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28.07.2022

Ist die Corona-Isolationspflicht noch angemessen?

     

  • Forderungen nach Ende der Corona-Isolationspflicht
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  • Krankheitsschwere nimmt vor allem aufgrund der Impfungen ab
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  • Fachleute offen für Anpassung der Regeln
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Deutschland diskutiert einmal mehr über die Isolationspflicht von Corona-Infizierten. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dringt darauf, die Pflicht, sich nach einer bestätigten Infektion fünf Tage lang daheim isolieren zu müssen, abzuschaffen – in erster Linie, um damit die Personalnot an den Kliniken zu lindern. Dort gab es auch zuletzt wieder aufgrund zahlreicher Corona-Infektionen und durch Streiks vermehrt Ausfälle. Für einen Wegfall der Isolationspflicht setzen sich auch mehrere FDP-Politiker in der Koalition ein. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stellte zwar gestern eine baldige Verständigung in der Koalition auf ein Konzept zu Corona-Schutzregelungen für den Herbst in Aussicht, erteilte einem möglichen Ende der Isolationspflicht aber erneut eine Absage: Es gebe derzeit „keinerlei Anlass, die Isolationsregeln zu verändern“.

Das sieht man in anderen Staaten offenbar anders: Dänemark hat die Isolation verkürzt, Schweden, Großbritannien und die Schweiz haben sie bereits abgeschafft. Österreich geht diesen Schritt ab dem 1. August. In der Alpenrepublik dürfen sich Infizierte dann weitgehend frei bewegen, müssen allerdings FFP2-Maske tragen. Ein Betretungsverbot gilt für sie nur für Krankenhäuser und für Pflege-, Behinderten- sowie Kureinrichtungen. „Wir machen jetzt Verkehrsbeschränkungen statt verpflichtender Quarantäne“, sagte Gesundheitsminister Johannes Rauch. Die Entscheidung sei gerade auch mit Blick auf die psychischen und sozialen Folgen der Coronakrise gefallen. „Wir können die Pandemie nicht wegtesten, nicht wegimpfen und nicht wegabsondern.“

Ziel einer Isolation ist es, den Kontakt von Infizierten zu Nichtinfizierten und vor allem vulnerablen Gruppen einzuschränken, um dadurch etwaige Infektionsketten zu verhindern. Hierzulande wurde die Dauer der Isolationspflicht immer wieder angepasst. Aus einst zehn verpflichtenden Isolationstagen sind mittlerweile fünf geworden. Aktuelle Studien zeigen, dass bei einer Omikron-Infektion bis neun Tage nach Symptombeginn vermehrungsfähiges Virus ausgeschieden werden kann, beziehungsweise bis elf Tage nach dem ersten positiven PCR-Test [I] [II]. Die Viruslast gegenüber der Delta-Variante scheint leicht verringert [III]. Wie viel Virusmaterial aber letzten Endes eine Infektion auslöst, ist pauschal nicht zu sagen. Die aktuell dominierende Omikron-Variante verbreitet sich im Vergleich zu älteren Varianten zwar schneller, führt aber zu weniger schweren Krankheitsverläufen – auch weil ein Großteil der Menschen durch Impfung und/oder Infektion bereits einen breiten Immunschutz aufgebaut hat.

Im Lichte dieser sich ändernden Krankheitslast hat das SMC Fachleute noch einmal zu einem möglichen Ende der Isolationspflicht befragt.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Josef Franz Lindner, Professor für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie, Universität Augsburg
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  • Prof. Dr. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
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Statements

Prof. Dr. Josef Franz Lindner

Professor für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie, Universität Augsburg

„Die Rechtsgrundlage für eine Isolationspflicht ist im Kern noch vorhanden, allerdings muss man doch deutliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Isolationspflicht äußern. Bei symptomlosen Infizierten ist eine Isolationspflicht eigentlich nicht haltbar. Gesundheitsminister Lauterbach nimmt ja die Haltung ein: Solange das Virus da ist, muss man umfassende Maßnahmen treffen. Das ist aber nicht immer verhältnismäßig, vor allem derzeit nicht. Insbesondere Symptomlose müssen anders behandelt werden. Selbst das Infektionsschutzgesetz unterscheidet ja zwischen Kranken und Infizierten.“

„Die Isolationspflicht liegt im Ermessen der Behörden. Und für den Vollzug sind die Bundesländer zuständig. Sie könnten, wenn sie es denn wollen, die Isolationspflicht einfach aussetzen. Es wäre auch gerechtfertigt. Denn nur bei schwerwiegenden Viruserkrankungen ist eine Isolationspflicht vorgesehen. Und diese Schwere ist bei der derzeitigen Virusvariante nicht gegeben. Ein denkbares Konzept wäre es, die Isolationspflicht aufzuheben, dafür aber eine allgemeine Maskenpflicht für Innenräume einzuführen, die wir alltäglich unweigerlich betreten müssen, also ÖPNV, Kliniken, Teile des Einzelhandels. Aber eben nicht im Kino zum Beispiel. Ein Sonderproblem wären die Schulen. Das wäre verhältnismäßig und der Staat würde so auch seiner Pflicht nachkommen, die Vulnerablen an Orten, an denen sie sich aufhalten müssen, zu schützen. Es müsste eine allgemeine Maskenpflicht sein, weil wir sonst im Vollzug der Regel Probleme bekommen. Wir würden einen symptomlosen Infizierten ja nicht erkennen. Das müsste im Infektionsschutzgesetz sauber geregelt werden. Die Isolationspflicht könnte als Ermessensentscheidung bestehen bleiben und bei Bedarf aktiviert werden, wenn im Herbst oder Winter eine neue gefährlichere Virusvariante auftaucht.“

Prof. Dr. Stefan Kluge

Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

„Ein Risiko im Gesundheitssystem ist die Rückkehr von infizierten Mitarbeitenden in die Klinik. Das stellt natürlich ein Problem für die gefährdeten Patientinnen und Patienten dar, die wir hier vor allem auf der Intensivstation, aber auch in der Onkologie versorgen. Für diese Menschen ist Omikron schon ein Problem, auch wenn es in der Regel eine weniger schwere Erkrankung auslöst als Delta. Aber es ist immer eine Frage der Risikoabwägung: Wer außerhalb des Gesundheitssystems beispielsweise im Freien arbeitet und kaum engen Kontakt zu anderen Menschen hat, der könnte theoretisch auch mit einem positiven Test arbeiten, wenn er sich gut fühlt. Das Infektionsrisiko gegenüber anderen wäre hier sehr gering. Das gilt aber natürlich nicht für den Pflegenden in der Onkologie oder die Ärztin in der Geriatrie. Auch außerhalb der Klinik wäre es in manchen Bereichen problematisch, etwa für jene, die im Großraumbüro arbeiten und enge Kontakte haben. Das Risiko für die Mitarbeitenden differiert ja erheblich bei den Berufsgruppen. Es wäre also eine Überlegung, die Isolationspflicht berufsspezifisch anzupassen.“

„Derzeit haben wir allerdings noch sehr hohe Infektionszahlen. Wären die Zahlen niedriger, könnte man ein Ende der Isolationspflicht eher diskutieren. Für die Kliniken ist die Diskussion im Moment wieder besonders schwer, weil sie einerseits Infektionen verhindern wollen, aber anderseits auch sehr unter den Personalausfällen leiden. Operationen werden immer noch vielerorts verschoben. Wenn wir jetzt sagen, dass jeder wiederkommen kann, wenn er sich gut fühlt, werden wir auch mehr Infektionen bei Patienten oder Mitarbeitenden in den Kliniken sehen. Womöglich könnte man dadurch zwar wieder einige geplante Operationen mehr durchführen und dadurch den ,normalen‘ Patienten wieder besser helfen, aber ob man die Infektionen letztlich in Kauf nehmen will, ist sehr schwer abzuwägen. Und: Im Herbst und Winter wird es sicher nicht besser.“

„Grundsätzlich ist es ja schon so, dass die Fallsterblichkeit bei COVID-19 deutlich gesunken ist. Daher ist es auch nur legitim, dass sich der Umgang mit dem Virus ändert. In vielen Kliniken wird momentan der PCR-Test durch einen Antigentest ersetzt. Dann können die Mitarbeitenden, wenn sie im Antigentest negativ getestet wurden, wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Der PCR-Test weist oft länger Virusspuren nach. Bei einem negativen Antigentest können die Mitarbeiter also vielleicht etwas früher wiederkommen. Wenn der Antigentest negativ ist, kann man im Regelfall davon ausgehen, dass man keine relevanten Mengen an Virusmaterial mehr ausatmet, auch wenn ein PCR-Test womöglich noch anschlagen würde. Der Antigentest wäre hier ein Kompromiss.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Takahashi K et al. (2022): Duration of Infectious Virus Shedding by SARS-CoV-2 Omicron Variant-Infected Vaccinees. Emerging Infectious Diseases. DOI: 10.3201/eid2805.220197.

[II] Boucau J et al. (2022): Duration of Shedding of Culturable Virus in SARS-CoV-2 Omicron (BA.1) Infection. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMc2202092.

[III] Hay JA et al. (2022): The impact of immune history and variant on SARS-CoV-2 viral kinetics and infection rebound. MedRxiv. DOI: 10.1101/2022.01.13.22269257.

Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.