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18.07.2018

Abschwächung des Golfstroms führt möglicherweise zu Erwärmung statt zu Abkühlung

Wenn der Golfstrom schwächer wird, könnte es weltweit wärmer werden. Die Autoren einer am 18.07.2018 veröffentlichten Studie untersuchten die sogenannte atlantische meridionale Umwälzströmung AMOC und kommen zum Ergebnis: schwächt sich die AMOC und mit ihr der Golfstrom ab, kommt es in Zukunft zu einem starken Anstieg der globalen Oberflächentemperatur. Die Ergebnisse sind im Fachjournal Nature publiziert (siehe Primärquelle). Die Autoren argumentieren, dass die AMOC in den vergangenen Jahrzehnten den durch CO2-Emissionen verursachten globalen Temperaturanstieg abgepuffert hat, indem viel zusätzliche Wärme in größere Tiefen des Ozeans abtransportiert wurden. Mit einer Abschwächung dieser Zirkulation würde auch weniger Wärme im Ozean gespeichert, was dann wiederum zu einem stärkeren Anstieg der globalen Oberflächentemperaturen führen soll. Sie widersprechen damit anderen Forschungsarbeiten fundamental, die bei einer Abschwächung der AMOC eine deutliche Abkühlung für Europa und Nordamerika prognostizieren.

 

Übersicht

  • Dr. Johann Jungclaus, Forschungsgruppenleiter, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
  • Prof. Dr. Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR)
  • Prof. Dr. Stefan Rahmstorf, Professor im Fach Physik der Ozeane, Leiter des Forschungsbereiches Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Statements

Dr. Johann Jungclaus

Forschungsgruppenleiter, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg

„Die Autoren verwenden vornehmlich Beobachtungsdaten, die zum großen Teil aus dem ARGO Programm stammen – also von autonomen Messbojen, die seit Anfang der 2000er-Jahre zu Tausenden im Weltozean unterwegs sind – und verbinden sie mit Abschätzungen der meridionalen Umwälzzirkulation im Atlantik (AMOC) (früher auch ‚thermohaline Zirkulation“, ozeanische Energieausgleichsströmung, angetrieben durch Unterschiede in Wassertemperatur, Salzgehalt und Winde, der Golfstrom ist Teil dieser Zirkulation; Anm. d. Red.), die ebenfalls aus – allerdings zum Teil indirekten – Beobachtungen kommen. Im Gegensatz dazu stammen viele frühere Abschätzungen und Schlussfolgerungen aus Klimamodellen.“

„Darin liegt auch der Vorteil dieser Studie: da die Autoren vornehmlich Beobachtungsdaten verwenden, enthält sie keine Modellfehler oder ist abhängig von unzureichender Modellauflösung.“

„Der Nachteil dieser Studie: Die Autoren beschreiben viele Koinzidenzen und stellen kausale Zusammenhänge her, ohne diese wirklich nachweisen zu können. Sie gehen davon aus, dass sämtliche Temperaturveränderungen im Nordatlantik und ein Großteil des globalen ozeanischen Wärmebudgets auf AMOC-Variationen zurückgehen. Sie vernachlässigen zum Beispiel horizontale Umverteilungen, beispielsweise durch den großskaligen Subpolarwirbel [1].“

Auf die Frage, ob die Argumentation der Autoren nachvollziehbar ist, dass die Abschwächung der AMOC zu massiver globaler Erwärmung führen würde, was den bisherigen Schlussfolgerungen entgegensteht:
„Die Argumentation wäre nachvollziehbar, wenn tatsächlich die AMOC hauptsächlich dafür verantwortlich wäre, mehr oder weniger Wärme im Ozean zu ‚verstecken’. Der Nachweis scheint mir nicht gegeben. Wie Hedemann et al. [2] dokumentieren, erheben verschiedene Studien den Anspruch, die ‚Wärmesenke’, die für die ‚Nicht-Erwärmung’ – den Global Warming Hiatus – im frühen 21. Jahrhundert sorgte, in verschiedenen Ozeanbecken gefunden zu haben. Das Wärmebudget ist aber so subtil, dass Messungenauigkeiten eine eindeutige Zuordnung auf eine Region oder ozeanische bzw. atmosphärische Ursache ausschließen.“

„Außerdem kommen andere, ebenfalls auf Beobachtungsdaten basierende Studien zu dem Schluss, dass die Abkühlung im sub-polaren Nordatlantik in den letzten Jahrzehnten sehr wohl ein Zeichen einer sich abschwächenden AMOC ist [3]. Zukunftsszenarien mit Modellen schreiben diesen Trend weiter fort [4]. Ein kühlerer Nordatlantik würde auch auf Nordwest-Europa ausstrahlen und zu weniger regionaler Erwärmung führen.“

Auf die Frage, ob die Betrachtung von Meerestiefen bis 1.500 Meter in der Studie ausreichend ist, um die wesentlichen AMOC-Prozesse zu erfassen:
„Sicherlich ist das ein weiterer kritischer Punkt der Analyse. Auch hier haben Hedemann et al. [2] gezeigt, dass man eher bis 4.000 Meter Tiefe gehen muss. Die ARGO-Daten sind natürlich auf die oberen 1.500 bis 2.000 Meter beschränkt, aber die Autoren hätten diese Unsicherheit besser abschätzen müssen.“

Auf die Frage, inwiefern die Aussage der Autoren nachvollziehbar ist, dass Veränderungen der nordatlantischen Zirkulation AMOC seit Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem durch natürliche Variabilität und weniger durch anthropogene Einflüsse zu erklären sind:
„Ein lang-anhaltender Trend, etwa auf Grund der globalen Erwärmung, wäre wahrscheinlich in den Beobachtungen über ein paar Jahrzehnte nicht zu entdecken, da die natürliche Variabilität in der Tat erheblich ist. Außerdem könnten Schwankungen bei den externen Treibern – zum Beispiel anthropogene Aerosolemissionen [5] oder Vulkaneruptionen –ebenfalls einen Einfluss auf die AMOC gehabt haben. Wie oben erwähnt, weisen einige Studien darauf hin, dass die Temperaturentwicklung im sub-polaren Nordatlantik über die letzten 150 Jahre ein Anzeichen einer schon stattfindende AMOC-Abschwächung ist [3][6].“

Prof. Dr. Mojib Latif

Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR)

„Für mich ist die Methodik der Studie fragwürdig. Wir kennen schlicht die Entwicklung der AMOC (atlantische meridionale Umwälzzirkulation; der Golfstrom ist ein Teil der AMOC; Anm. d. Red.) während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht, und wir wissen auch nicht, wie sich die AMOC in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird. Die Autoren schätzen die Entwicklung anhand einiger Indizes ab, die von der AMOC beeinflusst werden. So einfach ist das allerdings nicht. Die der AMOC-Variabilität zugrundeliegenden Mechanismen und die Auswirkungen von AMOC-Schwankungen sind immer noch ziemlich umstritten. Der Grund liegt hauptsächlich darin, dass es direkte Messungen der AMOC erst seit 2004 gibt. Außerdem zeigen Klimamodelle sehr unterschiedliche Mechanismen für die natürliche AMOC-Variabilität.“

„Die These, die die Autoren formulieren, ist aber trotzdem interessant, weil provokant.“

Auf die Frage, ob die Argumentation der Autoren nachvollziehbar ist, dass die Abschwächung der AMOC zu massiver globaler Erwärmung führen würde, was den bisherigen Schlussfolgerungen entgegensteht:
„Die Arbeit formuliert in der Tat eine neue Hypothese für die möglichen Auswirkungen einer in der Zukunft schwächer werdenden AMOC. Der Mechanismus an sich ist allerdings nicht neu, sondern wurde auch schon in anderen Arbeiten vorgeschlagen, insbesondere um den ‚Global Warming Hiatus’, die 15 Jahre dauernde Pause in der Erderwärmung von 1999 bis 2013, zu erklären.“

„Die überwiegende Zahl der Klimamodelle stützt die These einer beschleunigten Erderwärmung nicht, falls sich die AMOC in der Zukunft abschwächen sollte. In Szenarien-Rechnungen mit weiter steigenden atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen, in denen sich die AMOC deutlich abschwächt, simulieren die Modelle im Allgemeinen ein Erwärmungsloch im Nordatlantik, weil der nordwärts gerichtete Wärmetransport abnimmt. Das Erwärmungsloch dämpft auch noch die Erwärmung über Teilen Europas.“

Auf die Frage, ob die Betrachtung von Meerestiefen bis 1.500 Meter in der Studie ausreichend ist, um die wesentlichen AMOC-Prozesse zu erfassen:
„Das reicht nicht. Die AMOC umfasst auch noch größere Meerestiefen. Es sind aber kaum Daten aus den tieferen Meeresschichten verfügbar. Insgesamt spielt der tiefe Ozean eine wichtige Rolle für die globale Wärmeaufnahme. Gerade der Südliche Ozean nimmt im Moment unterhalb von 2.000 Metern sehr viel Wärme auf, was anhand der wenigen Messungen aber gut belegt ist.“

Auf die Frage, inwiefern die Aussage der Autoren nachvollziehbar ist, dass Veränderungen der nordatlantischen Zirkulation AMOC seit Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem durch natürliche Variabilität und weniger durch anthropogene Einflüsse zu erklären sind:
„Die Autoren schätzen die Entwicklung der AMOC anhand einiger Indizes ab, mit denen diese Entwicklung aber nur schwer zu rekonstruieren ist. Wir kennen die Entwicklung der AMOC während der letzten Jahrzehnte einfach nicht und müssen uns mit Hilfsgrößen (Proxys) begnügen, wie etwa die Meeresoberflächentemperatur oder dem Meeresspiegel. Die Beziehungen zwischen den Proxys und der AMOC sind nicht sehr gut etabliert. Insofern halte ich sowohl die Behauptung, dass man bereits eine anthropogene Abschwächung der AMOC nachweisen kann, die auch jüngst in Nature publiziert wurde [3], als auch die These der aktuellen Studie von Chen et al. für nicht belegbar.“

„Insgesamt halte ich die aktuelle Studie von Chen et al. für provokativ, aber auch für sehr spekulativ.“

Prof. Dr. Stefan Rahmstorf

Professor im Fach Physik der Ozeane, Leiter des Forschungsbereiches Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

„Die Tiefenwasserbildung – sowohl im Nordatlantik als Teil der AMOC (atlantische meridionale Umwälzzirkulation, früher auch ‚thermohaline Zirkulation‘, ozeanische Energieausgleichsströmung, angetrieben durch Unterschiede in Wassertemperatur, Salzgehalt und Winde, der Golfstrom ist Teil dieser Zirkulation; Anm. d. Red.) als auch in der Antarktis-Region – sind die Ursache dafür, dass der tiefe Ozean kalt ist, denn er wird ständig mit Nachschub von kaltem Wasser polaren Ursprungs versorgt. Ohne diese Wasserumwälzung würde sich die Tiefsee allmählich durch Diffusion von Wärme auf das Temperaturniveau der Meeresoberfläche aufheizen. Natürliche Schwankungen der AMOC können daher auch Schwankungen in der mittleren globalen Temperatur in einer Größe von bis zu 0,1 °C verursachen [7] – dabei bedeutet eine stärkere AMOC eine etwas höhere globale Temperatur.“

„Die neue Studie behauptet das Gegenteil – eine schwächere AMOC führt demzufolge angeblich zu höherer globaler Temperatur. Sie bietet aber nur sehr schwache Evidenz für diese These. Die Evidenz beschränkt sich auf den visuellen Vergleich von drei Phasen unterschiedlich rascher globaler Erwärmung, ohne eine statistische Signifikanzuntersuchung und ohne etablierte andere Erklärungen für diese Phasen zu berücksichtigen oder auch nur zu diskutieren.“

„Alle weiteren Datenauswertungen der Studie, zum Beispiel die gezeigten räumlichen Muster von Erwärmung und Abkühlung, sind schon länger bekannt und völlig konsistent mit der etablierten Sicht der AMOC-Schwankungen. Sie stützen nicht die alternative Hypothese von Chen et al.“

Auf die Frage, ob die Argumentation der Autoren nachvollziehbar ist, dass die Abschwächung der AMOC zu massiver globaler Erwärmung führen würde, was den bisherigen Schlussfolgerungen entgegensteht:
„Diese These ist nicht nachvollziehbar. Als Mechanismus behaupten die Autoren, die Konvektion würde in Zeiten einer starken AMOC Wärme nach unten in tiefere Wasserschichten bringen, weshalb die Oberfläche sich dann weniger erwärme. Die Konvektion im subpolaren Atlantik ist jedoch dadurch getrieben, dass das Oberflächenwasser in kalten Wintertagen kälter als das Tiefenwasser wird, und daher eine tiefe Vermischung einsetzt – trotz der stabilen Salzgehaltsschichtung; frischeres Wasser liegt in den Konvektionsgebieten in der zentralen Labradorsee über salzhaltigerem Wasser. Die Konvektion transportiert stets Wärme nach oben, nicht nach unten.“

„Selbst, wenn der Mechanismus grundsätzlich stimmen würde: die Autoren machen eine Prognose für die kommenden zwei Jahrzehnte, die auf reiner Spekulation beruht. Da eine frühere Phase schwacher AMOC zwei Jahrzehnte gedauert habe, werde das die nächste wohl ebenfalls tun.“

„Die globale Erwärmung wird weitergehen, bis wir den Ausstoß von Treibhausgasen eingestellt haben – aber sie wird nicht durch eine Abschwächung der AMOC verstärkt.“

Auf die Frage, inwiefern die Aussage der Autoren nachvollziehbar ist, dass Veränderungen der nordatlantischen Zirkulation AMOC seit Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem durch natürliche Variabilität und weniger durch anthropogene Einflüsse zu erklären sind:
„Modellsimulationen lassen eine Überlagerung von natürlichen Schwankungen der AMOC zwischen den Jahrzehnten sowie einen allmählichen klimatischen Abschwächungstrend der AMOC infolge der globalen Erwärmung erwarten. Beobachtungsdaten zeigen dies auch für die Entwicklung seit Beginn des 20. Jahrhunderts [3][8][9]. Die neue Studie befasst sich gar nicht mit dem klimatischen Langzeittrend und seinen möglichen Ursachen und kann daher dazu auch keine neuen Erkenntnisse beitragen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Chen X et al. (2018): Global surface warming enhanced by weak Atlantic overturning circulation. Nature. DOI: 10.1038/s41586-018-0320-y.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Marshall J et al.(2015): The ocean's role in the transient response of climate to abrupt greenhouse gas forcing. Clim Dynam 44, 2287-2299, doi:10.1007/s00382-014-2308-0 (2015).

[2] Hedemann C. et al. (2017): The subtle origins of surface-warming hiatuses. Nat Clim Change 7, 336-339, doi:10.1038/Nclimate3274 (2017)

[3] Caesar L. et al. (2018): Observed fingerprint of a weakening Atlantic Ocean overturning circulation. Nature 556, 191-196, doi:10.1038/s41586-018-0006-5

[4] Nummelin A. (2017): Connecting ocean heat transport changes from the midlatitudes to the Arctic Ocean. Geophys Res Lett 44, 1899-1908, doi:10.1002/2016gl071333

[5] Boot, B. B. B. (2012): Aerosols implicated as a prime driver of twentieth-century North Atlantic climate variability. Nature 485, 534-534, doi:10.1038/nature11138

[6] Thornalley D. J. R. et al. (2018): Anomalously weak Labrador Sea convection and Atlantic overturning during the past 150 years. Nature 556, 227-330, doi:10.1038/s41586-018-0007-4

[7] Knight JR et al. (2005): A signature of persistent natural thermohaline circulation cycles in observed climate. Geophysical Research Letters. Vol 32 (20). DOI: 10.1029/2005GL024233.

[8] Rahmstorf S et al (2015): Exceptional twentieth-century slowdown in Atlantic Ocean overturning circulation. Nature Climate Change 5, 475-480. DOI:10.1038/nclimate2554.

[9] Rahmstorf S (2018): If you doubt that the AMOC has weakend, read this. Blog-Eintrag auf RealClimate