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25.08.2023

Abnehmmedikament Semaglutid hilft bei Herzleiden

     

  • Semaglutid hilft laut Studie gegen adipositasbedingte Herzinsuffizienz
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  • bisher keine konkrete Therapie zugelassen
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  • noch mangelt es aber an Langzeitdaten, Erstattung durch die Krankenkassen fraglich
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Bisher gibt es keine zugelassene Therapie gegen eine adipositasbedingte Herzinsuffizienz, bei der das Herz zwar normal pumpt, aber zu steif ist, um sich richtig zu füllen – im Fachjargon Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) genannt. Ein vielversprechendes Medikament könnte einer Studie im renommierten „The New England Journal of Medicine“ zufolge nun allerdings Semaglutid sein. Die Studie ist begleitend zum europäischen Kardiologen-Kongress in Amsterdam erschienen (siehe Primärquelle). Eigentlich als Diabetes-Arznei entwickelt, ist Semaglutid mittlerweile auch zur Gewichtsreduktion bei Fettleibigkeit (Adipositas) zugelassen.

Epidemiologische Daten deuten darauf hin, dass die Mehrheit der HFpEF-Patienten fettleibig ist, und es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass Fettgewebe eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung, dem Fortschreiten und den negativen Folgen von HFpEF spielen kann [I].

Im Zuge der Studie erhielten 529 Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener Ejektionsfraktion sowie einem Body-Mass-Index von 30 oder höher über einen Zeitraum von 52 Wochen entweder einmal wöchentlich 2,4 Milligramm Semaglutid oder ein Placebo. Anhand verschiedener Gesundheitswerte untersuchten die Forschenden den Nutzen von Semaglutid. So hielten sie etwa Veränderungen des Körpergewichts fest und bestimmten den sogenannten KCCQ-CSS-Score, der die Lebensqualität bei Herzinsuffizienz mithilfe eines Fragebogens misst. Zudem sollten die Studienteilnehmenden sechs Minuten lang gehen. Die in dieser Zeit zurückgelegte Strecke wurde vor und nach der Behandlung festgehalten. Auch das Blut wurde auf Entzündungsmarker hin untersucht.

Im Vergleich zum Placebo schnitt Semaglutid bei all diesen Werten besser ab: Der KCCQ-CSS-Score lag durchschnittlich um 7,8 Punkte höher, das Körpergewicht war 10,7 Prozentpunkte niedriger, die Sechs-Minuten-Geh-Distanz um 20,3 Meter länger und die Entzündungswerte sanken bei Semaglutid um 43,5 Prozent, während sie beim Placebo nur um 7,3 Prozent zurückgingen. In der Semaglutid-Gruppe kam es auch seltener zu „schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen“.

Das SMC hat forschende Kliniker dazu befragt, inwieweit Semaglutid eine Bereicherung für die Kardiologie sein könnte, ob das Mittel womöglich auch konkret gegen Herzinsuffizienz hilft und wo noch mögliche Hürden liegen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Stefan Störk, Oberarzt der Medizinischen Klinik und Poliklinik I sowie Leiter des Departments Klinische Forschung und Epidemiologie am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz, Universitätsklinikum Würzburg
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  • Prof. Dr. Andreas Zeiher, Außerordentlicher Professor für Kardiologie, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
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Statements

Prof. Dr. Stefan Störk

Oberarzt der Medizinischen Klinik und Poliklinik I sowie Leiter des Departments Klinische Forschung und Epidemiologie am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz, Universitätsklinikum Würzburg

Semaglutid in der Kardiologie

„Die STEP-HF-Studie zeigt, dass Patienten mit einem BMI größer 30 und begleitender Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) von Semaglutid profitieren. Nach einem Jahr waren überzeugende Effekte zu beobachten: Gewichtsreduktion, bessere Lebensqualität, längere Gehstrecke und eine Abnahme des Entzündungspotenzials – bei gleichzeitig günstigem Sicherheitsprofil. Dies sind sehr erfreuliche und wichtige Daten für ein Medikament, das möglicherweise künftig einer großen Anzahl von Menschen helfen könnte, das kardiovaskuläre Risiko zu verringern. Es ist bekannt, dass die zuvor berichteten Veränderungen in den Zielparametern verlässliche Indikatoren einer besseren Prognose sind (diese hat man ja in dieser Studie nicht gemessen). Somit stützen diese Daten das Konzept, sind also konsistent mit der Erwartungshalten, dass auch sogenannte harte klinische Endpunkte sich über diese Therapie beeinflussen lassen könnten. Soweit wir das bisher verstehen, wirkt das Medikament (nur) solange man es nimmt, ein Absetzen führt zu Wiederzunahme des Gewichts; das ist natürlich nicht so attraktiv. Ideal wäre es, wenn sich mittels der Therapie das Mind-Set der Betroffenen änderte und sie dann mit einem niedrigeren Körpergewicht wieder mehr Sport machen und sich gesünder ernähren, aber das ist vermutlich nur mit einer (recht kleinen) Subgruppe zu schaffen. Last but not least: Langzeitdaten fehlen noch.“

Konkrete Hilfe gegen Herzinsuffizienz?

„Nach meinem Kenntnisstand ist noch unklar, ob Semaglutid konkret gegen Herzinsuffizienz hilft. Das Medikament stößt eine Reihe metabolischer Veränderungen an (im Darm, in der Leber, im Gehirn, im Pankreas), die zu einer Gewichtsabnahme führen. In einer eigenen randomisierten Studie haben wir gesehen, dass eine bariatrische Operation (Roux-en-Y-Magenbypass) zu einer drastischen Gewichtsreduktion führt (BMI-Reduktion um 33 Prozent) und dass begleitend die Sechs-Minuten-Gehstrecke und die Lebensqualität sich von miserabel auf fast normal verbessert haben [1]. Hier gibt es also einen relativ klaren Zusammenhang zwischen dem Gewichtsverlust und sekundären Veränderungen, die sich massiv auf das Allgemeinbefinden, insbesondere auf die Belastbarkeit auswirken. Wir haben zudem gesehen, dass die operierten Patienten 30 Gramm an Herzmasse verlieren: Falls das für Semaglutid in ähnlicher Weise zuträfe, wäre das ein kardialer Effekt, der für HFpEF-Patienten sehr wichtig wäre. Auch bei unserer Studie hat man über Konsequenzen der Operation nachgedacht, die über den rein mechanischen Effekt hinausgehen, hier besteht noch viel Forschungsbedarf. Bei Semaglutid findet gerade eine breite Umfeldforschung dazu statt, welche Effekte, wie auch in der aktuellen Studie beobachtet, zustande kommen. Hierzu wird in der nächsten Zeit einiges an neuen Erkenntnissen erwartet.“

Mögliche Hürden

„Ein Problem ist der Preis des Medikaments für eine Lifestyle-Maßnahme. Die Krankenkassen werden das vermutlich nicht finanzieren, bevor nicht die harten Endpunktstudien da sind. Allerdings zeigt die jüngste Vergangenheit, dass viele Menschen den Preis für das Medikament bezahlen. Die Nachfrage war so groß, dass zwischenzeitlich Lieferschwierigkeiten bestanden. Semaglutid kommt ja aus dem Diabetes-Segment. Die entsprechende Studie läuft noch, wird aber ziemlich sicher ähnliche Effekte herbeiführen. In den kommenden Jahren erhalten wir dann Daten zu den harten klinischen Endpunkten und dann wird die Frage sein, ob man das Medikament auf Kassenkosten erhält und ob man es ,direkt‘ erhält oder vorher einen entschiedenen Lifestyle-Abnehm-Versuch gemacht haben muss (so wie es bei der bariatrischen OP derzeit der Fall ist). Eine wesentliche Frage wird sein, ob die OP oder das Medikament langfristig die bessere Option darstellen. Hierzu läuft derzeit eine globale Studie an, der sogenannte BRAVE-Trial: Dort werden die Patienten mit bariatrischer OP versus best available care (einschließlich der landes-spezifisch einsetzbaren Medikation) randomisiert. Aktuell muss man einfach einschränkend zur Kenntnis nehmen, dass Langzeitdaten für Semaglutid fehlen, während sie für die OP schon da sind (und gut ausschauen).“

Prof. Dr. Andreas Zeiher

Außerordentlicher Professor für Kardiologie, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

Studienergebnisse

„In dieser relative kleinen (529 Patienten), placebo-kontrollierten Studie zeigte sich, dass die Applikation (einmal wöchentlich) von 2,4 Milligramm Semaglutid bei Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) bei gleichzeitig bestehendem deutlichen Übergewicht (BMI größer 30 als Einschlusskriterium) nach einem Jahr assoziiert war mit einer signifikanten Verbesserung der Symptome und körperlichen Leistungsfähigkeit (KCCQ-CSS Score), die durchaus im Alltag bedeutsam ist (16,6 versus 8,7 KCCQ-Punkte), zudem kam es zu einer geringfügigen Zunahme der Sechs-Minuten-Gehstrecke von relativ circa 20 Meter gegenüber der Placebogruppe, einer – wie zu erwarten – deutlichen Gewichtsabnahme von 13,3 Prozent versus 2,6 Prozent in der Placebo-Gruppe und einer signifikanten Reduktion des Entzündungsparameters CRP von 43,5 Prozent.“

Konkrete Hilfe gegen Herzinsuffizienz?

„Die Studienergebnisse sind daher interessant, dass Patienten mit HFpEF sehr häufig übergewichtig sind und natürlich von einer Gewichtsabnahme profitieren. Diese Gewichtsabnahme dürfte auch für die verbesserten Symptome und die geringfügig verbesserte Leistungsfähigkeit verantwortlich sein, da ein direkter Effekt am Herzen eher unwahrscheinlich ist. Erfreulich ist auch der Rückgang des CRP, was allerdings bei Rückgang des Fettgewebes im Rahmen der Gewichtsabnahme zu erwarten war. Ob sich das langfristig auch auf das Auftreten harter kardiovaskulärer Endpunkte auswirkt, bleibt abzuwarten. Das Medikament erwies sich als gut verträglich. Zusammenfassend: Interessante Studie. Dass auch HFpEF-Patienten an Gewicht abnehmen unter Semaglutid, war zu erwarten, jedoch ohne zuverlässige Aussage, ob sich das tatsächlich in ein ereignisärmeres und vielleicht verlängertes Leben auswirkt. Dazu ist die Studie auch viel zu klein.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Stefan Störk: „Das Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz hat an den beiden Schwesternstudien (STEP-HF und STEP-HF-DM) teilgenommen, unter anderem weil wir vom Konzept überzeugt waren und sind.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Kosiborod NM et al. (2023): Semaglutide in Patients with Heart Failure with Preserved Ejection Fraction and Obesity. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2306963.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Koschker AC et al. (2023): Effect of bariatric surgery on cardio-psycho-metabolic outcomes in severe obesity: A randomized controlled trial. Metabolism. DOI: 10.1016/j.metabol.2023.155655.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Borlaug BA et al. (2022): Obesity and heart failure with preserved ejection fraction: new insights and pathophysiological targets. Cardiovascular Research. DOI: 10.1093/cvr/cvac120.