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31.10.2019

Neue Therapie für mehr Mukoviszidose-Patienten

Eine Kombination aus drei Wirkstoffen bietet für bisher unbehandelbare Mukoviszidose-Patienten eine Therapie. Elexacaftor–Tezacaftor–Ivacaftor – diese schwer auszusprechende Kombination dreier Wirkstoffe soll bis zu 90 Prozent der Patienten mit Mukoviszidose, auch cystische Fibrose genannt, helfen, besser zu atmen. Bisher konnte mit einem Mix aus zwei Wirkstoffen nur circa die Hälfte aller Patienten spezifisch therapiert werden. Im Vergleich zu einer Plazebogruppe verbesserte sich in der Therapiegruppe sowohl die Lungenfunktion um knapp 14 Prozent als auch die Lebensqualität in einem klinisch relevanten Bereich. Zu diesem Ergebnis kommt eine klinische Studie an Patienten mit der erblichen Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose, die älter als zwölf Jahre sind. Die Autoren veröffentlichten sie im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ (siehe Primärquelle).

Die Daten aus dieser Studie bewegten die US-amerikanische Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittel (FDA) vor zehn Tagen dazu, die Triple-Therapie der Pharmafirma Vertex Pharmaceuticals für den amerikanischen Markt zuzulassen [I]. Der europäischen Behörde EMA liegt ebenfalls ein Antrag zur Zulassung vor.

Bei der erblichen Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose, auch cystische Fibrose genannt, sind Transportkanäle an der Oberfläche von Zellen defekt, die normalerweise Wasser aus der Zelle hinaus schleusen und so beispielsweise Schleimhäute befeuchten. Bei Erkrankten bildet sich deshalb zähflüssiger Schleim, der vor allem die Lunge und Abführgänge von inneren Organen verklebt. Verschiedene Mutationen im CFTR-Gen (abgekürzt für Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator) führen zu der Erkrankung; die häufigste ist die auch in dieser Studie untersuchte Phe508del-Mutation, die zu einem fehlgefalteten Kanalprotein führt. Vor allem von dieser Mutation Betroffene können von der neuen Triple-Therapie profitieren. Für einen Ausbruch der Krankheit müssen beide Kopien des Gens im Erbgut verändert vorliegen (rezessiver Erbgang). Die bisher verfügbaren Wirkstoffe zielen darauf ab, eine funktionsfähige Form der Transportkanäle auf der Zelloberfläche verfügbar zu machen (Korrektoren) und ihre Funktion zu unterstützen (Potenziator). Ein weiterer Therapieansatz, der mit mäßigem Erfolg experimentell untersucht wird, sind Gentherapien mit dem Ziel, das mutierte Gen zu reparieren [II].

 

Übersicht

     

  • Dr. Sabine Renner, Leiterin der Ambulanz für Cystische Fibrose an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Wien, Österreich
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  • PD Dr. Mirjam Stahl, Oberärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Mukoviszidose-Zentrum, Universitätsklinikum Heidelberg, und Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe Frühe CF-Lungenerkrankung, Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL), Heidelberg
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  • Dr. Simon Gräber, Mitarbeiter der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin, Sektion Cystische Fibrose, Charité – Universitätsmedizin Berlin
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Statements

Dr. Sabine Renner

Leiterin der Ambulanz für Cystische Fibrose an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Wien, Österreich

„Die erste einer solchen Modulatorentherapie (Ivacaftor) gibt es seit 2012 für eine seltene Mutationen und hat für die Betroffenen und Betreuer die Möglichkeiten einer Verbesserung von allen beteiligten Organen gezeigt, die wir vorher nicht erahnen hätten können. Für diese Patienten wurde definitiv aus einer schweren cystischen Fibrose (CF) eine milde Form. Leider betrifft diese Mutation (G551D) und damit auch die Therapie in Mitteleuropa nur vier Prozent der CF-Patienten.“

„Diese deutlichen klinischen Verbesserungen fehlten bei den nachfolgenden Modulatoren, obwohl auch diese eine relevante Stabilisierung der Erkrankung bewirken.“

„Erstmals ist nun mit der Entwicklung dieser Triple-Therapie der hervorragende positive Effekt auch für einen Großteil der CF-Betroffenen möglich – nämlich für alle Patienten, die die betreffende Mutation Phe508del auf beiden Genkopien tragen (homozygot) oder die diese Mutation nur auf einer Genkopie in Kombination mit einer anderen krankheitsauslösenden Mutation tragen. In den Vereinigten Staaten sind das 90 Prozent aller CF-Patienten, in Europa ist dies von Land zu Land unterschiedlich, in Österreich sind es 85 Prozent.“

„Die Verbesserung der Lungenfunktion um 14 Prozent ist auf alle Fälle ein klinisch entscheidender Punkt – vor allem, wenn man bedenkt, dass auch Patienten mit einer Lungenfunktion unter 50 Prozent eingeschlossen wurden. Gegenüber der bisherigen Zweifachtherapie mit Lumacaftor plus Ivacaftor oder Tezacaftor plus Ivacaftor wirkt die Dreierkombination so deutlich besser, dass es eigentlich bei der Plazebo kontrollierten Studie klinisch völlig klar war, wer Plazebo und wer die Therapie bekam. Bereits nach zwei Wochen sind die Patienten unter der Therapie fitter, respiratorisch verbessert und zeigen die enorme Lungenfunktionsverbesserung. Zusätzlich zeigt sich eine völlig unkomplizierte Gewichtszunahme, auch bei Patienten, die bisher immer ‚um jedes Gramm‘ kämpfen mussten.“

„Im Rahmen der Studie konnte (und kann) ich Patienten mit der Triple-Therapie begleiten. Es ist definitiv eine Freude zu sehen, wie wenig ‚CF-Beschwerden‘ sie beklagen. Für uns CF-Ärzte ist die Entwicklung und Zulassung der Triple-Therapie auf alle Fälle ein Meilenstein in der Therapie von seltenen Erkrankungen im Allgemeinen.“

„Der Prozentsatz der für die Triple-Therapie in Frage kommenden Patienten ist in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich. Trotzdem sind es im Schnitt erfreuliche 80 bis 90 Prozent. Dennoch darf man die Gruppe der Patienten, die für diese Therapie nicht in Frage kommen können, nicht vergessen: Patienten mit anderen Mutationen, mit Unverträglichkeit der Triple-Therapie, mit einer deutlichen Lebererkrankung – was ja bei CF doch recht häufig ist, Patientinnen, die eine Schwangerschaft planen oder schwanger sind, und Patienten, bei denen Interaktionen mit anderen Medikamenten eine Kontraindikation darstellen.“

„Für diese Patienten ist die Entwicklung der Gentherapie ein wichtiger Hoffnungsschimmer. Diese ist jedoch nicht ganz unproblematisch und rein lokal auf die Lunge beschränkt. Das Schöne an der Modulatorentherapie ist eben die systemische Wirkung auf alle betroffenen Organe.“

PD Dr. Mirjam Stahl

Oberärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Mukoviszidose-Zentrum, Universitätsklinikum Heidelberg, und Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe Frühe CF-Lungenerkrankung, Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL), Heidelberg

„Die Ergebnisse sind sehr relevant, da zum einen erstmals für die Mehrheit der Patienten eine kausale Therapie zur Verfügung steht und diese zum anderen nun auch deutlich effektiver den zugrundeliegenden CFTR-Funktionsdefekt korrigiert.“

„Es ist aus meiner Sicht absolut angebracht in Superlativen von dieser Therapie zu sprechen. Mit der Zweifachtherapie waren Phe508del-homozygote Patienten behandelbar, in Studien zeigte sich hier eine mäßige CFTR-Funktionsverbesserung, die mit einer Lungenfunktionsverbesserung (FEV1) (FEV1 steht für Einsekundenkapazität; beschreibt wie viel Lungenvolumen in der ersten Sekunde einer starken Ausatmung entweichen kann; Anm. d. Red.) von drei bis vier Prozent einherging – bei Erwachsenen beziehungsweise Patienten ab zwölf Jahren. Die Effekte unter der neuen Dreifachtherapie sind deutlich größer: Es kommt im Schnitt zu einer zusätzlichen Verbesserung um zehn Prozent FEV1. Wie stark sich die CFTR-Funktionsverbesserung genau gestaltet, werden Folgeuntersuchungen mit sensitiveren Methoden wie der nasalen Potentialdifferenzmessung und der Ussingkammer-Untersuchung an Rektumschleimhautbiopsaten zeigen. In den Zulassungsstudien wird typischerweise ‚nur‘ der Schweißtest als Marker für die CFTR-Funktion untersucht. Auf dieser Ebene gibt es deutliche Verbesserung, die stärker sind als unter der Zweifachtherapie.“

„Der Gruppe der Patienten, die eine Phe508del-Mutation und eine andere weitere Mutation tragen stand mehrheitlich bislang keine kausale Therapieoption zur Verfügung. Durch die Dreifachtherapie wird die Funktion des fehlgefalteten und in seiner Funktion eingeschränkten Phe508del-CFTR auch bei nur einer Anlage ausreichend korrigiert, sodass zunächst die zweite vorliegende Mutation eine untergeordnete Rolle spielt.“

„Dies sind deutliche Verbesserungen, die sich für die Patienten in einer besseren körperlichen Leistungsfähigkeit, weniger pulmonalen Exazerbationen (Verschlechterung des Krankheitsbildes; Anm. d. Red.) und einer Verbesserung der Lebenserwartung widerspiegeln werden, da bekanntermaßen die Lungenerkrankung den größten Einfluss auf Morbidität und Mortalität der CF-Patienten hat. Dieser Effekt von 14 Prozent FEV1-Verbesserung ist auch im Vergleich zu anderen Therapien größer, zum Beispiel zeigten symptomatische Therapien wie die Inhalation mit Pulmozyme zur Schleimlösung ‚nur‘ eine FEV1-Verbesserung von drei bis fünf Prozent.“

„Wie bereits beschrieben und für die Phe508del-homozygoten Patienten auch gezeigt (alle mussten erst auf die Zweifachkombination eingestellt werden), zeigt sich eine weitere, deutliche Verbesserung.“ (Die Ergebnisse zu homozygoten Patienten werden in einer anderen Studie veröffentlicht; Anm. d. Red.)

„Es ist tatsächlich so ein großer Durchbruch, wie im Editorial und in den Reaktionen auf die Zulassung international berichtet.“

„Auch in Zukunft wird es eine Weiterentwicklung der CFTR-Modulatoren geben, um möglichst eine CFTR-Funktion von Gesunden zu erreichen. Da ist bisher noch nicht gelungen. Zudem bleibt offen, ob durch die aktuell zur Verfügung stehenden Modulatortherapien alle Probleme der CF-Patienten ausreichend behandelt werden. Bei Patienten mit Therapiestart erst bei fortgeschrittener CF-Lungenerkrankung gibt es Veränderungen in der Lunge, die auch durch eine solche Therapie nicht mehr rückgängig gemacht werden können und weitere, symptomatische Therapien erforderlich machen. Aktuell stehen die Therapien auch nicht ab Geburt oder eventuell auch schon in Utero zur Verfügung. Einige Organe, wie die Bauchspeicheldrüse oder der Darm zeigen aber schon dann Auffälligkeiten, sodass ein früher Therapiestart wünschenswert wäre. Es gibt also sowohl im Bereich der CFTR-Modulatoren wie auch im Bereich anderer Therapieklassen noch viel zu tun.“

„Gentherapien sind sicher weiterhin interessant für den Bereich CF, da sich insbesondere die Patienten und ihre Familien hiervon eine wirkliche Heilung versprechen ohne die Notwendigkeit, jeden Tag eine Therapie durchzuführen. Ob dies in den nächsten Jahren bis Jahrzehnten gelingt, bleibt abzuwarten.“

Dr. Simon Gräber

Mitarbeiter der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin, Sektion Cystische Fibrose, Charité – Universitätsmedizin Berlin

„Die nun veröffentlichen Ergebnisse der Dreifachkombination sind in der Tat ein großer Durchbruch in der Behandlung der Mukoviszidose. Damit wird eine effektive Therapie des Basisdefekts für einen Großteil der Patienten möglich sein. Eine akute Verbesserung von 14 Prozent der FEV1 bei Patienten mit einer chronischen strukturellen Lungenerkrankung ist ein großer Erfolg. Zudem zeigen Patienten in dieser Studie deutlich weniger Verschlechterungen der Erkrankung und eine deutlich verbesserte Lebensqualität. Aufgrund der deutlichen akuten Verbesserung in der Lungenfunktion kann auch von einer langfristigen Verbesserung der Lungenfunktion beziehungsweise einer deutlichen Verlangsamung der Lungenfunktionsverschlechterung ausgegangen werden.“

„In einer zweiten Studie bei Phe508del-homozygoten Patienten war die Dreifachtherapie zudem deutlich effektiver als die aktuell verfügbare Zweifachkombination mit Tezacaftor-Ivacaftor. Auch diese Ergebnisse sind ein riesiger Erfolg.“

„In den USA ist die Dreifachtherapie durch die Zulassung durch die FDA für circa 90 Prozent der Patienten mit Mukoviszidose verfügbar. Wann und für welche Patienten die Therapie in Deutschland zugelassen wird, ist noch nicht ganz absehbar, da die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) in der Vergangenheit deutlich strengere Kriterien zur Zulassung in einzelnen Patientengruppen angewendet hat. Daher wäre es möglich, dass die Dreifachkombination erst in verschiedenen Stufen für europäische Patienten zur Verfügung steht. Auch wenn die Behandlung ein großer Durchbruch für 90 Prozent der Patienten ist, bedeutet sie bisher keine komplette Heilung für diese Patienten. Ziel der Mukoviszidose-Forschung bleibt daher weiterhin eine komplette Normalisierung der CFTR-Funktion in dieser Patientengruppe sowie selbstverständlich für die restlichen zehn Prozent mit seltenen Mutationen eine effektive Therapie zu finden. Dabei gibt es bereits vielversprechende Ansätze, um mit Modellsystemen eine Wirksamkeit von neuen Medikamenten auch in Patienten mit sehr seltenen Mutationen zu testen und so im Rahmen einer personalisierten Medizin eine effektive Therapie zu ermöglichen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Sabine Renner: „Teilnahme des CF-Zentrums Kinderklinik Wien an der Triple-Studie.“

PD Dr. Mirjam Stahl: „Studienarzt in verschiedenen Vertex-Studien, MBW-Overreader für eine Vertex-Studie (das hierfür erhaltene Geld geht als sogenannte Drittmittel in unsere eigene Forschung).“

Dr. Simon Gräber: „Kongressförderung durch Vertex und Principle Invetigator in einer von Vertex geförderten investigator initiated trial zur Untersuchung der Verbesserung der CFTR-Funktion der Zweifachkombination Tezacaftor-Ivacaftor.“

Primärquelle

Middleton PG et al. (2019): Elexacftor–Tezacaftor–Ivacaftor for Cystic Fibrosis with a Single Phe508del Allele. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa1908639.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] FDA news release (21.10.2019): FDA approves new breakthrough therapy for cystic fibrosis

[II] Bell SC et al. (2019): The future of cystic fibrosis care: a global perspective. The Lancet Respiratory Medicine. DOI: 10.1016/S2213-2600(19)30337-6.