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01.09.2022

Erdgasverbrauch – wo findet man die Daten?

Die Gasspeicher in Deutschland und Europa haben sich viel schneller gefüllt als befürchtet. Jetzt kommt es darauf an, ob sie für den Winter reichen. Dafür sind mehrere Faktoren wichtig: die weitere Lieferung von Erdgas im Winter, das Wetter und die Gaseinsparungen, ablesbar am Verbrauch. In diesem Fact Sheet zeigen wir auf, welche Quellen es für aktuelle Gas-Verbrauchsdaten gibt, wie diese Daten gemessen oder geschätzt werden, in welcher Form sie angeboten werden und was Datenjournalisten und -journalistinnen berücksichtigen müssen, wenn sie sich selbst einen Überblick verschaffen wollen.

Das Fact Sheet kann hier als pdf heruntergeladen werden.

Übersicht

     

  • Warum kommt es im Winter auf den Erdgasverbrauch an?
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  • Wer hat Daten über den aktuellen Erdgasverbrauch?
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  • Wo findet man Gas-Verbrauchsdaten?
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  • Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
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Warum kommt es im Winter auf den Erdgasverbrauch an?

     

  • Deutschland hat bis 2022 Erdgaslieferungen ausschließlich per Pipeline erhalten.
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  • Per Pipeline ist die Importmenge über das Jahr bei den meisten Leitungen ungefähr gleich hoch.
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  • Bis Ende 2021 lag der Verbrauch in Deutschland im Sommer niedriger als die Lieferungen per Pipeline, im Winter war er rund 3 bis 4 mal so hoch.
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  • Erdgasspeicher in Deutschland nehmen diesen Überschuss im Sommer auf und geben ihn im Winter wieder ab.
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  • Das war in der Vergangenheit lange wirtschaftlich, weil die Gaspreise im Sommer in der Regel niedriger waren als im Winter. Schon seit 2017 sank diese Preisdifferenz allerdings deutlich.
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  • Weil Deutschland die Ukraine gegen Russland unterstützt, hat Russland die Gaslieferungen per Pipeline nun stark gedrosselt und unterbricht sie sporadisch.
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  • Versorger in Europa haben darauf reagiert und mehr Flüssiggas (LNG) geordert sowie den Bau neuer Terminals veranlasst.
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  • LNG wird per Schiff in spezielle Terminals geliefert. Die Auslastung der Häfen folgt in der Regel der Saison: Ab April/Mai sinkt die Auslastung, ab August/September steigt sie wieder an – je nach Temperatur, Gaspreis und Gasbedarf.
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  • Die Lieferkürzungen aus Russland konnte Deutschland neben Verbrauchsreduzierungen so offenbar mindestens zum Teil auch per LNG-Lieferungen ausgleichen, die über Terminals anderer EU-Staaten angelandet und per Gasleitungen weitergeleitet wurden.
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  • Falls die Gaslieferungen aus Russland im Winter vollständig ausfielen, hätte Deutschland damit die folgenden Optionen:
    • Import von Erdgas aus Norwegen
    • Import von Erdgas aus den Niederlanden
    • Import von LNG über Terminals, die trotz Winter noch Platz für Lieferungen haben
    • Import von LNG über die ersten deutschen Terminals an der Nordsee ab Januar 2023
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  • Falls trotz der ausgeweiteten Importe die Füllstände der Speicher zu stark sinken, müsste darüber hinaus der Verbrauch reduziert werden.
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  • Das ist auch wichtig, um die Gasspeicher für den Winter 2023/24 zu füllen: Je niedriger der Gasverbrauch im Winter war und je mehr die Industrie auf andere Heizquellen umgestellt hat, desto einfach wird es.
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  • Der Gasverbrauch ist daher eine wichtige Größe, um abschätzen zu können, ob es in diesem oder dem kommenden Winter zu einem Gasmangel kommen könnte.
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Wer hat Daten über den aktuellen Erdgasverbrauch?

     

  • Daten zum Erdgasverbrauch sind nicht so detailliert wie zum Beispiel Daten zum Stromverbrauch. Das liegt unter anderem daran, dass die Gasversorgung viel weniger dynamisch ist und der Verbrauch selbst großer Verbraucher im Sektor „Gewerbe, Handel und Dienstleistung“ (GHD) nur einmal im Jahr abgelesen wird.
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  • Gastransport: Elf Transportnetzbetreiber betreiben in Deutschland den überregionalen Transport von Erdgas. Sie veröffentlichen ihre Daten über den ENTSOG – den Verband der Europäischen Transportnetzbetreiber.
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  • Gasverteilung: Trading Hub Europe (THE) – gemeinsames Unternehmen der elf Transportnetzbetreiber. THE ist dafür verantwortlich, dass Gashandel und Gasfluss übereinstimmen und veröffentlicht „Allokations-Daten“ auf freiwilliger Basis täglich.
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  • Aufsichtsbehörde: Bundesnetzagentur. Sie veröffentlicht eine tägliche Übersicht über die Entwicklung der Gasversorgung in Deutschland. Enthalten sind auch Entwicklung und Zahlen zum Gasverbrauch per Monat und als Detail zum Industrieverbrauch per Woche.
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  • Interessenvertretung: BDEW – Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft. Verfügt als Verband über Daten seiner Mitgliedsunternehmen. Veröffentlicht prozentuale Daten und sporadisch auch Werte selbst oder im Rahmen der AG Energiebilanzen.
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Wo findet man Gas-Verbrauchsdaten?

     

  • Prinzipiell kann der Verbrauch auf zwei Arten veröffentlicht werden: als Menge oder als durch die Menge bereitgestellte Energie.
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  • Gasmenge: Gelieferte oder verbrauchte Mengen an Erdgas können in Kubikmetern angeben sein.
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  • Problem: Erdgas aus unterschiedlichen Quellen hat unterschiedliche Brennwerte.
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  • Unterschieden werden L- und H-Gas:
    • L-Gas ist Erdgas mit niedrigerem Brennwert. In Deutschland stammt es vor allem aus den Niederlanden.
    • H-Gas ist Erdgas mit höherem Brennwert. In Deutschland stammt es vor allem aus Norwegen und Russland.
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  • Ein direkter Gasmengenvergleich zum Beispiel zwischen Lieferungen aus Holland und Russland würde die Energie übersehen, die mit den jeweiligen Gasmengen bereitgestellt werden kann.
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  • Energiemenge: Die thermische Energie, die aus einer bestimmten Menge Gas gewonnen werden kann. Sie kann angegeben werden in: Kilowattstunden (kWh), (Peta-)Joule (J) oder Steinkohleeinheiten (SKE, vor allem verwendet von der AG Energiebilanzen).
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  • Kilowattstunden sind für Haushaltsabrechnungen die gängige Größe, auch die Transportkapazitäten werden als Leistung in Form von Gigawattstunden (GWh) oder Terawattstunden (TWh) pro Tag oder Stunde angegeben. Joule werden in manchen Wissenschaftsdisziplinen genutzt.
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  • Die Faktoren für die Umrechnung müssen für jede Gassorte gesondert angegeben werden.
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  • Allerdings bieten ENTSOG, THE, Bundesnetzagentur und BDEW bereits in kWh umgerechnete Werte an.
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Übersicht über Quellen für Erdgas-Verbrauchsdaten

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Quellen für aktuelle Gas-Verbrauchsdaten.


Tabelle 1: eigene Recherche

     

  • Anmerkungen:
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  • ENTSOG:
    • Theoretisch ist es möglich, den Verbrauch in Deutschland aus der Differenz von Import, Export und Einspeicherung zu berechnen.
    • Praktisch wäre dieser Weg jedoch sehr aufwendig, und eine Vergleichbarkeit mit anderen Werten ist nicht garantiert.
    • Über die API lassen sich auch aggregierte Daten zum Verbrauch auslesen. Diese sind allerdings weder räumlich noch nach Verbrauchern aufgeschlüsselt.
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  • THE:
    • Die Daten vom THE setzen sich aus zwei Meldungen zusammen:
    • a) Registered Performance Measurement (RLM). Tatsächlich gemessene Werte von Verbrauchern, die mehr als 10 MWh Gas verbrauchen.
    • b) Standardlastprofil (SLP). Aufgrund von Erfahrungen und historischen Werten geschätzte Daten, hauptsächlich Haushalte, deren Verbrauch in der Regel nur einmal im Jahr abgelesen wird. Diese gehen von einem „ungestörten“ Bedarf aus. Bei deutlichen Einsparungen dürfte sich das tatsächliche Profil ändern, die Frage ist, wie schnell und genau diese Änderungen in das SLP eingehen.
    • Beide können bis zu anderthalb Monate nach der Erstmeldung aktualisiert werden.
    • Sie werden als „Allokation“ bezeichnet, weil das Erdgas Bilanzkreisen zugeordnet wird.
    • In den Bilanzkreisen müssen Verbrauch und Lieferung ausgeglichen sein.
    • Bei Bedarf kann THE zusätzliches Gas als Regelenergie organisieren.
    • Die Daten des THE liegen erst ab Oktober 2021 vor.
    • Durch die Nachmeldefristen und die Verbrauchschätzungen liefern die THE-Daten nur mit großer Verzögerung einen Eindruck vom Verbrauch, durch die Zuordnung zu Bilanzkreisen können weitere Mengen wie etwa Regelenergie fehlen.
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  • Bundesnetzagentur:
    • Die Bundesnetzagentur stellt im Herbst ihre Berechnung um.
    • Basis für ihre Verbrauchsangaben werden dann die THE-Werte sein.
    • Die Einschränkungen für die THE-Daten treffen damit künftig auch auf die Werte der Bundesnetzagentur zu.
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  • Bundesverbrand des Energie- und Wasserwirtschaft BDEW:
    • Die Veröffentlichung erfolgt erst nach Validierung der Werte.
    • Die Veröffentlichung erfolgt damit mit großer Verzögerung.
    • In der Regel erfolgt sie nur in Form von Prozentangaben.
    • Mit Hilfe der folgenden Tabelle lässt sich jedoch der jeweilige Wert berechnen – Rundungsfehler sind möglich.
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Übersicht über historischen Gasverbrauch zum Vergleich

Die folgende Tabelle gibt einen kurzen Überblick über die BDEW-Werte für die Jahre 2021 und 2020, mit denen aktuelle Angaben verglichen und berechnet werden können.


Tabelle 2: BDEW [6]

     

  • Der Gasverbrauch in den Jahren 2020 und 2021 war allerdings wegen der Corona-Pandemie untypisch.
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  • Das letzte Jahr mit belastbaren Werten war das Jahr 2019, das war allerdings ein warmes Jahr.
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Weitere Verbrauchsdaten zum Vergleich

     

  • ENTSOE:
    • Die ENTSOE bietet eine Zusammenfassung der Gasmenge für die Stromerzeugung, übersichtlich dargestellt bei den Energy-Charts des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme.
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  • Destatis/Eurostat
    • Destatis bietet historische Verbrauchsdaten, die für einen Vergleich verwendet werden können, zum Beispiel hier.
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Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[1] Trading Hub Europe (2022): Veröffentlichung der aggregierten Verbrauchsdaten.

[2] Bundesnetzagentur (2022): Aktuelle Lage der Gasversorgung in Deutschland.

[3] BDEW (2022): Empfohlene Schlagworte Daten und Grafiken.

[4] ENTSOG (2022): ENTSOG Transparency Platform, API, User Manual.

[5] Trading Hub Europe (2022): Reports Preise.

[6] BDEW (2022): Schnellstatistik. Erdgasaufkommen und -verbrauch Deutschland im März 2022.
Daten auf Nachfrage beim BDEW erhältlich.