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28.01.2021

Kühlungseffekt von Aerosolen möglicherweise bisher überschätzt

Der Kühlungseffekt von Aerosolen in der Atmosphäre könnte geringer ausfallen als bisher angenommen. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Team um Franziska Glassmeier. Die Forschenden untersuchten die Wirkung von Aerosolen aus Abgasfahnen von Schiffen auf die Wolkenbildung über den Ozeanen. Das Ergebnis: diese Ship-Track-Studien – die eine wesentlich Rolle bei der Erforschung der Aerosolwirkung spielen – überbewerten die kühlende Wirkung der anthropogenen Aerosole zum Teil massiv. Die Erkenntnisse der Arbeit liefern einen wichtigen Beitrag für das Verständnis des Kühlungseffektes von Aerosolen in der Atmosphäre. Ein tatsächlich geringerer Kühlungseffekt würde bedeuten, dass die Erwärmung durch Treibhausgase in der Atmosphäre niedriger ausfällt. Die Studie ist am 29.01.2021 im Fachjournal „Science“ erschienen (siehe Primärquelle).

Aerosole in der Atmosphäre haben sowohl direkten als auch indirekten Einfluss auf den Strahlungshaushalt der Erde und damit auf das Klima. Zum einen reflektieren sie die Sonneneinstrahlung teilweise zurück ins All – dies hat eine abkühlende Wirkung. Einige Aerosole dagegen absorbieren die kosmische Strahlung, wodurch sich Teile der Atmosphäre erwärmen, bodennahe Schichten wiederum abkühlen. Zum anderen entfalten sie ihre indirekte Wirkung über ihren Einfluss auf die Wolkenbildung und die Niederschläge. Aerosole dienen dabei als Kondensations- und Kristallisationskeime für Tröpfchen und Eiskristalle, die Wolken formen. Sind mehr Aerosole in der Atmosphäre, können sich mehr Wassertröpfchen bilden. Allerdings ist der Einfluss der Wolken insgesamt schwer zu bestimmen, da sie sich schnell verändern, in unterschiedlichen Höhen vorkommen und verschiedene Strukturen aufweisen. Einige durch Wolken bedingte Effekte bewirken, isoliert betrachtet, eine Erwärmung der Atmosphäre, andere dagegen eine Abkühlung. Dies führt zu einem komplexen Zusammenhang und zu erheblichen Unsicherheiten in Klimaprojektionen. Der 5. IPCC-Sachstandsbericht spricht sogar von den „größten Unsicherheitsfaktoren bei der Abschätzung und Interpretation des sich verändernden Energiehaushalts der Erde“ [I].

Insgesamt maskieren die Aerosole etwa ein Drittel des durch die anthropogenen Treibhausgas-Emissionen verursachten Strahlungsantriebs. Eine kürzlich erschienene Studie beziffert diesen Effekt auf bis zu minus 0,7 Grad [II]. Eine Reduzierung der Aerosole durch weniger Verbrennung fossiler Energieträger und durch eine Verbesserung der Luftqualität im Allgemeinen würde somit die globale Erwärmung beschleunigen. Fällt dieser Kühlungseffekt geringer aus als bisher angenommen, würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass die erwärmende Wirkung der Treibhausgase in der Atmosphäre weniger stark ausfällt.

Die Untersuchung der Wirkung von Aerosolen aus Abgasfahnen von Hochseeschiffen auf die Wolkenbildung spielte bisher eine unersetzliche Rolle für die Erforschung der Aerosol-Wolken-Wechselwirkung. Zum einen, weil die Aerosole in den abgelegenen Regionen über den Ozeanen sicher aus einer anthropogenen Quelle stammen und zum anderen, weil die meteorologischen Bedingungen in der Umgebung der Wolken nahezu konstant sind. Dieses Setting lässt sich in besiedelten Gebieten nicht finden. Das Team um Franziska Glassmeier hat nun nicht-regnende Stratocumulus-Wolken auf diesen ‚Ship Tracks‘ analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass der daraus abgeleitete Kühlungseffekt dieser Wolken um bis zu 200 Prozent überschätzt worden sein könnte. Die Forschenden schlussfolgern, dass Schiffsspur-Studien daher nicht verallgemeinert werden können. Vielmehr müsse der wärmende Effekt der Stratocumulus-Wolken berücksichtigt werden. Es sei daher wichtig, alternative Untersuchungsmethoden zu identifizieren.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Ulrike Lohmann, Leiterin der Arbeitsgruppe Atmosphärenphysik, Institut für Atmosphäre und Klima (IAC), Department Umweltsystemwissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich
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  • Dr. Anna Possner, Leiterin der Arbeitsgruppe Atmosphärenphysik und Klima, Institut für Atmosphäre und Umwelt, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
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  • Prof. Dr. Johannes Quaas, Professor für Theoretische Meteorologie, Arbeitsgruppe Wolken und globales Klima, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig
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  • Dr. Johannes Mülmenstädt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Global Atmospheric Modeling, Pacific Northwest National Laboratory, Richland, Washington, USA
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Statements

Prof. Dr. Ulrike Lohmann

Leiterin der Arbeitsgruppe Atmosphärenphysik, Institut für Atmosphäre und Klima (IAC), Department Umweltsystemwissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich

„Die Methodik der aktuellen Studie ist ausgereift. Franziska Glassmeier und ihre KollegInnen sind absolute ExpertInnen auf dem Gebiet. Ihre Studie ist sehr wichtig, denn im Schnitt regnet nur jede zehnte Wolke, das heißt, die nicht-regnenden Wolken (die in der Studie untersucht wurden; Anm. d. Red.) sind von zentraler Bedeutung. Gerade die Subtropen sind klimatologisch sehr wichtig, weil es dort die großen Stratocumulus-Flächen vor den Westküsten Nord- und Südamerikas und Afrikas gibt. In diesen Gebieten kühlen die Wolken, weil hier die reflektierenden Stratocumulus-Wolken über der dunklen Ozeanoberfläche liegen.“

Auf die Frage, welche Rolle die Untersuchung von Schiffsabgasfahnen bei der Erforschung der Aerosol-Wolken-Wechselwirkung spielt:
„Die ‚ship tracks‘ sind ein schönes Beispiel, um Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen zu visualisieren. Diese haben den Vorteil, dass die Meteorologie homogen ist – wie die AutorInnen auch schreiben – und so dachte die Wissenschaft bislang, dass sie das Paradebeispiel für den anthropogenen Klimaantrieb durch Aerosole-Wolken-Wechselwirkungen sind. Andere Studien, die marine mit kontinentalen Wolken vergleichen, haben das Problem von verschiedenen Luftfeuchten. Aber, wie die AutorInnen schreiben, ist die Störung durch die Schiffe zu kurz und es sollten eher langanhaltende Störungen – wie zum Beispiel kontinuierlich emittierende Vulkanausbrüche – angeschaut werden.“

Auf die Frage, inwiefern eine mögliche Überschätzung des Kühlungseffekts der Aerosole bereits diskutiert wurde:
„Es wurde schon seit einiger Zeit diskutiert, dass nicht alle Wolken, die durch Schiffsabgasfahnen beeinflusst wurden, auch einen höheren Flüssigwassergehalt haben. Er gibt ja den initialen Effekt – den sogenannten Twomey-Effekt – der die Kühlung durch die größere Anzahl von kleineren Wolkentröpfchen in der Wolke beschreibt und der kühlt. Wenn die Wolke nun nicht regnet, kann sich der Flüssigwassergehalt in der Wolke erhöhen und damit die Kühlung durch den Twomey-Effekt noch verstärken – auch in der Schiffsabgasfahne. Dieser Effekt wurde am häufigsten untersucht – auch in meinen eigenen Arbeiten.“

„Neuere Artikel haben nun gezeigt, dass die kompensierende Wirkung von einem vermehrten Einmischen trockener Luft von oberhalb der Inversion auch betrachtet werden muss. Wenn diese überwiegt, weil trockene Luft oberhalb der Inversion liegt – wie in den Subtropen –, dann kann dieses Einmischen dazu führen, dass die kleineren Wolkentröpfchen in der Schiffsabgasfahne schneller verdunsten und damit den Flüssigwassergehalt in der Wolke verringern. Welcher Effekt überwiegt ist regimeabhängig und abhängig davon, wie hoch der Feuchtigkeitsgehalt oberhalb des Stratocumulus-Decks ist. Die aktuelle Studie zeigt nun, dass die Schiffabgasfahnen zu kurzlebig sind und entsprechende Studien damit die Reduktion des Flüssigwassergehaltes in der Wolke unterschätzen. Da diese Reduktion des Flüssigwassergehalt in der Wolke zu einer Erwärmung führt, wurde damit die kühlende Wirkung durch Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen überschätzt.“

Auf die Frage, inwiefern der Klimawandel zu weniger stark ansteigenden Temperaturen führen könnte, wenn der kühlende Effekt der Aerosole tatsächlich geringer ausfallen sollte als bisher angenommen:
„Ja, richtig ist: Wenn Aerosole weniger kühlen durch die Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen, ist der erwärmenden Effekt der Treibhausgase auch geringer als bisher angenommen und damit fällt die zukünftige Erwärmung weniger stark aus, insbesondere auch dann, wenn wir die Aerosolpartikel wegen ihres Gesundheitseffekts weiter reduzieren. Das würde auch bedeuten, dass wir etwas mehr Zeit haben, bis wir die 1,5 oder 2 Grad globale Erwärmung erreicht haben. Allerdings ist das nur ein Effekt der Aerosol-Wolken-Wechselwirkung, der hier beschrieben wurde. Wir hatten letztes Jahr eine Studie [1], wo wir gezeigt hatten, dass Ruß zu einer stärkeren Erwärmung führt, weil er die Eigenschaften der Eiswolken (Zirren) verändert. Dieser Effekt geht genau in die andere Richtung. Kurz gesagt, es bleiben weiterhin offene Fragen bezüglich Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen und damit der Kühlwirkung der Aerosole.“

Dr. Anna Possner

Leiterin der Arbeitsgruppe Atmosphärenphysik und Klima, Institut für Atmosphäre und Umwelt, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

„Hellere Wolken reflektieren mehr Sonnenlicht. Soweit ist sich die Wissenschaft einig. Dies ist besonders entscheidend bei Wolken, die sich nahe des Erdbodens befinden. Zu welchem Grad der Ausstoß von anthropogenen Aerosolen aber nun zu einer Aufhellung dieser Wolken und insbesondere der Stratocumulus-Wolken führt, ist seit Jahrzehnten umstritten. In der aktuellen Studie wird ein neuer Ansatz genutzt, um eine Brücke zu schlagen zwischen verschiedenen Abschätzungen. Die AutorInnen bieten gleichzeitig einen Wegweiser für den Gültigkeitsbereich einzelner Abschätzungen, die sich nicht – wie bisher angenommen – gegenseitig ausschließen, sondern deren Unterschiede sich erklären lassen.“

„In den meisten Fällen ändert sich nicht allein die Konzentration des anthropogenen Aerosols. Oft gehen Änderungen der Temperatur und Feuchte damit einher. Alle drei Faktoren bestimmen die Helligkeit der Stratocumulus-Wolken maßgebend. Dies macht eine eindeutige Quantifizierung des globalen Aerosol-Wolken-Effektes in verschiedensten Langzeitbeobachtungen schwierig.“

„Innerhalb der ‚Ship Tracks‘ ist die Kausalität zwischen der erhöhten Aerosollast in der Abgasfahne von Frachtschiffen und der Änderung der Aufhellung der Wolken unumstritten. Abschätzungen des Kühlungseffektes der Aerosole innerhalb dieser Fahnen sind daher nicht anfällig gegenüber Verunreinigungen durch Kovarianzen anderer Faktoren. Der Haken: ‚Ship Tracks‘ sind extrem selten. Sie haben gerade mal eine durchschnittliche Inzidenz von zwei – in diesem Fall also zwei ‚Ship Tracks‘ pro 100.000 Schiffe.“

„Studien dieser Tracks haben wesentlich zu unserem heutigen Verständnis der Interaktionen zwischen Wolken und Aerosolen beigetragen und werden dies auch in Zukunft weiter tun. In der aktuellen Studie wird allerdings gezeigt, dass eine quantitative Verallgemeinerung – auch wenn diese auf Tausenden von ‚Ship Tracks‘ basiert – bezüglich des klimatischen Kühlungseffektes von Aerosolen innerhalb Stratocumulus-Wolken nicht zulässig scheint. Hierfür liefern die AutorInnen eine fundierte und schlüssige Erklärung.“

„Aufgrund der eindeutigen Kausalität zwischen einer erhöhten Aerosollast und der Aufhellung der Wolke in ‚Ship Tracks‘ ist man versucht, diesen Abschätzungen ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit zuzuordnen als anderen Abschätzungen, bei denen eine Verunreinigung durch Kovarianzen mit anderen Variablen nicht auszuschließen ist. Die aktuelle Studie zeigt allerdings mit wissenschaftlich fundierten Ergebnissen, dass ‚Ship Tracks‘ nicht lang genug ‚leben‘, um das gesamte Ausmaß aller Aerosol-Wechselwirkungen, welche innerhalb des globalen Klimas eine Rolle spielen, abzuschätzen.“

„Grundlegend ändert sich unser Verständnis der Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen dadurch nicht. Auch die quantitativen Abschätzungen der AutorInnen selbst befinden sich innerhalb der Spannweite bereits existierender Abschätzungen des Kühlungseffektes durch Aerosole. Und dennoch werden uns diese Ergebnisse die Gewichtung einzelner Studien überdenken lassen. Des Weiteren zeigt die Arbeit neue Wege auf, wie wir verbleibende Unsicherheiten auch in Zukunft weiter einschränken können.“

Auf die Frage, inwiefern der Klimawandel zu weniger stark ansteigenden Temperaturen führen könnte, wenn der kühlende Effekt der Aerosole tatsächlich geringer ausfallen sollte als bisher angenommen:
„Die quantitative Abschätzung der Kühlungseffekte durch Aerosole dieser Studie befindet sich innerhalb der Spannweite bereits existierender Schätzungen. Daher lassen sich per se noch keine direkten Folgen für den Fortgang des Klimawandels durch diese Ergebnisse abschätzen. Die AutorInnen der aktuellen Studie weisen allerdings darauf hin, dass es nicht zulässig ist, einer Gruppe von Studien welche auf ‚Ship Tracks‘ basieren, ein erhöhtes Maß an Glaubwürdigkeit beizumessen, da es auch hier Einschränkungen über deren Gültigkeitsbereich gibt. Sie weisen darauf hin, dass eine solche Gewichtung zu einer deutlichen Überschätzung klimatischer Aerosol-Wechselwirkungen führen würde. Die aktuelle Studie trägt daher maßgeblich zur Eingrenzung bestehender Unsicherheiten bei.“

Prof. Dr. Johannes Quaas

Professor für Theoretische Meteorologie, Arbeitsgruppe Wolken und globales Klima, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig

„Die vorliegende Arbeit ist eine hervorragende Analyse einer Vielzahl von wolkenauflösenden Simulationen mit Hilfe von maschinellem Lernen. Der Autorin und ihren Co-Autoren gelingt es, wichtige physikalische Mechanismen aus diesen Simulationsergebnissen zu destillieren. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass es eine lange Zeit braucht, bis der volle Effekt der Störung der Wolken erreicht ist. Dies ist keine vollständig neue Erkenntnis; die AutorInnen zitieren unter anderem [2] hierfür. Auch eine neue Studie [3] – die hier allerdings meines Erachtens zu Unrecht nicht zitiert wurde – kommt anhand von Satellitendaten zu ähnlichen Schlüssen und findet, dass sich das Vorzeichen der Anpassung des Flüssigwasserwegs mit der Zeit ändert und erst nach drei Tagen nicht mehr sichtbar ist. Das Neue hier ist, dass die Dauer der Anpassung sauber quantifiziert werden konnte.“

„Ein sehr nützliches Ergebnis der aktuellen Studie ist auch, dass die Ergebnisse von Satellitenstatstiken validiert werden konnten. Der generelle Zusammenhang in Abbildung 3a in der Arbeit belegt, dass Satellitenstudien [zum Beispiel 4] im Wesentlichen richtig liegen und auch die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge richtig wiedergeben und interpretieren. Dies ist einerseits wichtig, um das Vertrauen in diese datenbasierten Studien zu stärken, und andererseits erlaubt es den Rückschluss, dass die Datenbasis, auf der die AutorInnen ihre Ergebnisse aufbauen, valide ist und global verallgemeinert werden kann – da ja die Satellitendaten, mit denen diese Ergebnisse hier konsistent sind, global vorliegen.“

Auf die Frage, welche Rolle die Untersuchung der Schiffsabgasfahnen bei der Erforschung der Aerosol-Wolken-Wechselwirkung spielt:
„Diese Rolle legen die AutorInnen sehr gut dar: ‚Ship Tracks‘ treten häufig auf und stellen eine eindeutige anthropogene Aerosolquelle bei ansonsten unveränderten Randbedingungen dar. Das ist also scheinbar so nah an einem kontrollierten physikalischen Experiment, wie es in der Meteorologie überhaupt denkbar ist. Allerdings nur scheinbar, wie das Team nun belegt: Durch die zu kurzen Zeitskalen sind ‚ship tracks‘ eben doch kein geeignetes Analogon zu den Effekten anthropogener Aerosole aus Industrie, Haushalten und Verkehr auf Wolken.“

Auf die Frage, inwiefern eine mögliche Überschätzung des Kühlungseffekts der Aerosole bereits diskutiert wurde:
„Dies ist nicht der stärkste Punkt des Artikels. Die Studie vergleicht sich hier mit den in Abbildung 1 abgebildeten Studien (magentafarbene Kurven). Im Wesentlichen werden [5] und [6] hin zu negativeren Werten korrigiert. Sicherlich war [5] einigermaßen einflussreich. Allerdings würde ich nicht die Einschätzung teilen, dass diese der allgemein akzeptierte Standard ist. Auch ist ein unmittelbarer Vergleich nicht ohne weiteres möglich, da in [5] nicht explizit nur nicht-regnende Stratocumulus-Wolken untersucht werden. Andere, auf Statistiken von Satellitendaten basierende, Studien [beispielsweise 4] werden weithin ebenso herangezogen und sind konsistent mit der aktuellen Studie.“

Auf die Frage, inwiefern der Klimawandel zu weniger stark ansteigenden Temperaturen führen könnte, wenn der kühlende Effekt der Aerosole tatsächlich geringer ausfallen sollte als bisher angenommen:
„Tendenziell ist das eine gute Nachricht, ja. Auch wenn natürlich das letzte Wort nicht gesprochen ist. Offen ist, wie sich unter Bedingungen von durchbrochener Bewölkung der Bedeckungsgrad ändert. Dies ist der größte Hebel, den Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen möglicherweise haben können. Ebenso ist noch immer nicht geklärt, wie stark der ‚einfachste‘ Effekt ist – die Änderung der Wolkentröpfchenanzahl durch Aerosole, der sogenannte ‚Twomey-Effekt‘.“

Dr. Johannes Mülmenstädt

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Global Atmospheric Modeling, Pacific Northwest National Laboratory, Richland, Washington, USA

„Quantitative Klimaprojektionen sind schwierig. Das liegt zum Teil daran, dass die Reaktion des Klimasystems auf die vom Menschen verursachten Schadstoffe auf zwei sich duellierende Effekte zurückzuführen ist: Treibhausgase – die eine Erwärmung verursachen – und Aerosole – die eine Abkühlung bewirken. Wir wissen aus direkten Temperaturmessungen, wie viel Erwärmung insgesamt in den letzten anderthalb Jahrhunderten stattgefunden hat, aber wir können nicht jeden dieser Effekte isoliert messen. Stattdessen verlassen wir uns auf eine Kombination von Methoden – Beobachtungen, Modelle, physikalische Überlegungen –, die alle unterschiedliche Stärken und Schwächen haben, sodass wir uns über die Größenordnungen der einzelnen Erwärmungs- und Abkühlungseffekte weit weniger sicher sind.“

„Warum ist das wichtig? Wir könnten dort sein (beim bisher gemessenen Temperaturanstieg; Anm. d. Red.), wo wir heute sind, aufgrund einer schwachen Treibhaus-Erwärmung, die teilweise durch eine schwache Aerosolkühlung ausgeglichen wird oder aufgrund einer starken Treibhaus-Erwärmung, die teilweise durch eine starke Aerosol-Kühlung ausgeglichen wird. In der Zukunft werden die Aerosol-Konzentrationen wahrscheinlich niedriger sein, während die Treibhausgas-Konzentrationen höher sein werden, sodass ein Teil des Ausgleichs durch die Aerosolkühlung verschwinden wird. Dadurch werden wir entweder eine drastische Erwärmung oder eine weniger drastische Erwärmung haben. Es wäre schön, im Voraus zu wissen, welche Variante eintreten wird. Diese Studie ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, da sie mehr Klarheit über die Stärke der Aerosolkühlung bietet.“

„Einer der Mechanismen, durch den Aerosole eine kühlende Wirkung ausüben, besteht darin, dass sie die Wolken heller machen, wodurch sie mehr Sonnenlicht ins All reflektieren. Aber auch hier sind doppelte Effekte im Spiel. Wenn Aerosole in eine Luftmasse eingebracht werden, werden die Wolken sofort heller, weil sich ihr Wassergehalt auf mehr Tröpfchen verteilt und sich so die insgesamte Tröpfchenoberfläche vergrößert. Aber nach dieser anfänglichen Aufhellung wird eine Reihe von Prozessen in Gang gesetzt: Wolken, die geregnet hätten, tun dies möglicherweise nicht mehr, weil die kleineren Wolkentröpfchen weniger effizient bei der Bildung von Regentropfen sind, was zu einer bewölkteren Atmosphäre führt; und Wolken, die nicht geregnet hätten, können sich schneller auflösen, weil kleinere Wolkentröpfchen leichter zu verdampfen sind, was zu einer weniger bewölkten Atmosphäre führt. Eine Reihe neuerer Studien [4][5][7] liefert Hinweise darauf, dass sich diese Aerosoleffekte weitgehend aufheben können. Die Forschenden der aktuellen Studie gehen sogar noch weiter und schätzen, dass der ausdünnende Effekt von Aerosolen auf nicht niederschlagende Wolken so stark sein kann, dass der Gesamteffekt eher eine Erwärmung als eine Abkühlung ist.“

„Dies ist ein verblüffendes Ergebnis. Das ‚natürliche Labor‘, das für ihre Studie genutzt wird, sind Schiffsspuren – lange, helle Linien in Wolkendecken, die oft kreuz und quer auf Satellitenbildern der Weltmeere zu sehen sind und die entstehen, wenn Schiffsabgase in Wolken gelangen. Auf den ersten Blick sind diese Schiffsspuren eine anschauliche Illustration der Fähigkeit von Aerosolen, Wolken aufzuhellen. Doch mit der Zeit breiten sich die Spuren aus, und für den größten Teil des Wolkenlebenszyklus sind sie im umgebenden Wolkenfeld nur schwer zu erkennen. Laut dieser neuen Studie gewinnt die Wolkenausdünnung – die über relativ lange Zeitskalen stattfindet und schwer zu sehen ist – gegenüber der Wolkenaufhellung – die schnell passiert und auf Satellitenbildern hervorsticht. Mehr als fünfzig Jahre nach ihrer Entdeckung [8] liefern Schiffsspuren also immer noch neue Erkenntnisse über Aerosoleffekte auf Wolken – vorausgesetzt, wir nutzen Modelle und physikalische Überlegungen, um zu erkennen, dass der erste Eindruck, den wir aus Beobachtungen gewinnen, täuschen kann.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Anna Possner: „Keiner.“

Prof. Dr. Johannes Quaas: „Keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Glassmeier F et al. (2021): Aerosol-cloud-climate cooling overestimated by ship-track data. Science; Vol 371 (6528): 485-489. DOI: 10.1126/science.abd3980.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Lohmann U et al. (2020): Future warming exacerbated by aged-soot effect on cloud formation. Nature Geoscience; Vol 13: 674-680. DOI: 0.1038/s41561-020-0631-0.

[2] Sandu I et al. (2011): On the Factors Modulating the Stratocumulus to Cumulus Transitions. J. Atmos. Sci; 68: 1865–1881. DOI: 10.1175/2011JAS3614.1

[3] Christensen MW et al. (2020): Aerosols enhance cloud lifetime and brightness along the stratus-to-cumulus transition. PNAS; Vol 117 (30): 17591-17598. DOI: 10.1073/pnas.1921231117.

[4] Gryspeerdt E et al. (2019): Constraining the aerosol influence on cloud liquid water path. Atmos. Chem. Phys; 19: 5331–5347. DOI: 10.5194/acp-19-5331-2019.

[5] Toll V et al. (2019): Weak average liquid-cloud-water response to anthropogenic aerosols. Nature; 572: 51–55. DOI: 10.1038/s41586-019-1423-9.

[6] Christensen MW et al. (2011): Microphysical and macrophysical responses of marine stratocumulus polluted by underlying ships: Evidence of cloud deepening. Journal of Geophysical Research; 116 (D3). DOI: 10.1029/2010JD014638.

[7] Malavelle FF et al. (2017): Strong constraints on aerosol–cloud interactions from volcanic eruptions. Nature; 546: 485-491. DOI: 10.1038/nature22974

[8] Conover JH (1966): Anomalous cloud lines. J. Atmos. Sci.; 23: 778–785. DOI: 10.1175/1520-0469(1966)023<0778:ACL>2.0.CO;2.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] IPCC AR5 (2013): Climate Change 2013 – The Physical Science Basis. Working Group I Contribution. Kapitel 7: Clouds and Aerosols, S. 571 ff.

[II] Gillett NP et al. (2021): Constraining human contributions to observed warming since the pre-industrial period. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-020-00965-9.

Weitere Recherchequellen

Sciene Media Center (2019): Niedrige Wolken reagieren empfindlicher auf Aerosole als angenommen. Research in Context.

Science Media Center (2018): Klimasensitivität möglichweise geringer als bisher angenommen. Research in Context.