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22.02.2018

Meta-Analyse bewertet Antidepressiva: sie sind wirksam & verträglich

Antidepressiva wirken in der Behandlung schwerer Depressionen signifikant besser als ein Placebo und sind ähnlich gut verträglich wie ein Scheinpräparat. Zu diesem Ergebnis kommt eine umfangreiche Meta-Analyse, die 522 Studien zu 21 Antidepressiva auf diese beiden Aspekte hin untersucht hat. Alle 21 Medikamente wirkten signifikant besser als das Placebo. Bei zwei Antidepressiva brachen weniger Patienten die Behandlung ab als bei einem Scheinpräparat, bei einem der Medikamente gab es mehr Abbrüche. Die Ergebnisse dieser Studie wurden zusammen mit einem Kommentar im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht (siehe Primärquellen).

Übersicht

  • Prof. Dr. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz, Mainz

Statements

Prof. Dr. Klaus Lieb

Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz

„Die Studie zeigt in einer neuen, aufwendigen Analyse, dass alle in Deutschland zugelassenen Antidepressiva wirksame Medikamente zur Behandlung von Depressionen sind.“

„Der Wirksamkeitsnachweis wurde in dieser bisher größten zusammenfassenden Analyse von über 100.000 behandelten Patienten erbracht – eine für den Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie einmalig große Datenbasis.“

„Antidepressiva sind dabei zusammengefasst leicht bis moderat der Behandlung mit einem Scheinmedikament (Placebo) überlegen. Diese Wirksamkeit rechtfertigt die Behandlung einer Depression mit einem Medikament, allerdings muss man sich auch im Klaren sein, dass nicht jeder Patient von der Behandlung profitiert.“

„Die Studie zeigt auch, dass es Unterschiede in der Stärke der Wirksamkeit gibt, wobei eines der ältesten Antidepressiva namens Amitriptylin – wie auch schon in früheren Studien gezeigt – die stärkste Wirksamkeit hatte. Neuentwicklungen sind also nicht automatisch die besseren Medikamente. Allerdings ist Amitriptylin auch deutlich schlechter verträglich als neuere Substanzen – es wurden also in der Verträglichkeit bei den Neuentwicklungen Fortschritte erzielt. Fazit: Neu heißt nicht gleich besser.“

„Die Auswahl eines Medikamentes sollte individuell nach dessen Verhältnis von Wirksamkeit und Verträglichkeit erfolgen. Daher macht es auch keinen Sinn, generell das eine oder andere konkrete Medikament als das beste oder das schlechteste zu nennen. Von so einer Einschätzung, wie sie zum Beispiel im Kommentar zu der Studie gegeben wird, würde ich daher generell abraten (der Literaturhinweis zum Kommentar ist ebenfalls unter Primärquellen zu finden, Anm. d. Red.). Ein Beispiel ist das in dem Kommentar genannte Agomelatin: Es ist im Vergleich zu anderen Antidepressiva nur schwach wirksam, erreicht aber aufgrund seiner in der Kurzzeitbehandlung sehr guten Verträglichkeit einen Spitzenplatz. Das ist eine ziemliche Verzerrung – ich würde nie empfehlen, mit Agomelatin eine Behandlung einer schweren Depression zu starten.“

„Grenzen der Analyse ergeben sich daraus, dass die Daten nur Aussagen dazu machen, welche Medikamente in einer 8-wöchigen Akutbehandlung einer Depression mehr oder weniger gut wirksam beziehungsweise verträglich sind. Welches Medikament langfristig besser wirkt oder welches Medikament bei Wirkungslosigkeit eines zuerst verabreichten Medikaments gegeben werden soll, lässt sich mit dieser Studie nicht beantworten. Dazu kommt, dass die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Patient zu Patient unterschiedlich sein kann und gute Prädiktoren, wer gut oder schlecht auf ein Medikament anspricht, bisher nicht zur Verfügung stehen.“

„Antidepressiva stellen auch entsprechend der aktuellen Leitlinien eine Alternative zur Psychotherapie dar. Vorteile einer medikamentösen Therapie liegen im schnelleren Wirkeintritt und in der einfacheren Verfügbarkeit, Nachteile in den häufigen Nebenwirkungen und im Rückfallrisiko bei Absetzen des Medikamentes. Eine Psychotherapie wirkt zwar langsamer, hat aber wahrscheinlich den Vorteil der länger anhaltenden Effekte. Bei einer schwer und insbesondere sehr schwer ausgeprägten Depression sollte immer ein Antidepressivum verabreicht werden, am besten in Kombination mit Psychotherapie.“

Mögliche Interessenkonflikte

Prof. Dr. Klaus Lieb: ist Vorsitzender des Fachausschusses „Transparenz und Unabhängigkeit in der Medizin“ der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und Gründungsmitglied von MEZIS e.V. Er hat seit 2008 keine Honorare für Beratertätigkeiten, Fortbildungsveranstaltungen, Vorträge oder Stellungnahmen von pharmazeutischen Unternehmen oder Medizinprodukteherstellern erhalten. Für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien oder anderen Forschungsvorhaben erhielten Mitarbeiter seiner Klinik in den letzten drei Jahren Zuwendungen auf ein Drittmittelkonto von D&A Pharma, Hoffmann La Roche, Janssen-Cilag, INC Research, Roche Pharma und Roche Products Limited. Er erhält von der Akademie für ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz Honorare für die Durchführung der unabhängigen Fortbildungsreihe Psychiatrie und Psychotherapie und ist wissenschaftlicher Leiter von LIBERMED, die seit 2017 unabhängige Fortbildungen anbietet.

Primärquellen

Cipriani A et al. (2018): Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(17)32802-7.

Kommentar zur Studie: Parikh SV et al. (2018): More data, more answers: picking the optimal antidepressant. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)30421-5.

Weitere Recherchequellen

Leitlinie „Unipolare Depression“; S3-Leitlinie/ Nationale Versorgungsleitlinie (2015)