Medien besser fühlen, 44 Prozent weder besser noch schlechter, und nur 10 Prozent schlechter [8].“

„Des Weiteren haben wir mit Hilfe von Daten der MEDIATICINO Studie an der Università della Svizzera italiana herausgefunden, dass sich Jugendliche nach der Smartphonenutzung besser fühlen und eine bessere Stimmung zur vermehrten Smartphonenutzung führt. Diese bidirektionalen Effekte sind jedoch flüchtig und sagen nichts über kumulative Effekte über einen längeren Zeitraum aus [5]. So können, wie auch in der Studie von Minich und Moreno diskutiert, kurzfristige positive Zusammenhänge durch die zunehmende Abhängigkeit vom Smartphone als Gratifikationsquelle über einen längeren Zeitraum hinweg zu negativen Effekten führen. Doch hier greifen EMAs-Studien ganz im Sinne einer Momentaufnahme über einen kurzen Zeitraum hinweg zu kurz – typischerweise dauern sie nicht länger als einen Monat.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Christian Montag: „Ich habe keine Interessenkonflikte. Aus Gründen der Transparenz erwähne ich jedoch, dass ich (an der Universität Ulm und früher an der Universität Bonn) Forschungsgelder von Einrichtungen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten habe. Ich habe Förderanträge für mehrere Agenturen begutachtet; ebenso Artikel in Fachzeitschriften; akademische Vorträge in klinischen oder wissenschaftlichen Einrichtungen oder Unternehmen gehalten; und habe Bücher oder Buchkapitel für Verleger von Texten zur psychischen Gesundheit verfasst. Für einige dieser Tätigkeiten habe ich Honorare erhalten, jedoch nie von Gaming- oder Social-Media-Unternehmen. Ich war Teil eines Gesprächskreises bei Facebook (Digitalität und Verantwortung), der ethische Fragen im Zusammenhang mit sozialen Medien, Digitalisierung und Gesellschaft/Demokratie diskutierte. In diesem Zusammenhang erhielt ich kein Gehalt für meine Tätigkeit. Derzeit bin ich als unabhängiger Wissenschaftler im wissenschaftlichen Beirat der Gruppe Nymphenburg (München, Deutschland) tätig. Diese Tätigkeit wird finanziell abgegolten. Außerdem bin ich Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Applied Cognition (Redwood City, CA, USA), eine Tätigkeit, die ebenfalls vergütet wird.“

Prof. Dr. Kathrin Karsay: „Ich habe keinerlei Interessenkonflikte bezüglich der Thematik der Studie, noch mit den Studienautor*innen.”

Prof. Dr. Adrian Meier: „Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“

Anne-Linda Camerini, Ph.D.: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Primärquelle

Minich M et al. (2024): Real-world adolescent smartphone use is associated with improvements in mood: An ecological momentary assessment study. PLoS ONE. DOI: 10.1371/journal.pone.0298422.

Weiterführende Recherchequellen

Science Media Center (2023): Auswirkungen sozialer Medien auf mentale Gesundheit. Press Briefing. Stand: 12.12.2023.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Montag C et al. (2024): Problematic social media use in childhood and adolescence. Addictive Behaviors. DOI: 10.1016/j.addbeh.2024.107980.

[2] Stevic A et al. (2023): Co-present smartphone use, friendship satisfaction, and social isolation: The role of coping strategies. Computers in Human Behavior. DOI: 10.1016/j.chb.2023.107960.

[3] Karsay K et al. (2023): Messaging, Posting, and Browsing: A Mobile Experience Sampling Study Investigating Youth’s Social Media Use, Affective Well-Being, and Loneliness. Social Science Computer Review. DOI: 10.1177/08944393211058308.

[4] Beyens I et al. (2021): Social media use and adolescents’ well-being: Developing a typology of person-specific effect patterns. Communication Research. DOI: 10.1177/00936502211038196.

[5] Marciano L et al. (2022): Dynamics of adolescents’ smartphone use and well-being are positive but ephemeral. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-022-05291-y.

[6] Meier A et al. (2020): Instagram inspiration: How upward comparison on social network sites can contribute to well-being. Journal of Communication. DOI: 10.1093/joc/jqaa025.

[7] Reeves B et al. (2020): Time for the Human Screenome Project. Nature. DOI: 10.1038/d41586-020-00032-5.

[8] Beyens I et al. (2020): The effect of social media on well-being differs from adolescent to adolescent. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-020-67727-7.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Shiffman S et al. (2008): Ecological momentary assessment. The Annual Review of Clinical Psychology. DOI: 10.1146/annurev.clinpsy.3.022806.091415.

[II] Griffiths M (2005): A 'components' model of addiction within a biopsychosocial framework. Journal of Substance Use. DOI: 10.1080/14659890500114359.