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15.07.2020

SARS-CoV-2 in der Schwangerschaft – Übertragung aufs Kind und Effekte

Wie sich eine Infektion von SARS-CoV-2 in der Schwangerschaft auf Mutter und Kind auswirkt, ist eine von vielen Forschungsfragen in der derzeitigen Corona-Pandemie. Eine Infektion scheint zumindest in einigen Fällen über die Plazenta von der Mutter auf das Neugeborene übertragbar zu sein, wie ein Fallbericht aus Frankreich nahelegt, der im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Die Mutter hatte sich im letzten Trimester der Schwangerschaft mit SARS-CoV-2 angesteckt. Durch detaillierte Untersuchungen wiesen die Forscher eine Infektion der Mutter, ihrer Plazenta und des Kindes nach. Nach der Geburt untersuchten sie das Neugeborene klinisch und mit bildgebenden Verfahren und fanden neurologische Auffälligkeiten, die denen erwachsener Patienten ähneln.
Eine Reihe von vorab veröffentlichten Studien, sogenannte Preprint-Publikationen auf entsprechenden Servern, beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 von der Mutter auf ihr Kind übertragen werden kann und wie sich eine Infektion gesundheitlich auf Mutter und Kind auswirkt. Wir haben das und die aktuelle Publikation als Anlass genommen, Expertinnen und Experten das bestehende Wissen zur Schwangerschaft mit SARS-CoV-2 einschätzen zu lassen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Susanne Modrow, Professorin für Molekulare Virologie und Genetik, Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg
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  • Prof. Dr. Mario Rüdiger, Leiter des Fachbereiches Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
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  • PD Dr. Alexander Hein, Stellvertretender Direktor der Frauenklinik und leitender Oberarzt, Universitätsklinikum Erlangen
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Statements

Prof. Dr. Susanne Modrow

Professorin für Molekulare Virologie und Genetik, Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg

„Dieser Fallbericht ist sehr interessant und wichtig. Die Daten sprechen dafür, dass im Rahmen der akuten SARS-CoV-2-Infektion eine transplazentare Übertragung mit Infektion des Kindes erfolgt ist. Dies war als Problem bei Schwangeren nie völlig auszuschließen, da das Virus im Blut der infizierten Frau vorhanden ist und der zelluläre Rezeptor ACE2, den SARS-CoV-2 zur Bindung an die Zielzellen nutzt, von Zellen in der Plazenta wie auch im Gewebe des Feten beziehungsweise Neugeborenen produziert wird. Da die Produktion von ACE2 abhängig von der Zelldifferenzierung erfolgt, sind Übertragungen und Infektionen aber wohl nur vorübergehend zu bestimmten Zeitfenstern möglich. Dazu müssen verschiedene Faktoren zusammenkommen: Hierzu zählen das Ausmaß der Virämie (das Auftreten von Viren im Blut; Anm. d. Red.) bei der Schwangeren, die zeitgleiche Synthese ausreichender Mengen des Rezeptors ACE2 auf Zelloberflächen und möglicherweise weitere, noch unbekannte genetische Einflüsse. Da diese Konstellation vermutlich nicht häufig vorliegt, ist – auch auf der Basis unseres heutigen Wissens – die SARS-CoV-2-Infektion des Feten wohl ein recht seltenes Ereignis. Es gab zwar immer wieder Hinweise, dass derartige transplazentare Übertragungen und Infektionen möglich sind, ähnlich gut belegte Fälle sind mir jedoch nicht bekannt.“

„Bei der SARS-CoV-2-Infektion handelt es sich noch immer um eine neu aufgetretene Problematik, die Evidenz für die Beantwortung der Frage, inwiefern sich Neugeborene im Mutterleib infizieren und welche Rolle das spielt, ist noch ungenügend. Man wird in den kommenden Monaten sicherlich zunehmend Daten sammeln, die eine bessere Bewertung hinsichtlich der Rolle des transplazentaren Übertragungsweges und der damit verbundenen Folgen zulassen. Sollte sich zeigen, dass – wie im beschriebenen Fall – SARS-CoV-2-Übertragungen vor allem in der Spätschwangerschaft und damit zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem die Organentwicklung weitgehend abgeschlossen ist, wäre zu erwarten, dass sich die Symptome der fetalen und postnatalen Erkrankung ähneln.“

„Grundsätzlich gilt, dass jede fieberhafte Infektion ein Risiko für die Schwangerschaft und die Gesundheit des Feten darstellen kann. Auch deswegen gelten für Schwangere alle Hygieneregeln und -maßnahmen zum Schutz vor Infektionen in besonderer Weise: Infektionen müssen nach Möglichkeit vermieden werden. Schwangere müssen von ihren Gynäkolog*innen und Hebammen entsprechend informiert und konsequent angewiesen werden. Auf diese grundlegenden Regeln zu Hygiene und Abstandshaltung/Kontaktvermeidung wird in allen entsprechenden Leitlinien und Stellungnahmen immer wieder hingewiesen. Das gilt insbesondere, um auch die Infektionen zu vermeiden, die bekanntermaßen die Gesundheit des Feten wie des neugeborenen Kindes schwer beeinträchtigen können, beispielsweise zur Vermeidung einer Infektion mit dem Zytomegalievirus oder dem Erreger Toxoplasma gondii (ruft die Erkrankung Toxoplasmose hervor, Anm. d. Red.) während der Schwangerschaft. Im Vergleich zu diesen Infektionen gibt es kaum Hinweise, dass die SARS-CoV-2-Infektion hochrisikohaft für die Gesundheit des werdenden Kindes oder der Schwangeren ist – wobei die Datenlage zum heutigen Zeitpunkt sicher nicht als endgültig zu betrachten ist.“

Prof. Dr. Mario Rüdiger

Leiter des Fachbereiches Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

„Die Autoren haben in einer methodisch sehr solide durchgeführten Untersuchung folgendes zeigen können: Bei einer schweren mütterlichen SARS-CoV-2-Infektion im letzten Drittel der Schwangerschaft kann der Erreger auch im mütterlichen Blut nachweisbar sein. Bei Vorliegen von Erregern im Blut (Virämie) kann es zu einer Besiedlung der Plazenta kommen. Bei Besiedlung der Plazenta kann auch eine Infektion des Fetus (ungeborenen Kindes) auftreten. In diesem Fall ist auch das Neugeborene infiziert und damit voraussichtlich auch ansteckend. Letztlich scheint sich die fetale und die neonatale Infektion unter anderem in einer Infektion des Gehirnes zu manifestieren.“

„Bisher war nicht sicher, ob der Nachweis von SARS-CoV-2 bei Neugeborenen nur Ausdruck einer Besiedlung ist, die das Kind unter beziehungsweise nach der Geburt erhalten hat oder einer Infektion entspricht, die über die Plazenta von der Mutter übertragen wurde.“

„Mit dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass eine Infektion von der Mutter auf das Ungeborene in utero möglich ist. Allerdings liefert die Arbeit keine Informationen darüber, welche mütterlichen beziehungsweise kindlichen Faktoren die Schwere der mütterlichen oder kindlichen Infektion erklären. Denkbar wären zum Beispiel familiäre Immundefekte.“

„Verschiedene Registerdaten lassen bereits vermuten, dass diese intra-uterine Übertragung möglich ist, allerdings ist diese Veröffentlichung der erste methodisch einwandfrei durchgeführte Nachweis dafür.“

„Im Rahmen des CRONOS Registers [1] der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) an dem sich 118 deutsche Kliniken beteiligen, wurden bereits 137 Schwangere registriert, die SARS-CoV-2 positiv getestet wurden (Stand 10.07.2020). Von diesen haben 88 Frauen bereits ihr Kind bekommen, davon waren lediglich fünf Kinder SARS-CoV-2 positiv getestet.“

„In der Vergangenheit wurden verschiedene Untersuchungen zu der Fragestellung durchgeführt, ob eine intra-uterine Infektion des Ungeborenen möglich ist. Dabei variiert die methodische Qualität der Untersuchungen sehr stark, einige der Studien wurden bisher auch noch nicht durch unabhängige Gutachter beurteilt und liegen daher nur im Stadium der ‚Vor-Veröffentlichung‘ (Preprint) vor. Dieser Aspekt ist bei allem Interesse an Informationen immer bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen. Nicht ohne Grund hat die wissenschaftliche Gemeinschaft den Standard eines ‚Peer Review' etabliert.“

„Wenn man die aktuelle Datenlage vorsichtig interpretiert, so scheint sowohl eine Infektion des Ungeborenen als auch eine Infektion nach der Geburt möglich. Bei einer schweren mütterlichen Infektion im letzten Drittel der Schwangerschaft besteht die Gefahr, dass das Neugeborene nach der Geburt infektiös ist und eine Organschädigung auftritt. Allerdings scheint diese Infektion des Ungeborenen eher selten vorzukommen.“

„Aus praktischer Sicht ergibt sich aus der aktuellen Situation, dass bei einer schweren mütterlichen Infektion das Neugeborene zunächst so behandelt werden sollte, als sei es infiziert. Daher sind die entsprechenden Schutzmaßnahmen für das Personal erforderlich und auch ein entsprechender Erregernachweis bei dem Neugeborenen sollte erfolgen. Außerdem sollte eine engmaschige klinische Kontrolle erfolgen – nur so sind eventuelle Folgen der Infektion zu erkennen.“

„Bisher unbeantwortet sind die folgenden Fragen: Welche Folgen hat eine mütterliche Infektion in der ersten Hälfte der Schwangerschaft? Unter welchen Bedingungen kommt es zu einer Infektion des Ungeborenen? Welche Faktoren prädisponieren das Neugeborene für eine schwere Organschädigung durch SARS-CoV-2? Welche langfristigen Auswirkungen einer neonatalen Infektion mit SARS-CoV-2 sind zu erwarten?“

„Es besteht daher die Notwendigkeit, mehr Daten zu generieren, um diese Fragen beantworten zu können. Dazu müssen alle Schwangeren mit SARS-CoV-2 erfasst und genau beobachtet werden. Gleiches trifft auf die Neugeborenen zu. Aus diesem Grund hat das CRONOS-Register eine entsprechende Finanzierung beantragt und sich mit anderen internationalen Registern zusammengeschlossen, um so die Datengrundlage zu verbessern. Letztlich besteht auch die Notwendigkeit, therapeutische Interventionen zu untersuchen, welche die Auswirkungen einer SARS-CoV-2-Infektion minimieren. Dazu zählen neben den Steroiden auch die Möglichkeit einer Behandlung mit Mesenchymalen Stromazellen (MSC).“

Auf die Frage, was man über den Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion bei Schwangeren und Neugeborenen weiß:
„Der Verlauf bei Neugeborenen scheint sehr zu variieren. In der Mehrzahl der Fälle verliefen die Infektionen relativ unauffällig. Häufig wurden Probleme beschrieben, die sich aus der zu frühen Beendigung der Schwangerschaft ergaben. Allerdings ist der aktuelle Fallbericht mit Beteiligung des Gehirns ein Hinweis, dass nicht alle Infektionen harmlos verlaufen.“

„Aktuell sind mir keine Daten bekannt, die vermuten lassen, dass Schwangere besonders gefährdet sind, eine SARS-CoV-2-Infektion zu bekommen oder an dieser überdurchschnittlich schwer zu erkranken. Daher ist es verständlich, dass Schwangere in Deutschland nicht als Risikogruppe eingestuft werden. Da aktuell auch die Zahl der Infizierten eher niedrig ist, ergeben besondere Schutzmaßnahmen für Schwangeren keinen großen Vorteil. Gleichzeitig muss auch darauf geachtet werden, welchen Einfluss Schutzmaßnahmen auf den Verlauf der Schwangerschaft haben. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass eine psychische Belastung Schwangerer negative Auswirkungen auf die Entwicklung des fetalen Gehirns hat. Dieser Befund verdeutlicht, dass jede Intervention mit gewünschten und unerwünschten Wirkungen einhergeht.“

„Wenn aktuell die Auswirkungen einer SARS-CoV-2-Infektion umfangreich wissenschaftlich untersucht und vielfältig publiziert werden, dürfen die etablierten wissenschaftlichen Standards nicht vernachlässigt werden. Gleichzeitig müssen auch die Effektivität und potenzielle ‚Nebenwirkungen‘ der verschiedenen Schutzmaßnahmen gewissenhaft untersucht werden. Nur so ist ein Abwägen von Vor- und Nachteilen in der aktuellen Pandemie-Situation möglich. Letztlich müssen Empfehlungen auch immer die lokale Häufung der Infektionen berücksichtigen.“

PD Dr. Alexander Hein

Stellvertretender Direktor der Frauenklinik und leitender Oberarzt, Universitätsklinikum Erlangen

„Bisherige Berichte wiesen zum Teil methodische Mängel auf, sodass wir die Übertragung der Infektion von der Mutter auf das Kind via Plazenta für unwahrscheinlich hielten. Die aktuelle Publikation der französischen Arbeitsgruppe weist jedoch diesen Übertragungsweg dezidiert nach und zeigt auf, dass das Kind sich nicht nur über die Plazenta infiziert hat, sondern auch in der Folge eine manifeste Erkrankung entwickelte.“

„Insgesamt mehren sich Berichte über die Möglichkeit der Infektion der Kinder über die Plazenta. Daher müssen wir diesen Übertragungsweg bei erkrankten Schwangeren nun umso mehr berücksichtigen und eine intensive Überwachung in Betracht ziehen. Dennoch muss man festhalten, dass es sich nach aktueller Datenlage um ein sehr seltenes Ereignis handelt.“

„Die bisherigen Erkenntnisse sprechen dafür, dass die Erkrankung bei Schwangeren ähnlich schwer verläuft, wie bei nicht schwangeren Frauen. Die meisten Daten beruhen jedoch auf Auswertungen von Schwangeren und Geburten mit einer aktiven Infektion zum Ende der Schwangerschaft. Inwieweit sich jedoch eine Infektion in frühen Schwangerschaftswochen auf den Schwangerschaftsverlauf und das Kind auswirkt, ist bisher unklar. Um diese Frage zu beantworten, führt die Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen in Zusammenarbeit mit den geburtshilflichen Klinken in Franken seit Anfang Juni die SCENARIO-Studie [2] durch. Insgesamt werden 2400 schwangere Frauen auf eine aktive Infektion und auf Antikörper gegen das SARS-CoV-2 Virus getestet. Bei positivem Nachweis einer Infektion oder von Antikörpern erfolgt eine intensive Betreuung der Schwangerschaft mit regelmäßigen Kontrollen sowie eine umfassende Untersuchung von Nabelschnurblut, Plazenta und Muttermilch. Hiermit können wir einerseits feststellen, wie viele Schwangere insgesamt Antikörper gegen das Virus aufweisen und andererseits diese Schwangerschaften bis zur Geburt begleiten, um beispielsweise Anzeichen einer kindlichen Infektion über die Plazenta zu untersuchen, vor allem auch bei asymptomatisch erkrankten Schwangeren, die bisher nichts von ihrer Infektion wussten.“

„Unstrittig ist, dass Schwangere generell eine besonders vulnerable und schützenswerte Gruppe darstellen. Inwieweit Schwangere jedoch eine besondere Risikogruppe für eine SARS-CoV-2‑Infektion darstellen, lässt sich aktuell nicht eindeutig beantworten. Einerseits können Schwangere, wie bei saisonaler Influenza, durch physiologische und immunologische Veränderungen in der Schwangerschaft empfänglicher für Infektionen sein oder schwerere Verläufe sein. Andererseits können auch asymptomatische virale Infektionen, gerade in der Frühschwangerschaft, mit schweren Schwangerschaftsverläufen assoziiert sein, wie dies für einige andere Viren der Fall ist. Für das SARS-CoV-2-Virus wissen wir es schlicht und einfach noch nicht. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst systematisch untersuchen, wie viele Schwangere sich überhaupt mit dem Virus angesteckt haben und wie viele hiervon einen schweren Verlauf oder eine Schwangerschaftskomplikation aufweisen. Während wir immer mehr systematisch erhobene Daten aus Antikörperstudien in Risikogebieten erhalten, fehlen diese Erkenntnisse für die vulnerable Gruppe der Schwangeren. Daher möchte ich hier auf die Teilnahme in der SCENARIO-Studie verweisen, weil uns diese Frage spätestens bei der Diskussion um die Empfehlung einer Impfung gegen SARS-CoV-2 bei Schwangeren wieder einholen wird.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Susanne Modrow: „Ich habe keinen Interessenkonflikt.“

PD Dr. Alexander Hein: „Ich bin Studienleiter der SCENARIO-Studie.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Vivanti AJ et al. (2020): Transplacental transmission of SARS-CoV-2 infection. Nature Communications; 11: 3572. DOI: 10.1038/s41467-020-17436-6.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin Online: CRONOS: DGPM COVID-19 Registerstudie.

[2] Website des Universitätsklinikums Erlangen: Scenario – Eine COVID-19 Antikörperstudie bei schwangeren Frauen in Franken.

Weitere Recherchequellen

Hosier H et al. (2020): SARS-CoV-2 infection of the placenta. The Journal of Clinical Investigation. DOI: 10.1172/JCI139569.

Chamseddine RS et al. (2020): Pregnancy and Neonatal Outcomes in SARS-CoV-2 Infection: a systematic review. MedRxiv. DOI: 10.1101/2020.05.11.20098368. Dies ist eine noch nicht begutachtete Preprint-Veröffentlichung, also mit Vorsicht zu behandeln.