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05.11.2021

Vorwurf der Fahrlässigkeit bei Pfizer-Impfdaten

Für die Pharmafirmen Biontech und Pfizer sind es keine rühmlichen Nachrichten, die aktuell in einem journalistischen Beitrag der medizinischen Fachzeitschrift „The BMJ“ beschrieben werden (siehe Primärquelle). Eine frühere Regionaldirektorin der texanischen Forschungsorganisation Ventavia Research Group hat sich an das Magazin gewandt und ihre Erlebnisse bei der Datenintegrität und Patientensicherheit in dem Unternehmen geschildert. Pfizer hatte Ventavia mit der Betreuung und Durchführung gewisser Teile seiner klinischen Studie zum COVID-19-Impfstoff Comirnaty beauftragt. Die Regionaldirektorin wirft Ventavia in dem Beitrag in „The BMJ“ – und damit indirekt auch Pfizer – vor, falsche Impfdaten generiert zu haben. So habe man die Verblindung von Probanden aufgehoben, unzureichend geschulte Impfärztinnen und -ärzte beschäftigt und unerwünschte Nebenwirkungen, die im Zuge der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie von Pfizer gemeldet wurden, nur langsam nachverfolgt. Nach Angaben der Whistleblowerin rekrutierte Ventavia insgesamt 1000 Probandinnen und Probanden für die insgesamt rund 44 000 Versuchspersonen umfassende Studie.

Das SMC hat Fachleute gebeten, den Fall zu bewerten. Einerseits interessiert die Frage, welche Relevanz diese Vorkommnisse für die Aussagekraft der klinischen Studien von Biontech/Pfizer haben könnten. Zu fragen ist zudem, inwiefern private klinische Forschungsorganisationen, sogenannte Clinical oder Contract Research Organisations (CRO), als Auftragsforschungsinstitute von Herstellern Qualitätsstandards einhalten und diese adäquat durch die Hersteller und die Behörden in den USA und in der EU überprüft werden.

Eine Übersicht zu allen Effektivitätsstudien zu den derzeitigen COVID-19-Impfstoffen listet die Weltgesundheitsorganisation auf. Die Daten finden Sie hier.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin, Eberhard Karls Universität Tübingen
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  • Prof. Dr. Oliver A. Cornely, Direktor des Instituts für Translationale Forschung, Universität Köln und Klinischer Infektiologe, Uniklinik Köln
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  • Paul-Ehrlich-Institut – Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (PEI)
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Statements

Prof. Dr. Peter Kremsner

Direktor des Instituts für Tropenmedizin, Eberhard Karls Universität Tübingen

„Das, was die Whistleblowerin aufgedeckt hat, ist ohne Frage unschön, wenngleich ich betonen möchte, dass dies meines Erachtens nicht ausreicht, um an der Qualität der klinischen Studie von Biontech/Pfizer zu zweifeln. Das ist mir einfach zu wenig. Die Impfdaten wurden schon in zahlreichen Studien bestätigt. Von daher sehe ich keinen Grund, sie deswegen jetzt infrage zu stellen.“

„Bei klinischen Studien gibt es zwei wichtige Einheiten: die Studienleitung und den klinischen Sponsor. Letzterer ist hier Pfizer. Der klinische Sponsor ist unter anderem für die Qualitätssicherung der Daten verantwortlich. Kleinere Pharmafirmen, aber zunehmend auch größere, lagern bestimmte Aufgabenbereiche mittlerweile häufig an Subunternehmen aus, die für sie zum Beispiel bestimmte Aufgaben übernehmen. So hat es auch Pfizer gemacht, obwohl das Unternehmen definitiv in der Lage gewesen wäre, alle Aufgaben eines klinischen Sponsors selbst zu übernehmen. Im Pandemiefall muss natürlich alles schnell gehen. Die Gefahr, dass ein Subunternehmen dann womöglich nicht den Qualitätsstandards des großen klinischen Sponsors entspricht, kann in solch einem Fall steigen. Mir als Studienarzt ist es immer lieber, direkt mit dem klinischen Sponsor zu kommunizieren. Die Einbeziehung von Subunternehmen macht viele Bereiche einer klinischen Studie komplizierter und mitunter auch schlechter.“

Prof. Dr. Oliver A. Cornely

Direktor des Instituts für Translationale Forschung, Universität Köln und Klinischer Infektiologe, Uniklinik Köln

Auf die Frage, wie relevant die beschriebenen Datenprobleme in Bezug auf die Bewertung der Gesamtstudienergebnisse für den Impfstoff von Pfizer/Biontech sind:
„Die im ,The BMJ‘-Artikel geschilderten Fehler schränken die Aussagekraft der Zulassungsstudie des Impfstoffs nicht ein. Man sollte die Daten der Probanden dieser Zentren aus der Analyse nehmen und so prüfen, ob sich die Studienaussage ändert. Gut, dass auf diese Zentren nur etwa 2,3 Prozent der etwa 44 000 Teilnehmer entfielen. Zudem ist die Wirksamkeit inzwischen aus Daten aus Israel und anderen Ländern belegt. Wir nehmen kaum geimpfte Personen wegen COVID-19 stationär auf, erkennen also die Wirksamkeit jeden Tag.“

„Wir prüfen bei der Durchführung von klinischen Studien vor jedem Einschluss eines Patienten oder Probanden in eine Studie, ob die Kapazität des Studienteams ausreicht. Das Team hat das letzte Wort, nicht das Management. Das ist ein organisatorischer Ablauf, der verhindert, dass das Team überlastet wird. In den komplexen Abläufen in der Durchführung klinischer Studien treten wie in jedem Lebensbereich Fehler auf. In einem verantwortungsvoll geführten Team fällt das aber zügig auf. Dann muss die Zeit vorhanden sein, um Fehler zu korrigieren und eine Wiederholung zu verhindern. Die beschriebenen Probleme sind jedes für sich nachvollziehbar, aber in der Schilderung hat keine Korrektur und keine Verbesserung der Abläufe stattgefunden. Es wurde offensichtlich eine Probandenzahl eingeschlossen, für die die entsprechende Kapazität nicht vorhanden war. Ein Einfluss der Fehler auf das Studienergebnis lässt sich derzeit nicht belegen. Es braucht dringend eine behördliche Inspektion aller Zentren der Firma Ventavia. In Deutschland werden sehr viele Inspektionen von Studienzentren durchgeführt und dadurch eine hohe Qualität gesichert. Bei uns sind Inspektionen die Regel und nicht die Ausnahme.“

Auf die Frage, welche Rolle private klinische Forschungsorganisationen (CRO) in der klinischen Forschung beziehungsweise in der Impfstoffforschung zu COVID-19 gespielt haben:
„Private CRO gibt es in Deutschland ebenfalls, da aber in Deutschland so gut wie keine Studien zu Corona-Impfstoffen durchgeführt wurden, kann ich das nicht beurteilen. Wenn so viele Personen in Studien eingeschlossen werden, dass die Kapazität der Studiendurchführenden überschritten wird, dann fällt die Qualität und dann sinkt auch die Sicherheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Ethikkommission an der medizinischen Fakultät der Universität Köln bewertet ein neues Studienvorhaben immer auch im Kontext der Gesamtbelastung eines Studienzentrums; diese Information gehört zu den einzureichenden Unterlagen, und es besteht ein Online-Zugang, über den die Aktivität jederzeit von der Ethikkommission nachvollzogen werden kann. Das System haben wir in Köln entwickelt. Ich weiß nicht, ob das anderenorts die Regel ist, aber es ist sehr umsichtig.“

„Es hat sicher noch nie einen solchen Erfolgs- und Geschwindigkeitsdruck gegeben wie in der Impfstoffentwicklung der aktuellen Pandemie. Fehler dürften dabei rascher sichtbar werden. Entscheidend ist das Erkennen der Fehler, eine offene Kommunikation und das konsequente Verbessern der eigenen Abläufe. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Studiendurchführung nicht gewinnorientiert erfolgen darf. Wir berechnen bei jeder Studie den Aufwand und der muss vom Auftraggeber kompensiert werden. Wenn ein Gewinn erzielt wird, dann reinvestieren wir diesen in das Team und die Studiendurchführung.“

Stellungnahme des PEI-Instituts

Paul-Ehrlich-Institut – Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (PEI)

„Das British Medical Journal hat am 02.11.2021 über Informationen einer Whistleblowerin berichtet, wonach es in der pivotalen Phase-3-Prüfung des COVID-19-Impfstoffs von Biontech/Pfizer in Texas zu Fehlern und möglicherweise auch zur Fälschung von Daten gekommen sein soll. Die Vorwürfe umfassen das Fälschen von Daten, das Entblinden der Probandinnen und Probanden in einem eigentlich doppelblinden Studiendesign, die Beteiligung nicht entsprechend geschulter Impfärztinnen und -ärzte sowie die verlangsamte Erfassung unerwünschter Impfreaktionen. Diese Vorwürfe stammen von einer Mitarbeiterin des Unternehmens (Clinical Research Organisation, CRO), das die klinische Prüfung durchgeführt hat.“

„Für die Durchführung von klinischen Prüfungen existieren sehr strikte Vorgaben, deren Einhaltung während der Studie nicht nur durch mögliche behördliche Inspektionen, sondern auch stets im Rahmen des Monitorings überprüft wird. Inhaltlich sind die erhobenen Vorwürfe ernst zu nehmen, allerdings ist zu beachten, dass die Mitarbeiterin, von der die Vorwürfe stammen, nur zwei Wochen in dem betroffenen Unternehmen tätig war. Für die Wirksamkeit und Sicherheit der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer sowie für alle geimpften Personen nach der Zulassung von Impfstoffen ist es von zentraler Bedeutung, dass klinische Prüfungen entsprechend den Vorgaben akkurat durchgeführt werden. Abweichungen wie Entblindung, Arbeit mit nicht entsprechend ausgebildeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bzw. Ärztinnen und Ärzten oder mögliche Täuschungen in den Unterlagen sind nicht akzeptabel. Da das Paul-Ehrlich-Institut nicht an US-Inspektionen zu Comirnaty beteiligt war, sind konkrete Aussagen des Paul- Ehrlich-Instituts zu diesen Vorwürfen und deren Berechtigung nicht möglich. Primärer Ansprechpartner ist daher die U.S. FDA (U.S. Food and Drug Administration).“

„Wichtig ist es zu beachten, dass der Schaden, der möglicherweise durch die genannten Verletzungen der vorgeschriebenen guten klinischen Praxis (Good Clincial Practice, GCP) für die Aussagekraft der klinischen Prüfung der Phase 3 entstanden ist, wohl weniger die bei der Zulassung vorgelegten Gesamtergebnisse im Hinblick auf Wirksamkeit und Sicherheit betreffen könnte. Die Arzneimittelbehörden müssen auf die Ergebnisse klinischer Prüfungen vertrauen können und dies muss durch rigorose Einhaltung und Kontrolle der guten klinischen Praxis begründet sein. Denn Bürgerinnen und Bürger, Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass Arzneimittel vor der Zulassung präklinisch und klinisch zuverlässig und nach den vorgeschriebenen hohen Qualitätsstandards der guten klinischen Praxis untersucht und bewertet werden.“

„Das Auftragsunternehmen (Ventavia), gegen das die Vorwürfe erhoben wurden, hat rund 1 000 Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer betreut. Insgesamt haben an dieser Phase-3-Studie aber mehr als 40 000 Personen in etwa 150 Studienzentren teilgenommen. Die Wirksamkeit und Sicherheit des COVID-19-Impfstoffs Comirnaty von Biontech/Pfizer sowie die entsprechenden Ergebnisse aus der klinischen Phase-3-Prüfung haben sich auch nach der Zulassung bei der inzwischen millionenfachen Anwendung des Impfstoffs bestätigt.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Oliver A. Cornely: OAC reports grants or contracts from Amplyx, Basilea, BMBF, Cidara, DZIF, EU-DG RTD (101037867), F2G, Gilead, Matinas, MedPace, MSD, Mundipharma, Octapharma, Pfizer, Scynexis; Consulting fees from Amplyx, Biocon, Biosys, Cidara, Da Volterra, Gilead, Matinas, MedPace, Menarini, Molecular Partners, MSG-ERC, Noxxon, Octapharma, PSI, Scynexis, Seres; Honoraria for lectures from Abbott, Al-Jazeera Pharmaceuticals, Astellas, Grupo Biotoscana/United Medical/Knight, Hikma, MedScape, MedUpdate, Merck/MSD, Mylan, Pfizer; Payment for expert testimony from Cidara; Participation on a Data Safety Monitoring Board or Advisory Board from Actelion, Allecra, Cidara, Entasis, IQVIA, Jannsen, MedPace, Paratek, PSI, Shionogi; A pending patent currently reviewed at the German Patent and Trade Mark Office; Other interests from DGHO, DGI, ECMM, ISHAM, MSG-ERC, Wiley.

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Thacker PD (02.11.2021): Covid-19: Researcher blows the whistle on data integrity issues in Pfizer’s vaccine trial. BMJ Investigations. News Feature.