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11.01.2021

E-Zigaretten als Einstieg zum Zigarettenrauchen?

Wie ein süßer Sangria-Wein als Einstieg in den Alkoholkonsum könnten auch E-Zigaretten mit ihren süßen Geschmacksrichtungen die Gefahr bergen, als Einstiegsdroge für Zigaretten zu fungieren. Diese Bedenken wurden bereits bei der Zulassung von E-Zigaretten geäußert. In einer aktuellen Längsschnittstudie sind kalifornische Wissenschaftler der Fragen nachgegangen, inwiefern das Ausprobieren verschiedenster Tabakprodukte bei Jugendlichen dazu führt, langfristig zum Raucher zu werden. Befragte, die E-Zigaretten benutzten, hätten demnach ein dreifach erhöhtes Risiko später täglich Zigarette zu rauchen – der Anteil der späteren Raucher erhöhte sich bei ihnen von drei auf zehn Prozent der Befragten. Dass E-Zigaretten jedoch die Ursache für das spätere Rauchen sind, kann die Studie nicht belegen. Ihre Ergebnisse publizierten sie am 11.01.2021 im Fachjournal „Pediatrics" (siehe Primärquelle).

In ihrer Studie werteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Daten einer jährlichen bevölkerungsweiten repräsentativen Umfrage in den USA zu Tabak und Gesundheit bei 12- bis 24-Jährigen aus. Dabei berücksichtigten sie die Daten aus vier Jahren. Im Vergleich zu denjenigen, die nur ein Tabakprodukt ausprobierten, war das Risiko, später täglich Zigaretten zu rauchen, bei denjenigen, die mindestens fünf Produkte ausprobierten, um 15 Prozentpunkte höher. Insbesondere der Konsum von E-Zigaretten erhöhte das Risiko, später täglich Zigaretten zu rauchen.

Da E-Zigaretten erst seit etwas mehr als zehn Jahren kommerziell erhältlich sind, wird über ihren Nutzen und ihr Risiko weiterhin diskutiert. Auf der einen Seite besitzen sie das Potenzial, Rauchern dabei zu helfen, von der Zigarette loszukommen [I]. Auf der anderen Seite wird befürchtet, dass einige Menschen E-Zigaretten aufgrund der vielen Geschmacksrichtungen attraktiver finden als Zigaretten und somit über die E-Zigaretten erst nikotinabhängig werden könnten.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Ute Mons, Leiterin der Arbeitsgruppe Kardiovaskuläre Epidemiologie des Alterns, Klinik III für innere Medizin, Uniklinik Köln
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  • Prof. Dr. Daniel Kotz, Professor für Suchtforschung und klinische Epidemiologie, Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
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  • Prof. Dr. Heino Stöver, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung Frankfurt (ISFF), Frankfurt University of Applied Sciences
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  • Prof. Dr. Reiner Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord gGmbH), Kiel
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Statements

Prof. Dr. Ute Mons

Leiterin der Arbeitsgruppe Kardiovaskuläre Epidemiologie des Alterns, Klinik III für innere Medizin, Uniklinik Köln

„Die PATH-Studie ist eine große etablierte Längsschnittstudie aus den USA, die vielfach für Auswertungen zum Substanzkonsum bei Jugendlichen ausgewertet wird. Bei der vorliegenden Veröffentlichung wurde die PATH-Studie genutzt, um den Einfluss des Konsums von E-Zigaretten und verschiedenen Tabakprodukten auf den Einstieg in den täglichen Zigarettenkonsum bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (12 bis 24 Jahre) über einen Zeitraum von vier Jahren zu untersuchen. Zentrales Ergebnis ist, dass die Verwendung von E-Zigaretten und anderen Tabakprodukten in der Stichprobe das Risiko erhöhte, später täglich Zigaretten zu rauchen. Erstaunlich ist, dass die Autoren und Autorinnen bei ihren Analysen kaum versucht haben, statistisch für verschiedene Störfaktoren zu kontrollieren, die generell mit dem Substanzkonsum zusammenhängen. Die statistische Kontrolle von sozialen Faktoren (Bildungsgrad, sozialer Status des Elternhauses) und idealerweise auch psychologischen Faktoren (zum Beispiel das Stimulationsbedürfnis, auch ‚Sensation Seeking‘ genannt) ist in diesem Bereich eigentlich Standard.“

„Da für mögliche Störfaktoren nicht statistisch kontrolliert wurde, ist eine kausale Interpretation, wie sie bei den Autoren zwischen den Zeilen durchklingt, nicht gerechtfertigt. Auch wenn der E-Zigarettenkonsum den Daten zufolge das Risiko eines Einstiegs ins tägliche Rauchen von drei Prozent auf zehn Prozent etwa verdreifachte, bleibt nämlich unklar, ob der E-Zigarettenkonsum hierfür ursächlich ist (die sogenannte Gateway-Hypothese), oder ob nicht vielmehr soziale oder psychologische Faktoren, die sowohl den Konsum von E-Zigaretten als auch den Konsum von Zigaretten begünstigen, diesen Zusammenhang erklären können (die sogenannte Common Liability-Hypothese). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Beobachtungszeitraum der Studie von 2013 bis 2017 lief, der Verkauf von E-Zigaretten an Jugendliche in den USA aber erst 2016 verboten wurde. E-Zigaretten waren also lange Zeit für Jugendliche schlicht leichter verfügbar als herkömmliche Zigaretten.“

„Auf Deutschland sind die Daten nur begrenzt übertragbar, da E-Zigaretten in Deutschland deutlich strenger reguliert sind als in den USA. So gibt es in der gesamten EU beispielsweise eine Obergrenze für Nikotin in E-Zigaretten, die das Suchtpotential der Produkte begrenzt. Bislang gibt es auf Basis deutscher Konsumdaten auch keine Hinweise darauf, dass E-Zigaretten zu einer Zunahme des Zigarettenkonsums geführt haben könnten: Der Zigarettenkonsum unter Jugendlichen ist seit vielen Jahren rückläufig und zuletzt auf rund sechs Prozent im Jahr 2019 gesunken, während der E-Zigarettenkonsum relativ konstant bei unter vier Prozent liegt [1].“

„Nichtsdestotrotz untermauert die Studie die Bedeutung eines effektiven Jugendschutzes in der Tabakprävention. Angesichts des Suchtpotentials des Nikotins gehören E-Zigaretten genauso wenig in die Hände Jugendlicher wie herkömmliche Zigaretten. Die gemäß Jugendschutzgesetz bestehenden Verkaufsverbote an Jugendliche sind ein wichtiger Baustein der Tabakprävention, aber müssen auch entsprechend durchgesetzt werden. Zudem ist die Politik in der Verantwortung sicherzustellen, dass solche Produkte nicht an Jugendliche vermarktet werden.“

Prof. Dr. Daniel Kotz

Professor für Suchtforschung und klinische Epidemiologie, Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf

„Die Studie zeigt – wenig überraschend – dass Jugendliche und junge Erwachsene häufiger zu täglichen Tabakraucher:innen werden, wenn sie verschiedene Tabakprodukte oder alternative Tabakprodukte ausprobieren. Dieses Risiko steigt mit zunehmender Zahl an Produkten, die ausprobiert werden (wie Zigarette, Wasserpfeife, Zigarillo, Zigarre, rauchfreier Tabak oder E-Zigarette).“

„Diese Studie gibt keinen Aufschluss darüber, ob Jugendliche und junge Erwachsene durch den Konsum von E-Zigaretten zu täglichen Tabakraucher:innen werden, was sie sonst nicht geworden wären (sogenannte Gateway-Theorie).“

„Es gibt insgesamt keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege dafür, dass E-Zigaretten für Jugendliche und junge Erwachsene ein Einstieg in den Tabakkonsum sind. Wahrscheinlicher ist, dass eine persönliche Grundneigung gegenüber Nikotinprodukten und das soziale Umfeld den Konsum von E-Zigaretten oder Tabak unabhängig voneinander beeinflussen (sogenannte Common Liability-Theorie) [2].“

„Internationale Studien zeigen, dass Tabakrauchen unter Jugendlichen rückläufig ist, auch in Ländern, in denen der Konsum von E-Zigaretten zugenommen hat [2]. Dies widerspricht der sogenannten Gateway-Theorie.“

„Der Konsum von E-Zigaretten in Deutschland befindet sich seit Jahren auf einem relativ konstant niedrigen Niveau, bei gleichzeitig rückläufigem Konsum von Tabak [3][4]. Laut Daten der DEBRA-Studie konsumieren aktuell nur etwa zwei Prozent der 14- bis 28-Jährigen E-Zigaretten, und sie benutzen diese auch nur an zwei bis zehn Tagen im Monat [5].“

„E-Zigaretten sind in Europa auch wesentlich strenger reguliert als in den USA, wo die Studie durchgeführt wurde.“

Prof. Dr. Heino Stöver

Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung Frankfurt (ISFF), Frankfurt University of Applied Sciences

„Die Studie ist nicht geeignet, valide Aussagen zur E-Zigarette zu treffen. Hauptschwachpunkt der Studie ist, dass sie die Motive für das Rauchen nicht berücksichtigt. Nach dem heutigen Stand der Forschung besteht kein nennenswerter kausaler Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von E-Zigaretten und späterem Rauchen. Die Forschungslage deutet in die Gegenrichtung: Der Gebrauch von E-Zigaretten kommt bei der Mehrheit der Jugendlichen über ein Experimentieren oder einen gelegentlichen Gebrauch nicht hinaus. Es bedarf zukünftig eines Forschungsdesigns, das nicht nur Korrelation, sondern wirkliche Kausalität untersucht. Das ist bisher leider immer noch nicht der Fall. Auch nicht bei dieser Studie. Durch solche Unzulänglichkeiten wird die große und positive Rolle der E-Zigarette bei der Rauchentwöhnung unterbewertet. Mit 95 Prozent weniger Schadstoffen als bei herkömmlichen Zigaretten eignen sie sich gut für Raucher, die von ihrer Sucht loskommen und ihr Risiko minimieren wollen. Dieser ‚Harm Reduction‘-Ansatz hilft den Rauchern sehr konkret. Aus meiner Sicht haben sich die bestehenden gesetzlichen Regelungen des Jugendschutzes bewährt. Viel wichtiger ist es, sicherzustellen, dass Werbung eine aufklärende Rolle einnehmen und auf die verminderten Risiken hinweisen kann.“

Prof. Dr. Reiner Hanewinkel

Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord gGmbH), Kiel

„Die vorliegende Studie ist eine epidemiologische Studie, die Personen über einen Zeitraum von vier Jahren begleitet hat. Die Untersuchung weist eine Reihe von Stärken auf, darunter der sehr lange Beobachtungszeitraum sowie die große, repräsentative Stichprobe von fast 16.000 US-amerikanischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Studie untersucht die Gateway-Hypothese, die postuliert, dass vorheriger E-Zigarettenkonsum ein Risikofaktor für den späteren Beginn des Rauchens sein kann. Die Gateway-Hypothese wurde intensiv untersucht. Eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit fasst die Befunde von 17 Studien mit über 57.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen und kommt zu dem Ergebnis, dass vorheriger E-Zigarettenkonsum das spätere Experimentieren mit dem Rauchen um das Dreifache erhöhen kann [6].“

„Die nun vorgelegte amerikanische Untersuchung bestätigt diese Ergebnisse eindrucksvoll, indem sie aufzeigt, dass vorheriger E-Zigarettenkonsum nicht nur das spätere Experimentieren mit konventionellen Zigaretten vorhersagt, sondern auch das Risiko des späteren täglichen Zigarettenrauchens verdreifacht. Tägliches Rauchen ist ein Indikator für die Tabakabhängigkeit und daher gesundheitlich besonders bedenklich.“

„Die Untersuchungsbefunde sind höchst plausibel. Folgende Mechanismen können dafür ins Feld geführt werden, dass vorheriger E-Zigarettenkonsum späteren Zigarettenkonsum begünstigt: Erstens, die Sucht: Sowohl E-Zigaretten als auch konventionelle Zigaretten enthalten Nikotin, das schnell zu einer körperlichen und psychischen Abhängigkeit führen kann. Zweitens, die Erfahrung: Habituelle und rituelle Vorgänge des Rauchens sind bei E-Zigaretten und Zigaretten nahezu identisch. Der/die Konsument/in hält sowohl die E-Zigarette als auch die Zigarette in der Hand, führt sie zum Mund und inhaliert den Rauch. Drittens, die Zugänglichkeit: E-Zigaretten und Zigaretten werden über identische Verkaufsstätten vertrieben.“

„Zwei Studien sind bislang zur Gateway-Hypothese in Deutschland durchgeführt worden. Insgesamt 4.574 Jugendliche, die noch nie in ihrem Leben eine konventionelle Zigarette geraucht hatten, wurden über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren begleitet [7][8]. Es zeigte sich auch in diesen Studien, dass der vorherige E-Zigarettenkonsum das Risiko des späteren Experimentierens mit konventionellen Zigaretten um das Zweifache erhöhen kann. Somit stützen auch die Ergebnisse mit Jugendlichen aus Deutschland die Gateway-Hypothese. Die deutschen Studien legen zudem die Schlussfolgerung nahe, dass insbesondere Jugendliche mit einem niedrigen Risikoprofil für das spätere Rauchen – das sind Jugendliche, die durch eine geringe generelle Risikobereitschaft gekennzeichnet sind (geringes ‚Sensation Seeking‘) – häufig mit dem Rauchen beginnen, wenn sie vorher E-Zigaretten probiert hatten.“

„Studien aus Deutschland belegen, dass E-Zigaretten-Werbung nicht nur von Kindern und Jugendlichen wahrgenommen wird, sondern dass Kontakt mit der Werbung einen Risikofaktor für das spätere Rauchen von E-Zigaretten und auch Zigaretten darstellt: Intensiver Kontakt mit der E-Zigaretten-Reklame verdoppelt das Risiko des späteren Rauchens [9][10]. Auch aus diesem Grund sollte sämtliche Werbung für E-Zigaretten aber auch Tabakerhitzer so schnell wie möglich eingestellt werden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Ute Mons: „Ich erkläre hiermit, dass keine Interessenkonflikte bestehen.“

Prof. Dr. Daniel Kotz: „Keine.“

Prof. Dr. Heino Stöver: „Keine.“

Prof. Dr. Reiner Hanewinkel: „Keine.“

Primärquelle

Pierce JP et al. (2021): Use of E-cigarettes and Other Tobacco Products and Progression to Daily Cigarette Smoking. Pediatrics; 147 (2): e2020025122. DOI: 10.1542/peds.2020-025122.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2020): Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019.

[2] Etter JF (2017): Gateway effects and electronic cigarettes. Addiction; 113 (10): 1776-1783. DOI: 10.1111/add.13924.

[3] Kotz D et al. (2018): E-Zigaretten und Tabakerhitzer: repräsentative Daten zu Konsumverhalten und assoziierten Faktoren in der deutschen Bevölkerung (die DEBRA-Studie). Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz; 61 (11): 1407-1414. DOI: 10.1007/s00103-018-2827-7.

[4] Zeiher J et al. (2018): Rauchverhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health Monitoring. DOI: 10.17886/RKI-GBE-2018-008.

[5] Debra Studie: Deutsche Befragung zum Rauchverhalten.

[6] Khouja JN et al. (2021): Is e-cigarette use in non-smoking young adults associated with later smoking? A systematic review and meta-analysis. Tob Control; 30: 8-15. DOI: 10.1136/tobaccocontrol-2019-055433.

[7] Morgenstern M et al. (2018): E-Cigarettes and the Use of Conventional Cigarettes. Dtsch Arztebl Int; 115: 243-48. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0243

[8] Hansen J et al. (2020): E-Zigarettenkonsum und späterer Konsum konventioneller Zigaretten. Pneumologie; 74: 39-45. DOI: 10.1055/a-1041-9970.

[9] Hansen J et al. (2020): Electronic cigarette advertising and teen smoking initiation. Addict Behav; 103: 106243. DOI: 10.1016/j.addbeh.2019.106243.

[10] Hansen J et al. (2018): Electronic cigarette marketing and smoking behaviour in adolescence: a cross-sectional study. ERJ Open Res; 4: 00155-2018. DOI: 10.1183/23120541.00155-2018.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2019): E-Zigaretten als Entwöhnungsmittel für Raucher? Research in Context. Stand: 30.01.2019.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center (2020): Wie sollen E-Zigaretten künftig reguliert werden? Press Briefing. Stand: 21.01.2020.

Werse B et al. (2020): E-Zigaretten als Einstiegsdroge ins Rauchen? Update zur Diskussion um die „Gateway-Hypothese“; in: Stöver H (Hg.): E-Zigaretten, Tabakerhitzer – was wir wissen müssen. Frankfurt/ M., S. 116-130. Online verfügbare Vorabfassung im 7. Alternativen Drogen- und Suchtbericht (2020), S. 192-197.