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28.05.2024

Klimaneutrale Herstellung von Stahl, Zement und Grundchemikalien

     

  • TAB-Bericht analysiert Potenziale und Herausforderungen bei Transformation zu emissionsarmer Produktion von Stahl, Zement und Grundchemikalien
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  • 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen des Industriesektors entstehen in diesen drei Branchen
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  • Experten loben den Bericht, da er den Weg zu klimaneutraler Herstellung gut illustriert, sehen aber auch Lücken
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Die Herstellung von Stahl, Zement und chemischen Grundstoffen verursacht über 40 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen des Industriesektors in Deutschland. Die Herausforderung, auch diese besonders emissionsintensiven Produktionsprozesse so weit wie möglich zu dekarbonisieren, sind enorm. Denn zum einen benötigen viele dieser Prozesse große Mengen Energie, die aktuell häufig noch aus fossilen Energieträgern gewonnen wird. Zum anderen entstehen in eben diesen Herstellungsprozessen selbst oft große Mengen CO2. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hat am 28.05.2024 einen Bericht veröffentlicht (siehe Primärquelle), der beleuchtet, welche möglichen Vermeidungstechnologien bereits heute dafür zur Verfügung stehen beziehungsweise künftig notwendig sind und wie schnell eine Transformation möglich wäre. Der Bericht beleuchtet zudem, welche Kosten eine Umstellung mit sich bringen würde, sowohl auf Anlagen- als auch auf Produktseite und betrachtet darüber hinaus, welche Konsequenzen für Wertschöpfungsketten, Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit entstehen könnten.

Aktuell stammen 155 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus dem Industriesektor, bei insgesamt 674 Millionen Tonnen ausgestoßenen CO2-Äquivalenten in Deutschland [I].

Bei der klassischen Herstellung von Stahl, aus der 95 Prozent der aktuellen Emissionen der Stahlherstellung stammen, wird Eisenerz im Hochofen bei hohen Temperaturen mit Koks reduziert. Dabei entsteht neben Roheisen, das dann zu Stahl weiterverarbeitet wird, durch die Oxidation des Kohlenstoffs auch CO2. Für die Produktion von Zement wird Kalkstein bei hohen Temperaturen zu sogenanntem Zementklinker gebrannt. Dabei wird CO2 aus dem Kalkstein abgespalten. Zwei Drittel der Zement-bedingten Emissionen entstehen auf diese Weise, ein Drittel durch den Einsatz fossiler Brennstoffe für den Betrieb der Öfen. In der chemischen Industrie wiederum werden vielen Grundchemikalien fast ausschließlich auf Basis von Erdöl gewonnen. Ein wesentliches Verfahren ist dabei das sogenannte Cracken. Dabei werden längerkettige Kohlenwasserstoffe in kurzkettige aufgespalten. Diese kommen dann als Ausgangsstoffe für die Herstellung von zum Beispiel Kunststoffen, Medikamenten, Kosmetika, Waschmitteln und Lacken zum Einsatz.

Der TAB-Bericht illustriert mögliche Verfahren, mit denen Emissionen vermieden werden können. Bei der Herstellung von Stahl ist ein wichtiger Ansatz, das Erz mit Wasserstoff statt mit Koks zu reduzieren. Dies würde den kompletten Neubau ganzer Anlage erfordern, was sich vor allem dann anbietet, wenn laufende Hochöfen verschlissen sind. Die Umstellung wäre daher anfänglich mit hohen Investitionskosten und steigenden operativen Kosten verbunden. Eine weitere Option ist, bestehende Anlagen um CO2-Abscheidungen zu erweitern. So könnte allerdings nur etwa die Hälfte der Emissionen abgefangen werden. Die klimaneutrale Produktion von Zement erfordert zwingend die Abscheidung von CO2 und dessen Speicherung (CCS) oder Nutzung (CCU). Zudem ließen sich auch über einen geringeren Klinkeranteil im Zement Emissionen einsparen. Bei der Gewinnung von Grundchemikalien wiederum müsste das Erdöl durch emissionsarm hergestellte Kohlenwasserstoffe ersetzt werden, die zum Beispiel aus Biomasse, recycelten Kunststoffen oder aus in industriellen Prozessen abgeschiedenem CO2 gewonnen werden könnten. Die Mehrinvestitionen addieren sich für alle drei Bereiche auf 14,9 Milliarden Euro – 8,6 Milliarden in der Stahlindustrie, 4,1 Milliarden bei der Zementherstellung und 2,2 Milliarden in der Chemieindustrie.

Neben der Analyse der technischen Ansätze untersuchen die Autoren des Berichts die Auswirkungen einer Transformation auf Preise von grünem Stahl, Zement und Chemikalien sowie daraus hergestellten Endprodukten. Grüner Stahl wäre demnach Ende dieses Jahrzehnts maximal 42 Prozent teurer als konventionell hergestellter. Mitte der 2030er Jahre wäre das Preisniveau ausgeglichen, 2045 ist grüner Stahl 28 Prozent günstiger als Stahl, der dann noch konventionell hergestellt würde. Die beispielhafte Umrechnung auf den Preis eine PKW zeigt dem Bericht zufolge, dass ein Auto im Wert von 30.000 Euro zwischenzeitlich maximal 480 Euro teurer würde, im Jahr 2045 dann bereits 330 Euro günstiger. Klimaneutraler Zement wäre Ende der 2020er maximal 10 Prozent teurer, was eine Bauproduktion im Wert von 100.000 Euro um etwa 100 Euro teurer machen würde, schätzt der Bericht. Bis 2045 sind emissionsarm hergestellte Zemente um gut 60 Prozent günstiger, die Bauproduktion daher 640 Euro günstiger. Klimafreundliche Chemikalien dagegen blieben dauerhaft teurer – maximal 53 Prozent Ende der 2030er Jahre. Ein Medikament im Wert von 100 Euro würde so um 5,64 Euro teurer.

Wir haben Expertinnen und Experten gebeten, vor allem die Ausführungen des Berichts bezüglich Stahl und Zement einzuordnen.

Übersicht

     

  • Dr. Matthias Rehfeldt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenzzentrum Energietechnologien und Energiesysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe
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  • Jürgen Sutter, Senior Researcher, Abteilung Ressourcen und Mobilität, Öko-Institut e.V., Darmstadt
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  • Dr. Thilo Schaefer, Leiter des Clusters Digitalisierung und Klimawandel, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.
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  • Prof. Karsten Neuhoff, Ph.D., Leiter der Abteilung Klimapolitik, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, und Professor für Energie und Klimapolitik am Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht, Technische Universität Berlin
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  • Dr. Andrej Guminski, Geschäftsführender Direktor, FfE Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V.
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Statements

Dr. Matthias Rehfeldt

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenzzentrum Energietechnologien und Energiesysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe

Methodik

„Die Methodik des Berichts entspricht dem Stand der Wissenschaft. Annahmen sind transparent dargestellt und plausibel. Die Begrenzung auf zwei Szenarien ist aus Projektsicht verständlich, ideal wären weitere Szenarien, um den Lösungsraum weiter auszuleuchten. Die angenommenen Auswirkungen der Szenariosetzungen – geringer internationaler Austausch im Vergleich zu großer internationaler Interaktion – sind möglich, aber es ist nicht ganz klar, warum geringe internationale Kooperation zu höheren Effizienzanstrengungen führen soll (und umgekehrt). Hoher internationaler Austausch könnte ebenso über stärkeren Wettbewerbsdruck zu Effizienzanreizen führen. Der Vergleich mit anderen Szenarien/Projekten kommt vielleicht ein wenig zu kurz, ist aber hilfreich.“

„Der Bericht fasst vor allem bestehendes Wissen und Argumente zusammen und macht das gut. Neues beziehungsweise mir nicht unmittelbar Bekanntes kommt in Details hinzu, die aber für die Transformation in der Tat wichtig werden können. Die Fokussierung auf drei Branchen schließt notwendig wichtige Bereiche aus. Die untersuchten Bereiche sind wichtig und ohne Zweifel starke Hebel. Ohne diese wird die Transformation nicht gelingen. Sie sind aber auch in den vergangenen Jahren bereits umfangreich untersucht worden. Der Neuigkeitswert wird dadurch gemindert. Nicht betrachtete, aber wichtige andere Bereiche sind Technologien, die vor allem in anderen Branchen oder später entlang der Wertschöpfungskette auftreten: Prozesswärmeerzeugung als Dampf oder in Öfen sowie deren Elektrifizierung beziehungsweise der Ersatz von Erdgas in diesen Anlagen.“

„Auch Fragen der Kreislaufwirtschaft und Materialeffizienz sowie Suffizienz und Material-Substitution sind nur kurz und in den Annahmen behandelt (zum Beispiel fehlen Ansätze, Altbeton als Rohmaterial neu zu verwenden; die Annahme beinahe konstanter Sekundärstahlanteile). Diese könnten aber ganz zentrale Aufgaben übernehmen, um benannte Herausforderungen der Rohstoff- und Energieträgerversorgung zu adressieren. Auch im aktuell realen Politikmix sind diese Nachhaltigkeitsstrategien eher unterrepräsentiert, da sie gegenüber anderen Zielsetzungen, vor allem Wirtschaftswachstum, einen Zielkonflikt darstellen können.“

Transformation der Stahlerzeugung

„Ein relevanter Teil des Stahleinsatzes ist ganz simpler Baustahl. Der wird sich eher nicht ändern. Der Trend im Bereich hochwertiger Stähle geht aber in Richtung Spezialisierung, hohe Legierung, hohe Aufwände (auch logistisch), getrieben zum Beispiel durch die Automobilindustrie. Und gerade für Deutschland ist dieses Segment wichtig. Verfahren, die dies weiter leisten können, sind wichtig, dies wird im Bericht genannt. Über allem steht aber in Bezug auf die Transformation, dass es kaum vorstellbar ist, in 20 Jahren noch mit fossilem Stahl wettbewerbsfähig zu sein. Gerade im hochqualitativen Bereich.“

Auf die Frage, inwiefern der komplette Neubau von Anlagen für die Reduktion mit Wasserstoff nach Ende der Betriebszeiten der aktuellen Hochöfen zeitlich kompatibel mit dem Zeitfenster bis 2045 ist:
„Die deutschen Hochöfen müssen bis 2045 alle ausgetauscht werden. Etwa die Hälfte sogar bis 2035. Dieser Pfad ist also kompatibel und wurde auch in früheren Studien schon so oder ähnlich angesetzt. Eine Beschleunigung ist vermutlich sogar denkbar, da die Hochöfen kein exaktes Ablaufdatum haben. Vielmehr ist es so, dass eine fossile Re-Investition auch aus Unternehmenssicht zu vermeiden ist. Die Risiken sind auch dort groß.“

„Die Technologien für eine Transformation der Stahlerzeugung (und Verarbeitung) sind im Bereich Technologiereifegrad (TRL) [1] 6 bis 9 einzuordnen. Eine Umsetzung bis 2030 – in einigen Fällen 2035 – ist plausibel, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein Geschäftsmodell ermöglichen und die politischen Rahmenbedingungen Planungssicherheit bieten. Bestehende Instrumente helfen dabei – die IPCEI-Förderungen (IPCEI: Important Projects of Common European Interest, Förderprojekt der EU-Kommission, die Einfluss auf Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Wertschöpfung nehmen sollen; Anm. d. Red.) der vergangenen Monate stoßen direkt Projekte an.“

„Problematisch bei den adressierten Verfahren der Transformation von Stahl ist die Hochofenroute mit CO2-Abscheidung im Hinblick auf das Netto-Null-Emissionsziel zu sehen. Abscheideverfahren weisen keine Abscheideeffizienz von 100 Prozent auf, sondern liegen eher im Bereich von 50 Prozent über die gesamte Wertschöpfungskette, was im Bericht auch erwähnt wird. Hierdurch würden Restemissionen verbleiben, die durch negative Emissionen ausgeglichen werden müssten – zum Beispiel durch starke Biomassenutzung in den Anwendungen, die CCS nutzen. Das ist möglich, die Verfügbarkeit nachhaltiger Biomasse aber ist begrenzt und für andere Sektoren (Verkehr) attraktiv.“

Transformation der Zementherstellung

„Zement/Beton der Zukunft wird sich vermutlich in der Anwendung kaum unterscheiden. Es könnten Anwendungen wegfallen, die durch andere Materialien wie Holz bedient werden können. Die Zusammensetzung – wie im Bericht bemerkt – dürfte sich stärker in Richtung alternative Zementsorten entwickeln, mit mehr Klinkerersatzstoffen. Der angenommene Anteil neuer Bindemittel entspricht den Annahmen anderer Studien. Diese Änderungen sind Folge der Herausforderungen der Transformation.“

„Die Umstellung auf die genannten Vermeidungstechnologien ist nicht immer leicht möglich – hier schätze ich das anders ein als die Autoren des Berichts. CO2-Abscheideanlagen müssen am Standort passen (Platzbedarf). Es benötigt Infrastruktur – Speicherung, Pipelinenetz, alternativ für kleinere Mengen Schiffe, Bahn – und damit sind eine Vielzahl von Akteuren involviert. Und es sind hohe Investitionen notwendig. CO2-Abscheidung scheint zwar heute bereits wirtschaftlich zu sein und wird von den Unternehmen gewollt. Aber die rechtlichen Möglichkeiten werden erst entwickelt – Stichwort Carbon-Management Strategie. Ein weiter steigender CO2-Preis würde auch helfen, um den wirtschaftlichen Druck (weiter) zu erhöhen.“

Ökonomische Auswirkungen

„Die Aussage, dass klimaneutraler Zement und Stahl Mitte der 2030er wirtschaftlich werden kann – immer stark vom Technologiemix abhängig – ist grundsätzlich plausibel und anhand der Annahmen nachvollziehbar. Aber: Die Aussage im Bericht verstehe ich ausdrücklich nicht so, dass die Produkte günstiger werden als heute. Lediglich günstiger als die fossile Route zu diesem Zeitpunkt, also etwa 2035. Das ist ein wichtiger Unterschied, denn durch die Dekarbonisierung der Produktion werden bislang externe Kosten internalisiert, vorrangig Klimafolgeschäden. Die Annahmen sind aber der Schlüssel zum Verständnis, denn die Betriebskosten der Produktion dominieren stark die Gesamtkosten der Produkte, darin vor allem CO2 und Energie. Abweichende Annahmen zu diesen Preispfaden könnten diese Ergebnisse leicht in Richtung 2030 oder nach 2040 verschieben.“

„Also: Grundsätzlich kann anhand der Annahmen eine Wirtschaftlichkeit gegenüber den heutigen Verfahren gegeben sein, was nicht automatisch heißt, dass zu günstigeren Preisen produziert werden kann als heute. Das ist zwar möglich, aber nicht mit der Aussage im Text gemeint oder unterstellt.“

„Unternehmen sollten aus mehreren Gründen bereits jetzt in diese Produktionsprozesse investieren: Zum einen, weil die Anlagen 40 Jahre und länger stehen und zudem nicht beliebig viele neue Anlagen jedes Jahr gebaut werden können – erst 2035 anzufangen, ist zu spät. Dazu kommt, dass die Unternehmen sonst technologisch gegenüber anderen Regionen verlieren könnten – zum Beispiel gegenüber den USA mit dem Inflation Reduction Act. Und es genau für diese Übergangszeit gibt es Instrumente, die Investitionen in die nötigen Prozesse ermöglichen.“

„Die im Bericht genannten Argumente zur Wettbewerbsfähigkeit sind plausibel. Carbon Leakage (die ‚Verlagerung‘ von Emissionen etwa durch Abwanderung von Produktion in andere Länder [II]; Anm. d. Red.) ist eine Gefahr, allerdings bietet der CO2-Grenzausgleichmechanismus CBAM dagegen einen Schutz, auch wenn Exporte dadurch nicht geschützt sind. Green Leakage beziehungsweise Renewable Pull kann nicht so leicht adressiert werden – hier besteht eine hohe Anfälligkeit. Diese Diskussion kommt etwas kurz, sie wird nur in den weiteren Forschungsfragen angesprochen – hierzu laufen aber auch aktuell Projekte. Insbesondere lässt sich fragen, welche Teile der Wertschöpfungsketten in Deutschland zu behalten sind: Womöglich lassen sich Teile mit besonderem Wettbewerbsnachteil – zum Beispiel die Direktreduktion – auslagern, und andere mit hoher Wertschöpfung – zum Beispiel Stahllegierung und Weiterverarbeitung – behalten. Hierzu sei auf das Statistische Bundesamt verwiesen: Die energieintensive Grundstoffindustrie nutzt 80 Prozent der Energie des verarbeitenden Gewerbes, trägt aber nur zu 20 Prozent zu Wertschöpfung und Arbeitsplätzen bei. Demgegenüber steht aber die tiefe Integration von Wertschöpfungsketten – ein einfaches Urteil verbietet sich daher.“

„Der Aspekt des Resource Shuffling wird im Bericht angesprochen – also Importe von grünen Produkten in den durch den CBAM geschützten Wirtschaftsraum der EU, während im Herstellerland selbst so ‚dreckigere‘ Produkte verwendet werden. In Summe entstünde so potenziell kein Klimaschutz.“

„Ebenso kurz angesprochen wird auch die Frage nach der Technologieoffenheit, mit der aus unserer Sicht sinnvollen Einschätzung, dass dies je nach Entwicklungsstand differenziert werden muss. Viele der aktuell diskutierten Technologien sind über das Stadium hinaus, in dem Technologieoffenheit sinnvoll ist – nun wird Planungssicherheit für eine entschlossene Umsetzung benötigt (Pfadentscheidungen).“

„Die abgebildeten Kostensteigerungen scheinen plausibel – für chemische Grundstoffe könnten sie höher sein, dies ist aber stark von Annahmen abhängig. Für Endprodukte gilt generell, dass die Kostensteigerungen sehr gering sind, da dort die Kosten der Weiterverarbeitung deutlich überwiegen. Bezüglich der angegebenen Investitionen – zum Beispiel eine Steigerung um das Drei- bis Sechsfache – ist anzumerken, dass für Anlagen der Grundstoffindustrie die Betriebskosten deutlich relevanter sind und über die gesamte Lebensdauer der Anlagen die Investition eine untergeordnete Rolle spielt. Für Fragen der Risikoabwägung und Kapitalverfügbarkeit kann sie dennoch entscheidungsrelevant sein.“

Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit Marius Neuwirth, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kompetenzzentrum Energietechnologien und Energiesysteme, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe.

Jürgen Sutter

Senior Researcher, Abteilung Ressourcen und Mobilität, Öko-Institut e.V., Darmstadt

Methodik

„Der Bericht gibt einen guten Überblick über die Möglichkeiten und Herausforderung der Transformation in den drei Industriebereichen. Leider geht er nicht weiter auf die folgenden Möglichkeiten ein: Die Emissionen aus der Zementindustrie könnten zum Beispiel auch dadurch signifikant reduziert werden, indem der Betonverbrauch reduziert würde. Also zum Beispiel über eine stärkere Nutzung von Alternativen, wie Stahl, Kalksandstein, Holz und so weiter. Oder indem beim Neubau von Gebäuden Mehrfamilienhäuser statt Einfamilienhäuser gebaut würden, eher auf Innenentwicklung statt auf Außenentwicklung gesetzt würde oder stärker auf die Sanierung von bestehenden Gebäuden, statt diese abzureißen und neuzubauen. Beim Stahl könnte zudem die Sekundärstahlquote deutlich erhöht werden, wenn Störstoffe, insbesondere Kupfer, aus dem Stahlschrott abgetrennt werden.“

Transformation der Stahlerzeugung

Auf die Frage, inwiefern der komplette Neubau von Anlagen für die Reduktion mit Wasserstoff nach Ende der Betriebszeiten der aktuellen Hochöfen zeitlich kompatibel mit dem Zeitfenster bis 2045 ist:
„Da die Hochöfen zumeist nur 15 bis 20 Jahre betrieben werden, ist es durchaus realistisch, dass bis 2045 alle umgestellt sind. Dafür dürfen allerdings keine neuen konventionellen Hochöfen mehr gebaut werden. Insbesondere im Bereich Primärstahlherstellung ist für die Umstellung eine staatliche Unterstützung durch finanzielle Förderung notwendig.“

„Ein großes Problem ist, dass sich im Lauf der Produktions-, Nutzungs- und Recyclingzyklen allmählich Störstoffe anreichen – insbesondere Kupfer – die die Qualität des Stahls mindern. Hier müssen künftig Technologien zur Abtrennung dieser Störstoffe etabliert und in großem Maßstab eingesetzt werden, sonst haben wir irgendwann immer größere Mengen an Stahlschrott, den wir aufgrund der geringen Qualität in immer weniger Bereichen einsetzen können. Wenn durch eine Primärproduktion über Direktreduktion mit grünem Wasserstoff der Primärstahl teurer wird, könnten solche Kupferabtrennungstechnologien wirtschaftlich werden. Weiterhin kann dies staatlicherseits unterstützt werden durch Quoten für den Einsatz von Rezyklaten für Stahl in der Herstellung von Produkten.“

Transformation der Zementherstellung

„Wenn Zementwerke bei der Umstellung auf Vermeidungstechnologien zögern, liegt das vor allem an höheren Produktionskosten. Hier könnte man die Umstellung durch einen rascher ansteigenden CO2-Preis beschleunigen.“

Dr. Thilo Schaefer

Leiter des Clusters Digitalisierung und Klimawandel, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.

Methodik

„Das Autorenteam arbeitet mit vielen technischen Details gut strukturiert und sehr anschaulich die wesentlichen Vermeidungsoptionen in denjenigen Industriesektoren auf, die große Mengen Treibhausgasemissionen vermeiden müssen, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Die Darstellung ist auch für technische Laien sehr gut verständlich. Ein großer Mehrwert besteht darin, dass die aufgezeichneten Pfade für jede Technologie, die sich jeweils an zwei Szenario-Varianten orientieren, auch hinsichtlich ihrer Kosten, der Preisentwicklung und des CO2-Reduktionspfads quantifiziert werden. Ein großes Manko – worauf die Autoren selbst deutlich hinweisen – liegt jedoch darin, dass die volatilen Entwicklungen der vergangenen beiden Jahre bei Energieträgerverfügbarkeit und -preisen nicht berücksichtigt werden konnten. Hier wäre es interessant zu erfahren, inwiefern sich die Quantifizierung aufgrund angepasster Annahmen verändern würde. Könnten beispielsweise bei den wesentlichen Energieträgerpreisen die aktuellen Future-Werte eingesetzt werden? Dies würde nicht nur eine Aktualisierung, sondern auch einen hilfreichen Robustheitscheck ermöglichen.“

Ökonomische Auswirkungen

„Die Darstellung der Technologiepfade und die dazugehörigen quantitativen Abschätzungen abstrahieren zunächst vom internationalen Wettbewerbskontext, der erst gegen Ende des Berichts vergleichsweise kurz adressiert wird. Zurecht weisen die Autoren darauf hin, dass mangelnde Wettbewerbsfähigkeit ein gravierendes Risiko für die in den Pfaden unterstellte weitgehende Aufrechterhaltung der heutigen Produktionsmengen bedeuten würde. Wünschenswert wäre deshalb eine Berücksichtigung dieses entscheidenden Aspekts bereits in der Darstellung der Technologiepfade gewesen, die lediglich hinsichtlich der internationalen Koordination beziehungsweise deren Mangel variieren. Insbesondere der Vergleich von konventionellem Preis inklusive CO2-Kosten mit der klimafreundlichen Variante lässt an der Stelle außer Acht, dass Konkurrenten auf dem Weltmarkt bis auf Weiteres deutlich günstiger anbieten können. Die damit zusammenhängenden Unsicherheiten, was die Bemühungen um eine internationale Koordination der Klimapolitik, aber auch die effektive Funktionsfähigkeit des CO2-Grenzausgleichmechanismus CBAMs angeht, werden zwar angesprochen. Es fehlt jedoch die Rückkopplung, dass die Transformationsfähigkeit der fraglichen Branchen in erheblichem Maße davon abhängt, inwieweit wettbewerbsfähige Produktion während der Transformationsphase aufrechterhalten werden kann. Da die gezeigten Preispfade deutlich über den heutigen Preisen für die untersuchten Grundstoffe liegen, muss zudem die Frage gestellt werden, ob eine internationale Wettbewerbsfähigkeit ohne massive staatliche Unterstützung perspektivisch überhaupt denkbar ist oder auf welche Weise diese erreicht werden könnte. Hier formulieren die Autoren zurecht weiteren Forschungsbedarf.“

Prof. Karsten Neuhoff, Ph.D.

Leiter der Abteilung Klimapolitik, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, und Professor für Energie und Klimapolitik am Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht, Technische Universität Berlin

Methodik

„Der Bericht beschreibt gut verständlich die Technologien, die aktuell für eine klimaneutrale Herstellung von Stahl, Zement und organischer Grundstoffchemie zur Verfügung stehen. Das sind nicht nur wichtige Beispiele, sondern die drei Grundstoffprozesse, die verantwortlich sind für den größten Anteil der weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen.“

„Der Bericht berührt am Rande auch die Frage von Materialeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Mit jeder Tonne eingespartem Material durch ein effizienteres Design und höherwertige Produktionsprozesse wird eine Tonne CO2 intensiver Primärproduktion eingespart. Ebenso kann Primärproduktion vermieden werden durch längere Nutzung von Produkten, durch die Wiederverwendung von Verpackung und durch hochwertige Recyclingprozesse. Damit lassen sich nicht nur CO2-Emissionen, sondern auch viel Energieverbrauch und negative Umweltwirkungen von Ressourcenabbau sowie Importabhängigkeiten vermeiden.“

„Diese Bedeutung wird auch im Bericht klar, wenn von der großen Konkurrenz zwischen den Sektoren um Zugang zu knapper Biomasse berichtet wird – die nicht nur als Grundstoff für die klimafreundliche Grundstoffchemie, sondern auch im Verkehrs-, Wärme- und Strombereich nachgefragt ist. Eine spannende Zahl in diesem Kontext: Die Roadmap Kreislaufwirtschaft für Deutschland der European Circular Economy Stakeholder Platform [2] antizipiert, dass Deutschland in den kommenden 20 bis 30 Jahren die primäre Grundstoffproduktion um 68 Prozent gegenüber 2018 reduzieren kann. Vor diesem Hintergrund sollten diese Einsparpotenziale und die Politiken zu deren Erschließung hoffentlich auch im nächsten Bericht erfasst werden.“

Transformation der Stahlerzeugung

„Weltweit werden Projekte für klimaneutrale Stahlproduktionsanlagen entwickelt und befinden sich in verschiedenen Stadien der Umsetzung, wie etwa im Green Steel Tracker [3] aufgezeigt wird. In der Tat sind jetzt Projekte in industrieller Größenordnung möglich und auch notwendig – sowohl zur weiteren Verbesserung und Kostenreduktion der Technologien als auch zur direkten Emissionsreduktion. Bestehende Anlagen bedürfen rund alle 15 Jahre umfassender Re-Investitionen – das ermöglicht prinzipiell eine Umstellung auf klimaneutrale Produktion bis 2040.“

„Die Umstellung auf klimaneutrale Primärproduktion betrifft vor allem die CO2-intensive erste Produktionsstufe und ermöglicht und unterstützt somit auch die weitere Entwicklung hochwertiger Stahle, die vor allem auch in Koordination mit den nachfolgenden Produktionsstufen erfolgt.“

„Darüber hinaus wird heute bereits rund ein Drittel der Stahlnachfrage durch recycelten Stahl bedient, meistens in Bereichen mit geringen Qualitätsanforderungen wie zum Beispiel Baustahl. Damit dieser Anteil schrittweise erhöht werden kann, müssen auch hochwertige Stahle aus Stahlschrott hergestellt werden. Das bedarf Verbesserung bei Trennung und Verarbeitung von Stahlschrott.“

Transformation der Zementherstellung

„Wie bei allen Grundstoffen ist die Einsparung von Emissionen im Zementbereich durch unterschiedliche Maßnahmen möglich. Erstens: effizienterer Materialeinsatz durch sorgfältige Planung und Qualitätskontrolle im Bau. Zweitens: Substitution mit anderen, weniger CO2-intensiven Materialien für die jeweiligen Anwendungsbereiche. Drittens: Reduktion des Klinkeranteils auf das für die jeweilige Anwendung notwendige Level. Viertens: Substitution von Klinker mit neuen Bindemitteln – insbesondere da viele aktuell verwendete Alternativen wie Stahlschlacke und Asche der Kohleverbrennung mittelfristig entfallen. Fünftens: CO2-Abscheidung bei der konventionellen Produktion von Zementklinker.“

„Der Bericht gibt ein gutes Bild über die Optionen drei bis fünf und zeigt dabei, dass bisher die finanziellen Anreize für die Umsetzung dieser Optionen unzureichend sind. Solange konventionelle Zementproduktion sehr billig ist und mit größtenteils kostenloser Zuteilung von Emissionszertifikaten im Europäischen Emissionshandel Wettbewerbsvorteile gegenüber Alternativen hat, werden alle fünf Minderungsoptionen nur sehr zögerlich angegangen.“

Ökonomische Auswirkungen

„Für mich sind die neuen Berechnungen zu den Produktionskosten mit klimaneutralen Grundstofftechnologien das wichtigste Ergebnis des Berichtes. Sie bestätigen, dass Mehrkosten der Umstellung auf klimaneutrale Grundstoffproduktion gering sind, wenn sie gemessen werden an den Preisen der Endprodukte wie Häusern oder Autos. Das ist auch plausibel. Selbst in Deutschland – einem Land mit großen Anteilen an Grundstoffproduktion – tragen diese Prozesse zu weniger als zwei Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung bei. Wenn klimaneutrale Produktionsprozesse Mehrkosten von bis zu 25 Prozent aufweisen, dann können diese nicht von den Grundstoffherstellern allein getragen werden. Wenn sie jedoch von der gesamten Volkswirtschaft getragen werden, dann sind die Herausforderung handhabbar. Drei Ansätze werden dazu aktuell verfolgt und im Bericht diskutiert.“

„Erstens: Im EU-Emissionshandel wird die konventionelle Produktion so teuer, dass die klimaneutralen Prozesse billiger sind. Dafür bedarf es allerdings entweder globaler CO2-Preise oder eines wirksamen CO2-Grenzausgleichsmechanismus. Aktuell werden Exporte und die Wertschöpfungskette nicht im Grenzausgleichsmechanismus erfasst, und es gibt bisher auch keine plausible Perspektive wie das passieren soll. Bis dahin ist zu erwarten, dass große Anteile von Emissionszertifikaten weiterhin kostenlos vergeben werden, um Mehrkosten im internationalen Wettbewerb zu vermeiden. Das schränkt aber auch die Anreize für klimaneutrale Optionen ein. Damit sind die im Folgenden diskutierten ergänzenden Maßnahmen notwendig, damit klimaneutrale Grundstofftechnologien wirklich – wie im Bericht abgeschätzt – kostengünstiger als konventionelle Prozesse sind.“

„Zweitens betont der Report die Rolle von grünen Leitmärkten. Wenn klimaneutral hergestellte Grundstoffe klar definiert werden, ist die Hoffnung, dass Endkund*innen bereit sind, dafür einen Aufpreis zu zahlen. Hierfür wurde vergangene Woche von Wirtschaftsminister Habeck ein Konzept vorgestellt [4]. Allerdings verbleiben Unsicherheiten zur Zahlungsbereitschaft, zur Abschwächung im internationalen Handel und damit letztendlich zur Belastbarkeit der möglichen Erlöse bei Investitionsentscheidungen. Nach meiner Einschätzung haben strategische Leitmärkte eine wichtige Rolle für die strategische Ausrichtung von Unternehmen, jedoch weniger für spezifische Investitionsentscheidungen.“

„Drittens betont der Report die Rolle von Klimaschutzverträgen. In Ausschreibungen werden dazu aktuell Projekte mit den geringsten Minderungskosten eines Sektors identifiziert. Diesen werden die von ihnen gebotenen effektiven CO2-Preise für Einsparungen gegenüber konventionellen Produktionsprozessen für 15 Jahre garantiert. Diese Absicherung soll es Unternehmen ermöglichen, sich auf die riskante Umstellung der Grundstoffproduktion auf klimaneutrale Prozesse einzulassen. Für die Ausschreibungen in diesem Jahr sind dafür in Deutschland – noch – ausreichend Mittel im Klima und Transformationsfond vorgemerkt. Die große Frage ist: Wird dafür auch noch in den nächsten Jahren genügend Geld in öffentlichen Haushalten zur Verfügung stehen – oder gilt es nicht die Finanzierung über Erlöse von Endkund*innen sicherzustellen? Eigentlich waren dafür Erlöse aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten im EU-Emissionshandel vorgesehen. Diese werden jedoch vorerst größtenteils kostenlos vergeben, um trotz eines unvollständigen Grenzausgleichs internationale Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Als pragmatische Lösung bietet sich hier ein Klimabeitrag auf Grundstoffe an. In dem Umfang, in dem Emissionszertifikate kostenlos an Grundstoffhersteller pro Tonne Produktion vergeben werden, wird ein Klimabeitrag auf das Produkt erhoben – sowohl bei heimischer Produktion als auch auf Importe. Solch ein Klimabeitrag auf das Produkt – und nicht die Produktion – kann kompatibel mit dem Handelsrecht beim Export erlassen werden. So würden europaweit rund 50 Milliarden Euro Einnahmen für die Finanzierung der Transformation zum Beispiel über Klimaschutzverträge zur Verfügung stehen. Endkund*innen würden dabei verursachergerecht und sozial verträglich belastet werden – überproportional stärker bei einkommensstarken Haushalten mit hohen Ausgabenanteilen zum Beispiel für Autos.“

Dr. Andrej Guminski

Geschäftsführender Direktor, FfE Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V.

Methodik

„In Deutschland gibt es eine Handvoll Institute und Beratungsfirmen, die State-of-the-Art Industriemodelle betreiben: Fraunhofer ISI (FORECAST), Wuppertal Institut (WISEE Modell), Prognos (Industriemodell), ewi (DIMENSION+) sowie die FfE (SmInd). Die Modelle unterscheiden sich in Ihrer Methodik und haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, sind letztlich jedoch alle aufgrund ihrer hochwertigen Datenbasis und den dahinterstehenden erfahrenen Modellierungsexpert:innen dazu geeignet industrielle Transformationspfade valide zu berechnen.“

„Im vorliegenden Bericht kommen die Modelle von Prognos und dem Wuppertal Institut zum Einsatz. Der Bericht profitiert also davon, dass zwei der namhaften Industriemodelle zum Einsatz kommen. Kritisch anzumerken ist, dass im Rahmen des Berichtes keine gesamtsystemische Modellierung durchgeführt wurde und folglich die Wechselwirkungen zwischen Industrietransformation und insbesondere der Energiewirtschaft nicht beziehungsweise nur über exogene Annahmen berücksichtigt werden konnten. Das bedeutet auch, dass etwaige Mehr- oder Minderkosten der Pfade rein aus Industriesicht und nicht aus Sicht des Gesamtsystems beurteilt werden konnten. Darüber hinaus wurde zwar auf Wertschöpfungseffekte verwiesen – zum Beispiel, dass der Maschinenbau vom Anlagenbau in der Grundstoffindustrie in Zukunft profitieren kann –, die Effekte wurden allerdings nicht quantifiziert. Beide Nachteile – fehlende gesamtsystemische Betrachtung und qualitative Wertschöpfungsanalyse – sind jedoch wahrscheinlich auf den begrenzten Auftrag und nicht auf Nachlässigkeiten der Gutachter zurückzuführen.“

„Der TAB-Bericht ist umfassend und betrachtet die in der Modellierung industrieller Transformationspfade gängigen Verminderungstechnologien für Treibhausgasemissionen und Wechselwirkungen innerhalb der Grundstoffindustrie. In allen Sektoren gibt es darüber hinaus weitere Technologieoptionen – zum Beispiel Eisenelektrolyse oder LEILAC-Verfahren (LEILAC: Low Emission Intensity Lime and Cement, Projekte, die sich mit der Entwicklung einer klimaneutralen Zementherstellung beschäftigen; Anm. d. Red.) in der Zementindustrie –, die jedoch aus verschiedenen Gründen für die betrachteten Transformationspfade ausgeschlossen werden. Es liegt am Zeitgeist der Industriemodellierung, dass aktuell vor allem Technologien in den Szenarien eingesetzt werden, die von Industrievertretern und Unternehmen als ‚wahrscheinlich‘ oder gar ‚in Planung befindlich‘ markiert werden. Am langen Ende wird sich die zum Zeitpunkt der Re-Investition wirtschaftlichste und verfügbare Technologie durchsetzen. Technologien wie zum Beispiel die Eisenelektrolyse könnten also durchaus eine Rolle spielen, sofern deren Entwicklung schneller voranschreitet als heute erwartet. Dies könnte das Bild noch einmal stark verändern.“

Transformation der Stahlerzeugung

„In Europa erreichen ungefähr 50 Prozent der Hochöfen bis 2030 das Ende ihrer Lebensdauer oder müssen grundlegend überholt werden. Die übrigen 50 Prozent folgen im Zeitraum 2030 bis 2040. Wie im Bericht angemerkt, stellt das Ende der Lebensdauer einer Anlage den günstigsten Zeitpunkt für Re-Investitionen in neue Kapazitäten dar. Um also den betriebswirtschaftlich optimalen Re-Investitionszeitpunkt zu nutzen, müssen ab heute alle zukünftigen Investitionen in potenziell klimaneutrale Stahlerzeugungskapazitäten fließen. In den Transformationspfaden im Bericht passiert das, da eine der Grundannahmen der Szenarien das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 ist. Aus heutiger Sicht schätze ich die Eintrittswahrscheinlichkeit für die Klimaneutralität 2045 sowie für das Beschreiten des optimalen Stahltransformationspfades – das heißt, die Technologien sind zum richtigen Zeitpunkt verfügbar und der anstehende Investitionszyklus wird genutzt – als sehr gering ein. Nichtsdestotrotz ist es sehr wichtig, an diesem ambitionierten Ziel so lange wie möglich festzuhalten, um den Handlungsdruck auf die Akteure hochzuhalten. Die Maßnahmen, die im Bericht aufgezeigt werden, sind richtig und wichtig – und zwar auch dann, wenn wir die Klimaneutralität erst einige Jahre später als anvisiert erreichen.“

Transformation der Zementherstellung

„Die Herstellung alternativer Bindemittel und auch klinkerarmer Zemente werden im Bericht behandelt. Auch Alternativen zum Bauen mit Zement – zum Beispiel Holzbau – sind eine Möglichkeit, um den Klinkerbedarf zu senken und somit den CO2-Ausstoß zu vermindern. Aus heutiger Sicht werden wir allerdings auch in Zukunft auf klassische Zementsorten mit relativ hohem Klinkeranteil angewiesen sein. CCS/CCU ist in der Zementindustrie unausweichlich. Um CO2 im großen Stil abzuscheiden, bedarf es zusätzlich zu der reinen Abscheidetechnologie die Möglichkeit zum Transport und anschließend zur Speicherung und/oder Nutzung des abgeschiedenen CO2. An großen CO2-Punktquellen wie den Zementwerken werden hierfür Pipelines benötigt, da die Transportkapazitäten anderer Optionen – zum Beispiel Bahn oder Schiff – unzureichend sind. Während die Abscheidung also voraussichtlich zeitnah auch im industriellen Maßstab zur Verfügung steht, so muss auch die entsprechende Infrastruktur bereitgestellt werden, um eine tiefe Treibhausgasverminderung in der Zementindustrie zu ermöglichen.“

Ökonomische Auswirkungen

„Die deutsche beziehungsweise europäische Grundstoffindustrie klimaneutral zu stellen, ist Grundvoraussetzung für das Erreichen der Klimaziele und daher eine Notwendigkeit. Den richtigen politischen Maßnahmenmix zu finden, damit dies unter Bewahrung der Wettbewerbsfähigkeit auch gelingen kann, ist eine große Herausforderung, der allerdings unter anderem mit Maßnahmen wie den Carbon Contracts for Difference (CCfDs) und dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) nachgekommen wird. Unternehmen, die heute bereits in grüne, disruptive Technologien investieren beziehungsweise diese selbst entwickeln, können Vorreiter werden – weltweite insbesondere in der Grundstoffindustrie. In Kombination mit einem verlässlichen Rahmen aus Politikinstrumenten, der diese Investitionen langfristig absichert, entstehen dadurch große Wertschöpfungspotenziale. Dies ist ein Anreiz, bereits in naher Zukunft in diese Technologien zu investieren.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Jürgen Sutter: „Ich arbeite nicht in Projekten, die im Auftrag oder in Zusammenarbeit mit Unternehmen der Stahlindustrie, der Zementindustrie oder mit einer der Organisationen, die den TAB- Bericht verfasst haben, durchgeführt werden.“

Dr. Thilo Schaefer: „Ich kenne einige der Autoren vom Wuppertal Institut und arbeite mit ihnen in anderen Projekten zusammen.“

Prof. Karsten Neuhoff: „Es bestehen keine Interessenkonflikte. Ich sollte jedoch erwähnen, dass meine Abteilung eine Zuwendung vom Bundeswirtschaftsministerium für die Analysen zur Entwicklung von Klimaschutzverträgen erhält und wir auch Teil des Konsortiums waren, das die Support Studie für die Generaldirektion Steuern und Zollunion (TAXUD) der Europäischen Kommission für den Gesetzesvorschlag zum Grenzausgleichsmechanismus geschrieben hat.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Caviezel C et al. (2024): Alternative Technologiepfade für die Emissionsreduktion in der Grundstoffindustrie. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Eine kürzere Zusammenfassung findet sich hier.

Weiterführende Recherchequellen

Global Energy Monitor: Global Steel Plant Tracker.
Übersichtskarte der Stahlwerke in Deutschland, die auch die im Bericht genannten 16 zeigen: 15 Hochöfen (blast furnaces, BF) an integrierten Standorten, ein Hochofen an einem nicht-integrierten Standort, an dem das Eisen also nicht vor Ort zu Stahl weiterverarbeitet wird.

Verein Deutscher Zementwerke: Zementindustrie in Deutschland.
Übersichtskarte der 54 Zementwerke in Deutschland.

Busch P et al. (2022): Literature review on policies to mitigate GHG emissions for cement and concrete. Resources, Conservation and Recycling. DOI: 10.1016/j.resconrec.2022.106278.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] EU (2014): Technology readiness levels (TRL). Horizon 2020 – Work Programme 2014-2015, General Annexes: G.

dazu: Science Media Center (2022): Technology Readiness Level. Fact Sheet. Stand: 18.02.2022.

[2] Europäische Union: Circular Economy Roadmap for Germany. European Circular Economy Stakeholder Platform.

[3] Leadership Group for Industry Transition: Green Steel Tracker. Version Mai 2024.

[4] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (22.05.2024): Habeck legt Konzept für grüne Leitmärkte vor. Pressemitteilung.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Umweltbundesamt (15.03.2024): Klimaemissionen sinken 2023 um 10,1 Prozent – größter Rückgang seit 1990. Pressemitteilung.
dazu: Science Media Center (2024): Treibhausgasemissionen in Deutschland für 2023 und Projektionsbericht 2030. Rapid Reaction. Stand: 15.03.2024.

[II] Science Media Center (2022): Carbon Leakage: Wie lässt sich die Abwanderung von Emissionen verhindern? Fact Sheet. Stand: 03.06.2022.