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18.11.2021

Mehr Embryonen für künstliche Befruchtung nach genetischem Test

Die Implantation von Embryonen mit moderaten Hinweisen auf eine veränderte Chromosomenzahl scheint die Erfolgsrate der nachfolgenden Schwangerschaften und die Gesundheit der Kinder nicht nachteilig zu beeinflussen. Darauf deuten die Ergebnisse einer umfassenden Studie hin, die in der Fachzeitschrift „American Journal of Human Genetics“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle).

In einem prospektiven und verblindeten Versuch setzten Forschende Frauen mit Kinderwunsch auch solche Embryonen ein, die in einem genetischen Screeningtest im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik (PID) leichte bis moderate Veränderungen in der Chromosomenzahl – sogenannte Aneuploidien – aufwiesen. In diese Kategorie fielen Proben, bei denen circa 20 bis 50 Prozent der untersuchten Zellen solche Abweichungen aufwiesen. Wenn in verschiedenen Zellen unterschiedliche Chromosomensätze vorliegen, nennt sich das Mosaik-Befund. Die Ergebnisse in Bezug auf Schwangerschaftserfolg und Gesundheit des Kindes wiesen bei der künstlichen Befruchtung mit Mosaik-Embryonen keine Unterschiede zu denen ohne Hinweise in genetischen Tests auf. Die Forschenden rechnen vor: Wären diese jedoch nicht zur Befruchtung verwendet worden, sondern verworfen worden, hätte das in der Studie zu 36 Prozent weniger Lebendgeburten geführt. Der Ansicht der Autorinnen und Autoren nach sollte sich daher die klinische Praxis umgehend ändern und auch Embryonen mit leichten und moderaten Mosaikbefunden zur künstlichen Befruchtung benutzen.

Die internationale Gruppe an Forschenden nahm Proben aus 73 Embryonen im Blastozysten-Stadium – dem Status der befruchteten Eizelle nach circa fünf bis sechs Tagen, wenn sie mehrere 100 Zellen umfasst. Die äußere Zellschicht der Blastozyste heißt Trophektoderm und bildet die Mutter-Kind-Verbindungen wie die Plazenta aus; aus der inneren Zellmasse entwickelt sich der eigentliche Embryo. In der klinischen Praxis der Präimplantationsdiagnostik werden mit verschiedenen Techniken Zellen aus diesen Zellschichten entnommen und das Erbgut auf Veränderungen untersucht.

Präimplantationsdiagnostik kommt in Deutschland – wahrscheinlich aufgrund hoher Auflagen – kaum zur Anwendung: Im Jahr 2018 wurden einem Bericht der Bundesregierung zufolge 319 Anträge für eine Präimplantationsdiagnostik gestellt [I]. Für das gleiche Jahr dokumentiert das Register für künstliche Befruchtung allerdings 103 545 Behandlungszyklen [II]. Das Verfahren der PID ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs im Jahr 2010 zufolge nicht durch das Embryonenschutzgesetz verboten, wenn dazu pluripotente Zellen des Embryos verwendet werden, die sich nicht mehr selbst in einen vollständigen Embryo entwickeln können [III]. Im Jahr 2011 folgte eine Änderung des Gesetzes: Die Untersuchung genetischen Materials im Rahmen einer künstlichen Befruchtung ist seither nur nach umfassender ärztlicher Aufklärung und Zustimmung einer Ethikkommission zulässig, wenn dadurch das Risiko für schwerwiegende Erbkrankheiten oder für Tot- und Fehlgeburten untersucht werden soll [IV]. Vor der Gesetzänderung befasste sich der Ethikrat umfassend mit der Thematik und sprach sich für eine Anwendung der PID in sehr engen Grenzen aus [V].

Seit Längerem gibt es eine Fachdebatte darüber, ob das genetische Testen auf eine abweichende Chromosomenzahl in einzelnen Zellen tatsächlich Vorteile für den Erfolg der künstlichen Befruchtung und die Gesundheit des Kindes hat. Eine Cochrane-Arbeitsgruppe fand 2020 in einem systematischen Review keine ausreichend belegte Hinweise auf den Nutzen verschiedener Screening-Techniken, darunter auch die Analyse von Zellen der Blastozyste [VI], wie sie in der aktuellen Studie verwendet wurde.

Wie die neuen Ergebnisse in dem Kontext dieser Debatte einzuschätzen sind, welche Relevanz sie für den klinischen Alltag haben könnten und wie sich die Beratung der Personen mit Kinderwunsch verändern könnte, ordnen nachfolgend Forschende aus verschiedenen Blickwinkeln ein.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Georg Griesinger, Ärztlicher Leiter der universitären Kinderwunschzentren Lübeck und Manhagen, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
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  • Prof. Dr. Jochen Taupitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Universität Mannheim
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  • Assist.-Prof. Dr. Sebastiaan Mastenbroek, Klinischer Embryologe am Zentrum für Reproduktionsmedizin, Amsterdam University Medical Centers (UMC), University of Amsterdam, Niederlande
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  • Dr. Ingrid Metzler, Post-Doc am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Wien, Österreich
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  • PD Dr. Andreas Schmutzler, Direktor am gyn-medicum Zentrum für Kinderwunsch, Göttingen, und Forscher und Dozent, Georg-August-Universität Göttingen, und Forscher und Dozent, Christian-Albrechts-Universität Kiel
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Statements

Prof. Dr. Georg Griesinger

Ärztlicher Leiter der universitären Kinderwunschzentren Lübeck und Manhagen, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

„Die Arbeit von Capalbo et al. bestätigt eine Reihe von vorangegangenen Studien, die bereits zeigten, dass ein geringgradiger Mosaikbefund des Trophektoderms des menschlichen Präimplantationsembryos keine klinische Relevanz hat – weder für die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer intakten Schwangerschaft noch für die Gesundheit der Kinder. Die Arbeit ist somit ein weiteres memento gegen die unkritische und weitverbreitete Anwendung des sogenannten Aneuploidiescreenings in der Präimplantationsdiagnostik (Englisch: preimplantation genetic testing for aneuploidy; PGT-A) zur Effizienzsteigerung einer Behandlung mit In-Vitro-Fertilisation (IVF). Es ist paradigmatisch zwingend, dass ein PGT-A gar nicht zu einer Steigerung der Geburtswahrscheinlichkeit des einzelnen Paares geeignet ist, sondern durch negative Effekte die Wahrscheinlichkeit einer Geburt sogar senken kann. Wichtige negative Effekte des Tests auf Aneuploidie sind die potenzielle Traumatisierung des Embryos bei der Biopsie, die Notwendigkeit der Kryokonservierung von Embryonen (Einfrieren in flüssigem Stickstoff; Anm. d. Red.), um die zeitlich aufwändige genetische Analyse zu ermöglichen, und die falsch positiven Ergebnisse der genetischen Analyse. Der Wert der Daten von Capablo et al. liegt aus klinischer Sicht vorrangig darin, dass erstmalig möglichst präzise der negative Effekt einer potenziellen Verwerfung von Mosaikbefundembryonen aufgrund von falsch positiven Befunden des Tests beziffert wurde: Wären die Embryonen mit Mosaikbefund nicht übertragen worden, wäre die Lebendgeburtsrate in dieser Studie um 36 Prozent verringert gewesen. Bemerkenswerterweise konnte eine rezent publizierte, randomisierte Studie zum genetischen Test auf Aneuploidien mittels der Genomsequenzierungsmethode ‚next-generation sequencing‘ aus den USA auch keine Steigerung der Lebendgeburtswahrscheinlichkeit nachweisen [1] (im Vergleich zur rein äußeren, morphologischen Beurteilung der Embryonen; Anm. d. Red.). In dieser Studie kam es zur Verwerfung (also Nichtübertragung) von Embryonen mit Mosaikbefund des Trophektoderms. Gewichtige Stimmen haben deshalb auch zur Zurückhaltung bei der Anwendung des PGT-A gerufen [2][3]. In Deutschland ist die Anwendung des PGT-A durch das Embryonenschutzgesetz beschränkt. Zwar darf der Test auf Aneuploidien zur Verhinderung von Aborten und Totgeburten durchgeführt werden, die Durchführung ist aber an einen positiven Bescheid einer Kommission für Präimplantationsdiagnostik gebunden. Da dieser Verfahrensweg zeit- und kostenaufwändig ist, bleibt die Anwendung des PGT-A in Deutschland sinnvollerweise bisher auf Einzelfälle begrenzt [4].“

Prof. Dr. Jochen Taupitz

Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Universität Mannheim

„Der Fortpflanzungsmediziner muss der Frau vor dem Transfer verständlich erläutern, wie er den Zustand der in vitro verfügbaren Embryonen und ihr Entwicklungspotenzial einschätzt. Auf dieser Basis kann die Frau eine eigene Entscheidung treffen, welchen Embryo oder welche der Embryonen sie sich übertragen lassen will – innerhalb eines Zyklus maximal drei. Selbstverständlich kann sie auch den Transfer aller Embryonen ablehnen. Sofern der Fortpflanzungsmediziner ein nicht dem Standard entsprechendes, also noch neues Verfahren anwenden will beziehungsweise nicht dem Standard entsprechende Auswahlkriterien seiner eigenen Einschätzung zugrunde legt, muss er die Frau auch darüber informieren.“

Assist.-Prof. Dr. Sebastiaan Mastenbroek

Klinischer Embryologe am Zentrum für Reproduktionsmedizin, Amsterdam University Medical Centers (UMC), University of Amsterdam, Niederlande

„Die vorliegende Studie war nicht darauf ausgerichtet, Schlussfolgerungen über die Nützlichkeit/Wirksamkeit von Aneuploidiescreenings der Präimplantationsdiagnostik (Englisch: preimplantation genetic testing for aneuploidy; PGT-A) zu ziehen. Hierfür sind ordnungsgemäß konzipierte randomisierte Studien erforderlich, in denen In-Vitro-Fertilisation mit und ohne PGT-A verglichen wird. Ein kürzlich durchgeführter Cochrane-Review solcher Studien kam zu dem Schluss, dass in den 25 Jahren, in denen PGT-A in der klinischen Routinepraxis eingesetzt wurde, keine ordnungsgemäß konzipierte Studie überzeugend einen eindeutigen Nutzen von PGT-A gezeigt hat und dass die derzeit verfügbaren Belege nicht ausreichen, um PGT-A in der klinischen Routinepraxis zu unterstützen [5]. Die Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA; nicht-ministerielle, öffentliche britische Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie; Anm. d. Red.) im Vereinigten Königreich kommt in ihrer Bewertung von IVF-Behandlungszusätzen zu demselben Schluss [6]. Zunächst einmal sollte PGT-A also derzeit nicht in der klinischen Routinepraxis angeboten werden. Vielleicht nur in einer Forschungsumgebung.”

„Die Studie von Capalbo et al. ist eine sehr interessante und gut durchgeführte Studie, die wertvolle Erkenntnisse für den Bereich der Reproduktionsmedizin liefert, insbesondere die Feststellung, dass die Lebendgeburten- und Fehlgeburtenraten bei 484 euploiden, 282 niedriggradigen und 131 mittelgradigen Mosaik-Embryonen gleich sind. Bisher wurde angenommen, dass Mosaik-Embryonen ein geringeres Reproduktionspotenzial haben als euploide Embryonen. Es sei jedoch nochmals darauf hingewiesen, dass aus dieser Studie keine Schlussfolgerungen über die Nützlichkeit/Wirksamkeit von PGT-A gezogen werden kann. Diese Studie liefert weitere Beweise dafür, dass die PGT-A nicht funktioniert. Durch das Verwerfen dieser scheinbar vollkommen lebensfähigen Embryonen – das in vielen Zentren, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten PGT-A angeboten haben, gängige Praxis war – wurden viele Frauen geschädigt, da diese Praxis ihre Chancen auf eine Schwangerschaft tatsächlich verringerte. Die vorliegende Studie untermauert dies.“

„Der Vorschlag von Capalbo und Kollegen, dass der Transfer von Mosaik-Embryonen die Effektivität der PGT-A in der Praxis verbessert, sollte im richtigen Kontext interpretiert werden. In der Tat verbessert das die Lebendgeburtenrate nach der PGT-A, aber es bedeutet nicht, dass die PGT-A nun auch zu verbesserten Lebendgeburtenraten im Vergleich zu IVF ohne PGT-A führt. Zur Beantwortung dieser Frage ist eine ordnungsgemäß konzipierte randomisierte Studie erforderlich.“

„Bei den Präimplantationsdiagnostikmethoden sollte jedoch beachtet werden, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen PGT-A und PGT-M (preimplantation genetic testing for monogenic/single gene defects; genetische Präimplantationstests für monogene Krankheiten; Anm. d. Red.) und PGT-SR (preimplantation genetic testing for structural chromosomal rearrangements; genetischer Präimplantationstest auf strukturelle Chromosomenanomalien; Anm. d. Red.) gibt. Ziel der PGT-A ist es, die Effektivität der IVF zu verbessern, was sich nie als wirksam erwiesen hat, und Ziel der PGT-M/SR ist es, genetisch beeinträchtigte Kinder zu verhindern, was auch funktioniert und eine wertvolle Behandlung für die Patienten darstellt. Der Grund, warum die PGT-M/SR funktioniert, liegt darin, dass die genetische Bedingung, nach der selektiert wird, in allen Zellen des Präimplantationsembryos vorhanden ist, während bei der PGT-A der Ploidiestatus einer Zelle (oder eines Zellpaares) analysiert wird. Und wir wissen, dass dieser Ploidiestatus zwischen den Zellen innerhalb eines Präimplantationsembryos unterschiedlich sein kann (Mosaik), was leicht zu Fehldiagnosen und zur Aussonderung lebensfähiger Embryonen führen kann und was durch die aktuelle Capalbo-Studie erneut auf elegante Weise bestätigt wird.“

Auf die Frage, wie die abweichenden Raten von detektierten Mosaik-Befunden in Trophektoderm und Innerer Zellmasse zu erklären sind:
„Dies sind keine neuen Informationen. Aber die Studie fügt den bereits vorhandenen Erkenntnissen sicherlich wertvolle Daten hinzu. Es setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Aneuploidien in den Präimplantationsstadien der Embryonalentwicklung ein physiologisches, wenn auch zeitlich begrenztes Phänomen während der menschlichen Entwicklung sind und dass sich (geringe) Aneuploidien im Laufe der Entwicklung auflösen oder beispielsweise in der Plazenta landen.“

Dr. Ingrid Metzler

Post-Doc am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Wien, Österreich

„Diese Studie sollte als Beitrag zur in der Wissenschaft bereits seit längerer Zeit geführten Debatte zum sogenannten Präimplantationsscreening (PGS) (heute ist gebräuchlicher genetischer Präimplantationstest auf Aneuploidien PGT-A; Anm. d. Red.) gesehen werden. In dieser Debatte geht es um die Frage, ob ein systematisches Screening von IVF-Embryonen helfen könnte, die Erfolgsquote der In-Vitro-Fertilisation zu erhöhen. Eine Annahme ist dabei, dass die Erfolgsquote auch deswegen immer noch vergleichsweise gering ist, weil viele IVF-Embryonen aneuploid sind. Das heißt, dass diese Embryonen Abweichungen in der Anzahl von Chromosomen haben, die ihre Entwicklungsfähigkeit sehr stark einschränken könnten.“

„Wichtig ist zu verstehen, dass es bei diesem Präimplantationsscreening (PGS) in der Regel nicht um die Verwendung von Tests geht, die eine bekannte monogenetische Krankheit bei Risikopaaren ausschließen sollten. Das Ziel von PGS ist in der Regel vielmehr, im Zuge einer IVF jene Embryonen auszuwählen, die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit zu einer Schwangerschaft und Geburt eines Babys führen.“

„Es handelt sich damit um eine in der Regel recht teure Ergänzung zur IVF. Dies wurde zum einen durch die Weiterentwicklung von sogenannten Hoch-Durchsatz-Verfahren oder Next-Generation-Sequencing-Technologien zur Analyse des Erbguts ermöglicht. Zum anderen sind auch Verbesserungen der Kultivierungstechnologien relevant, die es ermöglichen, mehre Zellen zu einem späteren Zeitpunkt zu entnehmen, ohne IVF-Embryonen zu schädigen.“

„Ergebnisse von PGS haben dabei gezeigt, dass zum einen Aneuploidien (also Abweichungen in der Anzahl von Chromosomen) bei IVF-Embryonen häufig sind, zum anderen aber auch auf Vorläuferzellen der späteren Plazenta beschränkt sein könnten. Man spricht in diesen Fällen von Mosaiken. Dieses Phänomen ist an sich auch aus der Pränataldiagnostik gut bekannt. Auch im Bereich des Nicht-Invasiven Pränataltests oder Screenings wird darüber diskutiert.“

PD Dr. Andreas Schmutzler

Direktor am gyn-medicum Zentrum für Kinderwunsch, Göttingen, und Forscher und Dozent, Georg-August-Universität Göttingen, und Forscher und Dozent, Christian-Albrechts-Universität Kiel

„Durch die in der Studie vorgeschlagene Praxisänderung würde die Schwangerschaftsrate durch Präimplantationsscreening steigen, pro Behandlungszyklus würde etwa ein Embryo mehr zur Verfügung stehen. Den Patienten müsste jedoch unverändert weiterhin erklärt werden, dass es trotz der besseren Chancen und geringeren Risiken keine völlige Sicherheit gibt in Bezug auf Schwangerschaft, Fehlgeburten und Fehlbildungen.“

„Die Methoden, die die Forschenden in der aktuellen Studie verwenden, sind sehr verlässlich. Die Versuche und die daraus resultierenden Daten weisen eine hohe Qualität auf. Die erhobenen Daten haben aber leider keine Relevanz für die klinische Praxis in Deutschland, da das Screening von Embryonen hier kaum durchgeführt wird. Die nun noch geschäftsführende Bundesregierung hielt es für richtig, anders als ‚der Rest der Welt‘, ihre eigenen ethisch-religiösen Vorstellungen allen, also auch unseren Kinderwunschpatientinnen, aufzuzwingen, indem hierfür ein teures und langwieriges Ethikvotum vorgeschrieben wurde, weshalb es in der Praxis nicht praktikabel ist und nicht durchgeführt wird.“

„Aus diesem Grunde werden wir auf dem 19. Weltkongress für Präimplantationsdiagnostik im April in Berlin – ich bin Reproduktionsmediziner und Jurist und dessen Ko-Organisator, und es war nicht einfach, diesen Kongress, auch zur Anschauung aller, nach Deutschland zu bekommen – am letzten Tag eine Sitzung zur Ethik der Präimplantationsdiagnostik durchführen.“

„Die in der Studie angewandte Trophektoderm-Biopsie ist seit Jahren weltweit Standard, die Vorläufermethode der Biopsie von Achtzellern wurde aufgegeben. Die Debatte darum, ob die Präimplantationsdiagnostik einen Vorteil bei der In-Vitro-Fertilisation hat, wird täglich weltweit von den Reproduktionsmedizinern mehrheitlich zu Gunsten der Präimplantationsdiagnostik entschieden. Und die Ergebnisse sind, wie diese Studie zeigt, sehr genau.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Georg Griesinger: „Ich leite das Universitäre Kinderwunschzentrum Lübeck und Manhagen und bin reproduktionsmedizinischer Leiter des Zentrums für Präimplantationsdiagnostik Lübeck.“

Prof. Dr. Jochen Taupitz: „Herr Taupitz ist Mitglied im Bioethics Advisory Panel der Merck KGaA, Mitglied des Merck Stem Cell Research Overview Committee (SCROC) der Merck KGaA und Mitglied des Medical Advisory Board der CompuGroup Medical AG.“

Assist.-Prof. Dr. Sebastiaan Mastenbroek: „Ich habe keinen finanziellen Interessenkonflikt. Ich bin der Erstautor einer großen randomisierten Studie zu PGT-A (damals PGS genannt), die 2007 im NEJM veröffentlicht wurde und die zeigte, dass (die erste Generation von) PGT-A nicht funktioniert hat. Diese Studie löste im Bereich der Reproduktionsmedizin eine heftige Debatte über die Verwendung von PGT-A aus, an der ich mich aktiv beteiligte. Ich bin Letztautor des Cochrane-Reviews zu PGT-A, das vor Kurzem aktualisiert wurde und zu dem Schluss kam, dass in den 25 Jahren, in denen PGT-A in der klinischen Routinepraxis eingesetzt wurde, keine ordnungsgemäß konzipierte Studie überzeugend einen eindeutigen Nutzen von PGT-A gezeigt hat und dass die derzeit verfügbaren Erkenntnisse nicht ausreichen, um PGT-A in der klinischen Routinepraxis zu unterstützen.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Capalbo A (2021): Mosaic human preimplantation embryos and their developmental potential in a prospective, non-selection clinical trial. American Journal of Human Genetics. DOI: 10.1016/j.ajhg.2021.11.002.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Munné S et al. (2019): Preimplantation genetic testing for aneuploidy versus morphology as selection criteria for single frozen-thawed embryo transfer in good-prognosis patients: a multicenter randomized clinical trial. Fertility and Sterility. DOI: 10.1016/j.fertnstert.2019.07.1346.

[2] Paulson RJ (2019): Outcome of in vitro fertilization cycles with preimplantation genetic testing for aneuploidies: let's be honest with one another. Fertility and Sterility. DOI: 10.1016/j.fertnstert.2019.11.002.

[3] Schattman GL et al. (2019): Preimplantation genetic testing for aneuploidy: It's déjà vu all over again! Fertility and Sterility. DOI: 10.1016/j.fertnstert.2019.08.102.

[4] Neumann K et al. (2021): Stellenwert des Aneuploidiescreenings von Eizellen und Embryonen im Rahmen assistierter Reproduktion. Frauenarzt.

[5] Cornelisse S et al. (2020): Preimplantation genetic testing for aneuploidies (abnormal number of chromosomes) in in vitro fertilization. Cochrane Database of Systematic Reviews. DOI: 10.1002/14651858.CD005291.pub3.

[6] Human Fertilisation and Embryology Authority: Pre-implantation genetic testing for aneuploidy (PGT-A).

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Bundesministerium für Gesundheit (2020): Zweiter Bericht über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik. Meldung des Ministeriums.

[II] Deutsches IVF-Register e.V. (2021): Jahrbuch 2020. Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie. Sonderheft 3, 2021. ISSN 1810-2107.

[III] Der Bundesegerichtshof (2010): Die Präimplantationsdiagnostik zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden des extrakorporal erzeugten Embryos ist nicht strafbar. Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs, Nr. 127/2010.

[IV] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (1990): Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – EschG).

[V] Deutscher Ethikrat (2011): Präimplantationsdiagnostik. Stellungnahme des deutschen Ethikrats. ISBN: 978-3-941957-19-0.

[VI] Cornelisse S et al. (2020): Preimplantation genetic testing for aneuploidies (abnormal number of chromosomes) in in vitro fertilization. Cochrane Database of Systematic Reviews. DOI: 10.1002/14651858.CD005291.pub3.