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12.07.2017

Riesiger Eisberg von antarktischem Eisschelf Larsen C abgebrochen

Vom Schelfeis Larsen C ist ein riesiger Eisberg abgebrochen. Das berichtet eine Forschergruppe, die die Situation an der Küste der Antarktis seit Langem beobachtet. Seit Monaten wurde der Riss in der Schelfeis-Fläche immer größer. Wöchentlich gab es neue Daten aus Satelliten-Beobachtungen. Das nun abgebrochene Eisstück ist einer größten je beobachteten Eisberge und beginnt nun seine Drift durch die südlichen Ozeane.

Übersicht

     

  • Dr. Reinhard Drews, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Geologie und Geodynamik, Eberhard Karls Universität Tübingen
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  • Dr. Thomas Rackow, Wissenschaftkicher Mitarbeiter der Sektion Klimadynamik im Fachbereich Klimawissenschaften,, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
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  • Dr. Johannes Fürst, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geografie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen
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  • Prof. Dr. Anders Levermann, Professor für Dynamik des Klimasystems, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
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  • Dr. Torsten Albrecht, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Dynamik des Klimasystems,, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
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  • Prof. Dr. Angelika Humbert, Leiterin der Sektion Glaziologie im Fachbereich Geowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
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  • Dr. Daniela Jansen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sektion Glaziologie im Fachbereich Geowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
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Statements

Dr. Reinhard Drews

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Geologie und Geodynamik, Eberhard Karls Universität Tübingen

„Der Zusammenhang zwischen Eisbergkalben und Klimawandel ist weitestgehend unverstanden. Wir haben keine solide Theorie für das Kalben, und unsere heutigen Beobachtungen sind unvollständig und auf wenige Jahrzehnte begrenzt. Der große wissenschaftliche Wert der Beobachtungen von Larsen C liegt für mich in den hochaufgelösten Satellitenbildern, die zum ersten Mal die Ausbreitung von Spalten und zugehörige Veränderungen in der Eisgeschwindigkeit wöchentlich erfassen. Dies könnte helfen, ein mechanisches Gesetz für das Kalben abzuleiten, was die Grundlage wäre, um eine Verbindung zum Klimawandel herzustellen.“

„Die wöchentlichen Beobachtungen haben gezeigt, dass sich die Spalte nicht gleichmäßig ausgebreitet hat, sondern in Teilen des Schelf-Eises stagnierte. Dies deutet darauf hin, dass Schelf-Eise in Bezug auf ihre mechanischen Eigenschaften sehr heterogen sein können, und dies spielt wahrscheinlich eine große Rolle bezüglich der Stabilität von Eisschelfen als Ganzes.“

„Die Größe des Eisberges ist in Bezug auf den Meeresspiegel-Anstieg irrelevant, aber sie ist hilfreich, um das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken. Die jetzt reduzierte Fläche des Schelf-Eises Larsen C kann eine reduzierte Rückstellkraft auf die zuströmenden Gletscher vom Festland ausüben. Allerdings erwarte ich jetzt noch keine großen Änderungen. Wichtig ist, wie sich das Larsen C – und andere Eisschelfe – als Ganzes in der Zukunft verhalten.“

„Ich sehe momentan keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Kalben eines großen Eisbergs beim Larsen C und dem Verschwinden der Schelfeise Larsen A und B. Hier müssen wir uns wohl noch eine Weile gedulden.“

Dr. Thomas Rackow

Wissenschaftkicher Mitarbeiter der Sektion Klimadynamik im Fachbereich Klimawissenschaften,, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven

„Wie weit der Eisberg treiben wird, hängt unter anderem von der Bodentopographie ab. Er könnte als ganzer Eisberg erhalten bleiben oder schnell in viele kleinere Stücke zerfallen. Im ersten Fall stehen die Chancen gut, dass er zunächst für etwa ein Jahr entlang der Antarktischen Halbinsel durch das Weddell-Meer treiben wird. Dann dürfte er Kurs Richtung Nordosten nehmen. Das heißt, er würde in etwa Südgeorgien (Inselgruppe im Atlantischen Ozean, östlich der Südspitze Südamerikas; Anm. d. Red.) oder die Süd-Sandwich-Inseln ansteuern und hier verstärkt schmelzen.“

„Angetrieben wird die Bewegung solch großer Eisberge vor allem durch ihr Eigengewicht und die Tatsache, dass die Oberfläche des Weddell-Meeres keine ebene Fläche ist, sondern durch die vorherrschenden Winde zur Küste hin bis zu 0,5 Meter ansteigt. Vereinfacht gesagt rutschen neu gekalbte Eisberge daher zunächst die schräge Meeresoberfläche hinunter. Durch die Corioliskraft, welche auf die Erdrotation zurückzuführen ist, wird ein Eisberg dieser Größe aber letztlich auf eine Bahn parallel zur Küste gelenkt, ähnlich dem Verlauf des Küstenstroms.”

„Sobald der Eisberg die Spitze der Antarktischen Halbinsel passiert hat, wird er nach dem gleichen Prinzip höchstwahrscheinlich entlang der nördlichen Grenze des Weddell-Wirbels nach Osten treiben.“

Dr. Johannes Fürst

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geografie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen

„Das abgebrochene Schelfeis-Stück bedeckt eine Fläche doppelt so groß wie das Saarland, und es ist zugleich mehr als 100 Meter dick. Seit wir Anfang Januar 2017 erfahren haben, dass der Eisriss auf Larsen C nochmals abrupt in der Länge um 18 Kilometer gewachsen ist, und nur noch eine 20 Kilometer lange Eisbrücke die Verbindung hielt, hatten alle Experten mit einem baldigen Abbruch gerechnet.“

„Im Zusammenhang mit dem Meeresspiegel-Anstieg ist die entscheidende Frage, ob und wie das verbleibende Schelfeis dynamisch auf diesen Abbruch reagiert. Da das abgebrochene Stück hauptsächlich aus sogenanntem passiven Schelfeis bestand, war es vermutlich dynamisch nicht sehr relevant. Falls das Schelfeis wider Erwarten doch beschleunigen sollte, ist mit einer Reduzierung des Rückhaltes auf die anliegenden Auslassgletscher zu rechnen. Eine Erhöhung des Eisausflusses dieser Gletscher ist relevant für den Meeresspiegel.“

„Die Datenlage, die Vielzahl an Einflussfaktoren und die Trägheit des marinen Eisschildsystems erlauben wohl keinen offensichtlichen kausalen Zusammenhang. Der Riss, der 2014 erstmals auffällig an Länge zugelegt hat, reiht sich ein in eine Vielzahl gleichartiger Risse in dieser Region. Diese Risse entstehen dort ganz natürlich, und ähnliche Rissmuster sind auf den meisten Schelfeisen der Antarktis zu finden. Erst der Vorstoß dieses einen Risses auf Larsen C durch eine stabilisierende Zone, bestehend aus relativ weichem, sogenanntem marinen Eis: Dies war der Startschuss für die außergewöhnliche Entwicklung, die bis zum jetzigen Abbruch geführt hat.“

„Meine Kollegen aus Swansea beobachten den Riss schon seit einigen Jahren im Detail, und bis heute haben sie noch keine eindeutigen Anzeichen für etwaige dynamische Veränderung des verbleibenden Larsen C Schelfeises gefunden. Dies bestätigt eine frühere Studie [1], welche den abgebrochenen Teil des Schelfeises als dynamisch unbedeutend und damit als passives Schelfeis einstuft, da er keine zusätzliche Stützwirkung erfüllt. Eine Analogie besteht daher zwischen passiven Schelfeis und nicht-tragendem Mauerwerk im Hausbau. Obwohl dieses Mauerwerk nicht bedeutend ist für die Gebäudestabilität, kann es durchaus aus anderen Gründen wichtig sein. Nahe Larsen C ist nun zumindest eine riesige Ozeanfläche den atmosphärischen Einflüssen ausgesetzt.“

„Mitte der 1980er ist ein ähnlich großes Stück von Larsen C abgebrochen, welches lokal weit in den Ozean gereicht hat. In der Zwischenzeit, haben wir dann den Zerfall einiger nördlicher gelegenen Schelfeise der Antarktischen Halbinsel verfolgt. Diese waren zum einen bei Weitem kleiner als Larsen C, und es ist auch niemals ein solch großes Gebiet in einem Stück abgebrochen. Ungewöhnlich ist, dass Anfang dieser Woche ein (Stück abgebrochen ist, welches eigentlich gut eingebettet war zwischen den seitlichen Stützpunkten des Schelfeises.“

 „Die Größe (des nun entstandenen Eisberges; Anm. d. Red.) alleine sagt eigentlich nichts über den Einfluss auf die Schelfeis-Dynamik. Dynamische Änderungen auf dem verbleibenden Eis sind aber entscheidend dafür, ob dieser Abbruch Konsequenzen für den Meeresspiegel-Anstieg hat.“

Auf die Frage, ob die Entwicklungen bei Larsen C eine Konsequenz des Verschwindens der Schelfeise Larsen A und Larsen B in der Vergangenheit wären:

„Es ist selbstverständlich schon auffällig, dass sich die Zusammenbrüche von Schelfeisen auf der Antarktischen Halbinsel häufen. Die Halbinsel ist natürlich, geographisch gesehen, sehr exponiert und erfährt daher andere klimatische Bedingungen als das Haupteisschild. Der regionale Zerfall wurde daher oft mit einer Erwärmung der Atmosphäre oder des Ozeans in Zusammenhang gebracht. Was wir allerdings sicher wissen, ist, dass das Eis von Larsen C dünner wird. Diese Verringerung ist allerdings nicht regional beschränkt, sondern auch in anderen Gebieten beobachtbar.“

Prof. Dr. Anders Levermann

Professor für Dynamik des Klimasystems, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

„Die Antarktische Halbinsel ist der Kontinent, der sich am stärksten aufgrund des Klimawandels erwärmt. Durch Schmelzwasser-Seen ist schon der Eisschelf Larsen B im Jahr 2002 innerhalb von nur 14 Tagen kleinteilig zerbrochen. Inwieweit das Abbrechen des Eisberges von Larsen C mit dem Klimawandel zu tun hat, ist derzeit noch unklar, aber ein zunehmender Eisverlust der Antarktis unter menschengemachter Erwärmung gilt als sicher. Auch wenn die genauen Mechanismen komplex sein können, so gilt doch das einfache physikalische Gesetz: Eis schmilzt, wenn es warm wird.“

„Eisberge brechen immer wieder von der Antarktis ab. Die große Frage ist, wie der Klimawandel diesen Prozess beschleunigt und damit den Meeresspiegel weltweit ansteigen lässt.“

„Erste Analysen des Kräftefeldes von Larsen C legen nahe, dass der Eisberg sich im passiven Bereich des Eisschelfes befand. Daher ist keine fundamentale Störung des Kräftefeldes zu erwarten und damit auch kein plötzliches Zerbrechen des Eises wie 2002 bei Larsen B.“

„Larsen C ist von Larsen A und B dynamisch getrennt. Damit ist ein Zusammenhang zwischen dem Verschwinden von Larsen A und B mit dem Eisberg-Ereignis eher unwahrscheinlich.“

Dr. Torsten Albrecht

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Dynamik des Klimasystems, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

„Die Bildung von Tafeleisbergen ist zunächst ein natürlicher Prozess, der Zyklen von etwa 20 bis 200 Jahren entspricht. Solche Ereignisse wurden bereits des Öfteren beobachtet, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Erst seit ein paar Jahrzehnten haben wir die Möglichkeit, satellitengestützt das volle Ausmaß von solchen Ereignissen auszumachen. Und das ist dann auch entsprechend eindrucksvoll. Die Bildung von tiefen Rissen im Schelfeis hängt mit den Spannungen und Scherungen im Eis zusammen und diese wiederum mit dem Eisfluss. Verändert sich dieser Eisfluss direkt oder indirekt durch die Erwärmung, kann dies auch Auswirkungen auf die Rissbildung haben, entlang derer große Tafeleisberge entstehen. Wir können Veränderungen im Eisfluss beobachten, aber wie sich dies in diesem Einzelfall ausgewirkt hat, ist schwierig zu sagen.“

„Hätte sich der Riss – und damit die Kante, an der sich der Eisberg gelöst hat – wesentlich weiter landeinwärts gebildet, also im ‚aktiven’ Bereich, hätte dies Auswirkungen auf den Fluss des übrigen Schelfeises und die dahinter befindlichen Gletscher haben können. Der Zerfall von Larsen B wird einem ganz anderen Mechanismus zugeschrieben, bei dem sehr viele kleinere Eisberg-Fragmente entstehen als ein großer Tafeleisberg. Oberflächliches Schmelzwasser spielt dabei eine wesentliche Rolle.“

„Die Beobachtungen reichen in Anbetracht des typischen Zyklus der Eisberg-Bildung nicht besonders weit zurück. Tafeleisberge driften in der Regel mit den Küstenmeeresströmen und können dabei ‚stranden’ und in kleinere Stücke zerfallen. Es kann Jahre dauern, bis sie dann ins offene Meer driften und für die Schifffahrt relevant werden.“

Prof. Dr. Angelika Humbert

Leiterin der Sektion Glaziologie im Fachbereich Geowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven

„Mir ist wichtig anzumerken: Die einzige Datenbasis, die wir für diese Beobachtungen und für die Entwicklung von Kalbungsgesetzen haben, sind Satellitendaten, insbesondere Radarsatellitendaten, die nicht von Wolken oder Polarnacht abhängig sind. Nur hochaufgelöste, regelmäßige Satellitenszenen ermöglichen uns dies. Missionen wie TerraSAR-X, TanDEM-X, Sentinel1 oder hoffentlich zukünftig Tandem-L sind für uns enorm wichtig, um überhaupt diese Kalbungsereignisse und die nun folgende Entwicklung des Schelfeises zu beobachten.“

Auf die Frage, welche wissenschaftlichen Nachweise notwendig wären, um die Entwicklungen um Larsen C eindeutig dem Klimawandel zuzuordnen:

„Wir würden eine Langzeitdatenreihe von einer Wetterstation benötigen und eine lange Beobachtung der Ozean-Temperaturen und Strömungsgeschwindigkeiten. Und im Idealfall würden wir auch noch die Temperaturen im Eis und die zeitliche Entwicklung der Schmelzraten an der Eisunterseite als Datenreihe haben. Dann lässt sich diese Frage beantworten.“

„Letztendlich muss man bedenken, dass Schelfeise immer zwischen den beiden Klimakomponenten Ozean und Atmosphäre liegen, gesandwiched sozusagen. Ein Schelfeis kann also der Auswirkung des Klimas niemals entkommen. Seine Dynamik und seine Veränderung sind immer eine Kombination aus einer internen Variabilität des Systems, die es aufgrund seiner Mechanik hat, und dem Klimaantrieb.“

„Ob das Schelfeis Larsen C komplett zerfallen wird oder zu einem großen Teil, wird sich in den nächsten Tagen, Wochen oder bis in einem halben Jahr zeigen. Die Aufbruch-Ereignisse – also die Instabilität, die wir an anderen Schelfeisen beobachtet haben – hat immer sehr schnell stattgefunden. Innerhalb von Stunden bis Tagen haben sich riesige Rissfelder gebildet und sind eine große Anzahl kleiner Eisberge gebildet worden. Wir beobachten also, ob sich in der nächsten Zeit neue Risse bilden. Dafür nutzen wir Satelliten, die mit Radarwellen aussenden, weil sich im antarktischen Winter optische Satelliten nicht eignen: Es ist dunkel. Am Wilkins-Schelfeis, das 2008/2009 ein solches Aufbruch-Ereignis und kein Kalben eines gigantischen Eisbergs erlebt hat, hat sich im Laufe eines halben Jahres die Spannung umgebaut und sich die neue Eisfront stabilisiert – bis heute.“

„Wieso würde Larsen C zerfallen? Zwei Mechanismen könnten zur Instabilität führen: wenn das Kalben den Kontakt des Schelfeises zu den stabilisierenden Inseln (Bawden Ice Rise) verliert oder wenn das Kalbungsereignis bis in ein Gebiet hinein verläuft, das durch die Spannungen im Eis auf das Schelfeis stabilisierend wirkt, den sogenannten Kompressiven Bogen. Sollte es dazu kommen, dass das Larsen C bis hinter diesen Bogen Eis kalbt, wäre es wahrscheinlich, dass es instabil wird. Im Moment zeigen die Satellitenbilder keine Anzeichen für beide Fälle. Aber gerade die Entwicklung der nächsten Tage, Wochen und Monate wird für die Beurteilung, ob diese beiden Mechanismen eintreten, wichtig sein.“ 

„Mit dem Auge eines Bruchmechanikers ist die Entwicklung nicht ungewöhnlich: Immer wieder hat sich der Riss ‚episodisch’, weiterentwickelt. Eine Rissausbreitung geht dann mit einem Drittel der Schallgeschwindigkeit, also mehrere zehn Kilometer pro Minute, dann kommt der Riss wieder zum Stillstand, wenn die Spannung abgebaut ist. Über die Zeit baut sich die Spannung wieder auf. Wenn eine kritische Spannung überschritten ist, reißt er weiter.“  „Die Wissenschaft kann durch die Beobachtung dieser Kalbungsereignisse die Mechanismen des Kalbens untersuchen, die sind nämlich bisher schlecht verstanden. Wir haben kein physikalisches Kalbungsmodell und Prognosen des Meeresspiegel-Anstiegs brauchen gute Kalbungsgesetze. Dafür sind für uns die Zeitreihen aus Satellitendaten wichtig: Dann können wir die mechanische Belastungssituation beobachten, und wir können aus den Satellitendaten berechnen, ob das Schelfeis seine Fließgeschwindigkeiten und damit Spannungen ändert, als Reaktion auf den Abbruch des Eisbergs.“

Dr. Daniela Jansen

Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven

„Man kann im Moment nicht eindeutig den eigentlichen Kalbungsvorgang mit der lokalen Erwärmung zusammenbringen. Da sich aber der Zerfall der Schelfeise an der Halbinsel von Norden nach Süden ausbreitet, liegt es nahe, dass die Existenzbedingungen der Schelfeise von der lokalen Erwärmung beeinflusst werden. Beim endgültigen Zerfall von Larsen A und B gab es da einen direkten Link: Schmelzwassertümpel an der Schelfeisoberfläche. Hier ist jedoch die Frage: Warum bricht ein Eisberg ‚zu früh’ ab, sodass die Kalbungsfront weiter zurückgeht als sonst? Ideen dazu sind zum Beispiel die Meereis-Bedingungen vor der Eisfront: Schon seit den 1970er Jahren zieht sich das mehrjährige dicke Meereis zurück, das einen stabilisierenden Einfluss auf die großen Risse im Schelfeis haben könnte. Die Meereis-Bedingungen hängen mit dem lokalen und regionalen Klima zusammen. Wie diese Dinge genau zusammenhängen, muss noch verstanden werden.“ „Modellrechnungen haben ergeben, dass die neue Kalbungsfront instabil sein könnte, das heißt, dass sie sich in Zukunft anstatt weiter voranzuschreiten eher durch kleinskaliges Kalben zurückziehen könnte. Ob das wirklich passiert, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Relevant für den Meeresspiegel wird es erst, wenn auch die Gletscher beeinflusst werden, die in das Schelfeis münden.“

„Der Beitrag zum Meeresspiegel-Anstieg wäre gering, da diese Gletscher nur das Plateau der Antarktischen Halbinsel als Einzugsgebiet haben. Allerdings sind die Vorgänge am Larsen C trotzdem interessant, da sie uns die Möglichkeit bieten, die beitragenden Prozesse besser zu verstehen, was nützlich ist für längerfristige Modellsimulationen, die auch die größeren Schelfeise der Antarktis betrachten.“ „Ungewöhnlich ist, dass die Kante so weit zurückgeht. Lernen kann man aus den vielen Beobachtungen, wie sich Risse im Eis ausbreiten, ob das Eis an unterschiedlichen Stellen eine andere Bruchfestigkeit aufweist, und auch, wie das Voranschreiten des Risses von äußeren Einflüssen wie zum Beispiel Wind oder Meereisbedingungen abhängt.“ „Viel interessanter als die Größe des Eisberges ist die Form und Position der neuen Kalbungsfront. Von größeren Schelfeisen brechen immer wieder große Tafeleisberge ab.“ „Es gibt Wissenschaftler, die einen direkten Zusammenhang zum Zerfall des Larsen A und B sehen. Insgesamt würde ich sagen, dass sich eher die Umweltbedingungen insgesamt ändern, und das diese Änderung von Norden nach Süden voranschreitet.“

„Relevant ist die Größe des Eisberges zum einen für den Frischwassereintrag in den Ozean: Er treibt ja eventuell als komplette Platte weiter und kann an einer Stelle weit entfernt von der Kalbungsstelle in viele kleine Eisberge zerbrechen, die schnell schmelzen oder umgekehrt langsam weitertreiben, eventuell wieder auf Grund laufen und lange an einer Stelle festhängen. Das hat man mit kleineren Eisbergen eher nicht, denn die driften leichter entlang der Eisbergallee, wie sich diese Seite der Halbinsel auch nennt.“

„Zum anderen ist die Größe aber auch für eine mögliche Kollision des Eisbergs mit der Kalbungsfront wichtig: Durch seine große Masse wäre eine Kollision ein enormer Stoß, der bereits bestehende Risse weiter reißen lassen kann. Ob dies passiert, hängt wesentlich von Windfeldern ab, die Drift des Eisbergs antreiben.“

Auf die Frage, ob die Entwicklungen bei Larsen C eine Konsequenz des Verschwindens der Schelfeise Larsen A und Larsen B in der Vergangenheit wären:

„Das ist unwahrscheinlich. Man würde eher die Frage stellen, ob die Fälle ähnliche Ursachen haben und ob der Verlauf ähnlich ist. Die Formation der Wassermassen, die unter das Schelfeis Larsen C fließen, kommen von Süden, werden also nicht auf der geographischen Breite von Larsen A oder B gebildet. Auch die Gletscher-Zustromgebiete sind durch Eisscheiden getrennt. Eine Beschleunigung der Gletscher, die in das Larsen B einströmen, führt durch diese Trennung nicht zu einer Beschleunigung der Gletscher am Larsen C.“

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine angegeben.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Fürst J. et al (2016): The safety band of Antarctic ice shelves. Nature Climate Change 6, 479–482. doi:10.1038/nclimate2912.