Zum Hauptinhalt springen
12.03.2021

Thrombosen als Verdachtsfälle auf Nebenwirkung eines COVID-19-Impfstoffs

Mehrere Länder pausierten vorsorglich die Impfung mit einer Produktionscharge des COVID-19-Vakzins AZD1222, nachdem vereinzelt Fälle von Blutgerinnseln aufgetreten waren, einige davon in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung und mit Todesfolge. Nach erster Prüfung bestehe bei dem von AstraZeneca und der britischen Universität Oxford entwickelten Impfstoff kein Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Risikosignal und der Impfung, meldete das für die Bewertung und Sicherheit von Humanarzneimitteln zuständige Pharmakovigilance Risk Assessement Committee (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) [I]. Die Anzahl von bisher gemeldeten 30 Thrombose-Fällen bei knapp fünf Millionen geimpften Personen im europäischen Wirtschaftsraum stelle keine Häufung gegenüber dem Vorkommen in der Gesamtbevölkerung dar. Thromboembolien treten in Deutschland circa 1 bis 3 mal pro 1000 Personen und Jahr auf und sind daher relativ häufig [II]. In den präklinischen und klinischen Studien des Impfstoffes AZD1222 sind nach Auskunft der Entwickler Blutgerinnungsstörungen bisher nicht als unerwünschte Nebenwirkungen aufgetreten [III].

Am Abend des 11. März meldete auch das in Deutschland als oberste Bundesbehörde für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut in einer vorläufigen Bewertung, bislang gebe es „keine Hinweise, dass der Todesfall in Dänemark mit der Corona-Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca in kausaler Verbindung steht. In Übereinstimmung mit der EMA überwiegt aus Sicht des Paul-Ehrlich-Instituts der Nutzen der Impfung die bekannten Risiken.“ In Deutschland seien bis zum 11.03. elf thromboembolische Ereignisse gemeldet worden. Vier Personen seien verstorben [IV]. Die aufgetretenen Ereignisse werden weiterhin auf mögliche Ursachen hin intensiv untersucht.

Bei der Berichterstattung über Verdachtsfälle von möglichen seltenen Nebenwirkungen ist zu beachten, dass nach Impfungen häufig in der exponierten Bevölkerung in zeitlichem Zusammenhang zufällig Krankheiten beobachtet werden, die besondere Aufmerksamkeit erfahren. In der überwiegenden Mehrheit haben solche gemeldeten Verdachtsfälle kausal nichts mit den Impfstoffen zu tun [V]. Zulassungsbehörden haben allerdings die gesetzliche Aufgabe, allen gemeldeten Risikosignalen in jedem Verdachtsfall nachzugehen, sie müssen dabei den Nutzen der Impfungen mit denkbaren Nebenwirkungen abwägen. Bei der individuellen Risikoabwägung sollte auch beachtet werden, dass nach einer COVID-19-Erkrankung bei rund 15 Prozent der SARS-CoV-2-Infizierten thromboembolische Ereignisse auftreten [VI]. Das Risiko der Erkrankung ist also auch in der aktuellen Situation mit den denkbaren Risiken einer COVID-19-Impfung abzuwiegen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin
  •  

  • Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
  •  

  • Prof. Dr. Anke Huckriede, Professorin für Vakzinologie, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universität Groningen, Niederlande
  •  

Statements

Prof. Dr. Leif-Erik Sander

Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin

„Die ergriffenen Maßnahmen sind selbstverständlich als Vorsichtsmaßnahmen zu verstehen. Allerdings zeigte sich bislang auch nach Gabe von vielen Millionen Impfdosen des AstraZeneca-Impfstoffs zum Beispiel in Großbritannien keine Häufung von thrombotischen Ereignissen unter den Geimpften. Daher ist ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und Thrombosen eher nicht zu erwarten.“

„Es ist wichtig und richtig, dass allen Ereignissen sehr sorgfältig nachgegangen wird. Das geschieht ja auch durch die zuständigen Behörden. Ich sehe aber aktuell keinen Grund zur Sorge.“

„Aktuell erscheint es mir nicht zielführend über mögliche Pathomechanismen zu spekulieren, da ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und thromboembolischen Ereignissen nicht wahrscheinlich ist.“

Prof. Dr. Clemens Wendtner

Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing

„Wenige, wenn auch als Einzelfälle immer bedauerliche Zwischenfälle im Rahmen der Vakzinierung mit dem Impfstoff der Firma AstraZeneca, AZD1222, sorgen derzeit für öffentliche Aufregung bzw. Verunsicherung: eine geimpfte Person starb 10 Tage nach Impfung an multiplen Thrombosen, eine andere Person erlitt eine Lungenembolie nach der Impfung, von der sie sich derzeit erholt. Zwei weitere Fällen von thromboembolischen Ereignissen mit einer spezifischen Impfstofflieferung dieser Vakzine (ABV5300) wurden bis zum 09.03.2021 berichtet.“

„Ein Batch umfasst in der Herstellung 1 Million Impfdosen, entsprechend beträgt das Risiko für ein thromboembolisches Ereignis bis dato 1:250.000. Insgesamt wurden laut EMA bis zum 10.3.21 30 Fälle von thromboembolischen Ereignissen bei mehr als 5 Millionen mit dem AstraZeneca-Impfstoff geimpften Personen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gemeldet, entsprechend also einem Risiko von circa 1:170.000.“

„Hierzu muss man wissen, dass sich venöse Thrombosen unabhängig von COVID-19 mit einer jährlichen Inzidenz von etwa 1 pro 1000 Erwachsenen ereignen, also mit einem Faktor 100 häufiger in der Allgemeinbevölkerung auftreten. In Deutschland gibt es jährlich 100.000 Todesfälle aufgrund von thromboembolischen Ereignissen, diese stellen derzeit die dritthäufigste Todesursache dar. Auch die Erkrankung COVID-19 geht mit einem starken Risiko für Thrombosen einher: In einer aktuellen US-amerikanischen Auswertung [1] basierend auf 3334 Patienten traten thromboembolische Ereignisse bei insgesamt 533 Patienten, entsprechend 16 Prozent, auf.“

„Insofern ist die berichtete Zahl der thromboembolischen Ereignisse nach AZD1222-Impfung in keinem Fall höher als die Anzahl der Thromboembolien, die statistisch zufällig in der exponierten Bevölkerung auch ohne Impfung vorkommen würden. Auch wäre das Risiko, an einer COVID-19 assoziierten Thrombose Schaden zu nehmen, um ein Vielfaches höher.“

„Bezogen auf Deutschland ist festzuhalten, dass bis zum 11.03.2021 insgesamt elf Meldungen über unterschiedliche thromboembolische Ereignisse bei etwa 1,2 Millionen Impfungen berichtet worden, also weniger als 1 pro 100.000 Personen. Zusätzlich sei angemerkt, dass das erwähnte Batch ABV5300 nicht nach Deutschland geliefert wurde und hier auch nicht verimpft wird.“

„Insgesamt kann man mit derzeitigem Kenntnisstand davon ausgehen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und den wenigen thromboembolischen Ereignissen gibt – statt von einer Kausalität ist eher von einer Koinzidenz auszugehen, also mehr Zufall als Ursache.“

„Dies ist auch die Schlussfolgerung von EMA und PEI auf der Basis der bisher vorliegenden Daten. Insofern gibt es auf einer wissenschaftlichen Faktenbasis keinen stichhaltigen Grund, an der Sicherheit des Impfstoffes AZD1222 zu zweifeln.“

„Trotzdem: Bereits jetzt ist ein Schaden gesetzt – nicht durch den Impfstoff selbst, sondern durch eine Aussetzung der Impfkampagne in einigen europäischen Ländern wie Dänemark und Norwegen. Nachdem AZD1222 erst im Nachrückverfahren in Deutschland für ältere Patienten über 65 Jahre durch die STIKO empfohlen wurde und die nahezu 100-prozentige Schutzwirkung vor schweren Erkrankungsverläufen inklusive der ‚Variants of Concern‘ nur latent kommuniziert wurde, ist bedauerlicherweise eine weitere vermeintlich negative Nachricht in der Welt, die dem Image des Impfstoffes und der Impfkampagne insgesamt schadet.“

„Der Blick sollte sich ins Vereinigte Königreich richten: bei mehr als 22 Millionen Geimpften, die größtenteils mit AZD1222 vakziniert wurden, sind auf der Basis eines sehr guten Berichtwesens bisher keine relevanten Sicherheitsbedenken geäußert worden. Vielmehr wirkt der Impfstoff, so dass Großbritannien dank dieses Impfstoffes inzwischen weniger Neuinfektionen und hospitalisierte Patienten registriert und hoffentlich bald aus der pandemischen Welle herausfinden wird.“

Prof. Dr. Anke Huckriede

Professorin für Vakzinologie, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universität Groningen, Niederlande

Die bislang vorliegenden Zahlen über die Inzidenz von Thrombose nach Impfung mit dem AstraZeneca Impfstoff scheinen mir kein Anlass zur Sorge. Im Vereinigten Königreich, wo bereits elf Millionen Dosen des Impfstoffs verabreicht wurden, wurde keine Zunahme von Thrombosefällen wahrgenommen. Da das Land ein sehr gutes Monitoringsystem hat, wäre eine Zunahme sicher registriert worden.

Thrombosen treten im Allgemeinen recht häufig auf und es ist darum zu erwarten, dass es Fälle geben wird, die im zeitlichen, aber dadurch nicht unbedingt ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung stehen.

Zurzeit scheint mir das Risiko einer COVID-19-Erkrankung deutlich höher als das eventuelle Risiko einer Thrombose durch die Impfung.

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Bilaloglu S et al. (2020): Thrombosis in Hospitalized Patients With COVID-19 in a New York City Health System. JAMA; 324 (8): 799-801. DOI: 10.1001/jama.2020.13372.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] European Medicines Agency (11.03.2021): COVID-19 Vaccine AstraZeneca: PRAC investigating cases of thromboembolic events - vaccine’s benefits currently still outweigh risks - Update. Pressemitteilung.

[II] Ohlmeier C et al. (2018): Schätzung der Inzidenz venöser Thromboembolien (VTE) anhand verschiedener Routinedaten des Gesundheitswesens in Deutschland. Versorgungsforschung/Health Services; 139: 46-52. DOI: 10.1016/j.zefq.2018.11.005.

[III] Science Media Center (2021): Diskussion neuer Daten zum AstraZeneca-Impfstoff AZD1222. Press Briefing. Stand: 09.03.2021.

[IV] Paul-Ehrlich-Institut (11.03.2021): CO­VID-19-Impf­stoff Astra­Zene­ca. Pressemitteilung.

[V] Siegridt CA et al. (2007): Human papilloma virus immunization in adolescent and young adults: a cohort study to illustrate what events might be mistaken for adverse reactions. The Pediatric Infectious Disease Journal; 26 (11):979-984. DOI: 10.1097/inf.0b013e318149dfea.

[VI] Bilaloglu S et al. (2020): Thrombosis in Hospitalized Patients With COVID-19 in a New York City Health System. JAMA; 324 (8): 799-801. DOI: 10.1001/jama.2020.13372.