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01.04.2022

Schwere Entzündungen im Gehirn von Affen mit COVID-19 entdeckt

     

  • schwere Entzündungen und Blutungen im Hirn von Affen mit COVID-19 entdeckt
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  • Befunde teils auch bei Menschen bereits beobachtet
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  • Schädigungen nicht direkt auf das Virus zurückzuführen
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COVID-19-Patientinnen und -Patienten berichten immer wieder über neurologische Symptome wie Verwirrung, Kopfschmerzen oder andere kognitive Einschränkungen – und das teils auch mehrere Monate nach der Genesung. Inwieweit das Coronavirus SARS-CoV-2 Hirnregionen befallen kann und was es dort anrichtet, ist deshalb Gegenstand mehrerer aktueller Untersuchungen.

Forschende der Tulane University in New Orleans (USA) haben nun in Affenversuchen schwere Entzündungen und Verletzungen des Gehirns der Tiere entdeckt (siehe Primärquelle). Die Affen waren zuvor mit dem Coronavirus infiziert worden. Die Befunde traten den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge auch bei Tieren auf, die nach der Infektion keinen schweren COVID-19-Verlauf erlitten hatten. Insgesamt wurden allerdings nur acht Tiere untersucht, von denen zwei kurz vor Ende des Beobachtungszeitraums aufgrund einer deutlichen Verschlechterung der Vitalwerte eingeschläfert wurden. Die Studie ist am 01.04.2022 bei „Nature Communications“ veröffentlicht worden (siehe Primärquelle).

Die Tiere wurden mit dem „2019-nCoV/USA-WA1/2020“-Stamm des Coronavirus entweder direkt über die Schleimhaut oder per Aerosol infiziert. Alle Tiere entwickelten innerhalb einer Woche ein entsprechendes Krankheitsbild. In den später postmortal erstellten Hirnschnitten der Affen fanden die Forschenden Anzeichen für eine ausgeprägte Neuroinflammation, Mikroblutungen mit und ohne zugehörige Blutgerinnsel sowie neuronale Schädigungen bis hin zum Zelltod. Ein direkter Nachweis des Virus im Gehirn wurde nicht erbracht, stattdessen schien das Virus auf die innere Zellschicht der Blutgefäße im Gehirn (Endothel) beschränkt zu sein. Die Hirnschädigungen seien deshalb nicht unmittelbar auf den Erreger zurückzuführen, sondern höchstwahrscheinlich eine Folge einer unzureichenden Versorgung des Hirngewebes mit Sauerstoff (ischämische Hypoxie).

Das SMC hat Forschende im Bereich der Neurologie und Neuropathologie dazu befragt, inwieweit die Affen-Studie neue Erkenntnisse zu Hirnschädigungen bei COVID-19 liefert, wie die Methodik zu bewerten ist und welche Schlüsse letztlich aus der Untersuchung gezogen werden können.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)
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  • Prof. Dr. Markus Glatzel, Direktor des Instituts für Neuropathologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
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Statements

Prof. Dr. Peter Berlit

Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)

„Die mitgeteilten Befunde passen gut zu dem, was wir auch beim Menschen sehen, auch dort können wir das Virus etwa in den Endothelzellen nachweisen [1]. Die Beobachtungen sind aber ganz überwiegend auf eine indirekte Entstehung durch Hypoxie, Inflammationssyndrom, Koagulopathie und metabolische Schädigung zurückzuführen. Insbesondere bei den entzündlichen Manifestationen sind Mikroblutungen häufig, wie das auch bei den Affen gezeigt wird. Eine Autopsie-Studie vom September 2021 zeigte auch beim Menschen Hämorrhagien [2]. Es gibt auch eine pathologische Studie zur Hypoxie [3]. Im Gegensatz zu den Affen waren das aber alles schwer an COVID-19 erkrankte Menschen, die verstorben sind.“

„Die Studie ist methodisch nicht zu beanstanden. Aber es ist immer Vorsicht geboten, wenn man versucht, Ergebnisse aus Tierversuchen 1 zu 1 auf den Menschen zu übertragen.“

„Neurologische Manifestationen können auch bei pulmonal nicht schwer Betroffenen entstehen, und sie kommen indirekt zustande, also nicht durch direkte virale Invasion. Wenn das Virus ins zentrale Nervensystem gelangt, dann am ehesten über die Riechbahn oder auf dem Blutweg.“

Prof. Dr. Markus Glatzel

Direktor des Instituts für Neuropathologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

„Die Daten bestätigen weitgehend die Veränderungen, die wir im Menschen sehen – zum Beispiel diskrete neuroimmune Aktivierung, auch der fokale Nachweis von SARS-CoV-2 im Endothel ist etwas, was ich nachvollziehen kann, und Hypoxie spielt bestimmt eine Rolle. Allerdings sehen wir im Menschen keine ausgeprägte Entzündung und auch keine ausgeprägten Blutungen oder deutliche Nervenzelluntergänge. Die Daten, die dies in der Studie zeigen sollen, sind nicht überzeugend, etwa die beschriebenen Nekrosezonen im Gehirn. Bei den entsprechend eingefärbten Hirnschnitten in der Studie ist das eigentlich nicht zu erkennen. Es zeigt sich auch keine Abraumreaktion durch Makrophagen, die bei Nekrose aber typisch wäre. Ähnlich verhält es sich mit den Blutungen: Ich sehe da morphologisch weitgehend erhaltene Erythrozyten perivaskulär, also wenige Stunden alt, eventuell eher im Rahmen der Autopsie entstanden.“

„Die Studie ist gut geplant und durchgeführt. Allerdings ist die neuropathologische Aufarbeitung nicht auf dem Niveau, das man für ein Paper dieses Kalibers erwarten würde.“

„Die Studie bestätigt, was wir im Menschen bereits gesehen haben. Die Interpretation, dass auch bei milden Verläufen Nervenzelluntergänge häufig sind, teile ich nicht. Beim Menschen sehen wir das nicht, auch traue ich den Daten, die dies angeblich in dem Paper zeigen, nicht.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Rutkai I et al. (2022): Neuropathology and virus in brain of SARS-CoV-2 infected non-human primates. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-022-29440-z.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Meinhardt J et al. (2020): Olfactory transmucosal SARS-CoV-2 invasion as a port of central nervous system entry in individuals with COVID-19. Nature Neuroscience. DOI: 10.1038/s41593-020-00758-5.

[2] Santana MF et al. (2021): Hemorrhagic and thrombotic manifestations in the central nervous system in COVID-19: A large observational study in the Brazilian Amazon with a complete autopsy series. Plos One. DOI: 10.1371/journal.pone.0255950.

[3] Thakur TK et al. (2021): COVID-19 neuropathology at Columbia University Irving Medical Center/New York Presbyterian Hospital. Brain. DOI: 10.1093/brain/awab148.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center (2022): Long Covid – Begriff, Befund, Behandlung. Press Briefing. Stand: 08.02.2022.