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24.05.2022

Chatkontrolle und DSA: Quo vadis, EU-Digitalgesetzgebung?

Digital Services Act, Chatkontrolle, AI Act – die EU-Kommission arbeitet momentan mit Hochdruck an richtungsweisenden Digitalgesetzen. Zeit, einmal einen Moment innezuhalten und zu schauen, wo die Reise hingeht. Die meisten der Gesetzesvorschläge bewerteten Expertinnen und Experten eher positiv, auch wenn es Verbesserungspotenzial gab und gibt. Insbesondere den Vorschlag für eine Verordnung zum Erkennen und Melden von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs – auch bekannt als Chatkontrolle – kritisierten sie stark.

Darüber hinaus lief der Gesetzgebungsprozess selbst für EU-Verhältnisse zum Teil sehr intransparent ab. Bei den vermeintlich finalen Einigungen zum Digital Services Act und zum Digital Markets Act wurden nicht die vollen Gesetzestexte veröffentlicht, sondern jeweils nur Pressemitteilungen, die die zentralen Punkte beschreiben. Während beim Digital Markets Act wohl keine großen Änderungen mehr zu erwarten sind, scheint es beim Digital Services Act noch signifikante Veränderungen zu geben. Auch das ist aber nur aufgrund von aktuellen Leaks bekannt. Die letzten Abstimmungen zu den beiden Gesetzen sollen nach jetzigem Stand in der Plenarwoche vom vierten bis siebten Juli stattfinden.

Wir möchten diese Situation zum Anlass nehmen, noch einmal mit Experten zu sprechen: über die wichtigsten Digitalgesetze und den Prozess der EU-Gesetzgebung dazu.
Wie sind die wichtigsten EU-Digitalgesetze zu beurteilen? Wo geht die generelle Richtung hin, wenn zum Beispiel Chatkontrolle und Digital Services Act in unterschiedliche Richtungen zu gehen scheinen? Wie ist die Intransparenz bei den letzten Gesetzen zu beurteilen, ist das normales EU-Prozedere oder ist das ein neuer Trend? Wie kann man solche Prozesse gegebenenfalls verbessern und transparenter gestalten? Wie wahrscheinlich ist es, dass die Chatkontrolle wie von der EU-Kommission vorgeschlagen in Kraft tritt, oder wird sie auf dem Weg noch stark verändert werden? Könnte sie in der aktuellen Form sogar vorm Europäischen Gerichtshof angefochten werden?
Diese Fragen – und Ihre – beantworteten Experten bei einem 50-minütigen Press Briefing.

Experten im virtuellen Press Briefing

     

  • Prof. Dr. Tobias Gostomzyk
    Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund
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  • Prof. Dr. Tobias Keber
    Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft, Hochschule der Medien Stuttgart
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  • Prof. Dr. Matthias Kettemann
    Programmleiter Forschungsprogramm „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck, Österreich
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Abschluss-Statements aus dem Press Briefing

Das SMC hat die Experten am Ende des Press Briefings nach den wichtigsten Aspekten für Journalistinnen und Journalisten gefragt und um ein Fazit zu der EU-Digitalgesetzgebung der vergangenen Jahre gebeten.

Die Antworten stellen wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung.

Prof. Dr. Tobias Gostomzyk

Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund

„Es ist auf jeden Fall vieles auf den Weg gebracht worden. Das ist auch gut, weil damit international Standards gesetzt werden. Das alles ist ein Entwurf, an dem jetzt aber in vielen Bereichen an der Ausgestaltung weitergearbeitet werden muss. Es muss geschaut werden, wo Kollisionen auftreten, wo Verbesserungen möglicherweise angemahnt werden müssen. Man hat jetzt einen Rohbau und den würde ich auch grundsätzlich als gut bezeichnen – jedenfalls in Bezug auf den DSA (Digital Services Act) und den DMA (Digital Markets Act). Jetzt geht es um die vielen Ausgestaltungen, die dann notwendig sind und die sich bekanntermaßen auch über Jahre hinziehen können.“

„Mein Wunsch an alle Journalist*innen wäre, nicht locker zu lassen und möglichst viel weiter zu berichten über diese Themen. Das auch nicht nur aktualitätsbezogen zu tun, sondern sich immer wieder auch einzelne grundlegende Fragestellungen – wie Uploadfilter oder Ausgestaltung von Algorithmen und Risikobewertungssystemen, so abstrakt sie auch sein mögen – herauszugreifen und vielleicht anschauliche Aufhänger zu finden, um dann doch nachhaltig darüber zu berichten.“

Prof. Dr. Matthias Kettemann

Programmleiter Forschungsprogramm „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck, Österreich

„Die aktuellen EU-Digitalgesetze sind wichtig, sie sind richtig. Allerdings kommen sie fünf Jahre oder je nach Fachgebiet auch zehn Jahre zu spät. Da die USA, China oder Russland aktuell keine ernstzunehmenden Regulierungsvorschläge machen, wird das einen Standard setzen, der weltweit gesehen und gehört wird und Vorbildwirkung haben wird in vielen Bereichen. Das ist gut und das ist sinnvoll.“

„Ich glaube, der der größte Mehrwert, den wir aktuell sehen bei diesen Gesetzen ist, dass endlich anerkannt wird, dass neben den Regeln auch die Technik und die Algorithmen eine Rolle spielen. Und dass sowohl im DSA als auch im DMA frontal sowohl Regeln der Plattformen, die internen Regeln, als auch deren Aufmerksamkeitstechniken, deren Machttechniken, kontrolliert werden. Dahin zu kommen war schon ein großer wichtiger Schritt.“

Prof. Dr. Tobias Keber

Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft, Hochschule der Medien Stuttgart

„Die Richtung stimmt. Man muss diese Herausforderung europäisch angehen. Man hat beim DSA und beim DMA vielleicht auch schon ein bisschen gelernt, unter anderem auch aus der Datenschutz-Grundverordnung. Da hat man neue organisatorische Mechanismen, also die Abstimmungsprozesse sind besser beim DSA mit den Digital Services Coordinators. Dieses ‚one size fits all‘ – also ein großes Unternehmen muss sich genauso an die Vorgaben halten wie ein ganz kleines – das hatten wir in der Datenschutz-Grundverordnung mehr oder weniger. Da hat man jetzt gesagt: Das machen wir viel differenzierter. Wir gucken, was können die Kleinen stemmen? Die ganz Großen haben viel mehr Verantwortlichkeiten, also viel gestufter das Konzept. Das ist alles gut, alles prima. Man muss der Gefahr begegnen, dass es zu so einer ‚Hypertrophie des europäischen Internetrechts‘ kommt. Wir haben sehr viele Mechanismen, man muss sehr genau hingucken: Bleiben die auch insgesamt kohärent? Gibt es da nicht zum Teil systematische Brüche oder Widersprüche? Aber die Richtung stimmt.“

„Und an die Journalistinnen und Journalisten: Wenn Experten gefragt werden, wenn es um so komplexe Themen geht wie DSA und DMA, geben Sie ihnen vielleicht statt einer Minute drei Minuten, um Sachen zu erklären.“

Video-Mitschnitt & Transkript

 

Auf unserem YouTube-Kanal können Sie das Video in Galerieansicht oder Sprecheransicht anschauen.

Ein Transkript können Sie hier als pdf herunterladen.