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07.05.2024

Mögliche Auswirkungen kommerzieller Cannabisshops

     

  • Hinweise auf einen neuen Anlauf der Regierung, den kommerziellen Cannabisverkauf in Modellregionen umzusetzen
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  • Forschende benennen eindeutige Risiken des kommerziellen Verkaufs von Cannabis und sprechen sich für staatlich kontrollierte nicht-gewinnbringende Monopole aus
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  • Modellprojekte seien jedoch eine Möglichkeit, um das Konsumverhalten und die Industrie besser zu verstehen
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Seit der Cannabis-Teillegalisierung am ersten April lautet eine der großen Fragen, wo Cannabis zukünftig erworben werden kann. Vor über einem Jahr legte die Bundesregierung in einem Eckpunktepapier den Verkauf in einem Zwei-Säulen-Modell fest: In einem ersten Schritt  ist der Bezug über nicht-gewinnorientierte Vereinigungen – die sogenannten Cannabis-Clubs – sowie der Eigenanbau und die Ernte von maximal drei weiblich blühenden Pflanzen erlaubt. Als zweite Säule soll der kommerzielle Verkauf im Rahmen von Modellprojekten erprobt werden. Wissenschaftlich begleitet und mit einer Laufzeit von fünf Jahren sollen in Modellregionen kommerzielle Shops öffnen und Cannabis – darunter auch „edibles“ wie Haschcookies – verkaufen.

Nachdem es um die Modellprojekte zu den kommerziellen Cannabisshops lange ruhig war, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) laut Berichten von „Tagesspiegel Background” diese Woche einen Verordnungsentwurf an verschiedene Verbände geschickt, um Stellungnahmen zu ihrem Vorschlag einzuholen.

Um Einschätzungen aus der Wissenschaft einzubringen, befragte das SMC Forschende, wie sich der Verkauf von Cannabis in kommerziellen Shops auf das Konsumverhalten in der Bevölkerung auswirken könnte und wie das Vorhaben, diese Shops im Rahmen von Modellprojekten zu testen aus wissenschaftlicher Perspektive bewertet werden kann.

Übersicht

  • Frank Zobel, Vizedirektor und Co-Leiter Forschungsabteilung, Sucht | Schweiz, Lausanne, Schweiz
  • Dr. Jakob Manthey, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung, Universität Hamburg
  • Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Statements

Frank Zobel

Vizedirektor und Co-Leiter Forschungsabteilung, Sucht | Schweiz, Lausanne, Schweiz

Modellprojekte

„Modellprojekte durchzuführen ist grundsätzlich eine gute Idee. Sie erlauben es verschiedene Modelle zu testen und zu vergleichen, sowie die Cannabiswelt – beispielsweise Konsumierende und Industrie – besser zu verstehen. Ihr größtes Problem: Wenn sie nicht gut geregelt sind, können sie unrealistische wirtschaftliche Interessen ankurbeln und damit auch den Konsum und die Risiken fördern.“

Auf die Frage, welche Art von Modellprojekten erfolgversprechender und welche riskanter sein könnten:
„Das hängt vom Rahmen ab. Grundsätzlich sehe ich keinen Sinn, dass man Cannabis für den Freizeitkonsum in der Apotheke verkauft, wo es eigentlich nur medizinischen Cannabis geben sollte. Supermärkte oder Tabakgeschäfte sind aus Sicht des Gesundheitsschutzes sicher nicht die besten Orte. Cannabis Social Clubs werden vielen Leuten nicht gefallen. Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Konsumierenden nicht Mitglied eines solchen Vereins sein will, sondern ganz einfach Cannabis kaufen möchte. International sieht man auch, dass Cannabis Social Clubs oft innerhalb von Grauzonen des Betäubungsmittelgesetzes entstanden sind (Spanien, Belgien). Nur in Uruguay werden sie effektiv reguliert, wobei sie dort - neben Apotheken und dem Selbstanbau – nur eine von drei Möglichkeiten sind, an Cannabis zu kommen. Die Social Clubs sind also nicht ein Modell für alle. Dazu kommt noch, dass es nicht einfach ist, diese Art von Vereinen gut zu regulieren und zu kontrollieren. Spezialisierte Geschäfte, in denen nur Cannabis verkauft wird, scheinen mir deswegen der beste Ort für den Verkauf.“

Mögliche Vorteile kommerzieller Shops

„Das übliche Argument lautet, dass mit einem kommerziellen Verkauf der Schwarzmarkt schneller verdrängt wird und dass viele Steuergelder eingenommen werden können. Das glaube ich nicht. Das Bild wird verschönt und es ist meistens nur das Argument der Industrie, um so wenig Regulierungen wie möglich zu haben. Kommerzielle Märkte bringen unter anderem tiefe Preise, (zu) viele Geschäfte und oft dubiöse Produkte. In den USA wurden zum Beispiel Esswaren wie Gummibärchen angeboten, die Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten. Diese sind aus verschiedenen Gründen gefährlich: Sie sind sehr attraktiv für Kinder und oft zu stark dosiert oder nicht homogen. Außerdem wissen einige Leute nicht, wie man sie konsumieren soll – die Effekte des THC treten erst nach einer Stunde oder mehr ein. Es gibt auch sehr stark dosierte Produkte wie Konzentrate, die die meisten Leute so nicht kennen. Die Behörden haben Schwierigkeiten mit solchen Entwicklungen mitzuhalten, weil es kein effizientes Bewilligungssystem gibt und/oder weil sie einfach nicht wissen welche kurz- und langfristigen Risiken mit solchen Produkten im Zusammenhang stehen. Deswegen bräuchte es auch eine Cannabisagentur oder ähnliches, um den Markt zu regulieren und die Produktsicherheit zu gewährleisten. Das kann man alles durch einen nicht kommerziellen Verkauf verhindern.“

Sinnvollste Art der Abgabe von Cannabis

„Ich befürworte nicht-gewinnorientierte Monopole oder Konzessionen (befristete behördliche Genehmigung zur Ausübung eines Gewerbes; Anm. d. Red.) für den Verkauf von Cannabis. Bestehende Daten deuten darauf hin, dass dies das beste Modell ist, wenn man die Sozialen- und Gesundheitsfragen ernst nimmt. Mit dem Pilotprojekt Cann-L in der Schweiz, an dem ich mitwirke, folgen wir dem Modell der Provinz Québec in Canada. Jede erwachsene Person, die es wünscht, kann Cannabis kaufen und konsumieren, aber es gibt so wenig Anreize wie möglich, um mehr oder gefährlicher zu konsumieren. Schadenminderung ist in solchen Modellen das oberste Prinzip. Außerdem schaffen sie Arbeitsplätze und Steuergelder und sind viel interessanter für die Konsumierenden als der Schwarzmarkt.“

Dr. Jakob Manthey

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung, Universität Hamburg

„Mit der Teillegalisierung wurde Konsumierenden ermöglicht, Cannabis legal anzubauen - entweder privat oder gemeinschaftlich. Beobachtungen in den sozialen Medien sowie anekdotische Berichte zeigen, dass die Möglichkeit des Anbaus verstärkt genutzt wird. Allerdings scheint auch die Nachfrage nach medizinischem Cannabis stark gestiegen zu sein, unter anderem weil es seit dem 01. April leichter ist Cannabis als Medizin zu verschreiben. Damit bestehen aktuell beziehungsweise ab der Eröffnung von Anbauvereinigungen drei (halb)legale Bezugsmöglichkeiten von Cannabis: Eigenanbau, Anbauvereinigungen, Verschreibung. Alle Personen, denen es wichtig ist, Cannabis über legale Wege zu beziehen, sollten auch ohne kommerzielle Abgabe eine Möglichkeit finden.“

Stand der Forschung zu Cannabis-Shops

„Aus Sicht des Gesundheitsschutzes ist die Eröffnung von Cannabis-Shops keine Notwendigkeit, da bereits verschiedene Möglichkeiten des legalen, sicheren Bezugs existieren. Wenn der Staat möglichst schnell und umfangreich den illegalen Markt reduzieren möchte, dann ist die Abgabe über entsprechende Shops sinnvoll. Da aber eine profitorientierte Kommerzialisierung des Marktes, in dem Cannabis als gewöhnliches Konsumgut mit Gewinnmaximierung verkauft wird, vermutlich mit einem Anstieg des Konsums und der Konsumprobleme einhergeht, sollte die Entwicklung eines kommerziellen Marktes begrenzt werden [1].“

„Auf Grundlage der mir bekannten Studienlage ist ein begrenztes Angebot von legalen Cannabisprodukten für Erwachsene mit dem Gesundheitsschutz unter bestimmten Bedingungen vereinbar. Wichtig ist, dass zentrale Regeln beachtet werden: strenge Alterskontrolle, räumliche Begrenzung der Verkaufslizenzen, umfassendes Marketingverbot, sowie eine am Schadenspotenzial ausgerichtete Preispolitik (siehe auch Handlungsempfehlungen in [1]). Letztere umfasst beispielsweise eine höhere Besteuerung von hoch-potenten Produkten.“

Modellprojekte

„Erkenntnisse aus Modellprojekten können uns dabei helfen, wichtige Wissenslücken zu schließen, zum Beispiel zur optimalen Ausgestaltung der Steuern, der Anzahl zulässiger Verkaufsstellen pro 100.000 Einwohner:innen oder der Wirkung von Gesundheitsinformationen auf Cannabisprodukten. Aus den Erkenntnissen in Quebec (Kanada) sowie den Alkoholmonopolen in Skandinavien plädiere ich stark für ein staatliches Verkaufsmonopol. Damit lässt sich zum Beispiel eine sichere Versorgung auf dem Land sicherstellen, die in einem marktwirtschaftlichen Modell nicht gewährleistet wäre.“

Prof. Dr. Justus Haucap

Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Stand der Forschung zu Cannabisshops

„Zu der Frage, welche Effekte die kommerzielle Vermarktung von Cannabis im Vergleich zu einer reinen Vermarktung über nicht-kommerzielle Anbauclubs auf den Konsum hat, gibt es meines Wissens keine empirischen Studien. Es gibt eine Reihe von Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, welche Auswirkungen Legalisierung und Entkriminalisierung auf den Konsum haben. Insgesamt lese ich die Studienlage so, dass es keine erheblichen kausalen Effekte der Legalisierung auf den Konsum gibt.“

„Dabei sind zwei Dinge zu beachten: Erstens nimmt der Cannabis-Konsum weltweit zu, egal ob mit oder ohne Verbot. Ein reiner Vorher-Nachher-Vergleich hat daher eine Aussagekraft von null, weil das gegebenenfalls einfach den allgemeinen Trend – der Konsum steigt – abbildet. Aussagekräftig sind daher nur Studien, die sich die Entwicklung des Konsums in Staaten mit Legalisierung ansehen und diesen vergleichen mit dem Konsum in Staaten ohne Legalisierung (Differenzen-in-Differenzen-Ansatz). Zweitens müssen Kurzfrist-Effekte von Langfrist-Effekten unterschieden werden. Direkt nach der Legalisierung kommt es teilweise zu einem gewissen ,Hype‘ – ,alle wollen mal probieren‘. Das ist aber in der Regel nicht langfristig.“

„Zudem steckt der Teufel oftmals im Detail: Die oft zitierte Studie von Cerda et al. [2] etwa findet, dass die Prävalenz von Cannabissuchterkrankungen bei Teenagern zwischen 12 und 17 Jahren von 2,18 Prozent auf 2,72 Prozent zugenommen habe, nachdem Colorado, Washington, Alaska und Oregon die Entscheidung zur Cannabislegalisierung gefällt hatten. Es bleibt aber völlig unklar, warum dies geschieht. Denn: Die Autor:innen selbst kommen zu dem empirischen Befund, dass der Konsum von Cannabis in dieser Altersgruppe gar nicht zugenommen habe ([2] Seite 167): ,Among the 12- to 17-year-old respondents, the prevalence of past-month marijuana use and past-month frequent use following state RML (Recreational Marijuana Legalization; Anm. d. Red.) enactment did not change in the overall sample or among users. However, after RML enactment, past-year CUD (cannabis use disorder; Anm. d. Red.) prevalence increased slightly among all 12- to 17-year-old respondents (2.18% to 2.72%).‘ Zudem treten die erhöhten Zahlen an Cannabissuchterkrankungen direkt nach der politischen Entscheidung zur Legalisierung auf und damit bereits deutlich (rund ein Jahr) vor der faktischen Cannabisfreigabe. Es bleibt leider unklar, warum es schon vor der eigentlichen Freigabe direkt nach der Legalisierungsentscheidung im Parlament zu einem (geringfügigen) Anstieg an Cannabissuchterkrankungen zu kommen scheint, obwohl auch der Cannabiskonsum gar nicht steigt. Diese Studie gibt daher aus meiner Sicht mehr Rätsel auf, als dass sie Antworten liefert.“

Modellprojekte

„Damit man aus den Modellvorhaben etwas lernen kann (was klappt gut, was klappt nicht so gut), sollte es möglichst unterschiedliche Ansätze geben. Wenn alle dasselbe machen, werden wir nur wenig lernen. Daher könnte man etwa in einigen Modellen prüfen, welche Effekte sich ergeben, wenn der Vertrieb allein über Apotheken erfolgt, in anderen dagegen eine kommerzielle Vermarktung über Fachhändler gestattet wird. Die größten Risiken sind erstens, dass alle mehr oder minder dasselbe machen und zweitens, dass keine guten Daten aus Regionen ohne Modellprojekte erhoben werden. Dann fehlen die Vergleichsmaßstäbe und eine Evaluation ist praktisch kaum möglich.“

Mögliche Vorteile und Profiteure kommerzieller Cannabisshops

„Der kommerzielle Verkauf kann Steuereinnahmen generieren und Arbeitsplätze schaffen. Die Steuer kann dafür sorgen, dass Cannabis nicht zu billig wird.“

„Von dem Verkauf profitieren Anbieter und Nachfrager, vor allem Konsumenten, die nur unregelmäßig konsumieren und sich daher keinem Club anschließen und nicht zuhause anbauen wollen. Leidtragender wird der Schwarzmarkt sein.“

Auf die Frage, welche Form der Abgabe allgemein die geeignetste sei:
„Die Menschen sind verschieden. Es wäre daher sinnvoll, wenn es nicht nur eine Vertriebsform als Einheitslösung gäbe, sondern ein vielfältiges Angebot. Einige schließen sich lieber Clubs an, andere gehen in die Apotheke und wieder andere gehen zum Fachhandel. In den USA und Kanada etwa sind die Shops sehr unterschiedlich. Einige sind sehr stylisch und sehen aus wie Apple-Shops, andere eher wie die Bioläden der 1980er-Jahre. Das sollte man nicht zu sehr regeln.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Frank Zobel: „Ich leite die Forschung eines Cannabispilotprojektes in der Schweiz (Cann-L in Lausanne). Die Schweizer Pilotprojekte sind relativ klein und haben strikte Regeln. Um Sie durchzuführen, braucht man eine Bewilligung einer Ethikkommission sowie vom Bundesamt für Gesundheit. Unser Projekt ist nicht gewinnorientiert. Im Hinblick auf den aktuellen Beitrag liegen von meiner Seite aus keine Interessenkonflikte vor.“

Dr. Jakob Manthey: „Ich habe bezahlte Vorträge zum Thema Cannabislegalisierung für nicht gemeinwohlorientierte Gesundheitsorganisationen gehalten und meine Stelle wird teilweise über Forschungsmittel zu diesem Thema finanziert. Außerdem habe ich zusammen mit Kolleg:innen für das Land Berlin einen Antrag zur Durchführung eines Modellprojektes entworfen und bin bei einem Schweizer Modellprojekt beratend tätig. Ich habe allerdings keinerlei finanziellen Beziehungen zur Cannabisindustrie (zum Beispiel bezahlte Vorträge, Reisen, Beratungen, Aktien, etc.).“

Prof. Dr. Justus Haucap: „Ich habe 2018 das erste Gutachten zu den möglichen Haushaltswirkungen (Steuereinnahmen und Einsparungen) im Auftrag des Deutschen Hanfverbandes erstellt, was im Markt auch hinlänglich bekannt ist. Zudem bin ich – ehrenamtlich, ohne jedwede Entschädigung – Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Cannabiswirtschaftsverbandes.“

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Manthey J et al. (2023): Policy Paper: Effekte einer Cannabislegalisierung (ECaLe). Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD).

[2] Cerdá M et al. (2020): Association between recreational marijuana legalization in the United States and changes in marijuana use and cannabis use disorder from 2008 to 2016. JAMA psychiatry. DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2019.3254.