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30.11.2022

Antikörpertherapien bei Alzheimer – Wo geht die Reise hin?

Mit viel Spannung wurden die Daten der Phase-III-Studie des Antikörpers Lecanemab gegen Alzheimer erwartet, die am 29.11.2022 auf dem CTAD-Kongress (clinical trial on alzheimer's disease) in San Francisco vorgestellt und im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurden [I]. Bereits Ende September verkündeten die Hersteller Eisai und Biogen in einer Pressemitteilung [II], dass ihr Antikörper Lecanemab das primäre Studienziel erreicht hat und eine statistisch signifikante Verlangsamung des klinischen Krankheitsverlaufs nachweisbar war.

Lecanemab ist neben Aducanumab und Gantenerumab einer von drei Antikörpern, die als Hoffnungsträger in klinischen Studien auf ihre Wirksamkeit geprüft wurden. Bereits im Juni 2021 wurde in den USA der monoklonale Antikörper Aducanumab in einem beschleunigten Verfahren zugelassen, obwohl die beiden umfangreichen Phase-III-Studien widersprüchliche Ergebnisse geliefert hatten und eine klinische Wirksamkeit nicht eindeutig erwiesen werden konnte. Nachdem die staatliche US-amerikanische Krankenversicherung Medicare in den USA die Erstattung der Therapie stark eingeschränkt hatte, zog der Hersteller Biogen die beschleunigte Zulassung von Aducanemab im April 2022 zurück. Der Antikörper Gantenerumab der Firma Roche wiederum konnte bereits in den entscheidenden Phase-III-Studien keine signifikante klinische Wirksamkeit erreichen. Nun verbleibt als vorerst einzige anti-Amyloid Therapieoption Lecanemab.

Ob das klinische Nutzen-Risiko-Verhältnis bei diesem Antikörper für eine Zulassung ausreicht, ist unter Forschenden umstritten – auch aufgrund möglicher schwerer Nebenwirkungen und Unklarheiten beim Wirkprofil. Zwei Tage vor der Präsentation der Daten in San Francisco erscheint im Fachjournal „Science“ ein Beitrag über einen Todesfall, der ursächlich auf die Therapie mit Lecanemab zurückgehen soll [III].

Wie schätzen Experten aus dem Bereich der Alzheimerforschung die Ergebnisse und Entwicklungen zu den in umfangreichen klinischen Studien erprobten Antikörpern gegen Alzheimer ein? Wie sind die vorliegenden Daten zu Lecanemab mit Blick auf Patientennutzen und Nebenwirkungen zu deuten? Wem und ab wann könnte eine Behandlung mit diesem Antikörper helfen? Gibt es aktuell alternative Therapieansätze zur Behandlung von Alzheimer?
Diese Fragen – und vor allem Ihre! – beantworteten Experten in einem 50-minütigen virtuellen Press Briefing.

Zusätzlich zu diesem Press Briefing kommentierten fünf Experten die Studie zu Lecanemab in einem Research in Context.

Experten im virtuellen Press Briefing

     

  • Prof. Dr. Frank Jessen
    Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Uniklinik Köln, sowie Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
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  • Prof. Dr. Hans-Ulrich Demuth
    Berater des Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI, Leipzig, sowie Mitglied des Deutschen Ethikrats
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Abschluss-Statements aus dem Press Briefing

Das SMC hat am Ende des Press Briefings gefragt, ob die neue Antikörpertherapie auf die richtige Zielscheibe zielt und, was bei der Berichterstattung über die Lecanemab-Studie beachtet werden sollte.

Die Antworten stellen wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung.

Hans-Ulrich Demuth

Berater des Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI, Leipzig, sowie Mitglied des Deutschen Ethikrats

„Ob es die richtige Zielscheibe ist, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Es ist eine Zielscheibe, die sich als offensichtlich sehr wirkungsvoll herauskristallisiert hat, wenn man sie trifft. Man muss das natürlich mit den entsprechenden Einschränkungen betrachten, die wir in der Diskussion hier auch gemacht haben. Ich denke, das ist in der Summe ein Fortschritt, den man weiter vorantreiben sollte.“

Frank Jessen

Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Uniklinik Köln, sowie Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)

„Es ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Alzheimer-Forschung, die in die Geschichtsbücher eingehen wird. Man sollte das auch so benennen und nicht der Diskussion folgen, dass das ein zu kleiner Effekt wäre. Es ist ein robuster Effekt, und bedeutsam für diejenigen, die die Erkrankung haben. Man sollte allerdings auch schon in der Berichterstattung betonen, dass die Erwartungen nicht so sind, dass das eine Heilung ist oder die Erkrankung zum Stillstand bringt, sondern es ist eine signifikante Verzögerung des Fortschreitens. Und der letzte Punkt noch: Wichtig ist auch, dass man nicht die Erwartung weckt, dass er für alle Demenzkranken zugänglich oder hilfreich sein wird, sondern das ist wirklich nur eine spezielle Gruppe, die in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung ist, um die es hier geht.“

Video-Mitschnitt & Transkript

Auf unserem YouTube-Kanal können Sie das Video auch in Sprecheransicht oder Galerieansicht sehen.

Ein Transkript kann hier als pdf heruntergeladen werden.

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Hans-Ulrich Demuth: „Ich bin Mitgründer der Probiodrug AG und habe die im Absatz vier angegebenen Therapien erfunden. Ebenso lange Jahre habe ich mit dem Team von Prof. Willbold in Düsseldorf zusammengearbeitet. In meinem Institut (Fraunhofer IZI-MWT in Halle) entwickeln wir weitere spezifische Antikörper gegen besonders aggressive Amyloid-beta-Formen und kleine Inhibitoren gegen alternative Beta-Sekretasen.“

Prof. Dr. Frank Jessen: „Honorare für Beratung und Vorträge von 2021-2022: AC Immune, Biogen, Eisai, Janssen, Roche.“

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] van Dyck CH et al. (2022): Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2212948.

[II] Biogen (27.09.2022): Lecanemab confirmatory phase 3 clarity ad study met primary endpoint, showing highly statistically significant reduction of clinical decline in large global clinical study of 1,795 participants with early Alzheimer’s disease. Pressemitteilung des Unternehmens.

[III] Piller C (27.11.2022): Second death linked to potential antibody treatment for Alzheimer’s disease. Science. DOI: 10.1126/science.adf9701.