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08.08.2023

Mehr Antibiotikaresistenzen durch Feinstaub?

     

  • Studie sieht weltweite Korrelation zwischen Feinstaubbelastung und klinischer Antibiotikaresistenz
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  • Feinstaub der Partikelgröße PM2.5 könnte Resistenzgene und Bakterien über die Luft übertragen
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  • befragte Fachleute uneins: einige sehen wichtigen Beitrag, andere üben scharfe Kritik
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Luftverschmutzung durch Feinstaub korreliert weltweit mit einer erhöhten Antibiotikaresistenz und könnte in einigen Regionen sogar ein treibender Faktor für diese sein. Zu diesem Schluss kommen Forschende nach einer Analyse, die im Fachjournal „The Lancet Planetary Health“ erschienen ist (siehe Primärquelle). Eine Reduzierung der Feinstaubbelastung könnte laut Studie langfristig zur Verringerung der Antibiotikaresistenzen weltweit beitragen.

Antibiotikaresistente Bakterien und Antibiotikaresistenz-Gene können über die Nahrung, Wasser oder auch über den direkten Kontakt mit infizierten Tieren zu uns Menschen gelangen. Über die Luft können sie beispielsweise durch Aerosole oder auch Feinstaubpartikel, etwa solche mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern (PM2.5), übertragen werden. Um den Beitrag von PM2.5 zur globalen Antibiotikaresistenz zu untersuchen, haben die Forschenden anhand von Daten aus 116 Ländern vom Jahr 2000 bis 2018 einen Datensatz über Antibiotikaresistenzmuster erstellt, welcher neun bakterielle Krankheitserreger und 43 Arten von Antibiotika abdeckt. In die statistischen Analysen flossen zudem Daten zum Antibiotikanutzen, Luftverschmutzung und Klima, aber beispielsweise auch Gesundheitsausgaben und Bildung mit ein.

Die Ergebnisse zeigen bei den meisten antibiotikaresistenten Bakterien signifikante Korrelationen zwischen PM2.5 und Antibiotikaresistenzen, die sich über den Untersuchungszeitraum verstärkt haben. Weltweit könnte laut Studie ein zehnprozentiger Anstieg der jährlichen PM2.5-Konzentration zu einem 1,1-prozentigen Anstieg der gesamten Antibiotikaresistenz und über 43.000 vorzeitigen Todesfällen aufgrund von Antibiotikaresistenz führen. Je nach Region und Bakterium unterschieden sich die Ergebnisse jedoch stark, die Regionen mit der niedrigsten auf PM2.5 zurückzuführenden Veränderung der Antibiotikaresistenz sind Nordamerika und Europa.

Verschiedene modellierte Szenarien ergaben außerdem, dass die Antibiotikaresistenzen bis zum Jahr 2050 weltweit um 17 Prozent zunehmen könnten, wenn keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung ergriffen würden. Sollte sich, anders als in diesem Baseline-Szenario, die Luftqualität jedoch verbessern und der von der Weltgesundheitsorganisation festgelegte Richtwert für Feinstaub PM2.5 von fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erreicht werden, könnten die Antibiotikaresistenzen bis 2050 im Vergleich um schätzungsweise 16,8 Prozent reduziert werden. Zudem könnten 23,4 Prozent der vorzeitigen Todesfälle aufgrund von Antibiotikaresistenzen vermieden werden, was laut Studie einer Einsparung von etwa 640 Milliarden US-Dollar in Sozialleistungen entsprechen würde.

Die Autorinnnen und Autoren der Studie weisen darauf hin, dass das Fehlen von Daten in einigen Ländern – insbesondere solche mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die am stärksten von Antibiotikaresistenzen betroffen sind – die Gesamtanalyse beeinträchtigen kann.

Das SMC hat unabhängige Forschende gebeten, die Ergebnisse der Studie und die Bedeutung für die Forschung sowohl an Antibiotikaresistenzen als auch zur Feinstaubbelastung einzuschätzen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Martin Göttlicher, Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, München, und Professor am Lehrstuhl für Toxikologie und Umwelthygiene, Technische Universität München
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  • Assoz.-Prof. PD Dr. Hans-Peter Hutter, Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Österreich
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  • Prof. Dr. Harald Seifert, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Universität zu Köln
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  • Dr. Tamara Schikowski, Arbeitsgruppenleiterin Umweltepidemiologie von Lunge, Gehirn und Hautalterung, Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung GmbH (IUF), Düsseldorf
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  • Dr. Tim Eckmanns, Leiter des Fachgebiets Nosokomiale Infektionen, Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin
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  • Prof. Dr. Nino Künzli, Emeritierter Professor, zuvor Leiter der Abteilung Bachelor-Master-Doctorate des Departmentes Education & Training (ET), Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut Basel (Swiss TPH), Schweiz
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Statements

Prof. Dr. Martin Göttlicher

Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, München, und Professor am Lehrstuhl für Toxikologie und Umwelthygiene, Technische Universität München

„Die Annahmen der hier vorliegenden Studie gehen zurück auf eine Studie aus 2019, die im Kern zeigt, dass genetische Elemente für Antibiotikaresistenzen in luftgetragenen Partikeln gefunden werden können [1]. Der Kern der jetzt hier vorliegenden Studie ist, dass die Gesamtkonzentration von Feinstaub PM2.5 in der Luft mit dem regionalen Auftreten von Antibiotikaresistenzen korreliert ist.“

„Die logische Lücke ist jedoch, implizit die Gesamtmenge PM2.5 mit Antibiotikaresistenzen tragendem Feinstaub PM2.5 gleichzusetzen. Bei uns ist PM2.5 im Wesentlichen durch Verbrennungsprozesse und Straßenverkehr getrieben – aus diesen Quellen kommen offensichtlich keine Antibiotikaresistenzen her. In anderen Regionen der Welt mit anderem Umgang mit Abwässern und Abluft aus Haushalt, Viehzucht, Krankenhaus und Landwirtschaft mag das anders sein.“

„Denkt man das gemeinte Grundkonzept des aktuellen Papers positiv weiter, könnte man die Kernbotschaft erkennen, dass eine erhebliche Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in der ganzen Biosphäre einschließlich Menschen und dessen Infektionskrankheiten stattfinden kann, wenn man sich in Landwirtschaft, Viehzucht, Trink- und Abwassermanagement, Management von Klinikabfällen nicht sorgfältig um die Begrenzung des Eintrags von Mikrobiota kümmert. Diese Grundaussage würde ich auch in dem Bild 1 der aktuellen Studie auf Seite 651 graphisch dargestellt erkennen. Und diese halte ich auch für durchaus plausibel.“

„Wenn man den Titel ohne diesen Erklärungsversuch in den deutschen Kontext stellt – in dem PM2.5 vor allem aus Verbrennungsprozessen und Straßenverkehr stammt –, dann könnte man das plakativ so verstehen: Dieselfahrverbote helfen gegen Antibiotikaresistenzen und schwere Infektionskrankheiten…. Und das wäre grober Unfug.“

Assoz.-Prof. PD Dr. Hans-Peter Hutter

Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Österreich

„Bisher gab es nur Hypothesen, die ein Zusammenwirken von Luftverschmutzung und Antibiotikaresistenz vor allem auf Basis von Laboruntersuchungen vermuten ließen. Diese umfangreiche Arbeit hat nun die globale Dimension dieses Zusammenhangs aufgezeigt. Damit werden zwei große medizinische Herausforderungen zusammengeführt – nämlich zu hohe Belastungen durch feine Partikel und die zunehmende Bedrohung der globalen Gesundheit durch resistente Mikroorganismen. Bei beiden Problemkreisen ist ein Rückgang beziehungsweise eine Verbesserung der Situation derzeit nicht zu beobachten, beziehungsweise ist auch in nächster Zukunft nicht absehbar. Daher sind diese Korrelationen sehr ernst zu nehmen und nicht gleich unter Hinweisen auf die in der Publikation angeführten Limitationen mit ‚da ist ja nichts bewiesen‘ zum Alltag überzugehen. Die Auswirkungen der Schadstoffbelastung allein – vor allem jene durch Feinstaub – auf die Sterblichkeit und Krankheitslast sind ja hinlänglich erwiesen und wir wissen seit langem, dass die Grenzwerte viel zu hoch sind. Was beispielsweise den EU-Grenzwert für PM2.5 anlangt, so ist dieser 5-mal höher als der von der WHO empfohlene [I][II].“

Mögliche Ursache

„Die Frage nach der biologischen Plausibilität der Ergebnisse, nämlich wie dieser Zusammenhang zwischen diesen beiden scheinbar so unterschiedlichen Phänomenen erklärbar ist, liegt auf der Hand. Es wurde bereits gezeigt, dass diese Partikelfraktionen (Feinstaub mit einer Partikelgröße unter 2,5 Mikrometer) und auch noch viel kleinere Staubteilchen Bakterien und Fragmente von bakterieller DNA inklusive Antibiotikaresistenz-Gene enthalten. Diese stammen aus der Massentierhaltung, aber auch aus anderen Quellen, werden an Feinpartikel absorbiert und verbreiten sich durch Windverfrachtung. So werden sie von Menschen und Tieren inhaliert und können einerseits Infektionen auslösen, andererseits die in der Schleimhaut siedelnden Bakterien mit den Resistenzgenen ‚versorgen‘. Ein weiterer Mechanismus besteht in der Fähigkeit der Feinstaubpartikel, die Zellmembran durchlässiger zu machen und so die Aufnahme der Resistenzgene zu erleichtern.“

Feinstaub spielt größere Rolle als gedacht

„Die Erkenntnis, dass Feinstaubbelastung der Partikelgröße PM 2.5 einer der Hauptfaktoren für die weltweite Antibiotikaresistenz ist, ist neu, weil man zwar die Möglichkeit, dass PM2.5 (und auch die noch feineren Schwebstaubanteile) Resistenzgene und resistente Bakterien verbreiten können, bereits erkannt hatte, aber die Dimension des Problems nicht einschätzen konnte. Die genaue Einordung, ob die PM2.5-Belastung zu den Haupttreibern für die globale Antibiotikaresistenz zählt, ist weniger wichtig als auf den massiven Handlungsbedarf hinzuweisen, der mit beiden Problemkreisen bereits für sich genommen verbunden ist. Die zunehmende Stärke des Zusammenhangs deutet darauf hin, dass immer höhere Anteile des Feinstaubs mit Bakterien und Resistenzgenen beladen sind und diese Tatsache sollte auch die Politik wachrütteln.“

„Nach dem ‚One-Health‘-Grundsatz, bei dem die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als eine Einheit angesehen wird, ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Bekämpfung von Luftverschmutzung und Antibiotikaresistenz ohnehin erforderlich.“

Verringerung der Feinstaubbelastung

„Höhere Feinstaub-Konzentrationen, die ja per se bereits eine längst bekannte Ursache für Erkrankungen und vorzeitige Todesfälle sind, könnten einen Teil insbesondere der Erkrankungen des Atemtraktes und daraus resultierende Todesfälle erklären, die bisher schwer zu deuten waren.“

„Die Erkenntnisse der aktuellen Studie sind ein weiterer triftiger Grund, die WHO-Luftgüteleitlinien für PM2.5 beziehungsweise die seitens des EU-Parlaments vorgeschlagene Absenkung der europäischen Grenzwerte endlich in rechtliche Vorgaben zu gießen. Es ist höchste Zeit!“

Prof. Dr. Harald Seifert

Professor für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Universität zu Köln

„Die Möglichkeit der Übertragung von Infektionserregern mittels Aerosolen – zum Beispiel Legionellen-Infektionen, Pneumokokken-Pneumonien, SARS-CoV2 und andere virale Erreger von Atemwegsinfektionen – oder mittels Staubpartikeln – zum Beispiel Tuberkulose – ist hinlänglich bekannt. Ebenso ist bekannt, dass auch bakterielle Erreger, die weniger mit Atemwegsinfektionen assoziiert sind, wie Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae und Enterokokken, sowie deren Antibiotikaresistenz-Gene in Aerosolen sowie im Feinstaub nachweisbar sind. Andererseits spielt die potenzielle Übertragung der genannten Erreger auf den Menschen bei der Entstehung von Atemwegsinfektionen keine wesentliche Rolle. Ob die potenzielle Übertragung der genannten Erreger auf den Menschen über Feinstaubpartikel aber zu einer Zunahme von Antibiotikaresistenzen insgesamt und damit auch zu einer Zunahme der Sterblichkeit führt, wurde bisher noch nicht untersucht. Insofern trägt diese Studie sicher dazu bei, sich mit der Rolle von Feinstaub im Zusammenhang mit der aktuell diskutierten weltweiten Zunahme von Antibiotikaresistenzen wissenschaftlich intensiver zu befassen.“

Mögliche Ursache und Frage nach Kausalität

„Mit resistenten Mikroorganismen beladene Feinstaubpartikel werden vom Menschen mit der Atemluft aufgenommen und gelangen so in die tiefen Atemwege. Es ist durchaus plausibel, dass eine größere Feinstaubbelastung der Atemluft zu einer vermehrten Aufnahme von resistenten Bakterien führen kann. Der Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und der Zunahme von Antibiotikaresistenzen ist allerdings lediglich eine statistische Korrelation, ob hier auch tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, ist bisher unklar. Als Beispiel sei eine Studie aus dem Jahr 2013 genannt, in der ein Zusammenhang zwischen der Anzahl roter Karten für eine europäische Fußballmannschaft und der Rate resistenter Staphylococcus aureus-Bakterien in dem betreffenden Land nachgewiesen wurde [2], – hier ist offensichtlich, dass eine statische Korrelation aber eben kein ursächlicher Zusammenhang besteht.“

Feinstaub spielt größere Rolle als gedacht

„Dass die Aufnahme von resistenten Bakterien über Aerosole und Feinstaub stattfinden kann, ist sehr plausibel. Allerdings ist man bisher davon ausgegangen, dass die Aufnahme von resistenten Bakterien über kontaminierte Nahrungsmittel – insbesondere Fleischwaren, Fisch und Gemüse – eine größere Rolle bei der Entstehung und Zunahme von Antibiotikaresistenzen spielt. Erstaunlich ist allerdings ein Ergebnis der aktuellen Studie, wonach die Feinstaubbelastung mit 10,9 Prozent einen größeren Beitrag zur Zunahme von Antibiotikaresistenzen leistet als die Qualität des beziehungsweise die Ausgaben für das Gesundheitssystem (10,1 Prozent) und insbesondere der Antibiotikaverbrauch (2,4 Prozent). Hier ist allerdings einschränkend zu sagen, dass das Ausmaß des Zusammenhangs zwischen Feinstaubbelastung und Antibiotikaresistenzen besonders ausgeprägt in Nordafrika (Libyen, Ägypten, Sudan), in Saudi-Arabien sowie im Iran war, also in Ländern, in denen die Datenqualität zur Häufigkeit von Antibiotikaresistenzen nicht besonders hoch ist. In Europa und den USA dagegen ist dieser Zusammenhang deutlich geringer ausgeprägt.“

Verringerung der Feinstaubbelastung

„Die negativen Auswirkungen einer hohen Feinstaubbelastung auf die Gesundheit sind hinlänglich bekannt und sind der Grund dafür, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Feinstaubbelastung in der Luft konsequent zu reduzieren. Die Ergebnisse der Studie liefern einen weiteren Grund dafür. Wenn eine Verringerung der Feinstaubbelastung die Zunahme der Antibiotikaresistenzen verlangsamt, ist das ein willkommener Nebeneffekt. Zur gezielten Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen stehen aber weiterhin der zurückhaltende Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier, die Vermeidung unnötiger Antibiotikabehandlungen und insbesondere die Vermeidung von Übertragungen resistenter Bakterien im Krankenhaus durch Einhaltung der erforderlichen Hygienemaßnahmen – die in dem vorliegenden Artikel überhaupt nicht untersucht und diskutiert wurden – im Vordergrund. Insbesondere in Europa scheint der Faktor Luftqualität unter den möglichen Einflussgrößen für die Resistenzen eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Interessant wäre sicher, zu untersuchen, ob sich ein Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und Antibiotikaresistenzen und insbesondere der Häufigkeit von Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien auch in Deutschland nachweisen lässt, indem man hier unterschiedliche Bundesländer miteinander vergleicht.“

Dr. Tamara Schikowski

Arbeitsgruppenleiterin Umweltepidemiologie von Lunge, Gehirn und Hautalterung, Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung GmbH (IUF), Düsseldorf

„Der in der Studie beschriebene Zusammenhang ist zwar nicht neu und es gab in der Vergangenheit schon einige Publikationen zu diesem Thema, aber dies ist die erste große epidemiologische Studie, die den Zusammenhang zwischen einer Antibiotikaresistenz und Feinstaub PM2.5 in einer Studie aus 116 verschiedenen Ländern aufzeigt. Überraschend dabei ist, dass die Werte für Antibiotikaresistenzen in Nordafrika, dem Mittleren Osten und Südasien am höchsten waren und am niedrigsten in Europa und in Nordamerika. Man würde vermuten, dass der Zusammenhang stärker in Ländern ist, in denen auch die PM2.5-Werte sehr hoch sind.“

„Es gab in der Vergangenheit schon einige Studien, die diesen Zusammenhang untersucht haben, aber häufig war der Fokus etwas anders. Zum Beispiel haben einige Studien den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und antibiotikaresistenten Genen untersucht. Die aktuelle Studie hat nicht nur den Zusammenhang zwischen einer PM2.5-Exposition und Antibiotikaresistenz untersucht, sondern die Autoren zeigen auch, dass eine Verringerung beziehungsweise Einhaltung der WHO-Richtwerte für PM2.5 die Antibiotikaresistenzen bis 2050 um 16,8 Prozent reduzieren würden.“

Mögliche Ursache

„Der Zusammenhang ist auch darauf zurückzuführen, dass viele krankmachende Bakterien, wenn sie in Kontakt mit Feinstaub und Ruß kommen, einen komplexen und dicken Biofilm ausbilden und dadurch resistenter gegenüber Antibiotika werden.“

„Feinstaubbelastung trägt zur Antibiotikaresistenz bei, ist aber nur einer der Gründe, warum Antibiotikaresistenzen häufiger werden. Meiner Meinung nach gibt viele andere Faktoren, die eine Rolle dabei spielen, zum Beispiel die hohen Antibiotikamengen in der industriellen Tierhaltung und der falsche Umgang mit Antibiotika. “

Verringerung der Feinstaubbelastung

„Es wäre sinnvoll, die bestehenden Feinstaub-Grenzwerte weltweit den von der WHO vorgeschlagenen Richtlinien für PM2.5 anzupassen, um die vielen Antibiotikaresistenzen und die damit verbundene erhöhte Sterblichkeit zu verhindern. Die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass bei der Reduzierung von Antibiotikaresistenzen ein One Health Ansatz verfolgt werden sollte, der Mensch und Tier einschließt.“

Dr. Tim Eckmanns

Leiter des Fachgebiets Nosokomiale Infektionen, Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin

„Die Erkenntnisse zu dem in der aktuellen Studie beschriebenen Zusammenhang sind relativ neu. Seit einigen Jahren arbeiten einige wenige Gruppen daran, diesen Zusammenhang zu untersuchen. In der vorliegenden Studie wird ein Schritt weitergegangen, der Anteil von Feinstaub an Antibiotikaresistenz und deren Folgen weltweit quantifiziert und für die Zukunft hochgerechnet. Die Quantifizierung ist interessant, die Modelle jedoch sind nicht genau nachvollziehbar. Der Anteil, den der Feinstaub haben soll - zehn Prozent im Mittel –, erscheint zu hoch. Die Szenarien erfolgen auf Basis unsicherer Zahlen und sind daher auch sehr unsicher.“

Mögliche Ursache und Frage nach Kausalität

„Diese Diskussion wird seit wenigen Jahren geführt. Die Evidenz dazu ist gering. Es gibt noch kein wirkliches Verständnis des zugrundeliegenden Mechanismus des Zusammenhangs von Luftverschmutzung und Antibiotikaresistenz, wie die Autor:innen selbst in den Limitationen schreiben. Es existieren wenige Studien, die zeigen, dass Bakterien und Resistenzgene in Feinstaub vorhanden sind. Es existiert bisher keine standardisierte Methode, diese in der Luft zu messen.
Diese Studie ist wesentlich umfangreicher als alle bisher veröffentlichten Studien und verwendet Daten aus 116 Ländern. Es handelt sich allerdings um eine ökologische Studie, in der Korrelationen nachgewiesen werden. Diese sind immer anfällig für Fehlinterpretationen, ein sogenannter ökologischer Trugschluss. In der Studie wurde jedoch versucht, den Zusammenhang vielfältig zu belegen – mit verschiedenen Erregern, verschiedenen Ländern und so weiter. Auch wurden in den Analysen viele andere Risikofaktoren für Antibiotikaresistenz berücksichtigt.“

„Die stärker werdende Korrelation über die Jahre ist in der Studie sehr gering und wahrscheinlich eher auf Zufälle zurückzuführen.“

„Bakterien und Resistenzgene sind im Feinstaub nachweisbar. Eine Übertragung von bakteriellen Erregern über Aerosole ist möglich. Das RKI hat im Sachstandsbericht zu Klimawandel und Gesundheit differenziert betrachtet, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Resistenzentwicklung und gegebenenfalls auf Antibiotikaverbrauch haben kann [3]. Es ist zu vermuten, dass es zwischen Feinstaub-Konzentration und Klimaindikatoren wie Temperaturen gewisse Überschneidungen gibt.“

Antibiotikaresistenzen haben verschiedene Ursachen

„Es wird definitiv nicht ausreichen, sich beim Vorgehen gegen Antibiotikaresistenz hauptsächlich auf den Feinstaub zu konzentrieren und diesen in den Mittelpunkt zu stellen. Bewährte Maßnahmen wie adäquater Antibiotikaeinsatz, gute Labordiagnostik, Diagnostic Stewardship (Optimierung des Einsatzes diagnostischer Mittel und Verhinderung falscher oder unnötiger Diagnostik, um den Einsatz antimikrobieller Substanzen zu steuern und Resistenzen zu verhindern; Anm. d. Red.), WASH (Humanitäre Maßnahmen im Bereich Wasser-, Sanitärversorgung und Hygiene; Anm. d. Red.), One Health Maßnahmen und so weiter sind weiterhin zentral und müssen umgesetzt werden. Die aktuelle Studie bietet weitere Evidenz, dass Feinstaub einen Einfluss auf Antibiotikaresistenz hat. Für die Aussage, dass es ein ‚primary factor‘ ist, reicht die aktuelle Datenlage nicht aus.“

„Der Faktor Feinstaub sollte bei der Forschung zu Antibiotikaresistenz berücksichtigt werden. Luftqualität spielte hier bisher eine untergeordnete Rolle. Weitere Studien zum Thema sollten durchgeführt werden.“

Prof. Dr. Nino Künzli

Emeritierter Professor, zuvor Leiter der Abteilung Bachelor-Master-Doctorate des Departmentes Education & Training (ET), Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut Basel (Swiss TPH), Schweiz

„Als Mitbegründer der Abschätzungsmethoden der Krankheitslast, die dem Feinstaub zugeordnet werden kann, bin ich äußerst irritiert über die missbräuchliche Anwendung unserer Methoden. Die Zahlen der aktuellen Studie hätten nicht publiziert werden sollen. Die Arbeit behauptet, dass Antibiotikaresistenz durch die Feinstaubbelastung jährlich 0,48 Millionen vorzeitige Todesfälle verursache. Das wären stattliche 37,8 Prozent der 1,27 Millionen Todesfälle, die derzeit den Antibiotikaresistenzen angelastet werden – so zitiert auch von den Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie.“

Hochrechnungen fehlt die wissenschaftliche Basis

„Mindestens zwei Bedingungen müssten erfüllt sein, bevor man solch kühne Zahlenakrobatik verkündet.Erstens müsste der kausale Zusammenhang für die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen über die Einatmung von Feinstäuben wissenschaftlich als ‚wahrscheinlich‘ oder ‚sehr wahrscheinlich‘ gesichert sein. Wer zum Beispiel die immer aktuelle Literaturdatenbank von LUDOK am Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut – an dem auch ich arbeite – konsultiert, wird feststellen, dass es für diesen Zusammenhang keine Evidenz gibt [4]. In der Tat weisen auch die Autoren nur auf Studien, welche genetisches Material auf Feinstäuben identifizieren konnten, das auf antibiotikaresistente Keime hinweist. Ob und wie das Einatmen genetischer Fragmente auf die Entwicklung einer klinisch relevanten Antibiotikaresistenz führen kann, ist unbekannt. Die LUDOK-Expertin, Meltem Kutlar, bestätigte mir aus ihren Ferien, dass es für diese Hypothese keinerlei Belege und viele offene Fragen zur physikalischen und biologischen Plausibilität gebe. Dies allein wäre Grund genug, das Berechnungsunterfangen sofort abzubrechen.“

„Zweitens müsste für die Hochrechnung der Todesfälle, die man diesem hypothetischen Zusammenhang zuordnet, die quantitative Beziehung zwischen dieser Belastung und dem Risiko, wegen einer Antibiotikaresistenz zu sterben, bekannt sein. Hier wäre es zwingend, in großen Langzeitstudien – sogenannten Kohortenstudien – den Zusammenhang zwischen der individuell abgeschätzten Feinstaubbelastung und vorzeitigem Tod wegen einer Antibiotikaresistenz herzuleiten. Solche Kohortenstudien gibt es bisher keine. Auch Fall-Kontrollstudien als erster Behelf fehlen.“

Keine Kausalität, WHO-Maßnahmen trotzdem wichtig

„Stattdessen greifen die Autoren in jene üble Trickkiste, die die epidemiologische Kausalforschung zu den Langzeitfolgen der Feinstäube im vergangenen Jahrhundert hinter sich zulassen gedachte: In Ermangelung seriöser individueller Daten benutzen die Autoren die statistischen geografischen Korrelationen zwischen einigen geografischen Makrodaten! Der Zusammenhang zwischen der Zunahme der Storchpopulationen und der Geburtenrate oder jener zwischen dem nationalen Schokoladenkonsum und der Nobelpreisträgerrate lässt hier grüßen. Die Verwendung von geografischen Korrelationen als Ersatz für nicht vorhandene Kausalzusammenhänge ist wissenschaftlich unsinnig. Wie falsch solche Zahlen sein können, wurde in den vergangenen Jahrzehnten in vielen methodischen Arbeiten belegt.“

„Diese Studie verdeutlicht, dass trotz Gutachterverfahren von wissenschaftlichen Publikationen erhebliche Pannen passieren können – auch bei sogenannt ‚verlässlichen‘ Zeitschriften. Solange die obgenannte wissenschaftliche Basis für diese Hochrechnungen fehlt, sollte man davon absehen, solche Zahlen zu veröffentlichen. Wer mir nach 35 Jahren Luftverschmutzungs­forschung weismachen will, dass 34 Prozent aller Todesfälle wegen einer Antibiotikaresistenz kausal der Feinstaubbelastung anzulasten seien, muss sich die Frage nach der ‚hidden agenda‘ gefallen lassen. Soll damit von den tatsächlichen Ursachen der Antibiotikaresistenz abgelenkt werden? Ich hoffe, all jene die nach wissenschaftlich fundierten Lösungsansätzen suchen, um dieses große globale Problem zu meistern, lassen sich nicht beirren. Die Forderung nach globaler Einhaltung der neuen WHO-Air Quality Guidelines [5] zum Schutz der Gesundheit ist wissenschaftlich bestens belegt; dass die Erreichung dieses ambitiösen Zieles aber zu einer drastischen Abnahme der Antibiotikaresistenztodesfälle führen würde, bleibt eine äußerst kühne Hypothese.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Martin Göttlicher: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Harald Seifert: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Dr. Tim Eckmanns: „Keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Zhou Z et al. (2023): Association between particulate matter (PM)2.5 air pollution and clinical antibiotic resistance: a global analysis. The Lancet Planetary Health. DOI: 10.1016/S2542-5196(23)00135-3.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Xie J et al. (2019): Bacteria and Antibiotic Resistance Genes (ARGs) in PM2.5 from China: Implications for Human Exposure. Environmental Science and Technology. DOI: 10.1021/acs.est.8b04630.

[2] Meyer E et al. (2013): National MRSA rates run along with fair play of national football teams: a cross-national data analysis of the European Football Championship, 2008. Infection.DOI: 10.1007/s15010-012-0313-y.

[3] Robert Koch-Institut (2023): Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit (2023). Stand: 01.06.2023.

[4] Swiss Tropical and Public Health Institute. LUDOK - Dokumentationsstelle Luftverschmutzung und Gesundheit. Abgerufen am 07.08.2023.

[5] WHO (2021): WHO global air quality guidelines – Particulate matter (P2.5 and PM10), ozone nitrogen dioxide, sulfur dioxide and carbon monoxide.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2022): EU-Kommission schlägt neue Grenzwerte für Luftschadstoffe vor. Rapid Reaction. Stand: 26.10.2022.

[II] Science Media Center (2021): Aktualisierte WHO-Leitlinie zur Luftqualität. Research in Context. Stand: 22.09.2021.