mRNA-Impfstoffe als Schutz vor Grippe
Pfizers Grippeimpfstoff schützt besser vor Erkrankung als herkömmliche saisonale Impfstoffe, ist jedoch mit mehr Impfreaktionen verbunden
mRNA-Technologie soll sich schneller an neue Virusvarianten anpassen können und besseren Schutz bieten
Forschende: mRNA-Impfstoffe vor allem für Pandemien von Vorteil, für Risikogruppen gibt es allerdings schon verbesserte herkömmliche Impfstoffe
Der mRNA-Grippe-Impfstoff der Firma Pfizer verhindert mehr Grippefälle als herkömmliche Impfstoffe und löst eine stärkere Immunantwort aus. Allerdings treten häufiger Impfreaktionen auf. Dies sind die Ergebnisse einer Phase-III-Studie, die im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle).
Pfizer testete den Impfstoff in der Grippe-Saison 2022/23 in den USA, auf den Philippinen und in Südafrika. 18.476 gesunde Teilnehmende zwischen 18 und 64 Jahren erhielten nach dem Zufallsprinzip entweder den mRNA-Impfstoff oder einen der herkömmlichen Impfstoffe. Alle Impfstoffe waren auf die vier empfohlenen saisonalen Influenzastämme ausgerichtet. Der Impfstoff war bei der Verhinderung von Influenza-Erkrankungen um 34,5 Prozent wirksamer als die Kontrollimpfstoffe: In der mRNA-Gruppe gab es 57 Erkrankungen, in der Kontrollgruppe 87. Es handelte es sich um Influenza-A-Fälle, nur bei zwei Personen wurde der B-Stamm nachgewiesen.
wissenschaftlicher Direktor des Ignaz Semmelweis Instituts, interuniversitäres Institut für Infektionsforschung und Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge, Medizinische Universität Wien, Österreich, und Professor für Vakzinologie, Abteilung für Mikrobiologie, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York City, Vereinigte Staaten von Amerika, Vereinigte Staaten
„Ich sehe diesen Impfstoff als sehr ähnlich zum saisonalen Influenzaimpfstoff, den Moderna in Entwicklung hat. Beide Impfstoffe zeigen eine gute Wirkung und eine Effizienz, die etwas über jener herkömmlicher Influenzaimpfstoffe liegt. Bei beiden denke ich, dass die Impfreaktionen etwas höher sind als bei konventionellen Influenzaimpfstoffen.“
Mögliche Vorteile eines mRNA-Impfstoffs
„Zwei Aspekte sind hier wichtig: Für die Nordhalbkugel müssen für herkömmliche Influenzaimpfstoffe die Impfstämme im Februar bestimmt werden, da die Herstellung des Impfstoffes lange dauert, etwa sechs Monate. Während dieser Zeit findet die Influenzasaison auf der Südhalbkugel statt und es kann zur Veränderung des Virus kommen. Das kann dazu führen, dass der Impfstoff nicht mit den zirkulierenden Stämmen zusammenpasst, was die Wirksamkeit verschlechtert.“
„mRNA-basierende Impfstoffe können viel schneller hergestellt werden, Entscheidungen zu den Impfstämmen müssten erst im Mai oder Juni getroffen werden. Zu diesem Zeitpunkt hätte man also schon Daten von der Südhalbkugel, und diese Impfstoffe würden viel eher mit den zirkulierenden Viren zusammenpassen. Das ist der erste Vorteil.“
„Der zweite Vorteil betrifft Pandemien. Wenn eine Firma einen zugelassenen Influenzaimpfstoff für saisonale Influenza auf dem Markt hat, kann dieser sehr schnell auf einen neuen pandemischen Stamm umgestellt werden, H5N1 etwa (Vogelgrippe; Anm. d. Red.). In diesem Fall bräuchte es keine langen Effizienzstudien, welche im Idealfall etwa drei bis vier Monate dauern. Da mRNA-Impfstoffe für saisonale Influenza nicht zugelassen sind, würde es im Falle einer Influenzapandemie länger dauern, bis mRNA-Impfstoffe für einen pandemischen Stamm eingesetzt werden können – man müsste zuerst Effizienzstudien durchführen, und das würde, wie bei COVID-19, wahrscheinlich fast ein Jahr dauern. Sollten mRNA-Impfstoffe für saisonale Influenza aber zugelassen werden, dann steht auch hier der schnellere Weg offen – und das wäre im Fall einer Pandemie natürlich sehr wichtig.“
Wirkung und Nebenwirkung
„Die neue Studie und die Moderna-Studien zeigen, dass diese Impfstoffe gut funktionieren. Die Nebenwirkungen sind zwar höher, aber die kann man – vor allem in Risikogruppen – für einen besseren Schutz in Kauf nehmen. Man muss aber dazu sagen, dass es schon verbesserte Impfstoffe für Risikogruppen gibt, die auf Standardtechnologien beruhen, etwa hochdosierte Influenzaimpfstoffe oder adjuvantierte Impfstoffe. Diese sind auch besser als normale saisonale Influenzaimpfstoffe und einen direkten Vergleich mit diesen verbesserten Impfstoffen, was Effizienz betrifft, gab es weder bei Pfizer noch Moderna. Also: Im Endeffekt wird der Konsument entscheiden, ob ein mRNA-Impfstoff infrage kommt, oder ob man zu vorhandenen Alternativen greift.“
Offene Fragen
„Einerseits ist in keinem der beiden mRNA-Influenzaimpfstoffe das zweite Oberflächenprotein des Influenzavirus enthalten, die Neuraminidase. Das ist meiner Meinung nach ein Minus – die Neuraminidase sollte inkludiert werden. Andererseits wäre ein direkter Vergleich mit anderen verbesserten Influenzaimpfstoffen wie etwa hochdosierten Influenzaimpfstoffen oder adjuvantierten Impfstoffen wichtig.“
Ärztlicher Direktor, Zentrum für Infektiologie, Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Heidelberg, und Mitglied der Ständigen Impfkommission
Über den Impfstoff
„Der in der Publikation verwendete Impfstoff entspricht von der Herstellung her dem Prinzip der zugelassenen COVID-19-Impfstoffe: Es wird mRNA mit modifizierten Nukleosiden hergestellt (RNA-Bausteine; Anm. d. Red.), um die angeborene Immunantwort auf den Impfstoff zu modulieren, das Ganze wird dann mit Lipiden zur Steigerung der Aufnahme in Zellen verpackt – soweit nichts Neues. Der Impfstoff folgt einer ähnlichen Idee wie mRNA-1010 von Moderna, dessen Ergebnisse im Sommer berichtetet wurden: Er enthält vier mRNAs, die jeweils für das Hämagglutinin-Antigen der von der WHO empfohlenen saisonalen Influenzastämme kodieren.“
Wirksamkeit gegen Influenzastämme
„Diese Studie wurde während einer Saison und vorrangig den USA an gut 18.000 Menschen durchgeführt. Sie wurden nach einer Eins-zu-Eins-Randomisierung entweder mit dem Pfizer-mRNA-Impfstoff beziehungsweise mit einem konventionellen Spalt-Protein-Impfstoff als Kontrolle, der auf den gleichen saisonalen Stämmen beruht, geimpft. Die Ergebnisse zeigen, dass für die Verhinderung von Influenza-A-Infektionen eine bessere Effektivität des mRNA-Impfstoffs um 34,5 Prozent gegenüber der Kontrolle erreicht wird. Influenza-B-Infektionen traten in der Saison kaum auf. Bezüglich der Immunogenität zeigte sich in den Antikörper-Neutralisationsassays (Test, um Antikörper gegen Influenza nachzuweisen; Anm. d. Red.) eine bessere Wirkung des mRNA-Impfstoffs gegenüber der Kontrolle für die beiden Influenza-A-Stämme, nicht aber für Influenza B – sondern hier eine Unterlegenheit. Bei den T-Zell-Antworten dagegen war eine bessere Wirksamkeit des mRNA-Impfstoffs gegenüber der Kontrolle zu beobachten.“
„Die Ergebnisse sind sehr interessant, da nun für einen weiteren quadrivalenten mRNA-Impfstoff die Nicht-Unterlegenheit, beziehungsweise sogar Überlegenheit gegenüber konventionellen Spalt(Protein)Impfstoffen gezeigt wird.“
„Für Influenza A sind die Ergebnisse ähnlich denen vom bislang nicht publizierten mRNA-Impfstoff von Moderna, mRNA-1010. Somit bestätigen die Ergebnisse meines Erachtens, dass die mRNA-Impftechnologie auch für quadrivalente Influenzaimpfungen anwendbar ist. Die Daten von Moderna und nun Pfizer zeigen, dass für Influenza A sogar eine bessere Wirksamkeit gegenüber den konventionellen Impfstoffen möglich ist. Ob letzteres allerdings grundsätzlich so ist oder mit der Saison zu tun hatte, bleibt unklar.“
„Auch bei Moderna gab es meines Wissens in den frühen Phasen Probleme mit der Effektivität gegen Influenza B, das wird ebenso von dem Kombiimpfstoff von Pfizer/Biontech für COVID-19/Influenza für Influenza B berichtet. Für Influenza B müssen somit wohl Anpassungen erfolgen.“
„Grundsätzlich wird aber somit gezeigt, dass mRNA-Impfstoffe auch für Influenza produziert werden können und wirksam sind. Für Influenza A sind sie sogar konventionellen Impfstoffen überlegen. Nicht unerwartet gehen die Impfstoffe mit höherer Reaktogenität, also lokalen und systemische Nebenwirkungen, einher. Das kennen wir von COVID-19-Impfungen. Jedoch werden keine Sicherheitssignale für schwere unerwünschte Nebenwirkungen berichtet. Für mich bestätigen die Daten die grundsätzliche Effektivität der mRNA-Technologie.“
Zulassung
„Meines Erachtens – das werden aber die Zulassungsbehörden entscheiden – ist die Überlegenheit beziehungsweise Nicht-Unterlegenheit zumindest die Voraussetzung zur Zulassung. Die erhöhten Impfreaktionen entsprechen denen, die von den COVID-19-Impfstoffen bekannt sind. Diese sprechen nicht gegen eine Zulassung – in der Anwendung wäre das dann eine Abwägung von besserer Wirksamkeit versus erhöhten Nebenwirkungen. Bei besonders gefährdeten Menschen könnte aber der Schutzgedanke dominieren.“
Immunantwort nach mRNA-Impfung
„Speziell die T-Zell-Daten sind interessant – dies könnte auf die ‚selbstadjuvante‘ (selbstverstärkende; Anm. d. Red.) Eigenschaft der mRNA als Substanz zurückzuführen sein, die Rezeptoren des angeborenen Immunsystems aktiviert. Diese Aktivierung bedingt vermutlich eine bessere Induktion von T-Zell-Antworten, eine bessere T-Helferzellaktivierung und dann eine B-Zell-Stimulation. Allerdings bedingt sie auch die ‚Nebenwirkung‘ von lokalen und systemischen Reaktionen – letztlich wird diese Balance über die modifizierten Nukleoside beeinflusst.“
Vorteile der mRNA-Technologie
„Die mRNA-Impftechnologie beweist sich erneut als Plattformtechnologie und erlaubt im Herstellungsprozess die schnelle Anpassung an neue Varianten: Dies ist bekannt von COVID-19, und ist jedes Jahr für die saisonale Influenza notwendig.“
„Außerdem ist die Technologie vorteilhaft im Herstellungsprozess und gut skalierbar: Konventionell brauchen Sie sehr viele Hühnereier, das ist kaum skalierbar – so wie während der Pandemie mit der ‚Schweinegrippe‘ im Jahr 2009.“
„Eine schnelle Anpassung und Skalierung wären im Fall einer neuen Influenza-Pandemie wichtig. Möglicherweise – da bin ich aber im Detail überfragt – wären auch kürzere Vorlaufzeiten bei der Produktion der jeweils saisonal angepassten Impfstoffe möglich.“
Offene Fragen
„Noch unklar ist, ob die Schutzdauer über die gesamte Saison andauert.“
„Es wird interessant zu sehen sein, ob eine Überlegenheit auch bei älteren Menschen, die häufig schlechtere Immunantworten generieren, erreicht werden kann. Gerade ältere Menschen haben ein höheres Risiko, schwer an Influenza zu erkranken, reagieren aber schwächer auf die Influenzaimpfstoffe. Deshalb sind für diese Altersgruppen neue Strategien beschritten worden: Hochdosis-Impfungen beziehungsweise die Nutzung von adjuvantierten Impfstoffen. Beide Prinzipien sollen die Immunantwort steigern, eventuell ist dies auch mit mRNA-Impfstoffen durch deren intrinsische Adjuvanz-Eigenschaft möglich.“
„Ob Menschen mit Vorerkrankungen von mRNA-Impfstoffen mehr profitieren, wäre ebenfalls von Interesse. Interessant wird auch die Entwicklung von Kombiimpfstoffen gegen COVID-19/Influenza sein, wobei sich hier als Problem ergeben könnte, dass die saisonale Epidemiologie beider Erkrankungen nicht zeitlich überlappt. Dann stellen sich also Fragen zu Impfzeitpunkt und Schutzdauer.“
„Die Icahn School of Medicine at Mount Sinai hat Patentanträge für serologische SARS-CoV-2-Tests, Newcastle-Disease-Virus-basierende SARS-CoV-2-Impfstoffe und Influenza-Impfstoffe und Therapien gestellt, die mich als Miterfinder anführen. Die Patente für den COVID-19-Impfstoff wurde an CastleVax auslizensiert, dort bin ich Mitbegründer und Scientific Advisory Board Member.“
„Ich berate momentan die Firmen Avimex (Mexiko) und Third Rock Ventures (USA), mein Labor hat in der Vergangenheit mit Pfizer an Tiermodellen für SARS-CoV-2 gearbeitet, ich forsche mit Norbert Pardi (University of Pennsylvania) an RNA-Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 und Influenza. Meine Arbeitsgruppe kollaboriert (rein wissenschaftlich, ohne jeglichen Geldfluss) momentan mit Moderna und Sanofi, um Immunantworten gegen neue Impfstoffe zu charakterisieren. Wir kollaborieren momentan auch aktiv mit Dynavax und Inimmune, um verbesserte Influenzaimpfstoffe zu entwickeln.“
„Ich habe eine Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für ein Projekt im Transregio 319 (RMaP), bei dem es letztlich um RNA-Immunerkennung geht. Ebenso ein Projekt der DFG im TRR156 zu dieser Thematik. Keine sonstigen Interessenkonflikte, speziell keine Beratung von Firmen und keine spezifischen Interessen zu Influenza.“
Primary source
Fitz-Patrick D et al. (2025): Efficacy, Immunogenicity, and Safety of Modified mRNA Influenza Vaccine. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2416779.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2025): Phase-3-Studie zu Modernas Kombiimpfstoff gegen Grippe und COVID-19. Statements. Stand: 07.05.2025.
[II] Paul-Ehrlich-Institut (14.11.2025): Saisonale Influenza-Impfstoffe. Webseite.
[III] Robert Koch-Institut (08.09.2025): Schutzimpfung gegen Influenza (Grippe). Webseite.
[IV] Soens M et al. (2025): A phase 3 randomized safety and immunogenicity trial of mRNA-1010 seasonal influenza vaccine in adults. Vaccine. DOI: 10.1016/S0264410X25001446.
[V] Moderna (30.06.2025): Moderna Announces Positive Phase 3 Results for Seasonal Influenza Vaccine. Pressemitteilung.
Prof. Dr. Florian Krammer
wissenschaftlicher Direktor des Ignaz Semmelweis Instituts, interuniversitäres Institut für Infektionsforschung und Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge, Medizinische Universität Wien, Österreich, und Professor für Vakzinologie, Abteilung für Mikrobiologie, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York City, Vereinigte Staaten von Amerika, Vereinigte Staaten
Information on possible conflicts of interest
„Die Icahn School of Medicine at Mount Sinai hat Patentanträge für serologische SARS-CoV-2-Tests, Newcastle-Disease-Virus-basierende SARS-CoV-2-Impfstoffe und Influenza-Impfstoffe und Therapien gestellt, die mich als Miterfinder anführen. Die Patente für den COVID-19-Impfstoff wurde an CastleVax auslizensiert, dort bin ich Mitbegründer und Scientific Advisory Board Member.“
„Ich berate momentan die Firmen Avimex (Mexiko) und Third Rock Ventures (USA), mein Labor hat in der Vergangenheit mit Pfizer an Tiermodellen für SARS-CoV-2 gearbeitet, ich forsche mit Norbert Pardi (University of Pennsylvania) an RNA-Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 und Influenza. Meine Arbeitsgruppe kollaboriert (rein wissenschaftlich, ohne jeglichen Geldfluss) momentan mit Moderna und Sanofi, um Immunantworten gegen neue Impfstoffe zu charakterisieren. Wir kollaborieren momentan auch aktiv mit Dynavax und Inimmune, um verbesserte Influenzaimpfstoffe zu entwickeln.“
Prof. Dr. Alexander Dalpke
Ärztlicher Direktor, Zentrum für Infektiologie, Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Heidelberg, und Mitglied der Ständigen Impfkommission
Information on possible conflicts of interest
„Ich habe eine Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für ein Projekt im Transregio 319 (RMaP), bei dem es letztlich um RNA-Immunerkennung geht. Ebenso ein Projekt der DFG im TRR156 zu dieser Thematik. Keine sonstigen Interessenkonflikte, speziell keine Beratung von Firmen und keine spezifischen Interessen zu Influenza.“