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05.01.2023

Corona-Testpflicht für Reisende aus China

     

  • EU dringt auf negative Corona-Tests für Reisende aus China
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  • nach Lockdown-Ende hohe Infektionsfallzahlen im Land erwartet
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  • besondere Mutationsgefahr besteht Forschenden zufolge aber nicht
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Die Mitgliedstaaten der EU werden „nachdrücklich“ dazu aufgefordert, für alle Reisenden aus China in Richtung Europa vor der Abreise einen negativen Corona-Test vorzuschreiben, der nicht älter als 48 Stunden sein soll. Das teilte am 04.01.2023 die schwedische Ratspräsidentschaft nach einem Treffen von Gesundheitsexperten der Mitgliedstaaten in Brüssel mit. Auf eine verbindliche Testpflicht habe man sich allerdings nicht geeinigt – wohl aber auf die Empfehlung für Reisende, auf Flügen von und nach China Masken zu tragen [I]. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte tags darauf eine kurzfristige Änderung der deutschen Einreiseverordnung an, wonach Reisende aus China bei Reiseantritt nach Deutschland mindestens einen Antigenschnelltest benötigen. Dies war zuvor unter anderem vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gefordert worden.

Einige europäische Länder haben bereits Einreisebeschränkungen für Reisende aus China erlassen oder diese in Aussicht gestellt, darunter Frankreich, Italien und Spanien. In Frankreich sind künftig auch PCR-Tests nach der Ankunft vorgeschrieben. Die chinesische Regierung hatte Anfang Dezember ihre strenge Lockdown-Politik zur Eindämmung des Coronavirus beendet. Am Sonntag sollen die Grenzen wieder öffnen. Mehrere Politikerinnen und Politiker sowie Berufsverbände forderten deshalb mit Blick auf mögliche neue chinesische Virusvarianten Einreisebeschränkungen.

Der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC zufolge hat die Zahl der COVID-19-Fälle auf dem chinesischen Festland im Dezember einen Rekordstand erreicht [II]. In den vergangenen drei Wochen ist die Inzidenz zurückgegangen, was aber auch daran liegen dürfte, dass weniger Tests durchgeführt und somit weniger Infektionen festgestellt wurden. Nach wie vor fehlt es an zuverlässigen Daten über COVID-19-Fälle, Krankenhauseinweisungen, Todesfälle sowie die Kapazität und Belegung von Intensivstationen in China. Aufgrund der geringen Immunität der Bevölkerung und der Lockerung der nicht-pharmazeutischen Maßnahmen sei in den kommenden Wochen mit einer hohen Zahl von SARS-CoV-2-Infektionen und einem erhöhten Druck auf die Gesundheitsdienste in China zu rechnen, heißt es vonseiten der ECDC.

Nach internationalem Druck hat China nun damit begonnen, SARS-CoV-2-Sequenzen in größerer Zahl in der Genomdatenbank GISAID EpiCoV zu hinterlegen [III]. Vom 1. bis 30. Dezember 2022 hat China dort 592 Virussequenzen eingetragen. Diese gehörten hauptsächlich zu bekannten Viruslinien wie BA.5.2 (35 Prozent), BF.7 (24), BQ.1 (18), BA.2.75 (5), XBB (4) und BA.2 (2). Bedingt durch Reisen wurden zudem die Varianten BA.5.6, BA.4.6, BM.4.1.1 und BA.2.3.20 in China nachgewiesen. Eine neue Variante wurde bisher nicht entdeckt.

Das SMC hat Forschende gefragt, inwieweit ein erhöhtes Mutationsrisiko von China ausgeht und ob Einreisebeschränkungen beziehungsweise eine europaweite Testpflicht an Flughäfen gerechtfertigt wären.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig
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  • Prof. Dr. Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf, Schweiz
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  • Prof. Dr. Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), Bremen
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  • Dr. Viola Priesemann, Leiterin der Forschungsgruppe Theorie neuronaler Systeme, Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen
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  • Prof. Dr. André Karch, Stellvertretender Direktor des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin und Leiter der Klinischen Epidemiologie, Universitätsklinikum Münster
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Statements

Prof. Dr. Gérard Krause

Leiter der Abteilung Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig

„Ich persönlich halte es nicht für angemessen, in der aktuellen Situation Einreisekontrollen für Reisende aus China oder woanders her zu COVID-19 einzuführen. Wir sind in Bezug auf COVID-19 schon längst in der Phase der gezielten Schadensmilderung (mitigation) beziehungsweise sollten wir uns dessen auch endlich bewusst sein und auch entsprechend handeln. Maßnahmen zur Eindämmung (containment) wie Einreisebegrenzungen oder -kontrollen sind für eine kurze anfängliche Phase einer Epidemie oder Pandemie sinnvoll, aber nicht mehr jetzt. Die Identifizierung neuer molekularer Varianten ändert dies auch nicht per se.“

Prof. Dr. Isabella Eckerle

Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf, Schweiz

„Da aus China selbst kaum Information zu den dort zirkulierenden Varianten oder dem Infektionsgeschehen allgemein verfügbar sind, macht die Sequenzierung von Reisenden aus China durchaus Sinn in meinen Augen. Bei dem, was bisher an solchen Sequenzen verfügbar ist, ist bislang aber nichts Ungewöhnliches oder Überraschendes zu entdecken. Und die Sequenzen, die man in China detektiert, findet man auch an anderen Orten der Welt. Da China im Vergleich zum Rest der Welt keine hohe Bevölkerungsimmunität hat, insbesondere nicht an natürlichen Infektionen, ist die Entwicklung einer Immunflucht-Variante in China vor diesem Hintergrund nicht besonders wahrscheinlich. Natürlich ist es möglich, dass eine neue, besorgniserregendere Variante entsteht, aber die könnte auch aus einem anderen Teil der Welt kommen, aus denen wir wenig Sequenzen erhalten.“

„Einreisebeschränkungen, Quarantäne oder Isolation von infizierten Reiserückkehrern aus China halte ich vor diesem Hintergrund nicht für angemessen. Die Diskussion verdeutlicht aber, wie wichtig es ist, dauerhaft verlässliche Sequenzierungsdaten zu haben – nicht nur aus China, sondern aus jedem Land. Statt kurzfristiger, isolierter Anstrengungen für ein einzelnes Land wäre es viel sinnvoller, hier in dauerhafte Strukturen zu investieren. Eine Möglichkeit könnte zum Beispiel die Sequenzierung vom Abwasser der Flugzeuge sein. Wenn mehrere Länder solche Programme aufsetzten und sich gut koordinieren, dann kann man mit relativ wenig Investition eine gute Übersicht über die globale Viruszirkulation bekommen. Und man darf nicht vergessen, dass es nicht allein mit den Sequenzierungsdaten getan ist: Um veränderte Eigenschaften einer neuen Variante nachzuweisen, braucht es die biologische Charakterisierung durch Experimente. Also: Wie viel fitter ist die Variante im Vergleich zu anderen? Wie gut umgeht sie die Immunantwort? Gibt es Anzeichen für erhöhte Pathogenität? Die Finanzierung vieler Forschungsprogramme zu SARS-CoV-2 ist bereits ausgelaufen oder wurde reduziert, sodass auch hier deutlich weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, um diese Bewertung schnell zu erhalten.“

Prof. Dr. Hajo Zeeb

Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), Bremen

„Neue Tests für Einreisende aus China würden sicherlich zeigen, dass ein möglicherweise nicht unerheblicher Anteil aller von dort Einreisenden infiziert ist. Dennoch wäre dies im Gesamtblick auf die hierzulande derzeit noch vorliegenden Infektionen nur ein sehr kleiner Teil, es würde sicherlich keine neue Infektionswelle ausgelöst. Der Aufwand liegt vor allem darin, alle Einreisenden – und nicht nur die von Direktflügen – zu testen und dann auch Isolationsmöglichkeiten bereitzustellen. Solche Maßnahmen machen in der Regel aber nur zu Beginn von Epidemien beziehungsweise Pandemien wirklich Sinn. Zum jetzigen Zeitpunkt ist dies nicht mehr der Fall, außer für die einzelnen Reisenden, die am besten vor der Reise einen Test machen sollten, um zu vermeiden, krank unterwegs zu sein.“

„Das Monitoring auf neue Varianten ist wichtig, sollte aber insgesamt für Infektionen in Deutschland und der EU aufrechterhalten werden. Gezieltes Monitoring der China-Einreisenden kann gegebenenfalls Hinweise auf neue Varianten geben, wenn sie denn da sind, negative Befunde sagen aber nichts aus, weil es eben auf die Entwicklungen in China insgesamt und nicht auf die wenigen Hundert oder Tausend Infektionen unter Reisenden ankommt. Insofern liegt die Verantwortung klar in China, und neuere Meldungen weisen ja darauf hin, dass bisher weiterhin Omikron-Varianten das Bild prägen. Dabei ist auch zu bedenken, dass der jetzige Ausbruch vermutlich schon seit Anfang Dezember läuft, und somit schon sehr viele Infektionen stattgefunden haben und schon wieder beendet sind, offensichtlich ohne größere Veränderungen für die Welt außerhalb Chinas.“

Dr. Viola Priesemann

Leiterin der Forschungsgruppe Theorie neuronaler Systeme, Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen

„Das Testen kann verschiedene Ziele haben: (1) Die Einschleppung von Infektionen reduzieren, (2) die Einschleppung neuer Varianten verzögern oder (3) eine Übersicht über die aktuellen Varianten in China bekommen.“

„Zu 1: Jede neu eingeschleppte Infektion kann eine neue Infektionskette starten. Im Mittel kann sich eine solche Kette auf Dutzende Leute ausbreiten. Insofern reduziert Testen in Verbindung mit Isolationspflicht die Inzidenz im Zielland. Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn das Zielland eine niedrige Inzidenz hat oder anstrebt. Das ist aktuell in Deutschland nicht der Fall.“

„Zu 2: Im Prinzip könnten in China neue besorgniserregende Varianten (VOCs) entstehen. Indem man einen negativen Test für die Einreise verlangt, reduziert man die Rate der eingeschleppten VOCs, wenn sie auftreten sollten, und damit verzögert man deren Ausbreitung. Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass es eine extrem problematische VOC geben sollte, kauft das einige Wochen Zeit, die sehr wichtig sein können. Wie wahrscheinlich das Auftreten einer sehr problematischen VOC ist, ist schwer abzuschätzen.“

„Zu 3: Man kann eine Abschätzung über die Virusvarianten in China bekommen, indem man alle oder eine repräsentative Stichprobe aller Reisenden testet und die Proben sequenziert. So bekommt man einen Überblick, welche Varianten in China aktuell kursieren. Das wäre ein wertvoller Datensatz, auch um neue VOCs frühzeitig zu erkennen. Eine solche systematische Surveillance könnte die aus China berichteten Daten sinnvoll komplementieren. Eine europäische Surveillance der aus China einreisenden Virusvarianten könnte epidemiologisch wichtig und interessant sein. Wenn eine solche Surveillance mit Isolationspflicht verbunden wird, kommt es zu weniger neuen Infektionsketten, schränkt die Reisenden aber ein. Wenn sie nicht mit einer Isolationspflicht verbunden wird, haben die Reisenden zumindest keine Nachteile bezüglich ihrer Mobilität.“

Prof. Dr. André Karch

Stellvertretender Direktor des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin und Leiter der Klinischen Epidemiologie, Universitätsklinikum Münster

„Eine generelle Einreisebeschränkung für Personen aus China beziehungsweise die Abhängigkeit einer Einreise von einem negativen Testergebnis, wie es in der Vergangenheit der Fall war, ist in der aktuellen Situation in der Kosten-Nutzen-Abwägung aus mehreren Gründen nicht sinnvoll. Zum einen findet auch in vielen anderen Ländern, zum Beispiel auch in Deutschland, eine relativ unkontrollierte Ausbreitung von SARS-CoV-2 statt, deren Auswirkungen auf das Gesundheitssystem allein durch die bestehende Immunitätslage in der Bevölkerung begrenzt werden. Eine variantenunabhängige spürbare Erhöhung der Infektionslast durch infektiöse einreisende Personen ist also nicht zu erwarten. Zum anderen ist aufgrund der extrem hohen Infektionsdynamik in China und dem damit sehr hohen Anteil von kurz vor dem Abflug infizierter Personen der Anteil der nach Ankunft infektiösen beziehungsweise infektiös werdenden Personen, die schon bei Abreise einen positiven Test aufweisen, nicht groß genug, um hier einen relevanten Effekt auf die durch einreisende Personen entstehende Infektionslast haben zu können.“

„Grundsätzlich ist bei ungebremster Infektionsdynamik das Risiko des Entstehens neuer Varianten mit Selektionsvorteil gegeben, wie wir aktuell auch in Bezug auf die Variante XBB.1.5 in den USA sehen. Dabei können je nach Immunitätslage in der Bevölkerung unterschiedliche Mutationen einer Variante Selektionsvorteile bringen und dadurch natürlich auch unterschiedliche Linien entstehen. Eine koordinierte genomische Surveillance über die verschiedenen Regionen der Erde hinweg ist also grundsätzlich sehr sinnvoll. Das Monitoring kann dabei je nach Kapazität und Qualität der Analysen in den jeweiligen Ländern stattfinden und dann zusammengeführt werden oder gegebenenfalls auch dezentral organisiert sein. Bei Letzterem kann eine genomische Surveillance auf Basis von Reisenden sinnvoll und kosteneffektiv sein, gerade wenn die Kommunikation zu Organisationen der öffentlichen Gesundheit in den jeweiligen Ländern eingeschränkt ist. Hierbei würden die Testungen aber rein aus Surveillance-Gründen und ohne zusätzliche Konsequenzen bei positivem Test für die getesteten Personen stattfinden. Die Begrenzung eines solchen Surveillance-Systems auf Basis von Flugreisenden auf ein einzelnes Land wäre allerdings nicht zielführend. Zudem würden nur dann relevante Fallzahlen erreicht werden, wenn dieses Monitoring international abgestimmt in einer großen Zahl von Ländern durchgeführt werden würde.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Swedish Presidency of the Council of the European Union (04.01.2023): Presidency Statement on the Coordination of COVID-19 Travel Measures. Pressemitteilung.

[II] European Centre for Disease Prevention and Control (03.01.2023): Impact of surge in China COVID-19 cases on epidemiological situation in EU/EEA. Pressemitteilung.

[III] GISAID (04.01.2023): hCoV-19 Variants Dashboard.