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11.01.2023

Welche Rolle spielt Lützerath für Klimaschutz und Energiesicherheit?

     

  • Lützerath am Tagebau Garzweiler II wird geräumt
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  • widersprüchliche Argumente in Debatte um Energiesicherheit und Klimaschutz
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  • Experten betonen, EU-Emissionen aus Stromsektor sind durch Emissionshandel gedeckelt; Notwendigkeit der Kohle unter Lützerath für Energiesicherheit nicht eindeutig gezeigt
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Das Dorf Lützerath im rheinischen Kohlegebiet soll abgebaggert werden und dem Tagebau Garzweiler II weichen. Der Betreiber RWE möchte die Braunkohle unter Lützerath in den kommenden Jahren fördern. Seit dem Morgen des 11.01. räumt die Polizei das Dorf, das aktuell von rund 700 Klimaaktivistinnen und -aktivisten besetzt ist.

Beide Seiten in der Debatte um Lützerath argumentieren mit scheinbar widersprüchlichen Thesen: Den Gutachten zufolge, auf die sich die Landesregierung NRW stützt, ist die Kohle unter Lützerath für Deutschlands Energiesicherheit notwendig [I]. Die Aktivistinnen und Aktivisten dagegen verweisen auf Studien, die argumentieren, Lützerath abzubaggern sei für die Energiesicherheit nicht nötig und mit den deutschen Klimazielen nicht vereinbar [II] [III].

Die Landesregierung NRW, das Bundeswirtschaftsministerium und RWE haben sich im Oktober 2022 darauf geeinigt, den Kohleausstieg in NRW auf 2030 vorzuziehen. Im Gegenzug dürfen in Anbetracht der Energiekrise kurzfristig größere Mengen Braunkohle gefördert werden. Das beinhaltet auch, dass das Dorf Lützerath abgebaggert werden darf. Alle weiteren Dörfer in der Region, die dem Tagebau ebenfalls weichen sollten, dürfen bestehen bleiben. Ob der neue Kohleausstiegpfad insgesamt Emissionen einspart – auf nationaler und EU-Ebene – ist umstritten [II] [IV].

Das SMC hat Forschende gebeten, diese komplexe Sachlage zu erläutern und die scheinbaren Widersprüche zwischen den Gutachten aufzuklären.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Manfred Fischedick, Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, und Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften (Schumpeter School of Business and Economics), Bergische Universität Wuppertal
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  • Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), und Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), und Professor für die Ökonomie und Politik des Klimawandels, TU Berlin
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  • Prof. Dr. Wilfried Rickels, Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW)
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  • Prof. Dr. Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg
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Statements

Prof. Dr. Manfred Fischedick

Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, und Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften (Schumpeter School of Business and Economics), Bergische Universität Wuppertal

„Bei der Bewertung der Notwendigkeit, Lützerath abbaggern zu müssen, muss man zwischen energiewirtschaftlichen und klimapolitischen Aspekten – auf die sich vor allem die Studien der ,Kohlegegner‘ fokussieren – sowie wasserwirtschaftlichen und tagebauplanerischen Aspekten unterscheiden. Bei der Berechnung der notwendigen Kohlemengen liegen die größten Differenzen zwischen den Studien in der Berücksichtigung des Braunkohlebedarfs für die Kohleveredelung (die Kohle wird dabei nicht verbrannt, sondern dient als Rohstoff für Chemikalien und andere Brennstoffe; Anm. d. Red.). Dieser wird in den Studien der Landesregierung bis 2030 mit 55 Millionen Tonnen angegeben, wobei schon unterstellt wird, dass die nachgefragten Mengen im Zeitverlauf sinken. Die alternativen Studien greifen diesen Bedarf nicht auf, sondern konzentrieren sich auf die reine Stromerzeugung. Verdelungsprodukte sind neben Briketts, die tatsächlich immer weniger zur Anwendung kommen, vor allem Braunkohlestaub, der in industriellen Kraftwerken Verwendung findet und gerade in der aktuellen Phase von teurem und knappem Gas intensiv eingesetzt wird.“

„Zu den Zahlen: Die Fördermenge in Garzweiler II ohne Lützerath beträgt 170 Millionen Tonnen. Die zusätzlichen Fördermengen durch Abbaggern von Lützerath betragen 110 Millionen Tonnen.“

„Eine der zentralen Studien der Kohlegegner [1] gibt den Braunkohlebedarf aus Garzweiler II mit 93 bis 124 Millionen Tonnen an – unter der Voraussetzung, dass der zweite große Tagebau im rheinischen Revier, der Tagebau Hambach, vollständig ausgekohlt werden kann. Würde man zu diesem Schätzwert die 55 Millionen Tonnen Veredelungsprodukte addieren, käme auch die alternative Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es knapp werden kann, wenn man ohne die Braunkohle unter Lützerath auskommen muss.“

„Jenseits der energiewirtschaftlichen Perspektive gibt es gewichtige andere Gründe dafür, dass die Braunkohle unter Lützerath notwendig ist und dass eine reine Mengenbilanzierung ohne genaue Betrachtung der konkreten Lage der Kohle nicht ausreichend ist. Auf der einen Seite ist der Abraum, der beim Abbaggern von Lützerath entsteht, notwendig, um den benachbarten Tagebau Garzweiler I zu befüllen. Im Unterschied zu anderen Tagebauen kann hier am Ende kein Restsee entstehen, da in der Grube versauerungsfähiges Material ohne Kalkung angeschüttet worden ist. Ein Restsee würde aus diesem Grund direkt ,versauern‘ und nicht lebensfähig sein. Auf der anderen Seite braucht es hohe Abraummengen, um die Tagebau-Abbruchkanten dauerhaft zu befestigen. Für beide Maßnahmen muss der Abraum wegen des großen Volumens aus der unmittelbaren Nähe kommen. Anders ausgedrückt: Zum Erhalt von Lützerath müssten dann andere Orte im Tagebau weichen – eine Entscheidung, wenn man so will, zwischen Pest und Cholera. Die Landesregierung hat sich nachvollziehbarerweise für den Erhalt der Dörfer entschieden, in denen heute aber noch Menschen wohnen.“

Auf die Frage, welchen Bedarf an Braunkohle es in Deutschland bis zum Kohleausstieg gibt und ob dieser dieser Bedarf ohne die Kohle unter Lützerath gedeckt werden könnte:
„Siehe dazu die Zahlen in der Antwort oben, da die Gutachten im Rahmen der energiewirtschaftlichen Bewertung von der nationalen Perspektive ausgehen. Zu berücksichtigen ist aber noch ein weiterer, in absoluten Größen allerdings heute nicht genau abschätzbarer Punkt, nämlich die Wirkung der vor Weihnachten 2022 beschlossenen Verschärfung der Mengenbegrenzung im Europäischen Emissionshandel [2]. Dies wird aller Voraussicht dazu führen, dass wir bis 2030 mit hohen CO2-Preisen zu rechnen haben und sich Kohlekraftwerke bei einem perspektivisch zu erwartenden signifikanten Rückgang der Gaspreise wirtschaftlich nicht mehr rechnen werden.“

Auf die Frage, welchen Einfluss es auf das Erreichen der deutschen und EU-Klimaziele hätte, wenn die Kohle unter Lützerath nicht gefördert würde:
„Für die nationale Ebene würde ein Erhalt von Lützerath zu einer Verringerung des CO2-Ausstoßes führen, das Erreichen der Sektorziele wäre einfacher. Die Größenordnung des Minderungseffektes hängt davon ab, auf welche alternativen Optionen zurückgegriffen werden kann (Gaskraftwerke, Ausbau erneuerbare Energien), beziehungsweise welche Entwicklungen den geringen Bedarf begründen, wie zum Beispiel eine verringerte Stromnachfrage.“

„Der Europäische Emissionshandel legt europaweit eine Mengenbegrenzung für die noch bis 2030 erlaubten Emissionen fest – im ETS 1 für den Bereich Energiewirtschaft und energieintensive Industrie. Das bedeutet, dass die maximalen Emissionen fix sind, die Steuerung erfolgt über den sich am Markt ergebenden CO2-Preis.“

„Das heißt auf der einen Seite, dass Mehremissionen aus der deutschen Braunkohleverstromung – zum Beispiel durch den vorübergehenden Weiterbetrieb der Braunkohlekraftwerke Neurath D und E im rheinischen Revier als Teilelement der für die Absicherung der Versorgungssicherheit getroffenen Maßnahmen – über CO2-Minderungsmaßnahmen an anderer Stelle in Europa ausgeglichen werden müssen, um die die Mengenbegrenzung nicht zu überschreiten. RWE muss für die zusätzlichen Emissionen Emissionszertifikate kaufen. In der Folge ist damit zu rechnen, dass die Preise für Zertifikate steigen.“

„Auf der anderen Seite kommt es zu preissenkenden Impulsen, wenn auf die Entnahme und Verfeuerung der Braunkohle unter Lützerath verzichtet würde. Ohne eine Veränderung der Mengenbegrenzung im Europäischen Emissionshandel wäre der Nettoeffekt in beiden Fällen europaweit betrachtet gleich Null.“

Auf, die Frage, welchen Einfluss der veränderte Kohleausstiegspfad in NRW – vorgezogener Kohleausstieg bei kurzfristig erhöhten Fördermengen – insgesamt auf das Erreichen der deutschen und EU-Klimaziele hat:
„Unterstellt man einen konstanten Emissionsdeckel im Rahmen des Europäischen Emissionshandels – das heißt, eine konstante Zertifikatemenge –, dann ergibt sich EU-weit durch die Maßnahmen bis 2030 kein Netto-Effekt auf die Emissionen. Mehremissionen an der einen Stelle müssen durch Minderemissionen an anderer Stelle ausgeglichen werden. Einfluss haben die kurzfristig erhöhten Fördermengen dagegen auf den CO2-Preis. Insofern kann durchaus von einem sich selbst korrigierenden Effekt ausgegangen werden, da ein Anstieg des CO2-Preises bei sich zukünftig wieder konsolidierenden Gaspreisen zu einem verringerten Einsatz von Kohlekraftwerken aufgrund schwindender Wirtschaftlichkeit führen wird. Nach 2030 kann dagegen auch EU-weit von einem Minderungseffekt ausgegangen werden, da der auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg in die Festigung der Emissions-Mengenbegrenzung für die nächste Verpflichtungsperiode nach 2030 einfließen kann.“

„Auf der nationalen Ebene führen die Maßnahmen zu einem Anstieg der Emissionen im Bereich der Energiewirtschaft – ein Effekt, der im Übrigen im Jahr 2022 schon zu beobachten war und dort auf die Verschiebung der Relation zwischen Kohle- und Gaspreis zurückzuführen ist. Die CO2-Emissionen im Bereich der Stromerzeugung sind 2022 um rund sechs Millionen Tonnen gestiegen und damit um etwa drei Prozent. Für 2023 und 2024 (gegebenenfalls auch für 2025) ist damit zu rechnen, dass die im Klimaschutzgesetz festgelegten Sektorziele im Gegensatz zu den letzten Jahren nicht erreicht werden können.“

„Bis 2030 ergeben sich aber verschiedene Möglichkeiten, die gesetzten Ziele wieder zu erreichen und die Mehremissionen auszugleichen – unter anderem durch die induzierte Preiswirkung im Europäischen Emissionshandel, aber auch durch eine weitere Beschleunigung beim Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Maßnahmen im Bereich Stromnutzungs-Effizienz. Für den Klimawandel ist dies entscheidend, denn am Ende zählen die kumulierten Emissionen über einen längeren Zeitraum und nicht die Emissionen eines einzelnen Jahres. Durch den vorgezogenen Ausstieg entsteht nach 2030 noch einmal ein signifikanter Minderungseffekt – gegenüber den bisherigen Planungen –, der die aktuellen Mehremissionen deutlich überschreiten dürfte.“

„In Summe ist damit davon auszugehen, dass insbesondere unter Berücksichtigung der Wirkungen des Europäischen Emissionshandelssystem die Entscheidungen von Bundes- und Landesregierung einen klaren emissionsmindernden Effekt haben.“

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer

Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), und Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), und Professor für die Ökonomie und Politik des Klimawandels, TU Berlin

„Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, müssen Windkraft und Sonnenstrom die Kohle im Energiesystem ersetzen. Entscheidend ist hier der Emissionsdeckel der Europäischen Union: Dieser ist gesenkt worden [2] und darf nicht angehoben werden. Solange die Obergrenze für den Ausstoß von Treibhausgasen wirklich hart bleibt und sinkt, und der CO2-Preis wirkt, können wir vorübergehend auch mehr Kohle verfeuern – weil dies zur Einsparung von Emissionen an anderer Stelle führt, also unterm Strich nicht zusätzliche klimaschädliche Abgase in die Atmosphäre gelangen. Auch wenn Lützerath abgebaggert wird, hat die Kohle keine Zukunft.“

Prof. Dr. Wilfried Rickels

Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW)

„Die CO2-Emissionen, die entstehen, wenn die Kohle unter Lützerath verstromt wird, haben keine Auswirkungen darauf, ob das 1,5-Grad Ziel erreicht wird oder nicht. Unabhängig davon, dass das Abkommen von Paris keine nationalen CO2-Budgets beinhaltet – geschweige denn vorschreibt – sind die CO2-Emissionen in der EU im Energiesektor durch den Europäischen Emissionshandel begrenzt. Vereinfacht gesagt: Genauso wie durch einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke keine CO2-Emissionen eingespart würden, würde es durch die Verstromung der Braunkohle aus Lützerath keine zusätzlichen CO2-Emissionen geben.“

„Wohl aber ergeben sich unterschiedliche Auswirkungen auf den CO2-Preis. Während der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken – und natürlich insbesondere der Ausbau und die Integration von Erneuerbaren Energien – auf den CO2-Preis senkend wirken, erhöht die zusätzliche beziehungsweise vorgezogene Braunkohleverstromung den CO2-Preis potenziell, wodurch politischer Druck auf den Europäischen Emissionshandel entstehen kann. Würde es durch eine solche Entwicklung zu einer Aufweichung des Emissionshandels und damit zusätzlichen indirekten Emissionen kommen, wären die Auswirkungen für die Klimapolitik negativ. Entsprechend wichtig ist, sich zu dem Instrument des Emissionshandels zu bekennen und die kürzlich auf europäischer Ebene beschlossene Anhebung des linearen Reduktionsfaktors auch dann nicht in Frage zu stellen, wenn sich die Braunkohleverstromung aufgrund höherer CO2-Preise nicht mehr lohnt.“

„Mit einem starken Rahmen durch den Europäischen Emissionshandel kann sich die Entscheidung bezüglich der Braunkohleförderung in Lützerath auf Fragen der Energiesicherheit und der Strompreise konzentrieren. Verschiedene Gutachten sind zu unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich des Bedarfs und damit der Notwendigkeit des Abbaggerns von Lützerath gekommen. Diesen Gutachten liegen unterschiedliche Annahmen für den zukünftigen Strombedarf, den industriellen Eigenbedarf, den Ausbau und die Integration von Erneuerbaren Energien sowie die Entwicklung auf den weltweiten Gasmärkten und damit Gaspreisen zu Grunde. Welche Kombination aus Annahmen sich einstellen wird und ob diese dann ausreichend wäre, um die Braunkohle dann gar nicht mehr zu verstromen, kann man wissenschaftlich nicht seriös beantworten.“

„Im letzten Jahr wurde durch den russischen Überfall auf die Ukraine und die damit verbundenen Implikationen auf den Energiemärkten deutlich, wie schwierig es ist, Energieangebot und in Folge die Energienachfrage zu prognostizieren. Dabei wurde aber sehr deutlich, wie eine zu starke Abhängigkeit und zu geringe Diversifikation beim Energieangebot die politischen Spielräume einschränkt – auch bei der Klimapolitik, die für den notwendigen strukturellen Umbau im Gebäude- und Verkehrssektor günstige Elektrizität benötigt. Vor diesem Hintergrund erscheint jede Einschränkung des europäischen Energieangebots in dem notwendigen politischen Abwägungsprozess bestenfalls mutig.“

Prof. Dr. Michael Sterner

Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

„Der Abbau der Braunkohle unter Lützerath ist für die technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht zwingend notwendig und in keinem Gutachten begründet, sondern marktwirtschaftlich getrieben und damit letztlich eine politische Entscheidung.“

Die DIW-Studie stammt vom Juni 2021 [3] und berücksichtigt damit nicht die aktuellen Entwicklungen durch den Ukrainekrieg samt Strompreisentwicklung, Gasknappheit und Stresstest der Stromnetze. Ferner geht sie nicht so detailliert auf die einzelnen Kraftwerksblöcke ein wie das BET-Gutachten [4], auf das sich das Papier der Landesregierung für die Berechnung des wahrscheinlichen Braunkohlebedarfs stützt [5]. Die Autoren der DIW-Studie haben aber mittlerweile auch aktualisierte Studien vorgelegt [6], die zum Schluss kommen, dass der Abbau der Braunkohle unter Lützerath nicht notwendig ist.“

„Wichtig sind zunächst die Annahmen für die Berechnung. Das BET-Gutachten berücksichtigt sowohl eine vorzeitige Stilllegung der verbleibenden Braunkohle-Kapazitäten im Jahr 2030 als auch eine befristete Marktrückkehr der Braunkohlekraftwerks-Blöcke Neurath C sowie Niederaußem E und F bis zum 31. März 2024 für den Strommarkt und einen Weiterbetrieb der Kraftwerksblöcke Neurath D und Neurath E bis zum 31. März 2024 für die Stromversorgungssicherheit. Damit gehen zwei Dimensionen für den Betrieb der Braunkohlekraftwerke ein: Der Strompreis als wirtschaftlicher Treiber und die technische Versorgungssicherheit, die Netzstabilität.“

„Das Gutachten wurde Mitte 2022 erstellt unter dem Vorzeichen von hohen Strompreisen, Gasknappheit und drohenden Stromerzeugungsengpässen im laufenden Winter. Während aus technischer Sicht die Annahme des Erhalts der Blöcke Neurath D und E für die Netzstabilität nachvollziehbar ist, kann bei der Marktrückkehr von Neurath C und Niederaußem E ein Fragezeichen gesetzt werden. Die Gasknappheit gilt laut Bundesnetzagentur aufgrund der milden Witterung als überwunden, die Strompreise sind durch die Strompreisbremse gesunken und ein Stromerzeugungsengpass hat sich bis dato glücklicherweise auch nicht ergeben. Das betrifft die wirtschaftlichen Treiber der Braunkohlebedarfs. Es ist daher möglich, dass mindestens zwei Blöcke marktgetrieben weniger zum Einsatz kommen, als in der Studie angenommen und daher auch der Braunkohlenbedarf sinkt.“

„Weil der im Gutachten errechnete Braunkohlebedarf zumindest in einem Szenario nicht so deutlich über der Marke liegt, die als Weggabelung für oder gegen den Erhalt von Lützerath identifiziert wurde, kann meines Erachtens nicht der Rückschluss gezogen werden, Lützerath müsse auch zum Erhalt der technischen Versorgungssicherheit abgebaggert werden. Es gibt immer technische Alternativen. Eine Neubewertung beziehungsweise ergänzende Sensitivitätsrechnungen, die diese aktuellen Entwicklungen berücksichtigen, wären daher erstrebenswert zur Gesamtbewertung.“

„Daher könnte die Schlussfolgerung aus den Gutachten auch lauten: Wir lassen Lützerath stehen. Es ist damit letztlich eine politische Entscheidung. Die internationale Wirkung der Bilder einer Räumung Lützerath im Bezug auf die Klimaziele der Bundesrepublik samt Energiewende sind meines Erachtens nicht zu unterschätzen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Wilfried Rickels: „Es besteht kein Interessenkonflikt.“

Prof. Dr. Michael Sterner: „Ich bin ehrenamtlich engagiert bei Scientist for Future und habe den offenen Brief Ein Memorandum für die Räumung von Lützerath mitunterzeichnet.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Aurora Energy Research (2022): Auswirkungen eines adjustierten Kohleausstiegs auf die Emissionen im deutschen Stromsektor.

[2] Europäische Kommission (19.12.2022): EU einigt sich auf Reform des Emissionshandels und Einrichtung eines Klima-Sozialfonds.

[3] Rieve C et al. (2021): Kein Grad weiter – Anpassung der Tagebauplanung im Rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.

[4] Büro für Energiewirtschaft und technische Planung (2022): Kurzgutachten zur Ermittlung des Braunkohlebedarfs bei einem Kohleausstieg bis 2030 im rheinischen Revier.

[5] Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (2022): Braunkohleausstieg 2030 in Nordrhein-Westfalen.

[6] Herpich P et al. (2022): Gasknappheit: Auswirkungen auf die Auslastung der Braunkohlekraftwerke und den Erhalt von Lützerath. Kurzstudie im Auftrag von Europe Beyond Coal.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (2022): Braunkohleausstieg 2030 in Nordrhein-Westfalen.

[II] Aurora Energy Research (22.11.2022): Auswirkungen eines adjustierten Kohleausstiegs auf die Emissionen im deutschen Stromsektor.

[III] Herpich P et al. (2022): Gasknappheit: Auswirkungen auf die Auslastung der Braunkohlekraftwerke und den Erhalt von Lützerath. Kurzstudie im Auftrag von Europe Beyond Coal.

[IV] Endt C (15.12.2022): Der Kohleausstieg verpufft. Zeit Online.