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08.01.2021

Reichen Maßnahmen sozialer Medien gegen Trumps Anfachen von Unruhen?

Am 06.01.2021 haben Unterstützer von Donald Trump in den USA das Kapitol gestürmt. Die Unruhen wurden unter anderem von Trump selbst auf sozialen Medien angeheizt. Die sozialen Medien haben daraufhin reagiert: Twitter sperrte Trumps Account für zwölf Stunden und veranlasste, dass Trump drei Tweets löscht. Bei künftigen Verstößen soll sein Account endgültig gesperrt werden [I]. Facebook und Instagram haben Trumps Accounts zunächst für 24 Stunden gesperrt und ein Video entfernt [II]. Später kündigte Mark Zuckerberg dann an, dass die Accounts des Präsidenten für mindestens zwei Wochen gesperrt bleiben [III] – bis zum Ende seiner Amtszeit. YouTube blockierte ebenfalls das Video Trumps und auch Snapchat hat seinen Account temporär gesperrt.

Die Unruhen sind ein Symptom der angespannten politischen Lage in den USA, die lange auch durch Beiträge auf sozialen Medien angefeuert wurde. Durch die aktuelle Eskalation und das stärkere Eingreifen der Plattformen könnte sich jetzt entscheiden, wie soziale Medien solche Situationen in Zukunft handhaben werden – und ob in der Politik Forderungen laut werden, die sozialen Medien so zu regulieren, dass solche Situationen gar nicht erst entstehen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Klaus Kamps, Professor für Kommunikationswissenschaft, Hochschule der Medien Stuttgart
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  • Prof. Dr. Nicole Krämer, Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation, Universität Duisburg-Essen
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  • Prof. a.Z. Dr. Lena Frischlich, Vertretungsprofessorin für Medienwandel, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München
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  • Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri, Professorin für Wissenschaftskommunikation, Universität Passau
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  • Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund
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Statements

Prof. Dr. Klaus Kamps

Professor für Kommunikationswissenschaft, Hochschule der Medien Stuttgart

„Auch aus den Reaktionen gestern (medial wie auch politisch) wird deutlich, wie ‚tief‘ den Vereinigten Staaten von Amerika die Ereignisse gestern gingen. Unter solchen Bedingungen eines ‚defining moment‘ sind sehr weitreichende und grundsätzliche Dinge denkbar – zumindest hat es derzeit den Anschein, als wurde hier in den Augen der US-amerikanischen Öffentlichkeit eine Schwelle überschritten; und das will nach vier Jahren Trump-Präsidentschaft schon einiges bedeuten. Es handelt auch nicht um ein isoliertes Ereignis, und wir dürfen mindestens bis zum 20. Januar mit dieser oder jener Überraschung rechnen – in Washington und dem einen oder anderen State Capitol. Selbst wenn die Plattformpolitik nicht zentral ist: Die Dinge stehen jedenfalls gut für mindestens eine breite Debatte auch über die Rolle der Social Media und deren Umgang mit Fehl- und Desinformation, Lüge und Hetze.“

Auf die Frage, inwiefern sich gerade entscheidet, wo die Grenzen bei der Instrumentalisierung sozialer Medien durch politische Akteure liegen:
„Es hat, wie gesagt, schon den Eindruck, als würden nun auch neue Wege begangen; kürzlich gab Mark Zuckerberg eine Art ‚Verlängerung‘ des Ausschlusses von Trump bekannt. Das kann immer noch ein symbolischer Akt sein, ist aber immerhin ein Bruch – verglichen mit der bislang strikten Haltung, die allein das ‚flagging‘ kannte. Es kommt meines Erachtens vor allem darauf an, wie sich in den kommenden Wochen die öffentliche Diskussion entwickelt – denn Reaktionen im Sinne von grundlegenden Änderungen der Plattformregeln sind wohl erst zu erwarten, wenn die Unternehmen sich zum Beispiel einem Boykott-Druck ausgesetzt sehen (durch Nutzer und Werbetreibende). In zweiter Linie, das werden aber erst die nächsten Monate zeigen, könnte die Regierung Biden Section 230 überdenken – das ist der Paragraph, der diese Plattformen von der Verantwortung über diese Inhalte freispricht. Das aber wäre ein wirklich sehr grundsätzlicher Politikwechsel in den USA; das sehe ich derzeit nicht auf der Agenda.“

Auf die Frage nach der Rolle von sozialen Medien bei den aktuellen Konflikten in den USA:
„Wir reden da jetzt von Millionen US-Amerikanern, die zutiefst von diversen Unwahrheiten überzeugt sind, einschließlich übler Verschwörungstheorien. Das hat viele Gründe, und einige davon finden sich sicher auch bei den Social Media. Wir kennen das Modell der Filterblase – was allerdings empirisch in der Breite nicht festzustellen ist. Allerdings: Es gilt schon für politisch extremer orientierte Kreise. Was mir hier aber am wichtigsten erscheint: Social Media sind meist nur ein Teil eines pluralen Medienrepertoires, und in einer solchen Diskussion sollte das gesamte rechtskonservative Mediensystem berücksichtigt werden, zum Beispiel die sogenannten MAGA-Media wie Fox News oder One America News.“

„Die aktuellen Maßnahmen der sozialen Medien sind notwendig und haben darüber hinaus sicher auch einen symbolischen Gehalt. Sie sind sicher nicht hinreichend genug in dem Sinne, als sich immer Alternativen auftun werden. Wenn Twitter ein Video sperrt, dann geht Trump vor die ‚normalen‘ Kameras und so weiter. Weitergehend muss über Maßnahmen gegenüber zum Beispiel Verschwörungstheorien nachgedacht werden – das wird ja auch schon getan, dafür aber bedarf es einer Verantwortungsethik, die die Unternehmen bislang nur sporadisch gezeigt haben. Dass die Plattformen mehr Verantwortung über die bei ihnen veröffentlichten Inhalte übernehmen müssen, ist ja eine durchaus gegebene europäische Position. Dem stehen aber mindestens zwei Dinge entgegen: erstens die enorme Bedeutung, die in den USA dem ersten Verfassungszusatz und damit der Meinungsfreiheit zukommt; diese Freiheit wird dort schon traditionell weit weniger zum Beispiel durch Beleidigungsparagraphen eingeschränkt als hierzulande. Zweitens die Aufhebung der Section 230 des Telecommunications Act. Diese Aufhebung würde wohl die Geschäftsmodelle in ihrem Kern treffen. Diesen Weg wird die US-Politik wohl nicht gehen; vielmehr dürfte es um die Ausarbeitung von klaren Kriterien gehen, welche Inhalte konkret zu sperren sein werden.“

Prof. Dr. Nicole Krämer

Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation, Universität Duisburg-Essen

Auf die Frage, inwiefern sich gerade entscheidet, wo die Grenzen bei der Instrumentalisierung sozialer Medien durch politische Akteure liegen:
„Hierzu ist aus psychologischer Sicht eher wenig zu sagen. Anführen kann man höchstens, dass andere politische Akteure durch das Beispiel lernen, dass nicht jedes Verhalten toleriert wird. Dies kann gegebenenfalls dazu führen, dass man beschließt, sich stärker an die Regeln zu halten. Eher wird aber eine Abwanderung auf andere Dienste geschehen (zum Beispiel Telegram), wie ja jetzt schon zu beobachten ist.“

Auf die Frage nach der Rolle von sozialen Medien bei den aktuellen Konflikten in den USA:
„Empirische Forschung zeigt, dass Nachrichten auf sozialen Medien tatsächlich eine Rolle bei der Meinungsbildung spielen. Insbesondere dann, wenn die Nachrichten ohnehin schon in Richtung der eigenen Meinung gehen, werden sie im Sinne des ‚confirmation bias‘-Effektes (der psychologische Effekt, dass Menschen dazu neigen, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie der eigenen Meinung entsprechen; Anm. d. Red.) dankbar angenommen und in die eigene Meinung integriert. Hinzu kommt, dass im Sinne des empirisch gut nachgewiesenen Falschinformationseffektes (das Phänomen, dass Erinnerungen an ein Ereignis im Nachhinein durch falsche Informationen beeinflusst werden können; Anm. d. Red.) einmal rezipierte Falschinformationen im Nachhinein durch eine Richtigstellung kaum zu korrigieren sind. Oft werden sie in bestehendes Wissen integriert, plausibel in bisherige Wissensbestände eingefügt und werden daher – auch wenn man glaubt, dass die korrigierte Nachricht stimmt – nachhaltiger erinnert als die wirklich korrekte Nachricht.“

„Die viel zitierten Filterblasen können ebenfalls eine Rolle spielen. Obwohl empirische Studien zeigen, dass die normale Bevölkerung eher nicht von Filterblasen betroffen ist und im Netz eher mit einer hohen Meinungsvielfalt konfrontiert wird, können sich insbesondere Gruppen von Personen mit bereits starken Minderheiten-Meinungen durch die wechselseitige Bestärkung in einem abgeschlossenen virtuellen Raum weiter polarisieren.“

Auf die Frage, wie die Maßnahmen der verschiedenen sozialen Medien gegen Donald Trump und seine Accounts zu beurteilen sind und inwiefern die Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssten:
„Vor dem Hintergrund, dass die Forschung belegen kann, dass Nachrichten in sozialen Medien die Meinung und Einstellung von Personen beeinflussen können, ist es eine sinnvolle Maßnahme, Accounts zu sperren oder Nachrichten zu löschen, wenn (Falsch-)Nachrichten verbreitet werden, die die Demokratie gefährden. Die Maßnahmen reichen aus, um den Hauptkommunikator der Falschnachrichten, also Präsident Trump, von der direkten Kommunikation abzuschneiden. Allerdings werden selbstverständlich Unterstützer in der über Jahre geschaffenen Filterblase weiter Verschwörungstheorien verbreiten, sodass die Maßnahme voraussichtlich nur teilweisen Erfolg haben wird. Die Maßnahmen kommen aber selbstverständlich keineswegs rechtzeitig, da bereits über Jahre Lügen und Falschnachrichten verbreitet wurden und systematisch durch Falschnachrichten das Vertrauen in Institutionen untergraben wurde – zumindest bei einer zunehmend polarisierten Minderheit. Der normalerweise durch Gegenrede und entsprechende Argumente zu erwartende Schutz – denn Forschung zeigt auch, dass kritische Kommentare durchaus wieder zu Einstellungsanpassungen führen können – kann sich daher nicht auswirken, weil die ‚Partisanen‘ bereits so stark polarisiert sind, dass Gegenargumente der anderen Seite nicht mehr wirken können, sondern verzerrt wahrgenommen werden.“

„Vor dem Hintergrund der psychologischen Auswirkungen von (politisch motivierten) Falschinformationen auf sozialen Medien ist es insgesamt wünschenswert, dass die großen Plattformen zu verstehen beginnen, dass sie sich nicht nur als ‚Gefäß‘ oder Transportmittel für Nachrichten sehen dürfen, sondern ähnlich wie Journalisten eine Gatekeeping-Funktion wahrnehmen müssen.“

Prof. a.Z. Dr. Lena Frischlich

Vertretungsprofessorin für Medienwandel, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München

Auf die Frage, inwiefern sich gerade entscheidet, wo die Grenzen bei der Instrumentalisierung sozialer Medien durch politische Akteure liegen:
„Bereits im Verlauf der COVID-19 Pandemie hat sich die Positionierung der großen Plattformen verändert, man denke etwa an die zentrale Positionierung als vertrauenswürdig bewerteter Inhalte zu COVID-19 oder an den Umgang mit Holocaustleugnung und QAnon. Auch Trump hat ja schon das ein oder andere Mal Gegenwind bekommen.“

„Sicherlich spielen bei diesen Veränderungen auch rechtliche Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Klar ist aber: 2020 war ein anderes Umfeld als etwa 2016 – geltende Regularien wurden stärker umgesetzt.“

Auf die Frage nach der Rolle von sozialen Medien bei den aktuellen Konflikten in den USA:
„Soziale Medien sind ein selbstverständlicher Teil der (digitalen) Lebensumwelt geworden. Gerade im letzten Jahr haben sich viele Menschen während der Bewegungseinschränkungen auch über soziale Medien miteinander vernetzt, ausgetauscht oder über das Weltgeschehen informiert.“

„Soziale Medien bieten zunächst einmal Gelegenheitsräume – für demokratischen Protest, politische Teilhabe, den Kontakt zu Gleichgesinnten. Gleichzeitig können dieselben Strukturen natürlich auch für anti-demokratische Aktivitäten wie die Koordination gewaltbereiter Aktionen genutzt werden. Wenn Menschen mit extremen Positionen YouTube, Twitter oder Facebook nutzen, dann machen sie erst einmal dasselbe, was alle anderen auch tun. Die technischen Strukturen ermöglichen allen Nutzern, ohne redaktionelle Kontrolle Inhalte ins Netz zu stellen und diese auch über Städte- und Ländergrenzen hinweg in Sekundenschnelle zu verbreiten. Grade in den USA darf man auch das Zusammenspiel mit größeren Netzwerken reichweitenstarker Kanäle – etwa Fox News – nicht unterschätzen. Die US-Forscher Yochai Benkler, Robert Faris und Hal Roberts sprechen hier auch von Netzwerk-Propaganda [1].“

„In einem Forschungsüberblick zur Rolle des Internets in gewaltbereiten Radikalisierungsprozessen kamen Alexander Meleagrou-Hitchens und Nick Kaderbhai 2016 zu dem Schluss, dass das Internet allein zwar keine Ursache von Radikalisierung ist, wohl aber individuelle Entwicklungswege hin zu politischer Gewalt erleichtern und katalysieren kann [2].“

Auf die Frage, wie die Maßnahmen der verschiedenen sozialen Medien gegen Donald Trump und seine Accounts zu beurteilen sind und inwiefern die Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssten:
„Die Harvard-Professorin Susann Benesch, die sich seit langem mit ‚gefährlicher Rede‘ im Vorfeld gewalttätiger Konflikte beschäftigt – etwa im Kontext von Genoziden –, beschreibt den gefährlichsten – also am ehesten gewaltauslösenden – Fall als eine Situation, in der eine mächtige, einflussreiche Person über einen reichweitenstarken Medienkanal die Furcht und Verbitterung des Publikums ausnutzt, um Gewalt zu befürworten oder zu legitimieren – beispielsweise als Verteidigung [3, 4]. Vor allem dann, wenn bereits konfliktreiche Beziehungen zwischen sozialen Gruppen herrschen, kann es zu Gewalteskalationen kommen. Und es gibt wohl wenig mächtigere Menschen als den Präsidenten der USA – und auch nicht viele westliche Demokratien, die so polarisiert und gespalten sind wie die USA.“

„Die Community-Standards aller großen Plattformen untersagen Inhalte, die zu Gewalttaten ermutigen – es ist also nur konsequent, dass das auch für reichweitenstarke, mächtige Personen gilt.“

„Wenn man jetzt an Deutschland denkt, dann hat das Recht auf Meinungsfreiheit laut Grundgesetz ganz klar seine Grenzen da, wo allgemeine Gesetze verletzt werden, wo Schutz und persönliche Ehre verletzt werden – und Meinungsfreiheit ist auch nicht das Recht auf Reichweite.“

„Gleichzeitig können Sperrungen und Löschungen immer nur das letzte Mittel sein. Langfristig ist die Befähigung zum kritischen Umgang mit Informationen und die Auseinandersetzung mit den Gründen, die Menschen für Gewaltaufrufe empfänglich machen, notwendig. Soziale Medien und digitale Räume entstehen schnell – wer bei Facebook verbannt wird, sieht sich vielleicht in radikaleren kleinen Plattformen um. Entsprechend schwer ist ‚das Internet‘ in seiner Vielfalt zu fassen – am Ende geht es also weiter um die Menschen und wie wir uns verhalten wollen und können. Im Netz und jenseits davon.“

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri

Professorin für Wissenschaftskommunikation, Universität Passau

„Die Entwicklungen, die nun in dem Sturm auf das Kapitol ihren traurigen Höhepunkt erreicht haben, zeichnen sich bereits seit längerer Zeit ab. Sie liegen meines Erachtens in tiefergreifenderen gesellschaftlichen Veränderungen begründet, wie beispielsweise einem gewachsenen Einfluss populistischer Akteure im Politikbetrieb, einer damit zusammenhängenden zunehmenden Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft und einem amtierenden Präsidenten, der sachlichen Diskussionen ausweicht, Desinformationen verbreitet und politische Gegner beleidigt.“

„Die zahlreichen Kommunikationsvorgänge, die in sozialen Medien stattfinden, tragen auf verschiedenartige Weise zur Dynamik einer solchen Radikalisierung bei – jedoch nur bei Menschen, die ohnehin anfällig für populistische Parolen sind. Die weitaus größere Zahl von Bürgerinnen und Bürgern nutzt soziale Medien für einen demokratischen und konstruktiven Diskurs.“

„Soziale Medien ermöglichen politischen Akteuren eine direkte Kommunikation mit Anhängerinnen und Anhängern. Dies hat Trump sehr erfolgreich für seine Zwecke genutzt. Somit schafft er es seine Unterstützerinnen und Unterstützer direkt mit seinen Botschaften zu erreichen und zu mobilisieren. Dieser Effekt wird noch verstärkt, wenn die algorithmische Kuratierung der sozialen Netzwerke dafür sorgt, dass seine Posts oder Tweets eine hohe Aufmerksamkeit erhalten und/oder wenn journalistische Medien diese aufgreifen und somit einem größeren Publikum zugänglich machen. Darüber hinaus umgeht er so die qualitätssichernden Prozesse journalistischer Arbeit, die Falschmeldungen oder Desinformationskampagnen als solche identifizieren und entsprechend einordnen würden.“

„Politische Gruppierungen, die entweder keinen institutionalisierten Zugang zu politischer Macht besitzen – wie beispielsweise soziale Bewegungen – oder sich am Rande des politischen Spektrums befinden, zeichnen sich häufig durch eine geringe Größe und eine weite Dispersion in der Fläche aus. Digitale Medien ermöglichen es nun, dass sich diese vergleichsweise einfach online mit Gleichgesinnten vernetzen und austauschen können. Dies gilt sowohl im positiven Sinne für politische Gruppierungen mit demokratischen Zielen – wie beispielsweise im Kontext des arabischen Frühlings – als auch für Akteure, die politische Extreme vertreten und die Vernetzungsmöglichkeiten für ihre Zwecke missbrauchen. Darüber hinaus können Proteste jeglicher Art über soziale Medien sehr viel einfacher organisiert und koordiniert werden.“

„Der Austausch und die Vernetzung in digitalen Communities, Foren oder Gruppen trägt zur Herausbildung eines Gemeinschaftsgefühls, dem Formulieren gemeinsamer Ziele und somit zur Bildung einer geteilten Gruppen-Identität bei. Dadurch, dass nach einer erfolgten Aktion Bilder und Filme des gemeinsamen Protests in diesen Gruppen geteilt werden können, wird diese gepflegt, weiter gestärkt und nach außen kommuniziert. Dies gilt wahrscheinlich in besonderem Maße für (politische) Außenseiterakteure, die sich in der Gruppe ‚endlich‘ verstanden und unter Gleichgesinnten fühlen.“

„Dadurch, dass digitale Medien und allen voran soziale Netzwerke Kommunikation milliardenfach ermöglichen, wird der öffentliche Diskurs heterogener und vielfältiger – im Guten wie im Schlechten. Dies hat zur Folge, dass digitale Medien unser Verständnis von Meinungsfreiheit unter Stress setzen; ermöglichen sie doch auch sehr viele Kommunikationsvorgänge, die unseren Vorstellungen eines konstruktiven gesellschaftlichen Dialogs zuwiderlaufen. Wenn wir das Prinzip der Meinungsfreiheit hochhalten möchten, dürfen wir uns davon jedoch nicht blenden lassen. Selbstverständlich hat jede Meinungsäußerung ihre gesetzlichen Schranken und natürlich sollten Inhalte, die gegen diese verstoßen, schnell und nachhaltig geahndet werden. Den Account von Trump zu sperren, löst jedoch nicht das grundsätzliche und eigentlich ursächliche Problem – nämlich, dass wir es hier mit einem einflussreichen Politiker zu tun haben, der nicht davor zurückschreckt, Falschnachrichten zu verbreiten und gewalttätige Demonstranten offen zu unterstützen.“

„Insgesamt erweisen sich soziale Medien nicht als Ursache politischen Übels, wohl aber als sehr leistungsfähige Plattformen für Kommunikation und Gruppenbildung, die Menschen für erfreuliche wie für gefährliche Zwecke nutzen. Was Menschen in sozialen Medien äußern, sollte genauso durch die Meinungsfreiheit geschützt werden wie Tischgespräche und öffentliche Reden. Es sollten aber auch die gleichen rechtlichen Schranken der Meinungsfreiheit gelten.“

Prof. Dr. Tobias Gostomzyk

Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund

„Die aktuelle Diskussion verweist auf einen bereits länger schwelenden Konflikt: Im Kern geht es um die Frage, inwiefern die privaten Betreiber der großen Plattformen öffentliche Kommunikation gestalten dürfen – und natürlich auch, welche Verantwortung ihnen hier zukommt. Dabei besteht ein Spannungsfeld. Denn einerseits handelt es sich bei Facebook, Twitter und Co. um privatwirtschaftlich handelnde Unternehmen, andererseits haben die von ihnen betriebenen Plattformen aber hohe Relevanz für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung oder sogar – siehe Stürmung des Kapitols in Washington – die öffentliche Ordnung. Die großen, marktbeherrschenden Plattformen lassen sich daher als gesellschaftlich relevante Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen verstehen.“

Auf die Frage, wie der aktuelle Konflikt aus rechtlicher Perspektive zu beurteilen ist:
„Letztlich geht es um die Frage, inwiefern Facebook, Twitter und Co. als privaten Unternehmen Handlungsspielräume bei der Ausgestaltung und dem Betrieb ihrer Plattformen zukommen – und auch, wo Grenzen liegen. Das gilt etwa, wenn aufgrund von Gemeinschaftsstandards mehr Posts gelöscht werden als von der Meinungsfreiheit gedeckt wären. So soll es für Facebook-Nutzer beispielsweise unzulässig sein, jemanden mitzuteilen, ‚Ich hasse Dich!‘ oder als ‚Freak‘ oder ‚Feigling‘ zu bezeichnen. Das Problem: Jemanden wortwörtlich zu hassen ist aber zunächst genauso wenig rechtswidrig, wie jemanden zu lieben. Hierzu fehlt bislang in Deutschland eine höchstrichterliche Rechtsprechung.“

„Dagegen entscheiden die Instanzengerichte unterschiedlich: Einige Gerichte vertreten, die großen Plattformen unterliegen einer dem Staat ähnlichen Grundrechtsbindung. Denn die Machtstellung etwa von Facebook oder Twitter sei – auch wenn sie private Unternehmen sind – mit dem Staat vergleichbar. Hieraus folgt, dass nur von der Meinungsfreiheit gedeckte Gemeinschaftsstandards durchgesetzt werden dürften. Andere Gerichte gestatten dagegen mehr Spielraum: Es darf bisweilen auch gelöscht werden, wenn von der Meinungsfreiheit gedeckte Posts gegen Gemeinschaftsstandards verstoßen. Das kann beispielsweise gegeben sein, wenn sie etwa durch starke Polarisierung negative Auswirkungen auf die Kommunikationskultur sozialer Netzwerke besitzen. Allerdings ist bei Löschungen nach ständiger Rechtsprechung besondere Zurückhaltung geboten, wenn Posts ein Thema von öffentlichem Interesse behandeln.“

Auf die Frage, auf welcher rechtlichen Basis soziale Medien Maßnahmen gegen Falschbehauptungen und möglicherweise zu Gewalt aufrufende Aussagen ergreifen können:
„Hier ist zu unterscheiden: Einerseits gibt es gesetzliche Regelungen, wie zum Beispiel in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder als europäischer Standard künftig den Digital Services Act. Andererseits gibt es – wie beschrieben – die Gemeinschaftsstandards der Netzwerke selbst.“

Auf die Frage, wie die Maßnahmen der verschiedenen sozialen Medien gegen Donald Trump und seine Accounts zu beurteilen sind und inwiefern die Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssten:
„Hier stellt sich die Frage, inwiefern Staatskommunikation über soziale Netzwerke zu transportieren ist – und welche Regeln hierfür gelten sollen. Dabei ist zu unterscheiden, dass Donald Trump einmal als Privatperson postet, aber auch als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika; also in öffentlicher Funktion. Gerade hinsichtlich der öffentlichen Funktion ließe sich argumentieren, dass der Staat auch plattformbezogene Kommunikationskanäle nutzen kann. Allerdings sind dabei strenge Rechtsstandards einzuhalten. Die staatliche Kommunikation müsste etwa nach deutscher Rechtsprechung transparent, sachlich und neutral erfolgen. Das ist natürlich etwas deutlich anderes als politische Instrumentalisierung oder gar das Sympathisieren mit gewaltsamen Aktionen wie dem Stürmen des Kapitols.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Nicole Krämer: „Interessenkonflikte habe ich keine.“

Prof. Dr. Tobias Gostomzyk: „Keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Benkler Y et al. (2018): Network Propaganda: Manipulation, Disinformation, and Radicalization in American Politics. DOI: 10.1093/oso/9780190923624.001.0001.

[2] Meleagrou-Hitchens A et al. (2017): Research Perspectives on Online Radicalization, a Literature Review, 2006-2016. Vox Pol.

[3] Benesch S (2012): Dangerous Speech: A Proposal to Prevent Group Violence.

[4] Leader Maynard J et al. (2016): Dangerous Speech and Dangerous Ideology: An Integrated Model for Monitoring and Prevention. Genocide Studies and Prevention; 9 (3): 70-95. DOI: 10.5038/1911-9933.9.3.1317.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] TwitterSafety auf Twitter (07.01.2021).

[II] Rosen G (06.01.2021): Our Response to the Violence in Washington. Facebook Newsroom.

[III] Mark Zuckerberg auf Facebook (07.01.2021).